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  • Die Wal-Kämpfer

    Paul Watson, Gründer der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd, hat die Selbstjustiz auf den Ozeanen salonfähig gemacht. Mit rabiaten Methoden versuchen seine Ökopiraten, das Leben von Walen, Robben und Haien zu retten.

    Von Philip Bethge

    Wie geht das, einen Wal zu töten, tonnenschwer und sechs Meter lang, der im seichten Wasser liegt? Eine Handbreit hinter dem Blasloch muss die Lanze angesetzt werden. Ein kräftiger Druck, und wie durch Butter gleitet die blattförmige Schneide durch den Walspeck, dringt in die Wirbelsäule ein und durchtrennt das Rückenmark.

    Nur Sekunden dauert es, dann ist der Grindwal tot. So soll es eigentlich sein beim “Grindadráp”, der traditionellen Waljagd auf den Färöern. Doch dem Hamburger Studenten Nico Flathmann, 21, bot sich ein anderer Anblick.

    “Hier lagen die Wale und haben um ihr Leben gekämpft”, erzählt Flathmann und deutet auf den Steinstrand hinter sich, “das Wasser war blutrot.” Minutenlang hätten die Tiere gelitten, weil die Männer die Lanze falsch angesetzt oder “im Blutrausch” gleich zum Messer gegriffen hätten.

    Flathmann hat ein Video von der Waljagd am Hvannasund gemacht, einer Bucht im Norden des Färöer-Archipels. Männer rennen in dem Film ins Wasser und schlagen große Stahlhaken in die Blaslöcher der zuvor von Booten zusammengetriebenen Grindwale. Aus zuckenden Leibern spritzt Blut in die Höhe. Vom Ufer aus verfolgen Schaulustige das Spektakel. “Sie lachten, und es waren sogar Kinder dabei”, sagt Flathmann, “es ist erschreckend, wie viel Spaß die Leute an dem Gemetzel haben.”

    –> Originaltext auf Spiegel.de

    Flathmann ist für die Organisation Sea Shepherd im Einsatz, um den Walfängern der Färöer das Handwerk zu legen. Am vorigen Montag wurden zwei der Aktivisten von der örtlichen Polizei festgenommen, weil sie eine Waljagd behindert haben sollen. Mit zwei Schiffen und einem Team an Land sind die Meeresschützer derzeit vor Ort. Es ist die aktuelle Kampagne einer einzigartigen Umweltguerilla.

    Sea-Shepherd-Aktivisten kappen die Netze illegaler Fischer im Südpolarmeer und stellen sich Robbenschlächtern in Schottland und Finnland in den Weg. Vor Australien, Südafrika und Brasilien zerstören sie Köderleinen für Haie oder bewachen Meeresschildkröten. Mit ihren Booten fahren sie Walfängern vor den Bug, bis Stahl auf Stahl kracht . Im Hafen sprengten die Aktivisten sogar Löcher in die Rümpfe der verhassten Jagdschiffe.

    Kritiker werfen den Tierschützern “Ökoterrorismus” vor. Für ihre Anhänger jedoch sind sie die letzten großen Helden einer Umweltbewegung, die in den Siebzigerjahren mit der Gründung von Greenpeace begann und heute fast untergegangen erscheint – gäbe es da nicht “Neptuns Navy”, wie sich die Ozeanhirten nennen .

    “Wir sind eine globale Bewegung”, sagt Paul Watson, der Gründer der Organisation. Er will die Ozeane schützen, falls nötig mit Gewalt. Als Logo hat er einen Totenkopf gewählt. Dreizack und Hirtenstab kreuzen sich darunter, “Symbole für Aggressivität und Schutz”, wie Watson sagt. “Wir protestieren nicht, wir intervenieren; nur protestieren ist was für Feiglinge.”

    Für solche Sprüche lieben ihn seine Fans. Und Watson ist erfolgreicher als je zuvor. Aus einer kleinen Ökokämpfertruppe hat er eine weltweit operierende Organisation geformt. In 40 Ländern ist Sea Shepherd inzwischen aktiv. Der US-Fernsehsender Discovery Channel produziert die Serie “Whale Wars”, die Sea Shepherds Kampf gegen die japanische Walfangflotte begleitet. Das Spendenaufkommen der Organisation hat sich seit 2008 auf jährlich etwa zwölf Millionen Dollar vervierfacht.

    Acht Schiffe gehören zur Flotte der Ökopiraten. Im Januar erhielt die Organisation 8,3 Millionen Euro von einer niederländischen Wohltätigkeitslotterie. Erstmals will Watson nun ein Schiff nach eigenen Plänen bauen lassen. Seinen Crews aus Freiwilligen bietet er kaum Geld, dafür jedoch Ruhm und Abenteuer und das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.

    Auch für Prominente hat Watson ein Händchen. “Uns unterstützen Captain Kirk, Batman, McGyver und zwei James Bonds”, schmunzelt er: Die Schauspieler William Shatner, Christian Bale, Richard Anderson, Sean Connery und Pierce Brosnan konnte er gewinnen. Letzter Neuzugang im Sea-Shepherd-Beirat ist die “Baywatch”-Blondine Pamela Anderson.

    “Mich überrascht der Erfolg von Sea Shepherd nicht”, sagt Rex Weyler, ein ehemaliger Greenpeace-Vordenker und Wegbegleiter Watsons. “Viele Menschen sind verzweifelt, wenn sie sehen, was mit der Welt geschieht; sie bekommen Angst und wollen schnelle Lösungen und jemanden, der handelt.”

    Das Treffen mit Watson findet in einem Hotel in der Rue Boulard im Pariser Stadtteil Montparnasse statt. Watsons Brustkorb ist trotz seiner 64 Jahre immer noch breit wie ein Fass, sein Gesicht zerknautscht wie ein ungemachtes Bett. Begleitet wird er von seiner vierten Frau, der 30 Jahre jüngeren, russischen Tierrechtsaktivistin Yana Rusinovich. In Watsons Redeschwall reiht sich bald eine Räuberpistole an die nächste. Mit weißem Bart und zerzaustem Haupthaar wirkt er wie ein Seebär, der sich in die Großstadt verirrt hat.

    Watson wuchs in St. Andrews auf, einem Küstenort im Osten Kanadas. Schon in jungen Jahren arbeitete er für die kanadische Küstenwache und heuerte als Seemann auf Handelsschiffen an. Seine Aktivistenkarriere begann mit 19, als er gegen Atomwaffentests in Alaska demonstrierte. Aus der damaligen Protestbewegung ging Greenpeace hervor.

    Doch in der jungen Regenbogenkriegertruppe konnte sich der streitbare Kanadier nicht lange halten. “Er war zu machtbesessen, zu unerbittlich darin, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und alle anderen beiseitezudrängen”, erinnerte sich Robert Hunter, einer der Greenpeace-Gründer. Vor allem mit dem späteren Chef von Greenpeace Kanada, Patrick Moore, geriet Watson aneinander. Laut Watson eskalierte der Streit im Eis von Labrador.

    “Ich leitete die Kampagne gegen das Abschlachten der Robben, und wir hatten Brigitte Bardot als Unterstützerin gewonnen”, so erzählt es Watson. Ein Hubschrauber habe bereitgestanden, um die Bardot zu den Eisfeldern zu fliegen. “Patrick verlangte mitzufliegen, ich lehnte ab: ,Patrick, du bist kein Fotograf, kein Kameramann, ich brauche dich dort nicht.’” Seine angebliche Antwort: “Lass es mich so sagen: Ich fliege in diesem Hubschrauber; und wenn ich Präsident werde, setze ich dich vor die Tür.”

    Kurz darauf wurde Moore tatsächlich Chef – und Watson musste gehen. Aber nicht nur, weil er den Hahnenkampf zweier Alphamänner verloren hatte. “Paul definierte Gewaltlosigkeit neu”, sagt Weyler. “Gandhi war ihm nicht genug; er fand es in Ordnung, Eigentum zu zerstören, auch wenn er damit gegen Gesetze verstieß.” Das aber widersprach dem gewaltfreien Greenpeace-Ethos – eine Zerreißprobe für die junge Organisation.

    Für Watson war der Rauswurf am Ende ein Glücksfall. Erst auf sich allein gestellt, konnte er seinen Aufstieg zum Fidel Castro des Meeresschutzes starten.

    Seinen ersten Walfänger rammte Watson 1978. Kurz darauf gründete er Sea Shepherd und machte fortan mit Aktionen gegen sowjetische Walfänger und kanadische Robbenschlächter von sich reden. Die Selbstjustiz auf See begründete Watson bald nicht mehr nur moralisch, sondern auch juristisch. Er beruft sich auf die World Charter for Nature der Vereinten Nationen. Dort heißt es, dass nicht nur Staaten, sondern auch “internationale Organisationen, Individuen” und “Gruppen” Umweltrecht “implementieren” und die Natur “jenseits nationaler Jurisdiktion”, also beispielsweise auf hoher See, schützen sollen .

    “Wir müssten nicht tun, was wir tun, wenn die Regierungen der Welt die Gesetze durchsetzen würden, die sie unterzeichnet haben”, sagt er. “Aggressive Gewaltlosigkeit” nennt er seine Strategie. “Wir zerstören Eigentum, das zum Töten benutzt wird; aber wir haben nie Menschen verletzt und würden dies auch nie tun.”

    Sea-Shepherd-Aktivisten werfen mit Beuteln voller stinkender Buttersäure nach den verhassten Walfängern. Sie versuchen, die Schiffsschrauben ihrer Gegner mit Stahlkabeln zu blockieren. Sie kappen Schleppnetze und zerstören Harpunen.

    Dass dabei noch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, grenzt an ein Wunder. Greenpeace zumindest hält Watsons Weg nach wie vor für falsch, moralisch wie taktisch. Wenn es einen Weg gebe, die Japaner im Walfang zu bestärken, dann sei es, “Gewalt gegen ihre Flotte” anzuwenden, so Greenpeace: “Es ist falsch, weil es Menschenleben in Gefahr bringt und die Walfänger nur stärker macht .”

    Watson ficht das nicht an. Und der Erfolg scheint ihm recht zu geben. “Unsere Mandanten sind Wale, Haie, Robben und Fische”, sagt er. Ob er das Richtige tut, misst sich für ihn einzig an der Zahl geretteter Meerestiere. 6000 Wale will Watson allein im Südpolarmeer seit 2002 vor der Harpune bewahrt haben, weil seine Schiffe die Japaner Jahr für Jahr daran hinderten, ihre für angebliche wissenschaftliche Zwecke notwendige Fangquote auszuschöpfen. Inzwischen hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag den Wissenschaftswalfang der Japaner verboten.

    Spektakulär endete eine Sea-Shepherd-Operation im Mai, als vor Westafrika der Fischtrawler “Thunder” gurgelnd im Atlantik versank. 110 Tage lang hatten Sea-Shepherd-Boote den Trawler verfolgt. Die Aktivisten sagen, der Kapitän habe die “Thunder” am Ende absichtlich versenkt, um Beweise zu beseitigen. Der Trawler soll auf illegalem Fischzug nach wertvollem Antarktisdorsch gewesen sein.

    Die Jagd auf den Raubfischer begann bereits im Dezember vor der Küste der Antarktis. 72 Kilometer illegal ausgelegte Netze bargen die Aktivisten in den Folgewochen. Ein Fang im Wert von rund drei Millionen Dollar soll der “Thunder” entgangen sein. Schließlich soll der Kapitän entnervt aufgegeben und die Seeventile geöffnet haben. Die Sea-Shepherd-Aktivisten nahmen die Schiffbrüchigen an Bord und übergaben sie den Behörden .

    Einen ähnlichen Erfolg erhoffen sich die Sea-Shepherd-Leute nun auch auf den Färöern. Dort allerdings haben sie ein ganzes Volk gegen sich. Gut gegen Böse – Sea Shepherd bietet einfache Lösungen in einer komplizierten Welt. Schwierig wird es, wenn die Rollen nicht so klar verteilt sind.

    Der “Grindadráp” ist eine uralte Tradition . Schon die Wikinger sollen auf den Färöern Wale gefangen haben. Offizielle Aufzeichnungen der Jagd gibt es seit 1584. Rund tausend Grindwale töten die Einheimischen jedes Jahr – bei einer geschätzten Gesamtpopulation von über 700 000 Tieren. Einsehen mag auf den Inseln daher kaum jemand, warum die Jagd plötzlich aufhören sollte.

    “Der Grind ist Teil unserer Lebensart, wie das Fischen und die Schafzucht”, sagt Hendrik Akurstein, 31. Der angehende Umweltingenieur war dabei, als Anfang Mai die Grindwale in den Hvannasund getrieben wurden. Sein Holzhaus steht kaum 200 Meter von jenem Strand entfernt, an dem die Tiere verendeten. Mit seinem kleinen Motorboot half er dabei, die Meeressäuger in die Falle zu treiben. Damit war ihm ein Anteil an der Beute sicher.

    Akurstein geht hinüber in seine Garage und öffnet die Tiefkühltruhe. Neben Hühnchen und Steaks lagern dort Plastiktüten mit tiefrotem Walfleisch. “Daraus schneide ich Steaks für meine Familie”, sagt er. Auch getrocknet sei das Fleisch eine Delikatesse. Oder der Walspeck: In einer grünen Tonne sind die mehrere Zentimeter dicken, weiß glänzenden Fettstücke in Salz eingelegt.

    Einmal im Monat gibt es bei Akurstein, seiner Frau Hallgerð und ihrem drei Monate alten Baby Walfleisch zu essen. Mehr bitte nicht, empfehlen Gesundheitsexperten. Das Fleisch ist mit PCB, Dioxinen und Schwermetallen belastet .

    Ist der seltene, vergiftete Genuss wirklich das Gemetzel wert? Die Färinger sind davon überzeugt. So wichtig ist ihnen der “Grind”, dass das Parlament in der Hauptstadt Torshavn im Mai sogar ein neues Gesetz zum Schutz der Waljagd verabschiedete . Den am vorigen Montag festgenommenen Sea-Shepherd-Aktivisten drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis.

    “Dieses Gesetz wurde extra für uns geschrieben”, schimpft Lockhart MacLean, 35, Kapitän des Sea-Shepherd-Schiffs “Sam Simon”. Strafbar ist nun bereits, wer in Verdacht gerät, gegen die Waljagd vorgehen zu wollen. “Damit sind wir gemeint”, sagt MacLean und lächelt gequält.

    Anfang Juli ist der Kapitän mit der 56 Meter langen “Sam Simon” auf den Färöern angekommen. Ein weiteres Sea-Shepherd-Schiff, die “Brigitte Bardot”, kreuzt ebenfalls in den Gewässern. MacLean hat etwa 30 Crewmitglieder an Bord. Ein bunter Haufen Freiwilliger aus aller Welt: Ashkr Audet, 20, aus Melbourne, gerade erst mit der Schule fertig, hilft auf der Brücke aus. Sven Höreth, 32, ein deutscher Kfz-Mechaniker, arbeitet an der 1800-PS-Maschine des Schiffs; Giacomo Giorgi, 34, ehemaliger Sänger einer Heavy-Metal-Band, ist Bootsmann und steuert eines der zwei schnellen Schlauchboote, die auf dem Achterdeck bereitstehen.

    Auf einem Sea-Shepherd-Schiff geht es zu wie in einer Jugendherberge für Weltverbesserer. Das Essen ist vegan, die Stimmung gut. Hier auf den Färöern allerdings suchen die Aktivisten noch nach der richtigen Strategie. “Im Moment ist es uns erst mal wichtig, Präsenz zu zeigen, um die Färinger nervös zu machen”, sagt MacLean. Auf einer Seekarte hat er die “Killing Beaches” der Einheimischen mit rosa Klebepunkten markiert, 18 an der Zahl. Dort ist die Grindwaljagd offiziell erlaubt.

    Mit dem Finger fährt der Frankokanadier auf der Karte den für diesen Tag geplanten Kurs ab. Dann blickt er hinaus auf das bleierne Meer und die Inseln, die jetzt im Sommer wie mit grünem Samt überzogen wirken. Die See ist heute ruhig, die dunklen Wolken liegen tief, “ein gefährlicher Tag für Wale”, sagt MacLean. Genau an solchen Tagen lassen sich die Tiere gut sichten und an die Strände treiben.

    Wenig später lassen die Aktivisten ihre Schlauchboote zu Wasser, um in den Buchten zu patrouillieren. Kündigt sich eine Waljagd an, tauchen allerdings sofort Polizeiboote auf. Die Färinger haben eine Bannmeile eingerichtet. Sogar zwei Fregatten der dänischen Marine folgen den Sea-Shepherd-Schiffen rund um die Uhr.

    “Mit dänischer Hilfe wird hier ein Gesetz durchgesetzt, dass das Abschlachten von Walen schützt”, sagt MacLean. Die Grindwaljagd verstoße nicht nur gegen EU-Recht, sondern auch gegen das Übereinkommen zur Erhaltung wandernder Tierarten. Optimistisch ist MacLean trotzdem: “Früher oder später wird es auch hier keinen Walfang mehr geben, die Färinger haben es nur schwer, das zu schlucken.”

    “Man gewinnt diese Dinge nicht über Nacht”, sagt Paul Watson bei dem Treffen in Paris. Der Sea-Shepherd-Gründer hat gelernt, mit Rückschlägen fertig zu werden. Auf den Färöern etwa kann er nicht selbst dabei sein, weil er aktuell auf einer Fahndungsliste von Interpol steht. Costa Rica und Japan fordern seine Auslieferung.

    In Costa Rica soll er im April 2002 sechs Haifischflossenjäger in Lebensgefahr gebracht haben, als er deren Boot attackierte. Die Japaner machen ihn für das Entern eines ihrer Walfangschiffe vor fünf Jahren in der Antarktis verantwortlich. Deutsche Bundespolizisten nahmen die Interpol-Notiz im Mai 2012 ernst und verhafteten Watson am Frankfurter Flughafen. Doch der Tierschützer kam auf Kaution frei – und floh. Monatelang verschwand er von der

    Bildfläche, “im Südpazifik, auf verlassenen Inseln”. Inzwischen versucht er, die Sache juristisch zu klären. In Frankreich genießt er eine Art Asyl. Das Land hat ihm zugesichert, die Interpol-Fahndung vorläufig zu ignorieren. Auch in die USA darf Watson reisen.

    “Die Vorwürfe sind politisch motiviert”, wettert der Tierschützer. Um Sea Shepherd nicht zu schaden, hat er kürzlich trotzdem alle Ämter niedergelegt. Darin sieht er sogar einen Vorteil. Die zuvor zentral gelenkte Organisation sei nun in viele einzelne Ländergruppen aufgegangen. “Das macht uns flexibler.”

