von Philip Bethge
Die Welt des digitalen Süßholzraspelns ist voller bunter Bilder. Ist die Stimmung gut, bietet sich ein gelbes Smiley in der Kurznachricht an, keck mit einem Auge zwinkernd – oder gleich mit Kussmund, die Wangen zart gerötet .
Herzchen, rot, gelb, blau und grün oder von einem Pfeil durchbohrt , stehen für Verliebte bereit. Geht es dann um Sex, hat sich die leicht gekrümmte Aubergine als einschlägiges Symbol etabliert – als Pendant zum Pfirsich mit seiner samtigen Längsfurche .
Der Abschied vom Liebesglück dagegen fällt schwer: ein rotes Ungeheuer vielleicht ? Oder gleich ein Bömbchen mit glimmender Lunte ? Ach ja: Bald ist eindeutig, was die Trennung besiegelt. Noch in diesem Jahr hält wohl der Stinkefinger Einzug in die Bilderwelt der Smartphones.
Wer auf diese unfeine Weise aus dem Leben der Liebsten gekickt wird, trachtet nun seinerseits nach Vergeltung. Wie wär’s mit ” Du Miststück! “? Doch da versagt die Symbolsprache. – das wirkt eher niedlich, zumal der Haufen lächelt.
Emojis heißen die kleinen Bilder, die immer häufiger in Kurznachrichten, Tweets, Posts und E-Mails auftauchen. Schleichend sind sie zu einem inzwischen fast unverzichtbaren Teil der Chatkommunikation geworden – eine Invasion bunter Bildchen, die sich manchmal schon zu ganzen Sätzen formieren und damit die jahrhundertealte Herrschaft der Buchstaben infrage stellen.
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Rund 1000 Symbole der neuen Weltsprache sind schon im Einsatz. 250 weitere kommen in Kürze hinzu, unter ihnen so Kurioses wie der Vulkanier-Gruß von Mr Spock aus “Raumschiff Enterprise”. Und bald wird es möglich sein, ethnische Vielfalt abzubilden: Die kleinen Gesichter und Figuren soll es künftig politisch korrekt mit verschiedenen Hautfarben geben.
Auf Smartphones und Tablets sind die Symbole allesamt mit wenigen Fingerklicks erreichbar. Ein Panoptikum des Lächerlichen, so scheint es auf den ersten Blick. Und die Flut der Babyengel , der lächelnden Katzengesichter und Comicgeister im Kurznachrichten-Kauderwelsch scheint jene zu bestätigen, die den Niedergang der Schriftkultur beweinen.
Aber ist das wirklich so? Ersetzen die schlichten Emojis auf lange Sicht den feinen Ausdruck, die elegante Formulierung, den raffiniert gebauten Satz? Fachleute sind vom Gegenteil überzeugt. “Emojis zerstören keine Traditionen”, sagt die Sprachforscherin Lisa Lebduska vom Wheaton College im US-Bundesstaat Massachusetts. “Sie erweitern die sprachlichen Möglichkeiten und stellen damit sicher, dass die Kurznachrichten, die wir senden, auch richtig verstanden werden.”
Die Wissenschaftlerin schwärmt von der “Verspieltheit” der digitalen Bilderwelt. Eine Sprachdegeneration vermag sie nicht zu erkennen. “Meine Studenten sind begeistert von der Emotionalität und Unmittelbarkeit von Emojis”, sagt sie.
Ähnlich erklärt der Google-Programmierer Mark Davis den Erfolg der Bildchen. Er ist Präsident des Unicode-Konsortiums , das die Emojis standardisiert – sie sollen ja überall das Gleiche bedeuten. “Emojis verleihen Kurznachrichten Würze”, sagt Davis. Gesten, Mimik, Intonation – solche Nuancen fehlten der Schriftsprache. Gerade in Kurznachrichten sei es mit Worten allein sehr schwer, Gefühle und Stimmungen auszudrücken. Emojis könnten da helfen. “Sie sind die emotionale Kurzschrift der Onlinekommunikation”, sagt Davis.
Entsprechend überzeugen Emojis die Nutzer: Rund 200 Emojis pro Sekunde werden derzeit über Twitter in die Welt geschickt. Was die Forscher nicht überrascht: “Emojis sind gleichzeitig ein sehr altes und ein sehr neues Phänomen”, sagt etwa der amerikanische Linguist Ben Zimmer von der Softwarefirma Vocabulary.com. Der “piktografische Impuls”, die Liebe zu kleinen Symbolen und Zeichen, liege in der Natur des Menschen. So gehe beispielsweise auch das heutige Schreibsystem auf Piktogramme zurück, etwa der Buchstabe “A” auf das Bild eines Ochsenkopfes, das irgendwann um 180 Grad gedreht wurde.
