Nachtjägers Liebeslied
Nachtjägers Liebeslied

Nachtjägers Liebeslied

Eine deutsche Biologin erforscht in Panama die Gesänge der Fledermäuse. Die Ultraschallsongs sind mitunter so komplex wie die Balladen von Vögeln. Linguisten wollen darin sogar Hinweise finden, wie die menschliche Sprache entstand.

Von Philip Bethge

Das Männchen der Großen Sackflügelfledermaus wirbt mit Gesang und Spucke um die Gunst des Weibchens. Im Schwirrflug steht der Troubadour vor der Angebeteten in der Luft und singt dabei sein Liebeslied.

Alle paar Sekunden lässt der Fledermäuserich dabei Hautsäcke an seinen Armen aufschnappen. Darin fermentieren Urin, Speichel und andere Körpersekrete – aus Fledermausweibchensicht ein betörender Duft.

“Die Männchen legen sich wahnsinnig ins Zeug”, schwärmt Mirjam Knörnschild. “Sie können sich eine Stunde lang mit einem Weibchen beschäftigen.” Die Biologin von der Universität Ulm blickt hinauf zu den Tieren, die weit oben in einem hohlen Baum vor sich hin flirten. Immer wieder schwirrt der nur etwa sieben Gramm schwere Fledermann vor der Angebeteten, ähnlich wie ein Kolibri vor der Blüte. Die Umworbene hängt derweil kopfüber im Baum und feuert den Minnesänger mit kurzen Schreien an.

“Komm schon, komm schon, wie lange kannst du noch so fliegen?”, übersetzt Knörnschild die Rufe des Weibchens und horcht dann wieder mit dem Ultraschallmikrofon hinein ins Fledermaus-Duett. Die Forscherin ist Expertin für die Fledertier-Minne. Auf Barro Colorado Island, einer Insel mitten im Panamakanal gelegen, lauscht sie dem Singsang der Tiere.

Ein neues Reich der Melodien tut sich auf – Forscher ergründen den Gesang der Fledermäuse. Bislang waren die Nachtjäger vor allem für ihre kurzen Ultraschalllaute bekannt, mit denen sie noch in pechschwarzer Nacht unfallfrei durchs Dickicht navigieren. Inzwischen jedoch zeigt sich: Auch liebliches Liedgut gehört zum Repertoire. Viele Fledermäuse singen wie Vögel.

Ein Trillern, Tschirpen und Tirilieren hallt durch hohle Bäume, düstere Höhlen und alte Gemäuer. Ausgefeilt wie Nachtigallenjubel erweisen sich manche der Gesänge. Und viele der Melodien sind sogar erlernt: Einige Fledermäuschen gehen bei ihren Eltern in die Gesangsschule – das macht ansonsten nur der Nachwuchs von Menschen, Elefanten, Walen, von Delfinen, manchen Robben und vielen Vögeln.

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“Vokales Lernen ist sehr selten im Tierreich”, erläutert Tecumseh Fitch, Kognitionsbiologe an der Universität Wien, der sich auf Tierkommunikation spezialisiert hat. Dass nun ausgerechnet die Flattertiere Melodien pauken, erscheint Fitch als pures Forscherglück. “Fledermäuse sind Säugetiere”, sagt er, “ihr Gehirn funktioniert ähnlich wie unseres.”

Anders als etwa Delfine oder Elefanten ließen sich die Tiere zudem relativ problemlos im Labor untersuchen. “Ich glaube, dass Fledermäuse uns dabei helfen werden, die Evolution der menschlichen Sprache besser zu verstehen”, schwärmt Fitch.

Das Konzert der Fledermäuse blieb lange Zeit unentdeckt, weil die Tiere es großteils außerhalb der Hörwelt des Menschen vorführen. Doch dank tragbarer Ultraschallmikrofone und Digitaltechnik für die Audiobearbeitung lässt sich die kleine Nachtmusik der Tiere immer besser erforschen. Dabei zeigt sich: Singende Fledermäuse finden sich allerorten.