    Außerdem hat Watson Sea Shepherd Legal ins Leben gerufen. Künftig will er seine Gefechte nicht nur auf See, sondern auch im Gerichtssaal führen.

    “Sie haben geglaubt, dass sie uns ausschalten könnten”, sagt Watson, “stattdessen sind wir stärker als je zuvor.”

    Und welche Rolle ihm künftig zufalle bei Sea Shepherd? Watson zögert keine Sekunde: “Ich bin der Admiral.”

    Mail: philip_bethge@spiegel.de , Twitter: @philipbethge

    –> Originaltext auf Spiegel.de

  • Totgespritzt

    Es steckt im Tierfutter, im Brot, in der Milch: Das Pestizid Glyphosat belastet seit Jahrzehnten die Umwelt, weltweit. Forscher warnen vor Missbildungen und Krebs. Wie gefährlich ist der Stoff wirklich?

    Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 24/2015

    Das Unheil kam langsam über den Hof von Helge Voss. Zuerst gaben die Kühe weniger Milch, ihr Kot war mal dick, mal dünn, obwohl sie stets das gleiche Futter fraßen. Dann kamen die ersten Tiere nicht mehr hoch – als wären die Hinterläufe gelähmt. Einige Kühe blieben nach der Niederkunft einfach liegen und starben im Stroh.

    “Ich hatte Tiere, die haben auf keine Behandlung mehr angesprochen”, sagt Voss, Milchbauer in Kaaks, einem Dorf in Schleswig-Holstein. So etwas hatte es noch nicht gegeben auf dem Hof seiner Familie, nicht beim Vater und nicht beim Großvater, die beide auch schon vom Vieh lebten.

    “So eine Kuh muss glänzend aussehen, Fleisch auf den Rippen haben, und wenn ich die auf die Weide lasse, muss sie auch mal rennen wollen”, sagt Voss, 42. Doch nun, plötzlich, nur noch Hungerhaken im Stall, “zu dünn, zu langsam, zu stumpf das Fell”. Erst mal suche man die Schuld bei sich, dann sei er aber doch zum Tierarzt gegangen, “und der hat gleich auf Glyphosat getippt”.

    In deutschen Kuhställen geht eine mysteriöse Krankheit um. Manche Veterinärämter halten das Leiden für ein Hirngespinst paranoider Bauern. Einige Tierärzte dagegen sprechen von “chronischem Botulismus” und warnen vor einer Epidemie.

    Wenn sie über die Gründe für die schleichende Vergiftung sprechen, taucht immer wieder ein Wort auf: Glyphosat.

    –> Originaltext auf Spiegel.de

    Glyphosat ist das weltweit meistversprühte Herbizid; seit 40 Jahren ist es in Gebrauch und daher fast überall zu finden: im Urin von Mensch und Tier, in der Milch, im Tierfutter, in Organen von Schweinen und Kühen, in Hasen und Fasanen, im Wasser.

    Seit 2001 ist der Einsatz von Glyphosat in den EU-Ländern möglich. Ende des Jahres nun läuft die Zulassung aus. Die European Food Safety Authority (EFSA) wird Anfang August eine Empfehlung aussprechen, ob der Stoff für weitere zehn Jahre zugelassen werden kann. Gut möglich, dass zu diesem Anlass ein seit Jahren schwelender Streit eskaliert: darüber, wie gefährlich Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt ist.

    Auf der einen Seite steht die Agrarindustrie mit einer mächtigen Lobby, die seit Jahrzehnten die Unbedenklichkeit des Stoffes für Mensch und Tier beschwört. Auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR), das in der EU für die wissenschaftliche Einschätzung der Chemikalie zuständig ist, hält Glyphosat für weitgehend ungefährlich . Gerade hat das Amt einen 2000 Seiten starken Bericht an die EFSA verschickt. Darin setzen die BfR-Autoren die “akzeptable Tagesaufnahme” für den Menschen sogar um zwei Drittel herauf.

     

     

    Auf der anderen Seite kämpfen Umweltverbände und Ökoaktivisten, aber auch immer mehr unabhängige Wissenschaftler. Sie glauben, dass Glyphosat Missbildungen bei Säugetieren hervorrufen kann, Niere und Leber schädigt und Unfruchtbarkeit oder Krebs begünstigt. Ein Warnruf von höchster Warte schürt die Sorgen: Die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Vereinigung unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation, hat Glyphosat Anfang März als “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen” eingestuft.

    Ist Glyphosat also harmlos genug zum Trinken, wie es manche Industrielobbyisten predigen? Oder ist es das DDT des 21. Jahrhunderts, hochgiftig und im Begriff, die gesamte Nahrungskette zu verseuchen?

    Wer sich um Klärung bemüht, bekommt es mit verschwiegenen Firmen zu tun, die Forschungsergebnisse als Betriebsgeheimnisse deklarieren. Kritische Studien werden schlechtgemacht, Wissenschaftler unter Druck gesetzt.

    “Die Industrie tut alles, um missliebige Forscher zu diskreditieren”, sagt der französische Toxikologe Gilles-Éric Séralini, einer der schärfsten Glyphosat-Kritiker. Séralini glaubt, dass die Zulassungsbehörden der Industrie seit Jahren in die Hände spielen, auch deshalb, weil sie Glyphosat nur isoliert auf Giftigkeit prüfen; nur den Wirkstoff an sich also – nicht aber die tatsächlich versprühten Mixturen. Séralinis Forderung: “Glyphosathaltige Pestizide sollten sofort verboten werden.”

    Glyphosat wurde erstmals 1950 in der Schweiz synthetisiert. Seit 1996 kommt es massiv zum Einsatz, vor allem zusammen mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen, denen die Chemikalie nichts anhaben kann. Die Kombination galt lange als ökologisch unbedenklich und äußerst wirkungsvoll: Glyphosat hemmt das Enzym eines für Pflanzen essenziellen Stoffwechselwegs. Gentech-Getreide wie etwa die Roundup-Ready-Sorten des Agrarriesen Monsanto widerstehen dem Killer. Wer also Glyphosat gegen Unkraut spritzt und gleichzeitig die Gentech-Saat verwendet, darf auf reiche Ernten hoffen.

    Jahrelang ging das gut. Doch die Bauern müssen immer größere Mengen des Pestizids auf die Felder sprühen, weil viele Unkräuter resistent geworden sind. Über 700 000 Tonnen des Stoffs produzieren Firmen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer Crop Science inzwischen im Jahr. In Deutschland sind derzeit 94 glyphosathaltige Unkrautvernichter unter Namen wie Roundup, Glyfos oder Permaclean zugelassen.

    Gartenfreunde sprühen die Mittel in die Fugen zwischen den Terrassenplatten. Die Bahn hält damit ihre Gleisanlagen kahl. Deutsche Bauern wiederum machen mit den Pestiziden Tabula rasa, um Felder für die neue Aussaat vorzubereiten. Oder sie nutzen die Mittel für die sogenannte Sikkation : Raps, Kartoffeln oder Weizen werden kurz vor der Reife gleichsam totgespritzt, weil sie dann leichter zu ernten sind. Diese Technik erhöht die Pestizidrückstände in den Feldfrüchten. Für die EU kein Problem: Sie hat den Glyphosat-Grenzwert für Brot- und Futtergetreide einfach erhöht.

    Die größten Glyphosat-Mengen indes stecken in importierten Futterpflanzen. Als Tierfutter sind Gentech-Mais und -Soja etwa aus Argentinien oder den USA seit 1996 in der EU zugelassen. Das eiweißreiche Getreide ist billiger als Kraftfutter aus Europa und landet direkt in den Trögen jener Kühe und Schweine, deren Milch oder Fleisch in hiesigen Supermärkten angeboten werden.

    Doch was macht die Glyphosat-Flut mit der Umwelt? Schon lange steht das Mittel im Ruf, die Böden auszulaugen. Genpflanzen überleben die Behandlung zwar, werden aber anfälliger für Krankheiten, bleichen aus oder fallen Pilzen zum Opfer. Nun mehren sich die Anzeichen, dass Glyphosat auch Tier und Mensch schaden könnte.

    Ib Borup Pedersen, Schweinezüchter aus dem dänischen Spentrup, fütterte seine Schweine jahrelang mit Gentech-Soja. Irgendwann wurde er misstrauisch. “Jede Sojalieferung führte zu neuen Gesundheitsproblemen”, erzählt der Landwirt. Durchfall, Magengeschwüre und Blähungen plagten Pedersens 450 Sauen. Testweise ließ er das Gentech-Soja weg. “Die Tierarztkosten fielen um zwei Drittel”, erinnert sich Pedersen, “die Sauen wurden ruhiger und produzierten mehr Milch.”

    Nun wollte es der Schweinezüchter aus Jütland genau wissen. Fortan führte er Buch über die Herkunft des Schweinefutters und die Erkrankungen seiner Tiere. “Zwei Jahre und 32 000 Schweine später” hatte Pedersen “deprimierende Gewissheit”. Glyphosat im Futter, so zeigten seine Notizen, verschlechterte nicht nur den Allgemeinzustand der Sauen. Es häuften sich auch Fälle von Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und Missbildungen an Schädel, Wirbelsäule und Beinen.

    Pedersen hat die Horrorshow sorgfältig dokumentiert: Seine Fotos zeigen Ferkel mit nur einem Auge oder ohne Anus, Tiere mit deformierten Ohren, Schnauzen und Zungen, mit klaffenden Löchern im Schädel oder verkrümmten Beinen. Einige der Tiere ließ Pedersen ärztlich untersuchen. Überall im Körper fanden sich Glyphosat-Rückstände, vor allem in Lunge und Herz.

    “Ohne Zweifel ist Roundup der Grund für meine Probleme”, folgert der Züchter. Und er ist sich sicher, dass seine Erfahrungen keine Ausnahme sind.

    Auch in Pedersens Urin fand sich Glyphosat. “Das macht mir besonders Sorgen, weil ich mein Essen ganz normal hier bei uns im Supermarkt einkaufe”, sagt er.

    Pedersens Studie hat wissenschaftlich keinerlei Aussagekraft, weil sie anekdotisch ist, nicht systematisch. Und doch bestätigen seine Notizen, was Publikationen in Fachjournalen zeigen. Im Tierexperiment entwickelten Krallenfrosch- und Hühnerembryonen Missbildungen durch Glyphosat. Rattenembryonen, die mit verdünntem Roundup geduscht wurden, erlitten Skelettschäden.

    Das Pestizid galt lange als unbedenklich, weil es auf ein Enzym zielt, das allein in Pflanzen wirkt. Aufruhr im Säugetierkörper richtet der Stoff aber wohl dennoch an. Er ist nah mit der Aminosäure Glycin verwandt und kann deren Platz im Stoffwechsel einnehmen.

    Forscher berichten, dass Glyphosat nerventoxisch wirken und das Hormonsystem durcheinanderbringen könne. Bei Embryonen stört der Stoff möglicherweise den Retinsäure-Stoffwechsel, der eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung spielt.

    Auch einen immens wichtigen Enzymkomplex könnte er beeinflussen: den biochemischen Werkzeugkasten zur Entgiftung des Körpers. Ständig bombardieren toxische Substanzen aus der Nahrung Mensch und Tier. Enzyme bauen diese Stoffe in Leber und Niere ab. Normalerweise. Glyphosat könnte diesen Mechanismus hemmen. Ohne gut laufende Entgiftung jedoch wird der Körper zur Sondermüllhalde.

    Einer, der es genau wissen will, ist der Franzose Séralini. Seine Arbeitsgruppe im normannischen Caen erforscht seit Jahren die Wirkung von Glyphosat. Séralini badete menschliche Embryonal- und Plazentazellen in Roundup-Lösungen und protokollierte die vernichtende Wirkung der Chemikalie. Zum Erzfeind der Industrie wurde der Forscher aber erst, nachdem er Versuchsratten über zwei Jahre Roundup ins Trinkwasser geträufelt oder sie mit Gentech-Mais gefüttert hatte.

    Séralini untersuchte insgesamt 200 Ratten, analysierte Blut, Kot, Urin und Organe. Was er fand, beschreibt der Toxikologe als “alarmierend”. Nieren- und Leberschäden waren zu verzeichnen, die Weibchen entwickelten überdurchschnittlich häufig Brustkrebs. Die Hirnanhangdrüse war bei vielen Tieren vergrößert, der Stoffwechsel verändert.

    Im September 2012 veröffentlichte das Fachblatt “Food and Chemical Toxicology” die Studie. Danach brach in Séralinis Leben die Hölle los. “Innerhalb der ersten 24 Stunden protestierten über hundert Forscher gegen unser Paper”, erzählt er, “dann schlossen sich die Behörden, die Glyphosat zugelassen hatten, dem Widerstand an.”

    Séralini wurden “Falschaussagen” vorgeworfen, “Verwendung von Tieren für Propagandazwecke”, “Munitionierung für Extremisten”. Wenn sich der Forscher daran erinnert, in seinem kleinen, schmucklosen Büro in einem Seitentrakt der Université de Caen, klingt er verbittert. Der energische Toxikologe fühlt sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

    “Es gab enormen Druck vonseiten der Industrie”, sagt Séralini. Mit Erfolg: Im November 2013 zog “Food and Chemical Toxicology” Séralinis Veröffentlichung zurück . Zufall oder nicht – ein halbes Jahr zuvor hatte das Fachmagazin den US-Ernährungswissenschaftler Richard Goodman in seinen redaktionellen Beirat berufen, einen ehemaligen Monsanto-Mitarbeiter.

    Der Streit um Séralinis Arbeit ist typisch für die Glyphosat-Debatte. Kritische Studien werden zunächst fachlich angezweifelt. Dann wird’s persönlich. Im Fall der französischen Rattenstudie bemängeln Kritiker , dass der Forscher die falschen Labor-

    ratten und vor allem zu wenig Tiere verwendet habe, um signifikante Aussagen machen zu können. Séralini hält dagegen. Inzwischen hat ein anderes Fachblatt die Studie neu publiziert. Die Reputation des Franzosen ist dennoch beschädigt.

    Bei der aktuellen Krebsstudie der IARC wiederholt sich das Muster. Die Experten sortierten Glyphosat in die “Kategorie 2A” ein, “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen”. Sie berufen sich vor allem auf drei Studien aus den USA, Kanada und Schweden, die nahelegen, dass die Chemikalie das Risiko erhöht, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Außerdem gebe es “überzeugende Hinweise”, dass Glyphosat Krebs bei Labortieren und Erbgutschäden bei menschlichen Zellen hervorrufe, berichtet der IARC-Epidemiologe Kurt Straif.

    Straif und 16 weitere Experten von Weltruf haben an der IARC-Einschätzung mitgearbeitet. Ein Jahr lang diskutierten die Wissenschaftler, bevor sie im März ihr Urteil fällten. Die Ergebnisse publizierten sie im angesehenen Fachblatt “Lancet Oncology”. Die Pestizidhersteller beeindruckt das wenig; umgehend zogen sie gegen die Forscher zu Felde.

    “Wir sind empört”, wetterte Robb Fraley , oberster Techniker von Monsanto. Die IARC-Einschätzung widerspreche “Jahrzehnten umfangreicher Sicherheitsforschung der führenden Regulierungsbehörden der Welt” und sei “ein klares Beispiel einer tendenziösen Agenda”. Monsanto-Chef Hugh Grant diffamierte die Arbeit gar als “junk science”, zu Deutsch: Drecksforschung.

    Die Firma aus St. Louis in den USA beharrt darauf, dass Glyphosat weder Krebs, Missbildungen oder Erbgutschäden auslöse, noch die Fruchtbarkeit beeinträchtige oder das Hormonsystem störe. “Alle ausgewiesenen Glyphosat-Anwendungen sind sicher für die menschliche Gesundheit”, sagt Fraley. Was der Konzern angeblich mit mehr als 800 Studien belegen kann.

    An einer davon hat der Toxikologe Helmut Greim mitgearbeitet. Der weißhaarige Experte, gerade 80 geworden, war jahrelang einer der führenden Toxikologen in Deutschland. Längst im Ruhestand, arbeitet er immer noch als Gutachter, seine Basis ist ein kleines Büro an der Technischen Universität München in Weihenstephan.

    Jüngst hatte Greim 14 Tierversuchsstudien auf dem Tisch, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs ergründen. “Es gab keine Hinweise auf einen kanzerogenen Effekt”, sagt der Forscher. Kein Wunder, findet er: “Es fehlt ein plausibler Mechanismus, wie Glyphosat Krebs auslösen könnte.”

    Seine Ergebnisse fasste Greim Anfang des Jahres in einem Fachmagazin zusammen. Zu den Koautoren gehört David Saltmiras – einer der Cheftoxikologen von Monsanto und Mitglied der “Glyphosate Task Force”, eines Lobbyverbands.

    Und das ist die zweite Strategie der Industrie: Unliebsame Studien werden mit eigenen Arbeiten gekontert, die oftmals das komplette Gegenteil zum Ergebnis haben. Greim räumt das ein: Seine Metastudie sei durchaus als Antwort auf die Untersuchung des Franzosen Séralini gedacht.

    Andere Studien wiederum halten die Pestizidhersteller mit dem Verweis auf “Betriebsgeheimnisse” sorgsam unter Verschluss. Werden kritische Ergebnisse verheimlicht? Anfang der Achtzigerjahre zum Beispiel gab Monsanto Fütterungsversuche mit Ratten in Auftrag, eigentlich um die US-amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) von der Harmlosigkeit von Glyphosat zu überzeugen. EPA-Vermerke von damals legen jedoch nahe, dass die Industriestudie eine “große Zahl” pathologischer Veränderungen der Rattennieren feststellte, Veränderungen, die einen Krebsverdacht begründen können.

    Inzwischen stuft die EPA Glyphosat als praktisch ungiftig ein. Auch das BfR in Berlin sieht keinerlei Gesundheitsgefahren durch den Stoff. Sind die Behörden den Taktiken der Glyphosat-Lobby auf den Leim gegangen, wie Kritiker meinen?

    Das BfR weist den Vorwurf der Industrienähe vehement zurück. “Eigenständige Bewertungen” von “mehr als 1500 Publikationen” seien durchgeführt worden. Doch wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass ausgewiesene Experten zu so unterschiedlichen Einschätzungen über ein und denselben Stoff kommen?

    Das BfR bietet eine Erklärung an. Die Unterschiede, heißt es dort, hätten ihren Ursprung “in einem anderen methodischen Ansatz”. Regulierungsbehörden beurteilen Umweltchemikalien nämlich vor allem nach deren direkter Wirkung auf Versuchstiere im Labor.

    Das geht so: Forscher träufeln Ratten reines Glyphosat in verschiedenen Konzentrationen ins Futter. Dann bestimmen sie jene Glyphosat-Menge, die den Ratten gerade eben noch keine Schäden zufügt. Gleichzeitig messen sie, in welcher Konzentration der Stoff tatsächlich in der Umwelt vorkommt. Liegen die beiden Werte weit auseinander, geben die Kontrolleure Entwarnung. Bei Glyphosat ist das so.