Zugleich bedienten Emojis die Lust, die Grenzen neuer Technologien auszuloten, sagt Zimmer. “Menschen genießen diese Art des kommunikativen Spiels – auch weil wir immer wieder daran scheitern, wirklich das mitzuteilen, was wir meinen.”
Das Bedürfnis, sich klar auszudrücken, ist so alt wie die Menschheit selbst (siehe Grafik). Der Weg von der Höhlenmalerei zum Alphabet ist eine der elementarsten Kulturleistungen überhaupt. Doch die Schriftsprache ist immer noch nicht perfekt. “Ich denke häufig, dass ein spezielles typografisches Zeichen für ein Lächeln existieren sollte”, sagte der Schriftsteller Vladimir Nabokov schon 1969.
Sein Wunsch wurde erhört, als der Informatiker Scott Fahlman von der Carnegie Mellon University 1982 das Emoticon erschuf . Er und seine Kollegen fanden Spaß daran, im Onlineforum der Universität sarkastische Witzeleien auszutauschen. Doch offenbar wurden diese häufig fehlgedeutet. Genervt schlug Fahlman irgendwann vor, Scherzhaftes mit einem Smiley zu markieren :-), Ernstes dagegen mit :-(. Bald waren auch das zwinkernde ;- ) und das laut lachende Emoticon :- D geboren.
Die Farbe verpasste ihnen dann der Japaner Shigetaka Kurita von der Telekommunikationsfirma NTT Docomo. 1999 wollte das Unternehmen die Kommunikation über Mobiltelefone attraktiver machen. Kurita ließ sich von japanischen Manga-Comics und Straßenschildern inspirieren und entwarf 176 Symbole, jedes von ihnen nur zwölf mal zwölf Pixel groß. Die ersten Emojis (japanisch: e = Bild, moji = Schriftzeichen) waren geschaffen und wurden in Japan ein voller Erfolg.
Der Siegeszug um die Welt begann erst, als das Unicode-Konsortium beschloss, Emojis in seine Datenbank aufzunehmen. Die Organisation, zu deren Mitgliedern Branchengrößen wie Apple, Google, Yahoo oder Oracle zählen, legt die internationalen Standards für die Darstellung von Text fest. Jeder auf der Welt gebräuchliche Buchstabe ist in Unicode einer bestimmten Zahl zugeordnet. So wird erreicht, dass beispielsweise der Buchstabe “A” von jeder Software eindeutig als “A” erkannt und dargestellt werden kann.
Seit Oktober 2010 sind die Emojis Teil des Unicodes. Ein Smiley, das in China auf einem obskuren Handy eingetippt wird, bleibt daher weltweit ein Smiley, egal, mit welcher Technik es empfangen wird. Das genaue Aussehen der Bildchen legen allerdings die Designer der jeweiligen Software fest. Deshalb tanzt beispielsweise die Emoji-Tänzerin in Apples Handybetriebssystem Flamenco, während die Figur in Android 4.4 aussieht wie John Travolta im Discofieber.
Immer neue Emojis nimmt das Konsortium nun in seine Liste auf. Neben den japanischen Zeichen sind inzwischen viele Symbole aus den Windows-Schriftarten Wingdings und Webdings vertreten. Das Ergebnis ist ein sehr skurriles Symbolsammelsurium. Besonders beliebt beispielsweise ist ebenjener Haufen, der sich gerade im Englischen herrlich mit anderen Emojis kombinieren lässt (, , *).
(* Holy shit, shit storm, no shit)
Warum der Haufen lächelt? Ganz einfach: In Japan, wo das Zeichen herkommt, gilt es als Glückssymbol. Ohnehin lässt sich über die Bedeutung der Zeichen gut streiten. “Verschiedene Kulturen können Emojis auf sehr unterschiedliche Arten verwenden”, sagt Linguist Zimmer. Als Beispiel nennt er das Symbol der beiden aneinanderliegenden Hände . Während Japaner zum Beispiel das Bild als Gruß interpretierten, würden andere Kulturen betende Hände sehen, sagt Zimmer. Bei den Amerikanern wiederum werde es mitunter als “high five” gedeutet.
Andere Emojis sind noch rätselhafter. Was zum Beispiel bedeutet das bislang gern als Stinkefinger-Ersatz genutzte ? Was heißen die drei bunten Kugeln auf dem Stock ? Und was will uns der blaue Diamant sagen **?