In Ostafrika brummelt die Herznasenfledermaus ihre Territorialgesänge durch die Nacht. Sie singt so tief, dass die Lieder auch für den Menschen gut zu hören sind. Von Brasilien bis Mexiko wiederum trällern die Männchen der Mexikanischen Bulldoggfledermaus. Die Biologin Kirsten Bohn von der Florida International University hat herausgefunden, dass die Tiere dabei sogar eine Art Syntax verwenden. Ihr Tschirpen und Summen kombinieren sie zu Satzteilen, diese Teile wiederum zu komplexen Songs. Die Abfolge passen sie dabei der jeweiligen sozialen Situation an.

Auch in Deutschland singen die Fledertiere. Gerade jetzt ist für den Großen Abendsegler Paarungszeit. Die Männchen setzen sich in den Abendstunden und nachts an sogenannte Balzwarten, zum Beispiel vor Baumhöhlen. Dort singen sie – um ihr Revier zu verteidigen und um Weibchen anzulocken. Im Herbst balzt auch die Zweifarbfledermaus. Eigentlich ist sie an Felswänden heimisch. Jetzt fliegt sie häufig in der Nähe von hohen Häusern und Kirchen.

Am besten lassen sich die Freiluftkonzerte der Flugsäuger allerdings in den Tropen erforschen. Dort gibt es nicht nur sehr viele Fledermausarten. Den Wissenschaftlern hilft auch, dass viele der Tiere weder wegziehen noch in den Winterschlaf fallen.

Panamas Barro Colorado Island gehört zu den fledermausreichsten Weltgegenden überhaupt. Die vor mehr als hundert Jahren beim Bau des Panamakanals entstandene Insel ist eine Art riesiges Freilandlabor. Wer hier mit dem Boot ankommt, fühlt sich wie im Kinohit “Jurassic Park”. Dichter Regenwald reicht bis hinunter ans Ufer. Dort warnen Schilder vor den zahlreichen Krokodilen.

An einer kleinen Bucht liegt die Forschungsstation des Smithsonian Tropical Research Institute. Wissenschaftler aus aller Welt mieten sich für Wochen oder Monate ein, um die einzigartige Lebenswelt des fast unberührten Dschungels zu studieren.

Mirjam Knörnschild kommt seit über zehn Jahren regelmäßig hierher. Sie nennt die Anlage den “Club Med” unter den Forschungsstationen. Dreimal am Tag gibt es Kantinenessen. Duschen und Ventilatoren helfen gegen die schwüle Hitze, die schwer wie eine Dunstglocke über den gelb getünchten Gebäuden liegt.

Die Biologin wartet am Anleger in Badelatschen, Multifunktionshose und Trägerhemdchen. Das blonde Haar hat die 35-Jährige zum Pferdeschwanz gebündelt. Ihr Büro liegt im zweiten Stock eines der Hauptgebäude. Schon auf dem Weg gibt es erste Fledermäuse zu sehen. Wie riesige dunkle Käfer krallen sie sich unter dem Vordach des Hauses kopfunter an die Wand. Deutlich sichtbar sind die Tiere mit bunten Ringen, die ihnen Knörnschild angelegt hat, an den Flügeln markiert. “Ich kenne hier jede Fledermaus persönlich”, scherzt die Forscherin.

Große Sackflügelfledermäuse leben in Kolonien. Typischerweise schare ein Männchen einen Harem von zwei bis acht Weibchen um sich, die allerdings ausgesprochen wählerisch seien, erzählt Knörnschild. Obschon die Paarungszeit nur wenige Wochen dauert, muss der Fledermann die Damen das ganze Jahr über mit Gesang bezirzen – sonst macht sich die Flederfrau auf und davon zum Nachbar-Barden. Gleichzeitig muss der Fledermäuserich sein Revier verteidigen. Auch das erledigt er vor allem musikalisch.

Wer die Tiere dabei belauschen will, macht sich am besten gegen Abend auf den Weg. Fast windstill ist es an diesem Tag unter hellgrauem Himmel. Das kleine Motorboot der Biologen schneidet seine ruhige Spur durch das graugrüne Wasser des Panamakanals, der sich hier zum Gatúnsee weitet. Nach kurzer Fahrt um die Insel ist ein kleiner Anleger erreicht, dort ein paar Gebäude, eine Lichtung, dahinter dichter Wald. Tukane rufen rau. Tauben gurren. Kapuzineraffen hangeln mit Getöse durch die Bäume. Über allem liegt der monotone Gesang der Zikaden.