    Anders die sogenannte gefahrenbezogene Bewertung, die zum Beispiel zum Votum der IARC führte: Unabhängig von der Dosis untersuchen die Forscher dabei, ob der Stoff ganz prinzipiell gefährlich für Mensch und Tier ist. Zudem werten sie Studien zu den in der Umwelt real beobachteten Folgen des Glyphosat-Regens aus. Solche epidemiologischen Studien haben den Nachteil, dass die Versuchsbedingungen nicht gut zu kontrollieren sind. Dafür bilden sie besser die Wirklichkeit ab.

    Zudem mehren sich die Hinweise darauf, dass Glyphosat nicht allein, sondern erst im Mix zum Killer werden könnte. “Pestizide wie Roundup enthalten etwa 50 verschiedene Moleküle”, sagt Séralini. Von einer “Mischung stark korrosiver Stoffe aus der Ölindustrie” spricht der Forscher. Die aggressive Chemie ist zum Beispiel notwendig, um die Pflanzenwände aufzubrechen. Erst dann kann das Glyphosat eindringen und sein Vernichtungswerk verrichten.

    Rezepturen wie Roundup seien “bis zu tausendmal giftiger als Glyphosat allein”, sagt Séralini. Auch das BfR hat erkannt, dass der Mix eine wichtige Rolle spielt. Besonders giftige Beistoffe, die sogenannten Tallowamine, sind inzwischen zumindest in Deutschland verboten. Doch das Problem bleibt, findet Séralini – zumal die Giftigkeit des jeweiligen Potpourris überhaupt nicht getestet wird.

    Séralinis Arbeit ist die einzige Langzeitstudie weltweit, bei der Roundup verfüttert wurde. In allen anderen Fällen testeten die Forscher Glyphosat pur. Das jedoch sei “das falsche Produkt”, kritisiert Séralini, nämlich eines, “das auf dem Markt gar nicht existiert”.

    Ist der massive Einsatz glyphosathaltiger Pestizide also ein fahrlässiger, weltumspannender Feldversuch an Tier und Mensch? “DDT hat man früher auch als völlig untoxisch angesehen”, sagt Monika Krüger, emeritierte Veterinärmedizinerin, “dann hat man langsam gemerkt, dass da im Himmel keine Vögel mehr waren.” Die ehemalige Leiterin des Instituts für Bakteriologie und Mykologie der Universität Leipzig weiß zwar, dass der Vergleich nicht ganz stimmt – Glyphosat wird viel schneller abgebaut als das Insektengift DDT. Doch die Wissenschaftlerin will aufrütteln. Denn auch ihr gefällt nicht, was sie sieht.

    Krüger untersuchte die missgebildeten Ferkel des dänischen Bauern Pedersen. Sie entdeckte Glyphosat-Rückstände im Urin von Hochleistungskühen. Vor allem aber musste sie mehrfach zusehen, wie Bauern in Sachsen und Schleswig-Holstein einen Großteil ihrer Herde an den “chronischen Botulismus” verloren.

    “Die Lähmungen ziehen von hinten herauf nach vorn, können die Lunge erreichen”, erläutert die Professorin. Dann sacken die Kühe einfach zusammen, “abgemagert, mit aufgezogenem Bauch”.

    Das Gift von Bakterien des Typs Clostridium botulinum sei schuld an dem Leiden, sagt die 67-jährige Forscherin. Normalerweise fristen die Einzeller ein Hungerdasein im Verdauungstrakt. Andere Mikroorganismen halten sie in Schach. Bei erkrankten Kühen jedoch haben sie sich rasant ausgebreitet. Schleichend werden die Tiere von innen vergiftet.

    Warum kommt es zur Giftattacke? Krüger ist sich sicher: Das Glyphosat im Tierfutter ist schuld. Die Forscherin hat im Labor untersucht, wie Glyphosat auf die Mikroorganismen des Kuhpansens wirkt. “Ausgerechnet viele der nützlichen Organismen werden durch Glyphosat abgetötet”, erläutert sie. Dies störe die Pansenflora, die Botulismus-Clostridien könnten sich “massiv vermehren”.

    Ratten, deren Nieren anschwellen, missgebildete Ferkel, vergiftete Kühe, Menschen mit Lymphdrüsenkrebs – hängt all dies mit Glyphosat und Pestiziden wie Roundup zusammen? Der wissenschaftliche Streit könnte sich noch Jahre hinziehen. Ist es fahrlässig, solange einfach weiterzumachen wie bisher?

    Bauer Voss aus Dithmarschen jedenfalls will nicht mehr warten, bis sich die Forscher geeinigt haben. Er hat seine Konsequenzen gezogen.

    Voss verfüttert jetzt selbst angebaute Ackerbohnen und Raps an seine 75 Kühe. Glyphosathaltiges Sojaschrot aus Übersee mutet er ihnen nicht mehr zu. Seither gäben die Tiere wieder mehr Milch, sie seien fruchtbarer und gesünder.

    Bald will Voss seinen Hof ganz auf ökologische Landwirtschaft umstellen und Biomilch produzieren. “Diesen Irrsinn”, sagt er, “mache ich nicht mehr mit.”

    –> Originaltext auf Spiegel.de

  • Sie lebt

    Ein Spielfilm feiert Bernhard Grzimek als Naturschützer der ersten Stunde. Die Serengeti in Afrika war der Sehnsuchtsort des Zoodirektors, ihre Rettung war sein Lebenswerk. Was ist aus dem Vermächtnis des großen Tierliebhabers geworden?

    Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 14/2015  VIDEO

    Khetho Ncube hat schon viele Könige aus dem Dickicht springen sehen. “Häufig sitzen die Löwen dort im Schilf und warten auf Tiere, die zum Wasser wollen”, sagt der Tansanier und zeigt hinüber zum Ufer des nahen Flüsschens. Seine Winchester, geladen mit Patronen vom Großwild-Kaliber .458, hält der bullige Wildführer dabei fest in der Linken.

    Beruhigend. Denn wer in der Serengeti spazieren geht, fühlt sich schnell wie Löwenfutter.

    “Immer in meiner Nähe bleiben”, hatte Ncube am Morgen gemahnt, als die Sonne langsam den Himmel über der blassgelben Savanne eroberte. Für den Ernstfall vereinbarte er Handzeichen: stopp, langsam zurück, hinhocken.

    Jetzt eilt der Wildführer voraus, hinter sich eine in Ehrfurcht verstummte Touristenschar. Ein junger Massai im königsblauen Gewand, den traditionellen Mkuki-Speer in der Hand, geht am Ende der Wandergruppe, wohl als Attraktion für die Gäste, vielleicht aber auch tatsächlich, um rechtzeitig vor Simba, Tembo und Chui zu warnen. So heißen Löwe, Elefant und Leopard in der Landessprache Kisuaheli.

    Ncube liest den Savannenboden wie eine Karte, findet den Kot von Hyänen, weiß vom Kalzium der Knochen ihrer Opfer, und Elefantendung voll spitzer Akaziendornen (“Niemals drüberfahren, sonst ist der Reifen platt”). Dann hebt er die Hand. Die Besucherkarawane kommt zum Stillstand. Vier Kaffernbüffel galoppieren unweit vorbei, muskulöse Fleischberge mit furchterregenden Hörnern.

    “Die gefährlichsten der großen Wildtiere”, flüstert Khetho Ncube, der für einen Reiseveranstalter arbeitet. “Die sollte man nicht überraschen.” Gereizte Elefanten würden erst mal eine Scheinattacke führen, Ohren nach vorn, wütend peitschender Rüssel, berichtet der Wildführer, “aber wenn ein Büffel angreift, ist man in Todesgefahr”.

    “Walking Safari” heißt das Abenteuer, an dem an diesem Tag zum Beispiel Pat Kurtiniatis und Mike Cramer teilnehmen, ein Rentnerpaar aus dem Orange County in Kalifornien. Die Reise stand bei ihnen auf jener Liste wichtiger Dinge, die sie noch tun wollten in ihrem Leben.

    Der Serengeti-Nationalpark in Tansania, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, ist eines der letzten großen Wildnisgebiete der Erde, ein Sehnsuchtsort der Menschheit auf der Suche nach dem Natürlichen, Unberührten, Ursprünglichen. Kaum einer wusste das besser als Bernhard Grzimek , der langjährige Direktor des Frankfurter Zoos, der vor mehr als 55 Jahren mit seinem Sohn Michael in diese endlose Savanne kam und den Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben” drehte.

    Am kommenden Freitag zeigt die ARD einen neuen Spielfilm über Grzimek , den Deutschen, der nicht weniger vorhatte, als die Fauna Afrikas zu retten. In der Hauptrolle: Ulrich Tukur, der den Mann als visionären Tierschützer gibt, als sendungsbewussten Ökopionier – und großen Frauenhelden.

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    In modischem Einreiher, das Silberhaar sorgsam gescheitelt, plauderte Grzimek in seiner Fernsehsendung “Ein Platz für Tiere” weitgehend konzeptfrei über See-Elefanten und Trompeterschwäne, über doppelköpfige Nattern oder Paradiesvögel, während ihn ein passender tierischer Partner aus dem Frankfurter Zoo umspielte.

    Weltweite Berühmtheit verschaffte sich der Tierheger allerdings erst, als er nach Afrika aufbrach und mit “kreuzzüglerischem Pathos vor der Vernichtung der letzten frei lebenden Großwildherden Afrikas warnte”, wie der schrieb.

    Die britische Verwaltung des damaligen Tanganjika beabsichtigte, die Grenzen des Serengeti-Nationalparks neu zu ziehen, um dem Wunsch der Massai nach mehr Weideflächen zu genügen. Doch welche Grenzen sollten das sein? Grzimek und sein Sohn lernten fliegen, reisten mit einem zebragestreiften Kleinflugzeug nach Ostafrika und zählten mit der Sorgfalt preußischer Verwaltungsbeamter die in der Serengeti lebenden Gnus (99 481), Zebras (57 199) und Grant- sowie Thomson-Gazellen (194 654) , um deren Wanderwege zu bestimmen.

    Die Erlebnisse in der Savanne verarbeitete Grzimek zu dem Film “Serengeti darf nicht sterben”. Das Werk (Grzimek: “Nebenbei gedreht”) trug ihn auf den Gipfel seines Ruhms und wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Sohn Michael erlebte den Triumph nicht mehr: Er war im Januar 1959 noch während der Dreharbeiten mit der Dornier Do 27 des Duos abgestürzt.

    Der Vater verschrieb sich umso entschlossener der Aufgabe, die Serengeti zu bewahren. Als er 1987 starb und neben seinem Sohn am Rand des Ngorongoro-Kraters beerdigt wurde, war die Wildnis der Serengeti weltberühmt.

    Doch was ist aus Grzimeks Vermächtnis geworden? Wie steht es um die Serengeti, fast 30 Jahre nach dem Tod des zoologischen Dampfplauderers? Und, viel grundsätzlicher: Kann es auch in dieser immer dichter bevölkerten Welt gelingen, der Großfauna, also Elefanten, Nashörnern, Büffeln oder Löwen, ein dauerhaftes Überleben in freier Wildbahn zu garantieren?

    Antworten gibt es vor Ort, am besten direkt im Herzen des Nationalparks, in Seronera. Der Ort, kaum mehr als ein paar versprengte Häuser, ist Sitz der Parkverwaltung. Grzimek ist hier immer noch präsent. Als Pappkamerad steht er im Besucherzentrum neben dem ersten Staatspräsidenten Tansanias, Julius Nyerere.

    Grzimeks Statthalter vor Ort heißt Robert Muir, Afrikachef der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) mit ihrem Gorilla-Logo. Der drahtige Brite empfängt auf der Veranda seines kleinen Wohnhauses, von der aus der Blick über die weite, mit Akazien und Buschwerk gesprenkelte Ebene geht. Unweit weiden Antilopen und Giraffen. Später wandern zwei Elefanten nur wenige Meter am Haus vorbei.

    “Grzimeks Arbeit war visionär”, sagt Muir, “er hat Nyerere überzeugt, die Parkgrenzen so zu legen, dass die Tiere ihren Wanderwegen folgen können.”

    Rund zwei Millionen Weißbartgnus, Zebras und Thomson-Gazellen ziehen im Jahresrhythmus durch die Serengeti und die angrenzenden Gebiete , fünfmal mehr als noch zu Grzimeks Zeiten. Über 26 000 Quadratkilometer erstreckt sich ihre Wanderung, von Tansania nach Kenia in das Massai-Mara-Schutzgebiet und zurück, durch die Flüsse Mara, Grumeti und Mbalageti, in denen die Krokodile lauern.

    Das Naturwunder der Serengeti, es existiere noch, sagt Muir. Doch der Druck wächst. Rund 170 000 Touristen aus aller Welt besuchen jährlich den Wildnispark. Geht es nach der tansanischen Nationalparkbehörde (Tanapa) , sollen es künftig jedoch noch mehr werden. Gleichzeitig kommen Wilderer in das Gebiet – auf blutiger Jagd nach Elfenbein und Nashorn.

    Und immer mehr Menschen leben um den Park herum. Rodung, Landwirtschaft, Viehherden und Wasserknappheit bedrohen das Ökosystem. Hinzu kommt der Klimawandel, der den uralten Kreislauf durcheinanderzubringen scheint – wie in diesem Jahr, in dem die ersehnten Regenfälle bislang fast vollständig ausgeblieben sind.

    “Für Tansania steht sehr viel auf dem Spiel”, sagt Muir. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wolle das Land künftig mit Tourismus erwirtschaften, berichtet er. Gleichzeitig gebe es internationale Verpflichtungen, den Naturreichtum zu erhalten, immerhin gehöre die Serengeti “zu den Top Drei der Nationalparks der Erde”, neben Galápagos und Yellowstone.

    Was auf dem Spiel steht, lässt sich am folgenden Morgen erahnen, als es im Land Rover Richtung Süden geht. Hunderte Gnus und Zebras galoppieren entlang der Straße in langen Reihen über die Savanne, eine endlose Kolonne schnaufender und blökender Tierleiber, die zusammen- und wieder auseinanderzufließen scheinen wie die Strudel eines Flusses, der sich über das Land ergießt.

    Elefanten mit ihren Jungen trotten gemächlich durch den aufgewirbelten Staub, während Warzenschweinfamilien mit hoch erhobenen Schwänzchen über die Ebene sprinten. Unter einem Busch, kaum fünf Meter von der Straße entfernt, labt sich ein Rudel Löwen an den Eingeweiden eines frisch erlegten Gnus. Die Schnauzen rot von Blut, reißen sie schwer atmend Fleischbrocken aus dem Tierkörper heraus, direkt daneben parken die Geländewagen der Touristen.

    Aus den geöffneten Wagendächern ragen die Köpfe bleicher Amerikaner und Europäer heraus, deren ununterbrochen klickende Kameras mit ihren Teleobjektiven wirken wie seltsame Körperanhängsel. Die Löwen stört es nicht im Geringsten.

    Die ruhig fressenden Großkatzen neben den schier endlosen Herden – der Tod, so alltäglich, wirkt fast profan angesichts des üppigen Lebens ringsumher.

    Doch der Bilderreigen des anscheinend Wilden, Ursprünglichen trügt. Der natürliche Kreislauf ist auch in der Serengeti längst gestört. Nach einer Stunde Fahrt ist die Ranger-Station von Moru im Süden des Nationalparks erreicht. Hier hat Philbert Ngoti von der Anti-Wilderei-Einheit der Tanapa das Sagen. Zusammen mit 51 Wildhütern kontrolliert Ngoti ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet, um die letzten rund 30 Spitzmaulnashörner der südlichen Serengeti zu schützen.

    Im Rest des Parks tummeln sich weitere 20 dieser Tiere; jedes von ihnen hüten die Ranger wie eine kostbare Preziose. Denn für Wilderer ist derzeit nichts so wertvoll wie das Horn der massigen Huftiere. “Wenn ein Wilderer zwischen einer Gruppe von Elefanten und einem Nashorn wählen kann, wird er das Nashorn töten”, erzählt Ngoti. Der Schwarzmarktpreis für das Horn, dessen Material dem von Fingernägeln gleicht, liege in Vietnam oder China bei mehreren 10 000 US-Dollar pro Kilogramm, berichtet der Ranger. Ein “lukratives Geschäft”, das er mit seinen Kollegen zu verhindern sucht.

    “Die Wilderer sind gut bewaffnet”, sagt Ngoti, “aber wir sind es auch.” Immer wieder komme es zu Feuergefechten. “Wer nicht vorsichtig und gut trainiert ist, kann hier leicht sein Leben verlieren”, sagt er.

    Die Ranger haben vielen der Nashörner einen Sender ins Horn implantiert. So können die Tiere leicht aufgespürt – und beschützt – werden. Mit dem Pritschenwagen geht es von Moru aus querfeldein über die Savanne. Einer der Männer streckt eine Antenne in den Himmel. Immer lauter wird das rhythmische Klicken des Empfängers. Dann taucht, zunächst kaum sichtbar gegen das gelbe Savannengras, ein massiges Nashorn in der Ferne auf. Rajabu haben es die Männer getauft, ein Bulle, über 40 Jahre alt. Gegen den Wind nähern sich die Ranger dem Tier. Es blickt herüber, zögert. Nashörner sind Einzelgänger, scheu und gleichzeitig gefährlich. Attacke oder Flucht: Ngoti hat schon beides erlebt. “Wenn wir zu schnell zu nah kommen, wird das Tier angreifen”, warnt er. Schließlich trollt sich das tonnenschwere Wesen.

    Ngoti und seine Männer können durchaus stolz auf ihre Arbeit sein. Denn Anfang der Neunzigerjahre hatten Wilderer die Nashörner in der Serengeti auf nur noch zwei Weibchen dezimiert. Aus dem nahen Ngorongoro-Schutzgebiet wanderte 1993 dann Rajabu in das Gebiet ein. Ein Glücksfall: Während das Abschlachten der Tiere in Südafrika eskaliert (Spiegel 11/2015) , wächst die Population in der Serengeti.

    “Im Moment werden fünf bis sechs Kälber jährlich geboren”, sagt Ngoti. Nur ein einziges Nashorn sei im vergangenen Jahr von Wilderern getötet worden.

    Ähnlich verhält es sich mit den Elefanten. Ihre Zahl liegt im Serengeti-Ökosystem nach einer Zählung von vergangenem Jahr bei rund 6000 Tieren – fünf Jahre zuvor waren es 3068. “Wir sehen sehr viele Jungtiere”, schwärmt ZGF-Mann Muir. Dabei geht der Trend in Tansania eigentlich in die andere Richtung: 2009 lebten rund 109 000 Elefanten in Tansania. Bei der jüngsten Erhebung 2014 waren es nur noch rund 44 000.