(** Japanische Neujahrs-Türdekoration; bunte Reisklöße (Dango), eine japanische Spezialität; japanisches Symbol für „lieblich“)
Schließlich der “Mann im Anzug, schwebend”, der erst jüngst in den Status eines Emojis erhoben wurde. Wer nachforscht, erfährt, dass irgendein Microsoft-Mitarbeiter vor Jahren mal ein Faible für das Ska-Plattenlabel “2 Tone Records” hatte, dessen Logo dem Schwebemann ähnelt. Durch Unicode geadelt, hat die merkwürdige Figur jetzt für alle Zeit ihren Stammplatz im international gebräuchlichen Schriftstandard.
Emoji-Fans lieben diese kleinen absurden Geschichten, die auch dazu führen, dass die Bildersprache immer populärer wird. In einer Umfrage aus dem Jahr 2013 gaben 74 Prozent der Nutzer in den USA und 82 Prozent in China an, dass sie Emojis verwenden. Rund acht Milliarden Emojis sind laut der Website emojitracker.com seit Juli 2013 verschickt worden. Das derzeit beliebteste Symbol der Welt ist das lachende Gesicht mit Freudentränen .
Liebende bezirzen sich mit Emojis, und auch fürs Sexting, also “dirty talk” via Kurznachricht, eignen sich die Bildchen. etwa beschreibt, wie Aubergine und Pfirsich auf genau die richtige Weise zusammenfinden.
Es gibt soziale Netzwerke, in denen ausschließlich Emojis gepostet werden können, Emojicate etwa oder Emojli. Wer eine Liste mit seinen zuletzt genutzten Emojis an die Internetseite Emojinalysis schickt, bekommt eine Analyse der eigenen Befindlichkeit.
Und längst hat die Kunst die Bildersprache als neue Ausdrucksform entdeckt. Auf YouTube finden sich Musikvideos, die einzig mit dem Stilmittel des Emojis arbeiten, zum Beispiel ein Video zu Beyoncés Hit “Drunk in Love”. Der Tumblr-Blog “Narratives in Emoji” zeigt Emoji-Zusammenfassungen der Filme “Titanic” und “Independence Day”.
Sogar ganze Bücher sind schon in Emoji erschienen. Nachdem er 3500 Dollar auf Kickstarter.com gesammelt hatte, brachte der amerikanische Computerexperte Fred Benenson über 800 Emoji-Enthusiasten dazu, mit ihm zusammen jede Zeile von Herman Melvilles “Moby Dick” in eine Reihe von Emojis zu übersetzen. Das Ergebnis heißt “Emoji Dick” , ist als gedrucktes Buch erhältlich und steht inzwischen in der Library of Congress.
“Emoji Dick” zeigt allerdings deutlich die Grenzen der neuen Weltsprache. Denn wirklich lesen kann das Werk niemand.
Die erste Zeile etwa lautet . “Nennt mich Ismael”, soll das bedeuten, der erste Satz von “Moby Dick”. Sprachforscherin Lebduska ist skeptisch: “Ich lese auch nach mehreren Versuchen immer noch ,Telefon, Schnurrbartgesicht, Segelboot, Wal, ok'”, kommentiert sie trocken. Selbst Benenson habe eingeräumt, dass “ein Großteil des Buchs keinerlei Sinn ergibt”, erzählt die Forscherin. Begeistert ist sie trotzdem. “Emoji Dick” könne als “Literaturmüll” betrachtet werden, aber auch als “mutiger Ausflug in literaturwissenschaftliches Neuland”.
Die Frage ist, ob Emojis der Welt erhalten bleiben, mindestens als Ergänzungsmittel. Oder sind sie nur eine Modeerscheinung der Netzwelt, zu sehr Spielerei, um ernst genommen zu werden?
Tyler Schnoebelen, Linguist von der Eliteuniversität Stanford, heute bei der Textanalysefirma Idibon beschäftigt, sieht durchaus Parallelen zur Schriftsprache. Schnoebelen hat Emoticons analysiert und festgestellt, dass deren Gebrauch je nach Alter, Geschlecht und sozialem Status des Schreibers variiert. Auch beobachtet er, wie sich verschiedene “Dialekte” entwickeln. Und bei der Kombination mehrerer Emojis hat Schnoebelen sogar eine einfache Grammatik ausgemacht, bei der die Stimmung – zum Beispiel ausgedrückt durch ein weinendes Smiley – immer vor der eigentlichen Aussage steht, einem gebrochenen Herzen etwa.
Schnoebelen sieht eine große Zukunft für Emojis. “Wir haben gelernt zu sprechen, und wir haben gelernt zu schreiben”, sagt der Linguist, aber erst Emojis würden es nun erlauben, “mit derselben Geschwindigkeit zu schreiben, mit der wir sprechen”. Dass dabei mancher Sinn auf der Strecke bleibt, interpretiert der Forscher eher als Vorteil, der “Mehrdeutigkeiten” und “Untertöne” erlaube, die in der Schriftsprache bislang gefehlt hätten.