Die Großen Sackflügelfledermäuse leben unter dem überhängenden Dach eines kleinen Steinhauses. Noch dösen die Tiere. Knörnschild und ihr Kollege, der Biologe Thomas Hiller, spannen Fangnetze aus feinen Plastikfäden auf, die kaum sichtbar und auch per Echoortung schwierig zu entdecken sind. Dann startet Knörnschild ihren Lauschangriff. Ihr Richtmikrofon erfasst Frequenzen von bis zu 460 Kilohertz. Für das menschliche Ohr ist schon bei rund 20 Kilohertz Schluss.

Bald beginnt der Balzgesang der Männchen, ein feines Gezwitscher, “am ehesten mit Nachtigallengesang vergleichbar”, sagt Knörnschild. Auf dem angeschlossenen Laptop kann die Biologin den Frequenzgang der Laute direkt grafisch verfolgen.

Kurze Zeit später fangen die Barden der Nacht mit ihren Territorialgesängen an, rasend schnellen Abfolgen harter, rauer Silben, von denen ein Teil auch ohne Technik zu hören ist. Zwischendurch blitzen immer wieder die kurzen, hochfrequenten Echoortungslaute auf dem Bildschirm auf.

Und auch das Singen einiger Jungtiere ist bald zu erahnen. “Babbeln” nennt Knörnschild die piepsigen Laute. “Die Jungen durchlaufen eine Phase, die mit der Plapperphase von Kleinkindern vergleichbar ist”, sagt sie, “dabei mixen sie ganz wild Sachen aus dem Lautrepertoire ihrer Eltern zusammen, offenbar um zu üben.”

Knörnschild nimmt die Gesänge seit Jahren auf. Manchmal stellt sie auch Lautsprecherboxen in den Dschungel und spielt den Tieren Aufnahmen von Artgenossen vor. Die Forschungsergebnisse zeigen, wie vielseitig der Singsang ist. Große Sackflügelfledermäuse können sich beispielsweise individuell an ihren Gesängen erkennen. Bestimmte Triller nennt Knörnschild sogar “Passwörter”: Sie signalisieren die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

Die Balzgesänge wiederum sind wahre Werbebotschaften. “Die Weibchen scheinen auf Vielfalt Wert zu legen”, erläutert Knörnschild, “wir haben Hinweise, dass sich Männchen, die variabler und tieffrequenter singen, erfolgreicher fortpflanzen.” Der mit der schönsten Ballade und der tiefsten Stimme wird also auch bei Fledermäusen schnell zum Frauenschwarm.

Und wahrscheinlich gibt es – ähnlich wie bei Walen – sogar Dialekte. So singen die Großen Sackflügelfledermäuse Panamas beispielsweise anders als jene in Costa Rica. Dort wiederum hören sich die Fledermaussongs an der Atlantikküste etwas anders an als am Pazifik. Die beiden Populationen sind durch eine Vulkankette in der Mitte des Landes getrennt.

“Für die Fledermäuse ist der Gesang eine sehr effektive Art zu kommunizieren”, fasst Knörnschild zusammen. Die Biologin klappt jetzt ihren Laptop zu. Das Konzert ist für diesen Abend vorbei. Die Dunkelheit kommt schnell in den Tropen, und die ersten Tiere verlassen nun die Kolonie, um den nächtlichen Raubzug zu starten. Bald zappeln einige von ihnen im aufgespannten Fangnetz der Forscher.

Vorsichtig löst Knörnschild die zarten Tiere heraus und beginnt, sie zu vermessen. Unterarmlänge, Gewicht und Gesundheitszustand notiert die Biologin. Aus der Flügelhaut entnimmt sie mit einer Art Locher eine Gewebeprobe für die Erbgutanalyse (das Loch wächst nach einigen Tagen wieder zu). Dann werden die Tiere mit routinierten Griffen beringt. Nachdem die Prozedur überstanden ist, entlässt Knörnschild die Fledermäuse, eine nach der anderen, zurück in die feuchte Tropennacht.