    Warum geht es den Tieren in der Serengeti besser? Das Erfolgsrezept der Tanapa sei es, sagt Muir, ständig Präsenz zu zeigen. Über 300 Ranger würden im Park patrouillieren. Auch die Touristen helfen. “Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren”, sagt der Biologe.

    Doch der Erfolg gegen die Wilderer im Park ist ein Pyrrhussieg, solange die Hintermänner nicht gefasst werden. Wie Kriminalisten sind die Tanapa-Experten daher auch in den umliegenden Dörfern im Einsatz. Wo wird die Schmuggelware gelagert? Über welche Kanäle gelangt sie nach Übersee? Woher kommen die Waffen?

    Der Kampf um die Serengeti muss vor allem außerhalb des Nationalparks gewonnen werden. Und dabei geht es nicht nur um die Wilderei allein. Drei bis vier Millionen Menschen leben heute in den Dörfern um das Schutzgebiet – weit mehr als noch zu Grzimeks Zeiten.

    Wilddiebe legen Drahtschlingen aus, in denen sich jährlich Tausende Gnus, Zebras oder Impalas verfangen und elend zugrunde gehen. Immer näher rücken die Felder der Einheimischen an die Parkgrenzen heran. Der Wasserhaushalt des Gebiets wird verändert, die Wanderschaft der Tiere behindert. Im Gegenzug trampeln marodierende Elefanten durch die Mais- und Hirsefelder der Menschen.

    Den Löwen wiederum gilt das Vieh als leichte Beute. Die Rache der Hirten kann ihnen gewiss sein. Gerade wieder sind zehn der Raubkatzen westlich des Parks vergiftet aufgefunden worden.

    Besonders schwierig ist die Situation östlich des Parks, in den Schutzgebieten Loliondo und Ngorongoro. Dort siedeln vor allem Massai. Das Hirtenvolk lebt traditionell mit seinen Rinderherden, die als Statussymbol gelten. Immer mehr Massai und damit auch immer mehr Rinder sind in den vergangenen Jahren in die Gegend eingewandert. Inzwischen ist das Land stark überweidet. Die Massai würden ihr Vieh gern in die Serengeti treiben. Doch das dürfen sie nicht.

    “Die Hirten sehen eine Menge Gras auf der anderen Seite”, erläutert ZGF-Mann Muir, “das führt zu Spannungen.” Ein Streit um die Grenzziehung des Parks ist entbrannt; manche der Landrechte außerhalb des Schutzgebiets sind bis heute ungeklärt. Und seit langer Zeit schon ist man sich nicht einig, wer genau über die Nutzung des Landes entscheiden darf. Im Oktober sind Parlamentswahlen in Tansania, darum ist alles hier im Moment politisch. Auch die Serengeti.

    “Die Gemeinden in der Nähe profitieren noch nicht genug vom Nationalpark”, sagt Muir. Tanapa und ZGF versuchen daher seit Jahren, den Einheimischen alternative Einkommensquellen zu eröffnen, die im Einklang mit dem Naturschutz stehen.

    In Nyichoka beispielsweise, einem Dorf etwa 30 Kilometer westlich des Nationalparks, haben sich an diesem Tag die Mitglieder der “Sinduka Cocoba Group” um einen runden Tisch versammelt, auf dem ein blauer, mit drei Schlössern gesicherter Metallkasten steht. Nach einem festgelegten Ritual wird die Box entriegelt. Zum Vorschein kommen vier mit Geldscheinen gefüllte Plastikdosen. Sie enthalten das Gesamtvermögen der örtlichen “Naturschutzbank”. Reihum zahlen die Männer und Frauen sogenannte Anteile von jeweils 4000 Tansania-Schilling ein (etwa zwei Euro). Dann werden Schulden getilgt und Auszahlungen getätigt.

    An jedem Samstag kommen die Mitglieder der Bank zusammen. Der Sinn der Geldschieberei: Die Dorfbewohner vom Stamm der Ikoma legen zusammen, um ihren Mitbürgern später Mikrokredite gewähren oder selbst welche in Anspruch nehmen zu können. Das Geld investieren sie in Projekte, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Einzige Bedingung für die Finanzspritze: Die Natur darf durch die Unternehmungen nicht beeinträchtigt werden.

    Agnes Marongoli beispielsweise hat mithilfe der Kredite gemeinsam mit ihrem Mann Maro ein kleines Kulturzentrum aufgebaut. Vor einer von ihnen errichteten traditionellen Hütte führt eine Tanzgruppe den “Singori” auf, einen Erntedanktanz. Touristen kommen hierher, um Kunsthandwerk zu kaufen und sich die uralten Tiermythen der Ikoma anzuhören. Zusätzlich verkaufen die Marongolis Honig an die Hotels der Gegend – auch die Bienenstöcke haben sie mit Mikrokrediten finanziert.

    “Wir waren Jäger”, sagt Marongoli, “jetzt profitieren wir von den Touristen, die in unsere Läden kommen.” Das Geschäft lohnt sich für sie, die nie eine Ausbildung bekommen hat: Ihre acht Kinder kann sie nun auf die Schule schicken.

    Die Gemeinden rund um Nyichoka haben ihr gesamtes Land zum Wildtier-Schutzgebiet umgewidmet. Bewusst verzichten sie auf Ackerbau, Jagd und Viehzucht. Das Gebiet grenzt direkt an den Nationalpark und ist eine Art Wildnis-Pufferzone. Die Tiere profitieren von der Erweiterung ihres Lebensraums. Gleichzeitig können die Gemeinden ihr Land direkt an Tourismusunternehmen verpachten. Acht Luxuszeltlager für Touristen sind in der Gegend entstanden.

    Im vergangenen Jahr sei dadurch rund eine halbe Million US-Dollar in die Gemeindekassen gespült worden, berichtet Masegeri Rurai, der die “Ikona Wildlife Management Area” für die ZGF betreut.

    Vom Tourismus im Nationalpark selbst profitiert die lokale Bevölkerung jedoch kaum. Mit den Gewinnen finanziert die Tanapa vor allem den Unterhalt der anderen 15 Nationalparks in Tansania, die kaum Einnahmen haben.

    Naturschutz ist ein teures Geschäft. Und der Tourismus muss ihn finanzieren. Doch wie ist die Balance zu halten? Im Massai-Mara-Schutzgebiet in Kenia stehen die Geländewagen in der Hauptsaison in langen Schlangen vor jedem Löwenrudel. Im Vergleich dazu wirkt die Serengeti menschenleer. Und das ist so gewollt.

    Zurück in Seronera wartet schon Tanapa-Mitarbeiter Godson Kimaro, Chef der Tourismusabteilung der Serengeti. “Wir wollen mehr Gäste hier haben”, sagt Kimaro, “aber gleichzeitig muss der Tourismus nachhaltig bleiben”. Rund 2700 Betten in etwa 120 Safari-Camps gibt es im gesamten Park. Kimaro plant etwa 550 zusätzliche Betten für die nächsten Jahre. Das muss dann aber auch reichen.

    Gleichzeitig will er das Angebot für die Gäste attraktiver machen. Neben den traditionellen “Game Drives” gibt es heute schon Heißluftballonfahrten. Spezielle Kurse für Tierfotografie, mehrtägige Wandertouren oder Dinnerpartys in der Wildnis schweben Kimaro vor.

    Für so viel Exklusivität muss man ordentlich zahlen: Schon der Eintritt in den Park kostet 60 US-Dollar, pro Tag. Dazu kommt die Übernachtung, die schon in den Safari-Zeltlagern 500 US-Dollar kosten kann. Wer ein echtes Dach über dem Kopf vorzieht, zahlt leicht das Doppelte.

    Fast ausschließlich aus Übersee sind daher die Gäste der Four Seasons Safari Lodge Serengeti, einer Hotelanlage nördlich von Seronera. Von der breiten Terrasse mit ihren edlen Sitzecken aus geht der Blick auf einen azurblau schimmernden Swimmingpool. Unterhalb des Beckens und kaum zehn Meter dahinter befindet sich ein künstlich angelegtes Wasserloch, das sich aus dem geklärten Brauchwasser des Hotels speist.

    An diesem Abend ist eine komplette Elefantenherde an der Tränke erschienen, dazu Impalas und eine Gruppe von Kaffernbüffeln. In der Ferne ziehen Giraffen. Langsam senkt sich die Sonne. Kellner reichen eisgekühlte Getränke. Ein warmer Wind umfächelt die Touristen. Es ist das perfekte Out-of-Africa-Abziehbild inklusive der Schirmakazien, die sich gegen den Himmel abzeichnen.

    Vielleicht ist genau dies das Schicksal der Wildnis: dass sie sich nur als kitschige Postkarte erhalten lässt, als ein Ort temporärer Zivilisationsflucht.

    “Die Natur aber bleibt ewig wichtig für uns”, schrieb Grzimek in seinem Serengeti-Buch. Politische Sorgen hingegen führten dann nur noch “ein Buchstabenleben” in Geschichtsbüchern. “Aber ob dann noch Gnus über die Steppen stampfen und nachts Leoparden brüllen, das wird den Menschen immer noch etwas bedeuten.”

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    [box]Wenn Bernhard Grzimek (1909 bis 1987), der damalige Direktordes Frankfurter Zoos, “Ein Platz für Tiere” moderierte, schauten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Millionen zu. Grzimek war scharfzüngiger Tierschützer, Enzyklopädist (“Grzimeks Tierleben”) und Regisseur. Sein Film “Serengeti darf nicht sterben” verschaffte ihm Weltruhm.[/box]

  • Invasion der Herzchen

    Was einst mit schlichten Smileys begann, entwickelt sich zu einer neuen Weltsprache: Emojis fluten Chatdienste und soziale Netzwerke. Alles nur Kinderkram? Linguisten suchen nach Erklärungen für den Siegeszug der bunten Bildchen.

    von Philip Bethge

    Die Welt des digitalen Süßholzraspelns ist voller bunter Bilder. Ist die Stimmung gut, bietet sich ein gelbes Smiley in der Kurznachricht an, keck mit einem Auge zwinkernd – oder gleich mit Kussmund, die Wangen zart gerötet .

    Herzchen, rot, gelb, blau und grün oder von einem Pfeil durchbohrt , stehen für Verliebte bereit. Geht es dann um Sex, hat sich die leicht gekrümmte Aubergine als einschlägiges Symbol etabliert – als Pendant zum Pfirsich mit seiner samtigen Längsfurche .

    Der Abschied vom Liebesglück dagegen fällt schwer: ein rotes Ungeheuer vielleicht ? Oder gleich ein Bömbchen mit glimmender Lunte ? Ach ja: Bald ist eindeutig, was die Trennung besiegelt. Noch in diesem Jahr hält wohl der Stinkefinger Einzug in die Bilderwelt der Smartphones.

    Wer auf diese unfeine Weise aus dem Leben der Liebsten gekickt wird, trachtet nun seinerseits nach Vergeltung. Wie wär’s mit ” Du Miststück! “? Doch da versagt die Symbolsprache.  – das wirkt eher niedlich, zumal der Haufen lächelt.

    Emojis heißen die kleinen Bilder, die immer häufiger in Kurznachrichten, Tweets, Posts und E-Mails auftauchen. Schleichend sind sie zu einem inzwischen fast unverzichtbaren Teil der Chatkommunikation geworden – eine Invasion bunter Bildchen, die sich manchmal schon zu ganzen Sätzen formieren und damit die jahrhundertealte Herrschaft der Buchstaben infrage stellen.

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    Rund 1000 Symbole der neuen Weltsprache sind schon im Einsatz. 250 weitere kommen in Kürze hinzu, unter ihnen so Kurioses wie der Vulkanier-Gruß von Mr Spock aus “Raumschiff Enterprise”. Und bald wird es möglich sein, ethnische Vielfalt abzubilden: Die kleinen Gesichter und Figuren soll es künftig politisch korrekt mit verschiedenen Hautfarben geben.

    Auf Smartphones und Tablets sind die Symbole allesamt mit wenigen Fingerklicks erreichbar. Ein Panoptikum des Lächerlichen, so scheint es auf den ersten Blick. Und die Flut der Babyengel , der lächelnden Katzengesichter und Comicgeister im Kurznachrichten-Kauderwelsch scheint jene zu bestätigen, die den Niedergang der Schriftkultur beweinen.

    Aber ist das wirklich so? Ersetzen die schlichten Emojis auf lange Sicht den feinen Ausdruck, die elegante Formulierung, den raffiniert gebauten Satz? Fachleute sind vom Gegenteil überzeugt. “Emojis zerstören keine Traditionen”, sagt die Sprachforscherin Lisa Lebduska vom Wheaton College im US-Bundesstaat Massachusetts. “Sie erweitern die sprachlichen Möglichkeiten und stellen damit sicher, dass die Kurznachrichten, die wir senden, auch richtig verstanden werden.”

    Die Wissenschaftlerin schwärmt von der “Verspieltheit” der digitalen Bilderwelt. Eine Sprachdegeneration vermag sie nicht zu erkennen. “Meine Studenten sind begeistert von der Emotionalität und Unmittelbarkeit von Emojis”, sagt sie.

    Ähnlich erklärt der Google-Programmierer Mark Davis den Erfolg der Bildchen. Er ist Präsident des Unicode-Konsortiums , das die Emojis standardisiert – sie sollen ja überall das Gleiche bedeuten. “Emojis verleihen Kurznachrichten Würze”, sagt Davis. Gesten, Mimik, Intonation – solche Nuancen fehlten der Schriftsprache. Gerade in Kurznachrichten sei es mit Worten allein sehr schwer, Gefühle und Stimmungen auszudrücken. Emojis könnten da helfen. “Sie sind die emotionale Kurzschrift der Onlinekommunikation”, sagt Davis.

    Entsprechend überzeugen Emojis die Nutzer: Rund 200 Emojis pro Sekunde werden derzeit über Twitter in die Welt geschickt. Was die Forscher nicht überrascht: “Emojis sind gleichzeitig ein sehr altes und ein sehr neues Phänomen”, sagt etwa der amerikanische Linguist Ben Zimmer von der Softwarefirma Vocabulary.com. Der “piktografische Impuls”, die Liebe zu kleinen Symbolen und Zeichen, liege in der Natur des Menschen. So gehe beispielsweise auch das heutige Schreibsystem auf Piktogramme zurück, etwa der Buchstabe “A” auf das Bild eines Ochsenkopfes, das irgendwann um 180 Grad gedreht wurde.

    Zugleich bedienten Emojis die Lust, die Grenzen neuer Technologien auszuloten, sagt Zimmer. “Menschen genießen diese Art des kommunikativen Spiels – auch weil wir immer wieder daran scheitern, wirklich das mitzuteilen, was wir meinen.”

    Das Bedürfnis, sich klar auszudrücken, ist so alt wie die Menschheit selbst (siehe Grafik). Der Weg von der Höhlenmalerei zum Alphabet ist eine der elementarsten Kulturleistungen überhaupt. Doch die Schriftsprache ist immer noch nicht perfekt. “Ich denke häufig, dass ein spezielles typografisches Zeichen für ein Lächeln existieren sollte”, sagte der Schriftsteller Vladimir Nabokov schon 1969.

    Sein Wunsch wurde erhört, als der Informatiker Scott Fahlman von der Carnegie Mellon University 1982 das Emoticon erschuf . Er und seine Kollegen fanden Spaß daran, im Onlineforum der Universität sarkastische Witzeleien auszutauschen. Doch offenbar wurden diese häufig fehlgedeutet. Genervt schlug Fahlman irgendwann vor, Scherzhaftes mit einem Smiley zu markieren :-), Ernstes dagegen mit :-(. Bald waren auch das zwinkernde ;- ) und das laut lachende Emoticon :- D geboren.

    Die Farbe verpasste ihnen dann der Japaner Shigetaka Kurita von der Telekommunikationsfirma NTT Docomo. 1999 wollte das Unternehmen die Kommunikation über Mobiltelefone attraktiver machen. Kurita ließ sich von japanischen Manga-Comics und Straßenschildern inspirieren und entwarf 176 Symbole, jedes von ihnen nur zwölf mal zwölf Pixel groß. Die ersten Emojis (japanisch: e = Bild, moji = Schriftzeichen) waren geschaffen und wurden in Japan ein voller Erfolg.

    Der Siegeszug um die Welt begann erst, als das Unicode-Konsortium beschloss, Emojis in seine Datenbank aufzunehmen. Die Organisation, zu deren Mitgliedern Branchengrößen wie Apple, Google, Yahoo oder Oracle zählen, legt die internationalen Standards für die Darstellung von Text fest. Jeder auf der Welt gebräuchliche Buchstabe ist in Unicode einer bestimmten Zahl zugeordnet. So wird erreicht, dass beispielsweise der Buchstabe “A” von jeder Software eindeutig als “A” erkannt und dargestellt werden kann.

    Seit Oktober 2010 sind die Emojis Teil des Unicodes. Ein Smiley, das in China auf einem obskuren Handy eingetippt wird, bleibt daher weltweit ein Smiley, egal, mit welcher Technik es empfangen wird. Das genaue Aussehen der Bildchen legen allerdings die Designer der jeweiligen Software fest. Deshalb tanzt beispielsweise die Emoji-Tänzerin in Apples Handybetriebssystem Flamenco, während die Figur in Android 4.4 aussieht wie John Travolta im Discofieber.

    Immer neue Emojis nimmt das Konsortium nun in seine Liste auf. Neben den japanischen Zeichen sind inzwischen viele Symbole aus den Windows-Schriftarten Wingdings und Webdings vertreten. Das Ergebnis ist ein sehr skurriles Symbolsammelsurium. Besonders beliebt beispielsweise ist ebenjener Haufen, der sich gerade im Englischen herrlich mit anderen Emojis kombinieren lässt (, , *).

    (* Holy shit, shit storm, no shit)

    Warum der Haufen lächelt? Ganz einfach: In Japan, wo das Zeichen herkommt, gilt es als Glückssymbol. Ohnehin lässt sich über die Bedeutung der Zeichen gut streiten. “Verschiedene Kulturen können Emojis auf sehr unterschiedliche Arten verwenden”, sagt Linguist Zimmer. Als Beispiel nennt er das Symbol der beiden aneinanderliegenden Hände  . Während Japaner zum Beispiel das Bild als Gruß interpretierten, würden andere Kulturen betende Hände sehen, sagt Zimmer. Bei den Amerikanern wiederum werde es mitunter als “high five” gedeutet.

    Andere Emojis sind noch rätselhafter. Was zum Beispiel bedeutet das bislang gern als Stinkefinger-Ersatz genutzte ? Was heißen die drei bunten Kugeln auf dem Stock ? Und was will uns der blaue Diamant sagen **?