“Emojis sind längst nicht so eindeutig, wie man denken könnte”, bekräftigt Lebduska. Das Smiley etwa sei zunächst natürlich ein Symbol der Unbeschwertheit. Doch selbst hinter jedem Smiley lauerten immer die Möglichkeiten der Ironie und des Sarkasmus. Es fasziniere sie, schwärmt Lebduska, wie kreativ die Leute beim Verwenden der Emojis seien.
Gleichzeitig dringt die Bildersprache in immer mehr Lebensbereiche vor. Leidenschaftlich streiten die Nutzer um die Erweiterung des Emoji-Vokabulars. Eines der Topthemen: Essen. Während Symbole für Eis , Spaghetti und Sushi seit Langem im Emoji-Alphabet existieren, fehlen noch jene für Hotdogs und Tacos, ein Umstand, der auf Facebook-Seiten wie “The Universe Demands a Taco Emoji” vehement beklagt wird. In der nächsten Unicode-Version sollen sie nun enthalten sein, ebenso wie das Einhorn, der Kricketschläger oder das Nerd-Gesicht.
“Wir bekommen sehr viele Vorschläge für neue Emojis”, sagt Unicode-Präsident Davis. Die Auswahl sei ein Balanceakt, die Entscheidung hänge davon ab, ob das Symbol eine Lücke fülle oder ohnehin bereits weit verbreitet sei. Und auch um ethnische und kulturelle Vielfalt sind die Unicode-Macher bemüht. Zusätzlich zum christlichen Gotteshaus soll es bald Symbole für Moschee und Synagoge geben. Vor allem aber muss sich Davis nun plötzlich mit Hautfarben beschäftigen. Die Sängerin Miley Cyrus, Pop-Ikone vieler Teenager, trat 2012 per Tweet eine Kampagne für mehr ethnische Diversität im Emoji-Universum los (#EmojiEthnicityUpdate). Der Vorstoß fand Anklang. “Unicode hat gedacht, dass wir statt einer schwarzen Person zwei verschiedene Drachen, neun Katzengesichter und drei Generationen einer weißen Familie brauchen”, schimpfte etwa die farbige Sasheer Zamata von der populären US-Show “Saturday Night Live”, “sogar die Black-Power-Faust ist weiß!”
Nun steht das Unicode-Konsortium unter Druck, die in der Tat fast durchweg hellhäutige Emoji-Welt einzufärben. Vergangenen Herbst kündigte das Konsortium deshalb an, den Usern künftig die Option zu geben, den Hautton bestimmter Emojis zu verändern, und zwar entsprechend der Fitzpatrick-Skala, einem “anerkannten Standard in der Dermatologie”. Apple hat bereits einen “skin tone modifier” für Emojis in eine Beta-Version seines Betriebssystems eingebaut.
Ohnehin will Davis dafür sorgen, dass sich künftig noch mehr Nutzer in der Welt der Emojis zu Hause fühlen. Das Konsortium werde alles daransetzen, die Bilderkollektion umfassender und einheitlicher zu machen, verspricht der Programmierer. “Technisch gesehen haben wir in Unicode noch Platz für mehr als eine Million weitere Zeichen”, sagt Davis.
Für die Freunde des elaborierten Textes mag das wie eine Drohung klingen. Doch Sprachforscher wie Lisa Lebduska beschwichtigen. “Natürlich kostet es viel weniger Mühe, ein Herzchen zu verschicken, als einen Liebesbrief zu schreiben”, sagt sie, “aber ich glaube, dass Liebesbriefe trotzdem nicht verschwinden werden.”
Wie Worte seien auch Emojis eine Reflexion der Welt, sagt Lebduska, und wie Worte hätten die Zeichen das Potenzial “zu beschreiben, zu erkunden und zu verbinden”.
Ob das tatsächlich gelingt, liegt allerdings wohl auch im Auge des Betrachters. Die US-Komikerin Ellen DeGeneres brachte es jüngst in ihrer Show auf den Punkt . “Was heißt diese Zeichenfolge?”, fragte sie ihr Publikum und präsentierte eine Abfolge von Emojis .
“Für jüngere Leute bedeute das ,Hallo, an welchem Tag und zu welcher Zeit kommt dein Flug an?'”, erläuterte DeGeneres.
Für ältere Leute jedoch bedeute es etwas ganz anderes, nämlich: “Meine Tastatur produziert nur noch kleine Bildchen, wie bekomme ich sie wieder normal, damit ich nicht mehr diesen Unsinn tippe; und überhaupt: Warum machen sie diese Telefone so klein?”