Warum singen die Fledermäuse so vielseitig und ausdauernd? Die meisten Säugetiere sind reichlich einsilbig. Hunde bellen. Pferde wiehern. Katzen miauen. Selbst Schimpansen verfügen über ein Repertoire von nur etwa 15 Lauten.

Anders manche Fledermäuse: Sie jubilieren, variieren, kopieren. Einige der Tiere könnten gar in der Lage sein, nicht nur als Jungtiere, sondern ihr ganzes Leben lang neue Gesänge zu erlernen, vermuten die Forscher. Warum nur? Eine Theorie: Ihr komplexes Sozialleben könnte die Quasselei hervorgebracht haben.

Auch für den Menschen wird die Hypothese der sogenannten Machiavellischen Intelligenz diskutiert: Soziale Expertise treibt demnach die Evolution von Intelligenz voran, auch die von Sprache. Wer sich in der Gruppe zurechtfinden muss – sei es für die Jagd, die Balz oder die Aufzucht der Jungen -, dem nützt es, viel zu quatschen. Bei den Fledermäusen konnte Knörnschild die Theorie schon testen. Fünf Arten hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Martina Nagy verglichen. Tatsächlich zeigt sich: Je komplexer das Sozialgefüge, desto komplexer die Gesänge.

Eine andere Theorie: Tiere, die viel schwatzen, tun es schlicht deshalb, weil es ihnen möglich ist. Schimpansen etwa ist es anatomisch verwehrt, komplexere Laute

zu produzieren. Der Mensch hingegen ist dafür mit seinem tief liegenden Kehlkopf bestens ausgerüstet.

Ähnlich die Fledermäuse: Für die Echoortung haben sie einen Stimmapparat entwickelt, der sich auch für die Kommunikation eignet. Gleiches gilt zum Beispiel für Delfine, die sich ebenfalls per Ultraschall orientieren.

“Bei diesen Tieren war die Anatomie der Stimme ja schon vorhanden”, erläutert Fitch. “Um auch kommunizieren zu können, mussten sie diese Fähigkeit nur weiterentwickeln.”

Die schönste Theorie indes führt die Sprachevolution auf die Liebe zurück. Schon Darwin vermutete: Sprache entstand schlicht deshalb, weil Weibchen Männchen gern singen hörten. Auch der Mensch – genauer der Mann – war demnach erst Sänger, dann Plaudertasche.

“Das Männchen singt ,Scoobie-du-bi-dab-dab-doubi-du'”, erläutert Fitch, “das Weibchen denkt ,Wow, ich mag dieses Lied’.” Auch ein Duett mag der Ursprung des Gesprächs gewesen sein, sagt der Kognitionsforscher. Einige Primaten singen bis heute zu zweit. Die Gibbons Südostasiens etwa: Bei ihnen sei das Duett “Teil des musikalischen Werbens, aber auch ein Signal an alle anderen, dass dort zwei zusammengehören und die Partnerschaft gut funktioniert”, sagt Fitch.

Die Fledermaus-Gesangsforschung, so hoffen die Forscher nun, soll derlei Hypothesen weiter erhärten. Rund 960 Fledermausarten leben auf der Erde. Bislang haben Biologen nur etwa 20 von ihnen beim Singen ertappt. “Da gibt es noch sehr viel zu entdecken”, sagt Knörnschild.

Gerade hat sie die letzte Fledermaus von ihrer Hand aus zurück in die Nacht starten lassen. Stockdunkel ist es inzwischen im Dschungel Panamas geworden. Im Schein ihrer Kopflampen packen die Biologen ihre Fangnetze zusammen und bringen alles zurück zum Boot, während die Mücken das unerwartet reichhaltige Abendmahl aus Forscherblut feiern.

Beim Ablegen blickt Knörnschild zurück auf den dunklen Wald. Am Rand des Dickichts jagen nun die Großen Sackflügelfledermäuse nach den Insekten der Nacht. Morgen früh werden die Männchen in ihre Kolonien zurückkehren und jeder ihrer Liebsten bei Ankunft jeweils eine neue Ballade widmen.

Die Nacht ist hier voller Lieder – und für die Liebe singen sich wohl auch Fledermäuseriche fast um den Verstand.

 

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