    (** Japanische Neujahrs-Türdekoration; bunte Reisklöße (Dango), eine japanische Spezialität; japanisches Symbol für „lieblich“)

    Schließlich der “Mann im Anzug, schwebend”, der erst jüngst in den Status eines Emojis erhoben wurde. Wer nachforscht, erfährt, dass irgendein Microsoft-Mitarbeiter vor Jahren mal ein Faible für das Ska-Plattenlabel “2 Tone Records” hatte, dessen Logo dem Schwebemann ähnelt. Durch Unicode geadelt, hat die merkwürdige Figur jetzt für alle Zeit ihren Stammplatz im international gebräuchlichen Schriftstandard.

    Emoji-Fans lieben diese kleinen absurden Geschichten, die auch dazu führen, dass die Bildersprache immer populärer wird. In einer Umfrage aus dem Jahr 2013 gaben 74 Prozent der Nutzer in den USA und 82 Prozent in China an, dass sie Emojis verwenden. Rund acht Milliarden Emojis sind laut der Website emojitracker.com seit Juli 2013 verschickt worden. Das derzeit beliebteste Symbol der Welt ist das lachende Gesicht mit Freudentränen .

    Liebende bezirzen sich mit Emojis, und auch fürs Sexting, also “dirty talk” via Kurznachricht, eignen sich die Bildchen. etwa beschreibt, wie Aubergine und Pfirsich auf genau die richtige Weise zusammenfinden.

    Es gibt soziale Netzwerke, in denen ausschließlich Emojis gepostet werden können, Emojicate etwa oder Emojli. Wer eine Liste mit seinen zuletzt genutzten Emojis an die Internetseite Emojinalysis schickt, bekommt eine Analyse der eigenen Befindlichkeit.

    Und längst hat die Kunst die Bildersprache als neue Ausdrucksform entdeckt. Auf YouTube finden sich Musikvideos, die einzig mit dem Stilmittel des Emojis arbeiten, zum Beispiel ein Video zu Beyoncés Hit “Drunk in Love”. Der Tumblr-Blog “Narratives in Emoji” zeigt Emoji-Zusammenfassungen der Filme “Titanic” und “Independence Day”.

    Sogar ganze Bücher sind schon in Emoji erschienen. Nachdem er 3500 Dollar auf Kickstarter.com gesammelt hatte, brachte der amerikanische Computerexperte Fred Benenson über 800 Emoji-Enthusiasten dazu, mit ihm zusammen jede Zeile von Herman Melvilles “Moby Dick” in eine Reihe von Emojis zu übersetzen. Das Ergebnis heißt “Emoji Dick” , ist als gedrucktes Buch erhältlich und steht inzwischen in der Library of Congress.

    “Emoji Dick” zeigt allerdings deutlich die Grenzen der neuen Weltsprache. Denn wirklich lesen kann das Werk niemand.

    Die erste Zeile etwa lautet . “Nennt mich Ismael”, soll das bedeuten, der erste Satz von “Moby Dick”. Sprachforscherin Lebduska ist skeptisch: “Ich lese auch nach mehreren Versuchen immer noch ,Telefon, Schnurrbartgesicht, Segelboot, Wal, ok’”, kommentiert sie trocken. Selbst Benenson habe eingeräumt, dass “ein Großteil des Buchs keinerlei Sinn ergibt”, erzählt die Forscherin. Begeistert ist sie trotzdem. “Emoji Dick” könne als “Literaturmüll” betrachtet werden, aber auch als “mutiger Ausflug in literaturwissenschaftliches Neuland”.

    Die Frage ist, ob Emojis der Welt erhalten bleiben, mindestens als Ergänzungsmittel. Oder sind sie nur eine Modeerscheinung der Netzwelt, zu sehr Spielerei, um ernst genommen zu werden?

    Tyler Schnoebelen, Linguist von der Eliteuniversität Stanford, heute bei der Textanalysefirma Idibon beschäftigt, sieht durchaus Parallelen zur Schriftsprache. Schnoebelen hat Emoticons analysiert und festgestellt, dass deren Gebrauch je nach Alter, Geschlecht und sozialem Status des Schreibers variiert. Auch beobachtet er, wie sich verschiedene “Dialekte” entwickeln. Und bei der Kombination mehrerer Emojis hat Schnoebelen sogar eine einfache Grammatik ausgemacht, bei der die Stimmung – zum Beispiel ausgedrückt durch ein weinendes Smiley – immer vor der eigentlichen Aussage steht, einem gebrochenen Herzen etwa.

    Schnoebelen sieht eine große Zukunft für Emojis. “Wir haben gelernt zu sprechen, und wir haben gelernt zu schreiben”, sagt der Linguist, aber erst Emojis würden es nun erlauben, “mit derselben Geschwindigkeit zu schreiben, mit der wir sprechen”. Dass dabei mancher Sinn auf der Strecke bleibt, interpretiert der Forscher eher als Vorteil, der “Mehrdeutigkeiten” und “Untertöne” erlaube, die in der Schriftsprache bislang gefehlt hätten.

    “Emojis sind längst nicht so eindeutig, wie man denken könnte”, bekräftigt Lebduska. Das Smiley etwa sei zunächst natürlich ein Symbol der Unbeschwertheit. Doch selbst hinter jedem Smiley lauerten immer die Möglichkeiten der Ironie und des Sarkasmus. Es fasziniere sie, schwärmt Lebduska, wie kreativ die Leute beim Verwenden der Emojis seien.

    Gleichzeitig dringt die Bildersprache in immer mehr Lebensbereiche vor. Leidenschaftlich streiten die Nutzer um die Erweiterung des Emoji-Vokabulars. Eines der Topthemen: Essen. Während Symbole für Eis , Spaghetti und Sushi seit Langem im Emoji-Alphabet existieren, fehlen noch jene für Hotdogs und Tacos, ein Umstand, der auf Facebook-Seiten wie “The Universe Demands a Taco Emoji” vehement beklagt wird. In der nächsten Unicode-Version sollen sie nun enthalten sein, ebenso wie das Einhorn, der Kricketschläger oder das Nerd-Gesicht.

    “Wir bekommen sehr viele Vorschläge für neue Emojis”, sagt Unicode-Präsident Davis. Die Auswahl sei ein Balanceakt, die Entscheidung hänge davon ab, ob das Symbol eine Lücke fülle oder ohnehin bereits weit verbreitet sei. Und auch um ethnische und kulturelle Vielfalt sind die Unicode-Macher bemüht. Zusätzlich zum christlichen Gotteshaus soll es bald Symbole für Moschee und Synagoge geben. Vor allem aber muss sich Davis nun plötzlich mit Hautfarben beschäftigen. Die Sängerin Miley Cyrus, Pop-Ikone vieler Teenager, trat 2012 per Tweet eine Kampagne für mehr ethnische Diversität im Emoji-Universum los (#EmojiEthnicityUpdate). Der Vorstoß fand Anklang. “Unicode hat gedacht, dass wir statt einer schwarzen Person zwei verschiedene Drachen, neun Katzengesichter und drei Generationen einer weißen Familie brauchen”, schimpfte etwa die farbige Sasheer Zamata von der populären US-Show “Saturday Night Live”, “sogar die Black-Power-Faust ist weiß!”

    Nun steht das Unicode-Konsortium unter Druck, die in der Tat fast durchweg hellhäutige Emoji-Welt einzufärben. Vergangenen Herbst kündigte das Konsortium deshalb an, den Usern künftig die Option zu geben, den Hautton bestimmter Emojis zu verändern, und zwar entsprechend der Fitzpatrick-Skala, einem “anerkannten Standard in der Dermatologie”. Apple hat bereits einen “skin tone modifier” für Emojis in eine Beta-Version seines Betriebssystems eingebaut.

    Ohnehin will Davis dafür sorgen, dass sich künftig noch mehr Nutzer in der Welt der Emojis zu Hause fühlen. Das Konsortium werde alles daransetzen, die Bilderkollektion umfassender und einheitlicher zu machen, verspricht der Programmierer. “Technisch gesehen haben wir in Unicode noch Platz für mehr als eine Million weitere Zeichen”, sagt Davis.

    Für die Freunde des elaborierten Textes mag das wie eine Drohung klingen. Doch Sprachforscher wie Lisa Lebduska beschwichtigen. “Natürlich kostet es viel weniger Mühe, ein Herzchen zu verschicken, als einen Liebesbrief zu schreiben”, sagt sie, “aber ich glaube, dass Liebesbriefe trotzdem nicht verschwinden werden.”

    Wie Worte seien auch Emojis eine Reflexion der Welt, sagt Lebduska, und wie Worte hätten die Zeichen das Potenzial “zu beschreiben, zu erkunden und zu verbinden”.

    Ob das tatsächlich gelingt, liegt allerdings wohl auch im Auge des Betrachters. Die US-Komikerin Ellen DeGeneres brachte es jüngst in ihrer Show auf den Punkt . “Was heißt diese Zeichenfolge?”, fragte sie ihr Publikum und präsentierte eine Abfolge von Emojis .

    “Für jüngere Leute bedeute das ,Hallo, an welchem Tag und zu welcher Zeit kommt dein Flug an?’”, erläuterte DeGeneres.

    Für ältere Leute jedoch bedeute es etwas ganz anderes, nämlich: “Meine Tastatur produziert nur noch kleine Bildchen, wie bekomme ich sie wieder normal, damit ich nicht mehr diesen Unsinn tippe; und überhaupt: Warum machen sie diese Telefone so klein?”

  • Kosmos des Süßkrams

    Die Schokoladenindustrie hat es jahrelang versäumt, den Kakaoanbau zu modernisieren. Die Plantagenbäume sind alt, krank und tragen zu wenig Früchte. Auf den letzten Drücker geben die Hersteller jetzt Millionen für mehr Nachhaltigkeit aus.

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 51/2014VIDEO dazu

    Wenn Peter Boone an Schokolade denkt, fallen ihm Wörter wie “cremig”, “süß”, “fruchtig” oder “milchig” ein, aber auch “rauchig”, “erdig”, “Zimt” und “Lakritz”.

    Oder Boone schwärmt gleich von “Ganache”, verführerischen Kombinationen aus Sahne und Schokolade, von Pralinen mit “Knusperelementen” in der Füllung und “Schokoladentropfen” mit den Aromen des “Hibiskus” oder der “Himbeere”.

    “Bei Geschmacksvielfalt fällt vielen Leute automatisch Kaffee oder Wein ein”, sagt Boone, “doch dasselbe Potenzial ruht im Kakao – und unsere Aufgabe ist es, dieses Potenzial zu entfesseln.”

    Boone ist Chief Innovation & Quality Officer von Barry Callebaut, dem führenden Schokoladenproduzenten. Im belgischen Wieze, gut 40 Autominuten nordwestlich von Brüssel, betreibt die Firma die größte Schokoladenfabrik der Erde. 1,7 Millionen Tonnen des dunklen Süß produzierte Barry Callebaut im vergangenen Geschäftsjahr. Unternehmen wie Mondelez, Unilever oder Hershey verarbeiten es zu Weihnachtsmännern, Pralinen oder Eiscreme.

    Der dunkle, erdige Geruch von Kakao liegt über der gesamten Anlage. In den Lagern stapeln sich grobe Säcke mit Kakaobohnen. Nebenan, in Speziallabors, tüfteln Experten an neuen Rezepturen und analysieren die rund 10 000 Inhaltsstoffe der Kakaobohne, immer auf der Suche nach den Schokoladeninnovationen von morgen.

    “Wir versuchen, die Kakaobohne vollständig zu enträtseln”, erläutert Boone, “Schokolade ist Genuss pur; wir wollen sicherstellen, dass das auch so bleibt.”

    Wieze ist ein eigener Kosmos des Süßkrams. Ähnlich wie in Roald Dahls Kinderbuchklassiker “Charlie und die Schokoladenfabrik” kreist dort alles um die braune Köstlichkeit. Doch die verführerische Willy-Wonka-Welt trügt. Die Schokoladenindustrie ist in Bedrängnis. Während die Nachfrage weltweit vor allem wegen wachsender Schokolust in Schwellenländern wie China oder Indien steigt, könnte die Produktion bald stagnieren.

    Der Grund: Industrie, Produktionsländer und Bauern haben es jahrzehntelang versäumt, den Anbau des Kakaobaums zu modernisieren. Auf die Kakaopreise wirkt sich die Agrarkrise zwar noch nicht direkt aus. Doch die Branche ist alarmiert.

    “Unsere Industrie ist an einem kritischen Punkt”, sagt Bill Guyton, Präsident der World Cocoa Foundation mit Sitz in Washington, D. C. Der oberste Schokoladenwächter führt eine Koalition von Branchengrößen an, die sich nun zum Handeln gezwungen sieht.

    Im Mai haben zwölf Schokofirmen wie etwa Barry Callebaut, Mars und Ferrero gemeinsam mit den Regierungen der beiden größten Produktionsländer, Ghana und Elfenbeinküste (siehe Grafik ), das Programm “Cocoa Action” aufgelegt, um die Zukunft des Kakaoanbaus in Afrika abzusichern. Auch in Asien und Südamerika investieren Schokoladenfirmen Millionenbeträge in Plantagen, Pflanzenforschung und Schädlingsbekämpfung.

    Sie reagieren damit auf eine Situation, die dringlicher kaum sein könnte. Überalterte Kakaofarmen erzielen magere Ernten. Die Böden sind ausgelaugt. Pflanzenkrankheiten vernichten etwa ein Fünftel der globalen Kakaoernte.

    Verschärft wird die Situation durch den Klimawandel. Die Modelle der Klimaforscher sagen für die Tropen höhere Temperaturen und unregelmäßigere Regenfälle voraus. 2007 hatte der Weltklimarat bereits gewarnt, dass sich die Ernten in Äquatorialafrika bis 2020 halbieren könnten.

    Den Kakaobauern mangelt es an fast allem: an Schulen, medizinischer Versorgung, Zukunftsperspektiven. An der Elfenbeinküste etwa leben 60 Prozent der Kakaobauern unterhalb der Armutsgrenze. Und Schätzungen zufolge schuften etwa 1,8 Millionen Kinder auf den Kakaofarmen Westafrikas, rund eine halbe Million davon unter Bedingungen, die gegen die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO verstoßen. Kinderarbeit auf der Kakaoplantage – eine hässliche Vorstellung angesichts der Fülle von Schokoleckereien, die sich im reichen Westen derzeit wieder in den Regalen türmen.

    Und was passiert, wenn Ebola zuschlägt? Noch hat die Seuche Ghana und die Elfenbeinküste verschont. Aber sie wütet bei den direkten Nachbarn.

    “Wir befürchten, dass der Kakaoanbau ohne schnelles Eingreifen in eine Abwärtsspirale geraten könnte”, sagt Howard-Yana Shapiro, Chef der Agrarforschung beim US-Lebensmittelkonzern Mars und Pflanzenforscher der University of California Davis. Der 68-Jährige treibt für Mars das Kakaorettungsprogramm “Vision for Change” voran. An der Dringlichkeit der Mission lässt er keinen Zweifel. “Ich bin kein Alarmist, sondern Realist”, sagt Shapiro, “wir müssen handeln, jetzt.”

    Shapiro ist ein ungewöhnlicher Industriebotschafter. Mit langem weißen Bart und ebensolchem Haupthaar wirkt er wie Santa Claus persönlich, ein reich gewordener Althippie, der vegan lebt und seine Büroräume im kalifornischen Davis als Parkplatz für eine Sammlung von fast hundert Motorrädern nutzt.

    Zu Mars kam er, nachdem die Firma ein von ihm mitaufgebautes Unternehmen für Biosaatgut kaufte. Seither muss er sich oft den Vorwurf gefallen lassen, eine Art Öko-Feigenblatt für die Industrie zu sein. Doch die Kritik ficht ihn nicht an – Shapiro gilt als einer der profiliertesten Agrarexperten der Erde. Seit über 35 Jahren erforscht der Genetiker Nutzpflanzen. 2010 sorgte er für Aufsehen, als er für Mars das Genom der Kakaopflanze entschlüsselte – und es anschließend kostenfrei ins Internet stellte.

    Inzwischen vertraut Mars Shapiro etwa 30 Millionen Dollar jährlich an, um den Kakao in die Zukunft zu retten: Bis 2020 will Mars angeblich nur noch nachhaltig produzierten Kakao verarbeiten, Kakao also, der von den Zertifizierern Fairtrade, Rainforest Alliance oder UTZ Certified ausgezeichnet ist. Diese Mission führt Shapiro regelmäßig rund um den Erdball.

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    An diesem heißen Dezembertag geht es im Geländewagen nach Petit Bondoukou, einer Gemeinde im zentralen Kakaoanbaugebiet der Elfenbeinküste. Finanziert von Mars, versuchen Experten des World Agroforestry Center (Icraf) hier bereits seit 2010, den Bauern der örtlichen Kooperative zu helfen. Im Moment ist Haupterntezeit. Am Rand der Straße stehen dicht gedrängt die Kakaobäume mit ihren dicken, ovalen Früchten, deren Schalen von rot und orange über gelb bis grün und lila changieren. Allein, das üppig wirkende Pflanzenmeer trügt. Die Probleme sind fundamental.

    Yoba Traoré, ein schlanker Ivorer mit Vollbart und braunen, weiten Kleidern, baut auf fünf Hektar Kakao an. Der 54-Jährige lebt mit seinen beiden Frauen und sieben Kindern in einem wellblechgedeckten Lehmhaus. Sein Land liegt zwei Kilometer weiter die Straße hinab. Die Kakaobäume stehen eng. Ihre Äste winden sich in alle Richtungen. Nur wenig Licht dringt durch das dichte Blätterdach.

    Auf einer Lichtung hat Traoré, mit Plastik abgedeckt, frische Kakaobohnen zur Fermentation ausgelegt. Als er die Plane zurückschlägt, steigt ein intensiver Geruch nach Essigsäure und Kakao von den Bohnen auf, die noch in den Fruchtständen sitzen. Daneben ruhen fertig fermentierte Bohnen zum Trocknen auf dem Boden.

    Was idyllisch aussieht, kommentiert Shapiro mit einem Wort: “Entsetzlich.” Mit dem geschärften Blick des Agrarforschers erkennt er schnell, dass Traoré fast alles falsch macht, was im Kakaoanbau falschlaufen kann. Die Bäume, die eigentlich ähnlich wie Apfelbäume gepflegt werden müssten, seien vermutlich noch nie beschnitten worden, sagt er. Das dichte Blätterdach halte Feuchtigkeit am Boden und begünstige das Wachstum von Pilzen.

    Die etwa sechstägige Fermentation der Bohnen, bei der die typischen Kakaoaromen entstehen, sähe der Experte viel lieber traditionell unter Bananenblättern als unter Plastik. Das Trocknen am Boden sei unhygienisch und ineffektiv.

    Tatsächlich produziert Traoré nur etwa 300 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar. Mit guter Agrartechnik ließe sich die Ernte des Bauern leicht verfünffachen, meint Shapiro. Unter experimentellen Bedingungen hat der Forscher schon bis zu sechs Tonnen Kakao pro Hektar geerntet.

    Zudem ist ein Teil von Traorés Bäumen vom sogenannten Cacao Swollen Shoot-Virus (CSSV) befallen. Bei der Krankheit schwellen Abschnitte des Stamms an, vermutlich, weil Pflanzengefäße gleichsam abgewürgt werden. Langsam rafft es den Baum dahin. Kahl recken Traorés abgestorbene Exemplare die Äste gen Himmel.

    Das Problem: CSSV wird leicht übertragen. “Diese Krankheit könnte die gesamte ivorische Kakaowirtschaft zugrunde richten”, warnt Shapiro. Er hat so etwas schon erlebt. In Brasilien, einst ein führender Kakaoanbauer der Welt, zerstörte die Pilzkrankheit “Hexenbesen” in den Neunzigerjahren fast die gesamte Branche.

    So weit soll es in Westafrika nicht kommen. Und deshalb ist Pflanzenforschung der erste Pfeiler des Kakaorettungsprojekts. Weltweit fahnden Forscher nach krankheitsresistenten Bäumen. Erste Erfolge gibt es. Shapiro selbst war zum Beispiel an der Entdeckung einer Resistenz gegen den Hexenbesen beteiligt. In Costa Rica wachsen bereits erste, gegen den tödlichen Pilz gefeite Bäume.

    Auch für die Javanische Kakaomotte, den schlimmsten Kakaoplagegeist in Asien, und für CSSV suchen die Experten noch händeringend nach Gegenwehr. Shapiro würde gern mehr Biotechnologie einsetzen. CSSV etwa, so glaubt er, ließe sich mit Gentechnik besiegen. “Ich weiß zwar, dass diese Techniken sicher sind”, sagt er, “aber niemand wird riskieren, dass die gentech-kritischen Europäer ihren Markt für Kakaobohnen aus Westafrika schließen.”

    Die Kakaorettungspakete der Schokofirmen setzen daher auf konventionelle Agrartechnik. Die Firmen wollen die Erträge erhöhen und die Lebensbedingungen der Bauern verbessern – der zweite Pfeiler der Kakaoaktion. Andernfalls, so die Befürchtung, könnte so mancher Kleinbauer den Anbau bald ganz aufgeben.

    “Viele Bauern überlegen, statt in Kakao in Kautschuk oder Palmöl zu investieren”, sagt Nicko Debenham, Nachhaltigkeitsexperte von Barry Callebaut. Junge Kakaobauern, berichtet er, ließen ihre Farmen sogar häufig ganz im Stich und zögen in die Städte. Um die Bauern zu halten, sei es unumgänglich, die Einkommen zu erhöhen. Dann, so Debenhams Hoffnung, könnten sich viele Probleme erledigen, so zum Beispiel auch das der Kinderarbeit.

    Denn dass auf den Farmen Westafrikas so viele Kinder arbeiten, ist meist aus der Not geboren. “Kakaoanbau ist sehr arbeitsintensiv”, sagt Debenham. Erwachsene Helfer aber könnten die meisten Bauern nicht bezahlen. Die Ernte bleibe daher oftmals “Familienangelegenheit”.

    Debenham setzt darauf, die Bauern besser auszubilden und die Gemeinden zu stärken. Genau das ist auch das Ziel von Shapiros Mars-Mission. Die Icraf-Experten bilden in den Dörfern sogenannte Kakao-doktoren aus.

    Joel Yao Kouadio ist einer von ihnen. Der junge Ivorer hat gelernt, wie man Kakaobäume pflanzt, pflegt und beschneidet und wie sich Krankheiten abwehren lassen. Jetzt öffnet er in Petit Bondoukou jeden Tag die Türen eines hellblau lackierten Containers, den er zum Mini-Gartencenter ausgebaut hat.

    Auf den Regalen von Kouadios Laden stapeln sich Pflanzenschutzmittel und Werkzeuge. Dünger liegt in großen Säcken in der Ecke. Außerdem hilft er direkt auf den Kakaofarmen. Für den 25-jährigen Jungbauern Dramane Sogodogo hat Kouadio zum Beispiel einige alte Bäume auf einem Feld in der Nähe mit einer klassischen Technik verjüngt: dem Pfropfen.

    An einem Baum demonstriert Kouadio das Verfahren. Mit einem Messer öffnet er zunächst die Rinde. Dann steckt er einen sogenannten Pfropfreiser in die Baumwunde. Den etwa 20 Zentimeter langen Trieb hat er zuvor von einem jungen, besonders produktiven Kakaobaum geschnitten.

    Kouadio umwickelt den Pfropf mit Plastikfolie, um ihn vor dem Austrocknen zu bewahren. Am Schluss rollt er ein Kakaoblatt zu einem Hütchen und setzt es als Schattenspender auf den frischen Ast. “In zwei bis drei Wochen ist der Pfropf angewachsen”, erläutert Shapiro, dann werde der alte Stamm entfernt, und nach drei Jahren trage der Baum “fünfmal so viele Früchte” wie zuvor.

    “Wenn sich diese Technik als sicher erweist, könnte ein Großteil aller Kakaobäume in der Elfenbeinküste innerhalb der nächsten zehn Jahren verjüngt werden”, schwärmt Shapiro. Deswegen produziert die Icraf in großer Zahl Pfropfreiser in sogenannten Klongärten. Sorgsam ausgewählte Kakaobäume wachsen dort heran. Bis zu 100 Jungbrunnen-Triebe jährlich lassen sich von einer einzigen dieser Pflanzen gewinnen.

    Noch muss Shapiro allerdings die Regierung überzeugen. Massandjé Touré-Litsé, die ebenso mächtige wie resolute Chefin des ivorischen Conseil du Café-Cacao, befürchtet, dass sich im Gepäck der Pfropfreiser CSSV verbreiten könnte. Auch der ersehnte Erntezuwachs hat für Touré-Litsé eine Kehrseite. Gibt es mehr Kakao, könnten die Weltmarktpreise fallen.

    Doch Widerstand spornt Shapiro eher an. Am Abend sitzt er in der Provinzstadt Soubré mit den Chefs einer weiteren Kakaokooperative zusammen. Die Entreprise cooperative agricole de Soubré passt ideal in Shapiros Nachhaltigkeitskonzept. 1300 Bauern haben sich hier zusammengeschlossen. 3000 Tonnen zertifizierten Kakaos produzieren sie jährlich. Pro Kilo erhalten sie dafür umgerechnet etwa 1,30 Euro. Ein paar Cent extra bringt ihnen die UTZ-Zertifizierung. Mit den Überschüssen hat die Kooperative zwei Schulen und ein Warenlager gebaut. Kleinkredite für die Bauern gehören zum Service.

    Doch Shapiro reicht das nicht. Wie hoch die Ernte sei, fragt er in den Raum. Im Schnitt 500 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar, lautet die Antwort. Shapiro springt auf: “Wollt ihr 1500 bis 2000 Kilo pro Hektar?”, ruft er und erntet ungläubige Blicke.

    Der Mann von Mars will der Kooperative einen Klongarten schenken, damit die Bauern ihre Bäume verjüngen können. Per Handschlag wird der Deal besiegelt.

    Kann Shapiros Konzept aufgehen? Die Situation der Kakaobauern hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Die Regierungen der Elfenbeinküste und Ghanas bestimmen seit Kurzem jedes Jahr einen Festpreis für Kakao, der die Bauern weniger abhängig von den Schwankungen des Weltmarktpreises macht.

    Und tatsächlich wächst auch der Anteil nachhaltig produzierten Kakaos. “Wir werden in diesem Jahr fünfmal mehr Kakao verkaufen als noch im vergangenen Jahr”, berichtet etwa Dieter Overath vom Verein Transfair, der in Deutschland das Fairtrade-Siegel vergibt. Am Ziel befinde man sich aber noch nicht. “Die Schokoladenindustrie hat die Probleme zu lange ignoriert”, sagt Overath. Immer noch seien fast 80 Prozent des Kakaos überhaupt nicht zertifiziert. Gerade Markenartikler wie Milka, Lindt oder Ritter Sport würden sich bislang nur halbherzig oder gar nicht engagieren.

    Dabei kommen die Firmen um Nachhaltigkeit eigentlich nicht mehr herum. “Wer langfristig in diesem Geschäft bleiben will, muss in die Bauern investieren”, sagt Peter Boone von Barry Callebaut. Um sich im Markt zu behaupten, werde es zudem immer wichtiger, “die Geschichte hinter der Schokolade” zu erzählen, sagt er.

    Im belgischen Wieze lässt sich das beste Beispiel für die Qualitätsoffensive direkt neben der Schokoladenfabrik besichtigen. In Callebauts “Chocolate Academy” lernen etwa tausend Chocolatiers und Pâtissiers jährlich alles über Schokolade, “ein wundervolles, komplexes Produkt”, wie es Akademiechef Alexandre Bourdeaux sagt. Für den Belgier ist die Herstellung von Pralinen oder Schokoladenskulpturen Kunstform und Wissenschaft zugleich.

    Bourdeaux kennt sich bestens aus mit dem “Winnower”, einer Maschine, die die Schalen der gerösteten Kakaobohnen von den Kernen trennt, oder mit der “Conche”, in der die Schokoladenmasse bis zu zwölf Stunden lang geschmeidig gequirlt wird. Mit seinen Schülern diskutiert er den Säuregehalt von Schokolade oder die “Kristallisationskurve”, die beschreibt, wie die Süßigkeit aushärtet, ohne dabei ihren Glanz zu verlieren.

    Kein Wunder, dass Bourdeaux auch ein spezielles Verhältnis zu den Bohnen hat. “Ohne Qualitätsbohnen keine Qualitätsschokolade”, sagt der Chef-Chocolatier: “Für uns ist es essenziell, was wir aus den Produktionsländern bekommen.”

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  • Die Zähmung der Ströme

    Auf dem Balkan rauschen die letzten Wildflüsse Europas durch unberührte Täler. Doch künftig sollen sie von mehr als 570 Staudämmen gebändigt werden, um Strom zu gewinnen. Was ist kostbarer: grüne Energie – oder die Natur?

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 3/2014

    Wer weiß schon noch, wie Flüsse einst flossen, als man sie ließ? Wie breit das Bett ist, das sie sich über die Jahrhunderte gebahnt haben? Wie Stillwasser glitzert neben Stromschnellen, die über Schotterfelder rauschen; wie Schwemmholz, zu Nestern getürmt, an den Ufern kleiner Inseln strandet. Wie Pappelschösslinge um Halt ringen, sich alles immerzu ändert an der Grenze zwischen Wasser und Land.

    An der Vjosa lässt sich beobachten, wie früher auch Elbe, Rhein und Oder die Landschaft formten. Der Fluss zieht durch sein Tal im Süden Albaniens, verzweigt sich in Arme, die bald wieder zusammenfließen, das Wasser gibt und nimmt den festen Grund.

    “Bei jedem Hochwasser verlagert die Vjosa ihren Lauf”, schwärmt Ulrich Eichelmann, Naturschützer von der Organisation Riverwatch, und blickt hinüber zum schmalen Band des Auwalds, der sich an die Talflanke schmiegt. “Der Fluss füllt das ganze Tal aus”, sagt der 52-Jährige. “So etwas gibt es in Europa nur noch hier, auf dem Balkan.” Dann hält er inne. Drüben am anderen Ufer steigt ein Kormoran schwerfällig in die Lüfte.

    Die Vjosa: 270 Kilometer Flusslandschaft, vom griechischen Pindosgebirge bis hinab zur Adria. Kein Damm stört das Wasser auf seinem Weg. Kein Betonbett lenkt den Lauf. Und jeder Kiesel erzähle eine Geschichte, sagt Eichelmann – von unberührten Orten oben in den Bergen, von Wasserfällen, Schluchten, Seen.

    So glasklar wie die Vjosa rauschen viele Gewässer in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens die Berge hinab, ebenso in Albanien und Bulgarien. “Auf dem Balkan schlägt das blaue Herz Europas”, sagt Eichelmann, der sich zusammen mit der Umweltorganisation EuroNatur dafür einsetzt, die natürlichen Ströme zu erhalten.

    80 Prozent der Flüsse auf dem Balkan, so zeigt ein Gutachten, sind noch in gutem oder sehr gutem ökologischem Zustand – ein Paradies für Fische, Muscheln, Schnecken und Insekten.

    Doch die letzten Wildflüsse Europas sind in Gefahr. Mehr als 570 größere Staudämme samt Wasserkraftwerken (jeweils mit einer Kapazität von über einem Megawatt) sind in der Region geplant (siehe Grafik).

    Mit dem Geld internationaler Finanzinstitute – unter ihnen die Deutsche Bank, die Weltbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) – sind die Wehrbauer ans Werk gegangen.

    Eine “Goldgräberstimmung” macht Eichelmann aus, die “Hydrolobby” wittere den letzten unerschlossenen Energiemarkt Europas. Kurz bevor die Balkanstaaten sich qua Beitritt den Öko-Reglements der Europäische Union unterwerfen müssen, versuche die Industrie, Tatsachen zu schaffen: “Was in der EU längst verboten ist, wird nun noch schnell auf dem Balkan versucht”, sagt Eichelmann. Im Namen von Ökostrom und Klimaschutz drohe ein Ausverkauf unberührter Natur.

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    In Albanien ist die Zähmung der Ströme in vollem Gang. Ein Bauboom hat das bettelarme Land ergriffen: Im Fluss Drin im Norden des Landes sind drei große Dämme bereits fertig. Für den Devoll hat die norwegische Firma Statkraft Konzessionen erworben. Und auch an der Vjosa droht Ungemach. Acht Dämme sind geplant. Einer davon ist bereits im Bau. Nahe der Ortschaft Kalivaç drängt der Fluss sich durch eine Enge. Bagger verschieben dort Berge aus Kies und Sand. Fast 50 Meter hoch und 350 Meter breit soll die Staumauer werden.

    Es ist ein Italiener, Francesco Becchetti, der diesen Staudamm errichten will. In seiner Heimat besitzt der 47-Jährige ein Bau- und Müllimperium, in Albanien einen Fernsehsender. Wer ihn treffen will, muss sich zunächst von einem seiner TV-Journalisten aushorchen lassen. Dann geht es über eine staubige Straße bis nach Kalivaç. Dort wartet der Industrielle mit seiner Entourage, einem guten Dutzend kräftiger Männer, die sich um eine beträchtliche Anzahl teurer Limousinen scharen.

    Im Bürocontainer der Baustelle zeigt Becchetti dann die Pläne für die Sperre der Vjosa. Dicke Gutachten hat der bärtige Italiener mitgebracht. 70 Millionen Euro habe sein Talsperrenprojekt bereits verschlungen, berichtet er, auch Geld der Deutschen Bank war dabei. Inzwischen hat sich das Geldhaus aus dem Joint Venture verabschiedet.

    Beim Aufstieg auf das halbfertige Bauwerk kommt die Rede dann auf die Vjosa. Ob Becchetti bekannt sei, dass es sich um einen der letzten Wildflüsse Europas handle? Nein, antwortet der Bauherr. “Aber der Damm wird kein Problem für die Umwelt sein”, sagt er. Und: “Ich musste mir das erst erklären lassen – aber wir planen eine Forellentreppe ein.”

    Eine Forellentreppe? Gegen den Komplettverlust eines einzigartigen Lebensraums? Aus Ökologensicht: ein schlechter Witz. “Sollte die Vjosa zu einer Kette von Stauseen verkommen”, befürchtet Spase Shumka von der naturwissenschaftlichen Fakultät der Agrar-Universität Tirana, “können zum Beispiel Aal und Meeräsche hier nicht überleben.” Bis zu 200 Kilometer wandern die europaweit bedrohten Fische bislang die Vjosa hinauf.

    Zahllose Vögel wie etwa Flussregenpfeifer, Seiden- und Silberreiher seien auf die Auen der Flüsse angewiesen, sagt Shumka. Und viele nur auf dem Balkan heimische Fischarten wie etwa die Pindus-Bachschmerle könnten an den Rand des Aussterbens gebracht werden.

    In der Hauptstadt Tirana wird allerdings schnell deutlich, dass Naturschutz in der Prioritätenliste der albanischen Regierung einen unteren Platz belegt.

    Im Regierungsviertel am Bulevardi Dëshmorët e Kombit residiert Damian Gjiknuri, Minister für Energie und Industrie. Zwar gibt sich der erst wenige Monate amtierende Politiker redlich Mühe, Verständnis für den Naturschutz aufzubringen. Die Energieversorgung des Landes liegt ihm indes mehr am Herzen.

    “Zurzeit müssen wir zwischen 35 und 40 Prozent unseres Stroms importieren”, sagt Gjiknuri. Um das zu ändern, habe Albanien keine andere Wahl, als auf Wasserkraft zu setzen. Das Potential sei enorm: “Wir können die heimische Stromproduktion durch Wasserkraft um das Zehnfache steigern.”

    Aus dem gleichen Grund will im benachbarten Mazedonien das staatseigene Energieunternehmen Elektrani na Makedonija (ELEM) zwei Staudämme bauen – mitten in einen Nationalpark.

    Das 73 000 Hektar große Mavrovo-Schutzgebiet liegt an der Grenze zu Albanien und dem Kosovo und ist einer der ältesten Nationalparks Europas. Buchen-Urwälder gibt es dort, durch die noch Wölfe und Bären schleichen. In den Bächen leben Fischotter, Forellen und Süßwasserkrebse. Stolz der Region ist der Balkan-Luchs; nur noch etwa 50 Exemplare der Katzenart streifen durch die Wälder – Aussterben in Sicht.

    Zwei größere Dämme sind im Mavrovo-Nationalpark geplant. “Lukovo Pole” liegt hoch oben in den Bergen, dort, wo die Bäume alpinen Feuchtwiesen weichen und die Pflanzenvielfalt am größten ist. In der Nähe haben Experten der Unesco ein Tal entdeckt, das als Weltnaturerbe in Frage kommt.

    71 Meter hoch soll der Lukovo-Pole-Damm werden. Eine neue Straße durch den Nationalpark müsste gebaut werden, um ihn zu errichten. Im Juli will die Weltbank entscheiden, ob sie das Projekt mit 70 Millionen Dollar unterstützt.

    Weiter unten im Tal liegt “Boskov Most”, das letzte Refugium des Balkan-Luchses. Dort soll ein Damm den Fluss Mala Reka blockieren. Die EBRD hat bereits 65 Millionen Euro für den Bau zugesagt. Eine schmale Straße führt entlang der Mala Reka bergan. Nach ein paar Minuten Fahrt stoppt Eichelmann den Wagen und springt hinaus. Der erste Schnee des Winters liegt wie eine löchrige Decke über dem Tal. Die Luft ist schneidend kalt. Der Fluss schäumt und rauscht.

    Eichelmann kraxelt die Böschung hinab. Und plötzlich ist da eine eigene Welt aus Licht und Schatten, Kälte und Feuchtigkeit. Das Wasser umtost moosbewachsene Felsen, verschwindet in Höhlungen, zwängt sich durch Kämme aus Eiszapfen.

    Am überhängenden Fels hat eine Wasseramsel ihr Kugelnest aus Moos gebaut. Im Labyrinth der Wurzeln und Steine leben nur auf dem Balkan vorkommende Forellenarten und die Larven von Köcherfliegen und Quelljungfern. “Das liebe ich: diese einzigartige Vielfalt”, sagt Eichelmann. Was passiert mit der Mala Reka, wenn der Damm gebaut würde? “Das Flussbett läge die meiste Zeit trocken.” Das Wasser des künftigen Stausees soll zwar noch durch die Mala Reka abgeleitet werden, allerdings nur zu Zeiten des höchsten Strombedarfs. “Schwallbetrieb” nennen Ingenieure das Konzept. Einmal am Tag jagt dann eine Flutwelle durchs Tal.

    Die Mehrheit der Tiere und Pflanzen im Ökosystem, fürchten Biologen, würde die tägliche Spülung nicht überleben. Und die für den Dammbau notwendigen Straßen würden Mavrovo fragmentieren und Wildtieren das Leben erschweren.

    Die internationalen Finanziers schert das nicht: “Keines der Gutachten legt nahe, dass der Nationalparkstatus von Mavrovo gefährdet wird”, heißt es bei der EBRD. Die Vielfalt sei nicht in Gefahr, beschwichtigen auch die Kraftwerksbetreiber des Energieunternehmens ELEM.

    Mazedonien gehört zu den Ländern des “202020-Netzwerks”. Diese Staaten haben sich vorgenommen, den Anteil grüner Energie bis 2020 auf mindestens 20 Prozent zu heben und den Treibhausgas-Ausstoß um 20 Prozent zu senken. “Ohne Wasserkraft kommen wir nicht aus”, sagt ELEM-Chef Dejan Boskovski.

    Doch der internationale Druck wächst. Die Weltnaturschutzunion IUCN fordert in einer Resolution, den Bau der Wasserkraftwerke im Mavrovo-Nationalpark aufzugeben. Und vergangene Woche wandten sich mehr als hundert europäische Forscher, unter ihnen auch der deutsche Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, direkt an Weltbank und EBRD, um die Finanzierung der Mavrovo-Dämme zu stoppen. “Wir sind überrascht, dass Ihre Institutionen überhaupt erwägen, diese Projekte zu unterstützen”, heißt es in dem Schreiben. Die Vorhaben “unterminieren die Nationalpark-Idee” und “verstoßen gegen EU-Gesetze wie die ,Natura 2000′-Direktive” und die Wasserrahmenrichtlinie.

    Wenn nichts geschehe, würden “diese Flüsse genauso zerstört wie unsere in den siebziger Jahren – und das auch noch mit unserer Hilfe”, mahnt Ulrich Eichelmann. “Ich bin nicht gegen Wasserkraft, aber wir brauchen einen Masterplan für den Balkan, um festzulegen, wo es in Ordnung ist, solche Kraftwerke zu errichten, und wo nicht.”

    Viele der Balkanstaaten strebten in die EU. “Wenn diese Länder etwas in die Gemeinschaft einbringen können, dann ist das Landschaft”, sagt der Naturschützer.

    Doch die meisten Balkanstaaten stecken tief in der Wirtschaftskrise. Wo kein Geld ist, wird Naturschutz zweitrangig. Selbst eine gründliche Bestandsaufnahme der Flussvielfalt steht bislang noch aus.

    Allerdings könnte die Krise den Flüssen indirekt sogar nützen. Denn sie hat den Dammbau vielerorts zum Spielfeld der Spekulanten werden lassen – und deshalb hat Albaniens Energieminister Gjiknuri erste Dammbaukonzessionen schon wieder kassiert. “Viele Investoren haben gar nicht erst angefangen zu bauen, sondern versucht, die Lizenzen auf dem Schwarzmarkt weiterzuverkaufen”, berichtet er. Andere würden “nur so tun, als bauten sie etwas”, um den Marktpreis ihrer Projekte zu erhöhen.

    Die halbfertige Talsperre bei Kalivaç erwähnt Gjiknuri nicht explizit. Er kann indes kaum verbergen, dass ihm auch diese Sache nicht geheuer ist. Aus gutem Grund: Denn so geschäftig Bauunternehmer Becchetti seine Dammbaustelle an der Vjosa auch präsentiert – getan hat sich dort seit vier Jahren fast gar nichts.

    Für Ulrich Eichelmann ist das ein Hoffnungsschimmer. “Noch ist an der Vjosa kein irreparabler Schaden entstanden”, sagt der Naturschützer. “Wir werden alles tun, um die Kraftwerke zu verhindern – aber es ist ein Rennen gegen die Zeit.”

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  • Die Musik-Formel

    Lieder können zu Tränen rühren und Massen in Ekstase treiben. Wie ist das möglich? Forscher entschlüsseln, wie sich physikalische Schwingungen in Gefühle verwandeln – und wie die rätselhafteste aller Künste einst entstanden ist. Machte erst die Musik den Menschen zum sozialen Wesen?

    Von Philip Bethge, SPIEGEL 31/2003

    Johann Sebastian Bach wird überdauern. Selbst wenn ewiges Eis die Erde unter sich begraben sollte oder die Sonne ihren Planeten verbrennt – dem C-Dur-Präludium aus dem zweiten Teil des “Wohltemperierten Klaviers” des Meisters wird all das nichts anhaben.

    Das Musikstück wird auch nach dem Ende des Planeten Erde noch an Bord der “Voyager”-Raumsonden auf der Reise zu fernen Welten sein. Gepresst auf eine vergoldete Kupfer-Schallplatte, entfernt es sich derzeit minütlich um gut tausend Kilometer von der Erde.

    Außer der Bach-Komposition finden sich 26 weitere Musikstücke sowie Grußworte in 55 Sprachen auf dem Tonträger, der im All Jahrmilliarden überdauern soll. Sogar einen Alu-Plattenspieler samt Gebrauchsanweisung hat die Raumsonde im Gepäck – vorgesehene Laufgeschwindigkeit: 16 2/3 Umdrehungen pro Minute.

    Die musikalische Botschaft soll fernen Zivilisationen vom menschlichen Genius künden. Musik, so scheint die Übereinkunft, gehört zur Essenz intelligenten Lebens, zu jenen Dingen, die das Menschsein erst ausmachen.

    Was aber sollte ein außerirdischer Empfänger eigentlich mit der akustischen Botschaft anfangen? Die Abbildungen vom Planeten Erde und dem Menschen – auch sie an Bord der Voyager-Sonden – erlauben ihm, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie die Absender der geheimnisvollen Botschaft aussehen und woher sie stammen.

    Auch Worten und mathematischen Formeln lässt sich ein Sinn entlocken, wenn erst einmal der dazu notwendige Code geknackt ist. Aber einem Präludium? Muss es nicht jedem Nicht-Menschen nur als Krach erscheinen?

    Musik ist die wohl merkwürdigste Kunstgattung, die der Mensch je hervorgebracht hat. Anders als Malerei, Poesie oder Bildhauerei stellt sie die Welt nicht dar. Ein Akkord bedeutet nichts, eine Melodie hat keinen Sinn.

    In ihrem Kern ist Musik reine Mathematik – berechenbare Luftschwingungen, deren Frequenzen sich nach physikalischen Regeln überlagern. Und doch geschieht eine Art Wunder: Mathematik verwandelt sich in Gefühl.

    Musik kann zutiefst berühren. Kaum ein Mensch ist immun gegen ihre Magie. So sinnentleert die Aneinanderreihung von Tönen scheint, keine Kultur mag darauf verzichten. Ob die Gamelan-Musik Indonesiens, die doppeltönigen Kehlgesänge der Nomaden im sibirischen Tuva oder der wundermächtige Sopran einer Maria Callas: Musik bewegt, provoziert, entzückt.

    Doch wie ist das möglich? Warum fährt ein forscher Rhythmus dem Mensch in alle Glieder? Wieso weckt der eine Akkord Wehmut und Sehnsucht, der andere hingegen Triumphgefühle? Wozu dient das ganze Flöten, Trommeln und Tirilieren?

    Und schließlich: Was genau ist Musik eigentlich? Weshalb besteht der überraschende Zusammenhang zwischen Zahlen und Klängen? Und wann und warum hat der Mensch damit begonnen zu musizieren?

    Mit den Methoden der modernen Wissenschaften gehen Psychologen, Hirnforscher, Mathematiker und Musikwissenschaftler dem Phänomen nun auf den Grund. Musik, so zeigt sich dabei, ist weit mehr als zweckfreier Müßiggang. Immer deutlicher offenbaren die Befunde, wie eng sie mit dem Wesen des Menschen und seiner Lebenswelt verbunden ist:

    * Musik ist Kultur gewordene Natur. Der Klang eines hohlen Baumstammes, das Pfeifen des Windes, selbst das Geräusch, das ein fallender Stein verursacht, legen die Grundlagen dafür, wie der Mensch Musik wahrnimmt und interpretiert.

    * Melodien und Rhythmen wirken auf genau jene Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Trauer, Freude und Sehnsucht zuständig sind; Musik, so zeigt sich damit, öffnet das Tor in die Welt der Gefühle.

    * Schon sehr früh ist das menschliche Gehirn auf Musikalität programmiert; selbst wenige Monate alte Babys können bereits harmonische von dissonanter Musik unterscheiden.

    * Die Wurzeln der Musik reichen bis ins Tierreich zurück; noch ehe der Mensch das erste Wort sprach, war vermutlich Musik die archetypische Ausdrucksform menschlicher Kultur.

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    Seit je rätseln die Denker über die herausragende und intensive Wirkung der Tonkunst. Der Philosoph Immanuel Kant sah sie als Natursprache der Empfindungen. Friedrich Schiller stellte den Musiker als “Seelenmaler” dem Dichter zur Seite. Die ersten Versuche, das Phänomen wissenschaftlich zu erfassen, unternahmen bereits die Griechen.

    Seiner Zeit weit voraus, beschrieb der Philosoph Pythagoras um 500 vor Christus als Erster den verblüffenden Zusammenhang zwischen Mathematik und Musik. Mit Hilfe eines so genannten Monochords – einer Art Gitarre mit nur einer einzigen Saite – untersuchte der Denker die Geheimnisse der Tonkunst. Er erkannte, dass sich die grundlegenden Musikintervalle durch einfache Zahlenverhältnisse beschreiben lassen.

    Mit einem verschiebbaren Steg teilte Pythagoras die Saite des Monochords beispielsweise im Verhältnis eins zu zwei. Die beiden Saitenabschnitte erklangen fortan im Abstand von genau einer Oktave, dem Grundintervall jeder Musik. Der sein Leben lang nach mathematischer Perfektion forschende Grieche war über die Entdeckungen wohl entzückt: Zu gut passte sie in sein mechanistisches Weltbild, dem zufolge das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei.

    Noch weitere grundlegende musikalische Intervalle konnte Pythagoras mit Hilfe des Monochords erzeugen. So entwickelte er schließlich die erste Tonleiter der Weltgeschichte, die bis heute mit leichten Veränderungen in der westlichen Welt Bestand hat.

    Erst im 17. Jahrhundert jedoch – längst waren Notensystem, Mehrstimmigkeit und Harmonik erfunden – gelang es dem französischen Mönch und Mathematiker Marin Mersenne, den Zahlenspielen des Griechen eine physikalische Erklärung zu geben. Mersenne brachte bis zu 40 Meter lange Saiten zum Klingen und zählte ihre Schwingungen. Das Ergebnis: Tatsächlich schwingt eine Oktave stets exakt doppelt so schnell wie der jeweilige Grundton.

    Denn nichts anderes als Schwingungen sind die Töne – ein ewiges Hin- und Hertanzen kleinster Luftmoleküle, deren Bewegung erst die Qualität dessen bestimmt, was an die Ohren der Welt dringt.

    Wasser rauscht, Steine klackern, Blätter rascheln und Sand knirscht – doch all diese Geräusche sind noch keine Musik. Wie wütend gemachte Bienen sausen die Luftteilchen bei derlei Getöse chaotisch durcheinander. Erst wenn die Luftmoleküle gleichsam in Reih und Glied schwingen, erklingt schließlich ein einzelner Ton (siehe Grafik Seite 138). Natürliche und durch Instrumente erzeugte Töne bestehen dabei meist aus Schwingungen mehrerer Frequenzen, die sich überlagern.

    “Tatsächlich addiert jedes Luftmolekül in einem Konzertsaal die Schwingungen aller Instrumente zu einem einzigen wilden Tanz”, beschreibt der amerikanische Musikwissenschaftler Robert Jourdain den unwirklich komplexen Vorgang*. Diesen Tanz zu erfassen und daraus jede einzelne der ursprünglichen Schwingungen herauszufiltern ist die ungeheure Leistung des menschlichen Gehörsinns. Am Anfang steht ein vergleichsweise ärmlich ausgestattetes Organ: das Ohr. Mit nur etwa 5000 so genannten Haarsinneszellen (zum Vergleich: im Auge sorgen 120 Millionen Fotorezeptorzellen für den richtigen Durchblick) verwandelt es

    die Schallwellen in elektrische Impulse. Über das Trommelfell werden die winzigen Luftdruckschwankungen registriert, über die Gehörknöchelchen verstärkt und auf eine Membran am Anfang des flüssigkeitsgefüllten Innenohrs übertragen.

    Das schneckenförmige Sinnesorgan vollbringt dann die erstaunliche Leistung, den eintreffenden Schall in seine einzelnen Frequenzen aufzuspalten. Tiefe Töne wandern tief in die Hörschnecke hinein und werden dort in Nervenimpulse umgewandelt; hohe Töne dagegen schon am Eingang des Innenohrs. Mit diesem Filter-Mechanismus gelingt es dem Ohr, selbst Töne voneinander zu unterscheiden, die nur ein Zehntel eines Halbtonschrittes auseinander liegen.

    Von nun an besteht das Gehörte nur noch aus Nervenimpulsen, die durchs Hirn rasen – und ist gleichzeitig natürlich viel mehr als das: “Das Ohr überschreitet”, schrieb schon Joachim-Ernst Berendt in seinem Buch “Das dritte Ohr – vom Hören der Welt”: “Dort geht Materielles in Fühlbares, in Hörbares, in Messbares, in Nurnoch-gerade-Erahnbares, in Jenseitiges und Spirituelles und Unendliches über.”

    Genau diese “Transzendierung” (Berendt) reiner Physik in schier unfassbar komplexe Wahrnehmung ist es, die für viele das Faszinosum der Musik ausmacht. “Für mich ist Musik in ihren besten Momenten der Versuch, die Trennung zwischen Menschendasein und Jenseits aufzulösen durch eine Verbindung mit Gott”, formuliert etwa der Komponist Karlheinz Stockhausen. Der Geiger Yehudi Menuhin wiederum hält Gesang gar für “die eigentliche Muttersprache des Menschen”. Doch wie ist das zu erklären?

    Erst in jüngster Zeit haben sich Forscher aufgemacht, über die reine Physik der Musik hinaus die Wurzeln der menschlichen Musikalität zu ergründen. Zu allgegenwärtig erscheinen ihnen Rhythmen und Melodien, zu groß deren emotionale Kraft, als dass sie bloßes Beiwerk des Menschseins sein könnten. “Wenn man etwas hat, das in jeder bekannten Kultur und zu jeder Zeit vorkam, muss man sich fragen, warum das so ist”, sagt etwa Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover.

    Und auch Thomas Geissmann vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich ist überzeugt: “Da Musik auf fast alle Menschen einen überwältigenden, zuweilen hypnotischen Effekt ausübt, müssen wir annehmen, dass es sich hierbei um ein ursprüngliches Merkmal mit starker erblicher Komponente handelt.”

    An zwei Enden nehmen die Experten die Indizienkette auf. Zum einen gehen sie dem Phänomen dort auf den Grund, wo es entsteht: im Gehirn. Vor allem richten sie ihr Interesse auf die noch kaum erforschte Verbindung zwischen Musik und Emotion. Zum anderen blicken sie weiter zurück in der Evolution der Musik als je zuvor. Denn einem fernen Nachhall dessen, was die Ur- und Vormenschen der afrikanischen Steppe einst im Familienrund zu Gehör brachten, lässt sich noch heute lauschen – bei den singenden Affen in den feuchten Wäldern Sumatras, Borneos und Vietnams.

    Gleich viermal unabhängig voneinander – bei den Indris in Madagaskar, den Sulawesi-Koboldmakis in Indonesien, den Springaffen in Mittel- und Südamerikas und den Gibbons in Südostasien – ist bei den Affen Gesang entstanden. Besonders Gibbons verblüffen durch erstaunliche musikalische Darbietungen (zu hören unter www.gibbons. de). “Traurig sind die Gesänge der Gibbons in den drei Schluchten von Patung – nach drei Rufen in der Nacht netzen Tränen das Kleid des Reisenden”, heißt es schon in einem chinesischen Lied aus dem 4. Jahrhundert.

    Zwischen 10 und 30 Minuten können die in Strophen unterteilten Gesänge der Affen andauern, berichtet der Zürcher Zoologe Geissmann, der die Tiere vor Ort mit Mikrofon und Aufnahmegerät belauscht hat. Bei einigen Gibbon-Arten, etwa den indonesischen Siamang, singen Männchen und Weibchen sogar im Duett. “Vom Menschen abgesehen gibt es kein anderes Landwirbeltier, das auf ähnlich komplizierte Weise singt”, sagt Geissmann. Zudem lebten alle Affenarten, die bislang beim Singen erwischt wurden, monogam, also wie der Mensch in Einehe.

    Der Forscher ist sich sicher: Paarbindung, aber auch Revierverteidigung und Gruppenzusammenhalt sind die Gründe für das Affenkonzert.

    Als Vorläufer äffischer Tonlust hat Geissmann so genannte loud calls ausgemacht: laute Rufe, wie sie etwa Schimpansen ausstoßen. Gleich mehrmals habe sich bei Primaten aus den loud calls Gesang entwickelt: “Es sollte mich doch sehr wundern, wenn sich die Musik des Menschen nicht auch aus solchen Rufen herleitet.”

    Tatsächlich fällt es Wissenschaftlern nicht schwer, auch beim Menschen Indizien für implizite Musikalität aufzuspüren. Besonders Kleinkinder sind dabei begehrte Versuchsobjekte, weil ihre Reaktion auf Klänge nur wenig von kulturellen Einflüssen überformt ist.

    Im Labor der kanadischen Psychologin Sandra Trehub beispielsweise ist alles auf die kleinen Probanden eingestellt. Teletubbies und Spielzeugautos liegen herum. An der Decke hängen Mobiles. An den Wänden kleben bunte Poster.

    Trehub sucht im Gehirn von Kindern nach den neuronalen Wurzeln der Musik. Das Prinzip der Versuche ist denkbar einfach: Über einen Lautsprecher spielt die Forscherin Babys Melodien vor, die auf einer bestimmten Tonart basieren. In unregelmäßigen Abständen jedoch sind einzelne schiefe Töne in die Melodie eingeflochten. Das Verblüffende: Die Kleinen merken die Dissonanz. Jedes Mal, wenn ein unpassender Ton kommt, halten sie inne und drehen ihren Kopf zum Lautsprecher.

    Schon sechsmonatige Kinder reagieren auf diese Weise auf Musik, hat Trehub herausgefunden. Andere Forscher verlegen den Beginn der Musikalität sogar noch weiter nach vorn. Ab dem zweiten Lebensmonat nehmen Babys demnach bereits Rhythmuswechsel wahr. Ja, selbst Ungeborene sind schon empfänglich für musikalische Reize.

    Bis ins Erwachsenenalter reagiert der Mensch höchst empfindlich auf Musik – auch dann, wenn er dies selbst gar nicht merkt. Das wies der Leipziger Psychologe Stefan Kölsch nach, als er Versuchspersonen, die sich selbst als unmusikalisch bezeichneten, Akkordfolgen vorspielte. Wie bei Trehubs Experimenten hatte Kölsch unpassende Akkorde in seine Klangfolgen gemogelt. Profi-Musiker sind darauf geschult, solche Misstöne zu erkennen. Die Laien in Kölschs Experiment jedoch bestritten vor Beginn des Versuchs, derlei Nuancen wahrnehmen zu können.

    Ganz anders war Kölschs Befund: Er belauschte die Gehirnströme seiner Probanden mit Hilfe einer Art verkabelter Badekappe. Das entstehende Elektroenzephalogramm (EEG) gibt Aufschluss darüber, welche Hirnregionen jeweils aktiv sind. Binnen wenigen Millisekunden, so konnte Kölsch auf diese Weise nachweisen, reagierte das Hirn seiner Versuchspersonen auf die schrägen Töne. Das Fazit des Forschers: “Auch so genannte Nichtmusiker sind hoch sensibel für kleinste musikalische Variationen.”

    Kölschs und Trehubs Experimente zeigen, dass Menschen Musik offenbar schon sehr früh und sehr universell verstehen. Die Frage indes, ob dieses Verständnis genetisch bedingt oder kulturell geprägt ist, beantworten sie nicht. Genau das aber ist der zentrale Punkt, wenn es um die evolutionäre Bedeutung der Musik geht: Ist sie letztlich nur ein Kulturprodukt? Oder hat die Natur dem Homo sapiens die Harmonielehre gleichsam ins Erbgut diktiert?

    Experimentell ist die Frage kaum zu beantworten, denn dazu wären Probanden nötig, die bisher fern aller Musik gelebt haben. Und die gibt es praktisch nicht. Denn nie war so viel Musik wie heute. Im Auto, in der Küche, am Arbeitsplatz: Überall dudelt das Radio. Kein Supermarkt, keine Bahnhofshalle und kein Wartesaal kommt ohne Beschallung aus. Derart dauerberieselt könnten selbst Ungeborene unbewusst die Gesetze der Harmonie erlernen, argumentieren manche Forscher.

    Sicher allerdings ist, dass zunehmend die Grenzen der Musikkulturen verschwimmen. Längst ist der Pop zum transkulturellen Experimentierfeld geworden. Der Stand der Globalisierung ist nirgends besser zu erkennen als am Grad der Vermengung von Stilen. Da dröhnt Robbie Williams noch im entlegensten Dorf Papua-Neuguineas aus dem Radio. Gleichzeitig werden in London Dancefloor-Rhythmen mit Sitars unterlegt. Heißt das, dass Musik von allen Menschen ähnlich verstanden wird?

    “Oberflächlich betrachtet könnte man diesen Eindruck gewinnen”, sagt die Berliner Musikwissenschaftlerin Susanne Binas vom Forschungszentrum Populäre Musik. Wer jedoch genauer nachforsche, stelle rasch fest, dass derselbe Hit keinesfalls überall gleich wahrgenommen werde: “Musik funktioniert wie Seifenopern – je nach lokalem Hintergrund wird sie umgedeutet und kann deshalb sehr verschieden gehört werden.”

    Tatsächlich ist Musik so vielfältig und alt, dass es schwierig erscheint, aus der Vielzahl der Stile und Traditionen eine Art Quintessenz zu ziehen.

    Schon die Ägypter bliesen mit dicken Backen Trompete und Doppelrohrblattpfeife; die Sumerer zupften vor mehr als 5000 Jahren Harfe und Leier. Selbst in der Steinzeit scharten sich die Menschen schon zur Musik ums Lagerfeuer. So fanden Tübinger Forscher 1973 im Geißenklösterle, einer Höhle nahe Blaubeuren, eine Flöte aus Schwanenknochen. Das Instrument weist drei Grifflöcher auf, sein Alter wird auf 35 000 Jahre geschätzt (siehe Grafik Seite 132).

    Rhythmische Strukturen werden in verschiedenen Erdteilen unterschiedlich interpretiert. Auch Tonleitern sind im Laufe der Menschheitsgeschichte gleich mehrfach entwickelt worden. So kennt etwa die indonesische Musik nur zwischen fünf und sieben Stufen in der Oktave. Die indische Musiktheorie teilt sie in 22 gleiche Intervalle ein, während das hiesige System mit 12 Halbtönen auskommt.

    Und nicht einmal die Wirkung von Dur und Moll ist universell. Die Griechen etwa unterschieden in ihrer ausgefeilten Musiktheorie noch sieben verschiedene Tonleitern, denen sie bestimmte Wirkungen auf den Menschen zuordneten. Erst ab dem 16. Jahrhundert verarmte die Vielfalt zum heute in der westlichen Welt gängigen Dur-Moll-System.

    Verdankt die Musik ihre Wirkung also doch nur einer kulturellen Konvention? Keineswegs: Zwar sind all ihre Spielarten Ergebnis lokaler Tradition, aber ihr innerster Gehalt ist doch verfasst in einer universellen Sprache. Den Rahmen stecken dabei die Physiologie und die Physik des Schalls. So unterschiedlich die Tonsysteme der Welt auch sein mögen – jedes von ihnen kennt zum Beispiel Grundtöne, die dem Hörer Orientierung verschaffen, und jede Melodie kehrt immer wieder zu dem gewählten Grundton zurück.

    Stets gründen Tonsysteme zudem darauf, dass Töne im Abstand einer Oktave (also exakt doppelter Frequenz) als wesensverwandt empfunden werden. “Die Oktavgleichheit ist das einzige universell gültige harmonische Prinzip”, sagt der Musikforscher Jourdain: “Sänger glauben sogar manchmal, den gleichen Ton zu singen, obwohl sie in Wirklichkeit eine Oktave auseinander sind.”

    Gerade wenn Männer und Frauen eine Melodie zusammen singen – die Männer eine Oktave tiefer als die Frauen -, ist dieses Phänomen offensichtlich und wird doch gleichzeitig als vollkommen natürlich wahrgenommen.

    Und das ist kein Zufall. Denn tatsächlich kommt die Oktave schon in der Natur vor. Sie und mit ihr viele andere Elemente von Melodie und Harmonie haben ihre Wurzeln in den von schwingenden Gegenständen hervorgerufenen Klängen. Ob Baumstamm, Stein oder Trommel – immer besteht der Klang keinesfalls nur aus einem Ton, sondern aus vielen verschiedenen, die erst zusammen die Klangfarbe ausmachen.

    Über dem vor allem wahrgenommenen Ton erklingen im Hintergrund so genannte Obertöne. Sie sind sehr leise, werden im Gehirn jedoch mit verarbeitet und bestimmen den Gesamteindruck von Musik wesentlich mit. Das Frappierende: Zu diesen in der Natur allgegenwärtigen Obertönen zählen eben genau die Oktaven – aber beispielsweise auch der Dur-Dreiklang, der gerade im westlichen Tonsystem eine herausragende Bedeutung hat.

    Die natürlichen Obertöne sind es auch, die Musik schön, aber auch scheußlich klingen lassen. Ob sich bei einem Konzert vor Grauen die Nackenhaare sträuben oder ob wohlige Schauer den Rücken hinunterlaufen, hängt maßgeblich davon ab, welche Obertöne der Klang enthält.

    Liegen viele von ihnen zu nah beieinander – so der Fall etwa beim Zusammenklang von zwei Tönen, die nur einen Halbton voneinander abweichen – schlägt das Ohr Alarm, die Harmonie geht flöten.

    Sinnesforscher haben inzwischen die Erklärung dafür gefunden: Weil im Innenohr nah beieinander liegende Frequenzen auch nah nebeneinander liegende Nervenzellen aktivieren, geht gleichsam die Trennschärfe zwischen den Tönen verloren. Die Nervenimpulse überlagern sich gegenseitig. Das Gehirn interpretiert dieses Durcheinander als ein unerträgliches Wimmern.

    “In der Musik ist unglaublich viel durch schwingende Körper und die Physiologie des Gehörs bereits festgelegt”, fasst der Ulmer Psychiater Manfred Spitzer die Erkenntnisse zusammen**. Das Ohr habe sich den “Klängen, die es aus der Natur kennt, angepasst”. Auch die – letztlich willkürliche – Einteilung der Oktave in zwölf jeweils gleich weit voneinander entfernte Halbtöne in der abendländischen Musik sei schlüssig, weil sie den natürlichen Klangerfahrungen so gut wie irgend möglich gerecht werde.

    So wird deutlich, dass sich Musik trotz ihrer Vielfältigkeit in ihren Grundzügen kulturübergreifend stark ähnelt und immer denselben Naturgesetzen folgt. Die universelle Gültigkeit musikalischer Regeln ist damit jedoch noch lange nicht am Ende. Denn was die Forscher vor allem von der Ursprünglichkeit der Musik überzeugt, ist ihre emotionale Kraft.

    Wo immer Musik auch gespielt wurde und wird: Immer schon war sie das, was Leo Tolstoi als “Kurzschrift des Gefühls” bezeichnete. “Nachdem ich Chopin gespielt habe, fühle ich mich, als hätte ich über Sünden geweint, die ich nie begangen habe, und über Tragödien getrauert, die nicht die meinen sind”, bekannte Oscar Wilde. Thomas Mann wiederum verzückte eine einzige Note am Ende von Beethovens Klaviersonate Nummer 32 in c-Moll Opus 111.

    Eine kleine Variation des Motivs nur, “vor dem d ein cis”, bringt in seinem Roman “Doktor Faustus” den Organisten Wendell Kretzschmar ins Schwärmen: Die “rührendste, tröstlichste, wehmütig versöhnlichste Handlung von der Welt” sei dieses cis, “wie ein schmerzlich liebevolles Streichen über das Haar”. Mit “überwältigender Vermenschlichung” lege dieser eine Ton das Stück dem Hörer zum “ewigen Abschied so sanft ans Herz, dass ihm die Augen übergehen”.

    Es scheint vermessen, sich solchen zutiefst persönlichen Erfahrungen mit den Mitteln nüchterner Wissenschaft zu nähern. Und doch hat der britische Psychologe John Sloboda genau das versucht. Er hat seine Probanden nach ihren Gefühlen beim Hören von Musik befragt. 80 Prozent gaben an, dass bestimmte Stücke bei ihnen körperliche Reaktionen auslösen. Lachen und Weinen wurden ebenso genannt wie Gänsehaut, Herzklopfen oder Kloßgefühl in der Kehle.

    Die Erfahrungen der verschiedenen Hörer stimmten dabei verblüffend gut überein. Bachs h-Moll-Messe, so fand Sloboda beispielsweise heraus, rührt stets beim “Dona nobis pacem” in Takt 40 bis 42 zu Tränen. Der Anfang von Elfmans “Batman Theme” jagt Schauer über den Rücken. Bei Beethovens Klavierkonzert Nummer 4 in G-Dur drückt in Takt 191 des dritten Satzes der Magen.

    Zu den Auslösern der unvermittelten Gefühls-

    wallungen gehören plötzliche Lautstärkewechsel, unerwartete Harmonien oder Melodien, die gleichsam von Ferne durch den Teppich der Begleitung dringen. Auch eine einsetzende Singstimme, eine Verzögerung der Schlusskadenz oder synkopische Rhythmen können im Organismus Gefühle wecken. “Gänsehaut-Faktoren” nennt Eckart Altenmüller derlei musikalische Elemente, die Komponisten zu allen Zeiten zu nutzen wussten.

    Rachmaninows zweites Klavierkonzert dient als Trostpflaster bei Liebeskummer. Mozarts g-Moll-Sinfonie löst freudig-banges Herzzittern aus. Bei Bach wiederum ist es die für die meisten Hörer gleichsam immanente Erhabenheit der Musik, die fasziniert – ein Umstand, der oftmals als Resultat einer Art genialer mathematischer Ordnung im Werk des Meisters interpretiert wird. Doch eine solche versteckte Zahlensymbolik zu finden, haben sich ganze Generationen von Musiktheoretikern weitgehend erfolglos bemüht. Zwar setzt etwa im Choralvorspiel “Dies sind die heiligen zehn Gebot” das Fugenthema zehnmal ein, im “Herr, bin ich”s” der Matthäus-Passion erklingt das Wort “Herr” elfmal – entsprechend der Anzahl der Jünger.

    Doch darüber hinaus ist Bachs angebliche Zahlensymbolik keinesfalls bewiesen und verkommt oftmals zum reinen Abzählspiel. Ob beispielsweise die Menge der Basso-continuo-Töne eines Arioso in der Matthäus-Passion auf einen alttestamentlichen Psalm verweisen soll, dessen Worte die entsprechende Evangelistenpassage kommentieren, erscheint vielen Musikwissenschaftlern heute als fragwürdig.

    Dennoch spielt die Mathematik in der Musik schon deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie sich zwangsläufig im Rhythmus wiederfindet, der jedes Lied vorwärts treibt. Im Marsch wird das starre Korsett des Viervierteltakts besonders deutlich. Mit der Präzision eines Uhrwerks drehen sich die Derwische im Tanz. Der Walzer ist deshalb so schwungvoll, weil ihn sein Dreiertakt mit Macht vorwärts treibt.

    Besonders ergreifend wird Musik jedoch gerade dann, wenn sie mathematisch unscharf wird und sich gleichsam gegen einen allzu starren Rhythmus auflehnt. Ein faszinierendes Beispiel hierfür liefert der Swing: Swing ist das Herz des Jazz. Er erst erweckt Jazzmusik zum Leben und macht den Unterschied zwischen solcher Musik, die einen kalt lässt, und solcher, bei der jeder Fuß mitschwingen muss.

    Doch wann swingt Musik? Die Grundstruktur des Swing-Rhythmus besteht darin, die Achtelnoten der Musik abwechselnd lang und kurz zu spielen. In Schlagzeugschulen taucht deshalb vielfach die Anweisung auf, die erste von jeweils zwei Noten doppelt so lang zu spielen wie die zweite. Doch diese exakte Regel funktioniert in Wahrheit nicht. “Wenn man das wörtlich nimmt, lernt man nie zu swingen”, sagt der schwedische Physiker Anders Friberg.

    Friberg hat das Spiel berühmter Jazz-Schlagzeuger wie Tony Williams, der mit Miles Davis zusammenspielte, oder Jack DeJohnette, Mitglied des Keith-Jarrett-Trios, analysiert. Das Ergebnis: Je nach Tempo spielen die Profis den Swing vollkommen unterschiedlich. Ist er langsam, verlängert sich beispielsweise auch die erste der jeweils zwei Achtelnoten unverhältnismäßig stark.

    Neben den Schlagzeugern verletzen auch die Jazz-Solisten systematisch den Grundrhythmus. Gute Musiker verkürzten die eine Note, verzögerten die andere und akzentuierten die dritte, berichtet Friberg. Beim Jazz ist dieses Phänomen extrem – und erst dadurch entfaltet diese Musikrichtung ihre emotionale Wirkung.

    Friberg hat seine Erkenntnisse inzwischen in komplizierte mathematische Algorithmen übersetzt. Sogar nervig-piepsigen Handy-Klingeltönen kann der Physiker damit erstaunliches Leben einhauchen – sie wirken viel lebendiger, nicht mehr so automatenhaft.

    Viele Komponisten verstanden und verstehen es zudem meisterhaft, mit der Spannung zwischen Wohlklang und Dissonanz zu spielen und damit die Gefühle der Zuhörer zu beeinflussen. Dem Franzosen Claude Debussy etwa kam dabei der Zufall zu Hilfe. Auf der Weltausstellung in Paris von 1889 lernte der Musiker den Klang javanischer Musikinstrumente kennen. Die gewöhnungsbedürftige Harmonik eines auf der Ausstellung gezeigten Gamelan – bestehend aus metallenen Gongs und Xylofonen – faszinierte den Künstler so sehr, dass er fortan mit der sechsstufigen Ganztonleiter experimentierte. Damit schuf Debussy Harmonien, die sich radikal von denen Bachs, Beethovens oder Brahms” unterschieden.

    Auf die Spitze trieb den Verzicht auf jegliche Harmonik schließlich in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts der österreichische Komponist Arnold Schönberg mit seinem Zwölftonsystem. Sein Ziel war unter anderem der völlige Verzicht auf den Grundton. Kein Ton der Tonleiter sollte in der Zwölftonmusik öfter vorkommen als ein anderer. Oktaven waren bei ihm verpönt. Klänge mit besonderem Charakter vermied er wo immer möglich.

    Schönberg wollte die traditionelle Harmonik ersetzen, um die Musik weiterzuentwickeln – und löste doch nur unverständiges Stirnrunzeln aus. “Sie bedienen sich der gleichen Tricks wie die schauerlich-schöne Achterbahn auf Jahrmärkten und Vergnügungsparks, in denen die vergnügungssüchtigen Besucher so durchgeschüttelt werden, dass sich sogar bei einem unbeteiligten Zuschauer das Innerste brezelartig verdreht”, spottete etwa der deutsche Komponist Paul Hindemith über die Zwölftöner. Hindemith glaubte nicht daran, dass das Publikum sein kulturell tief verwurzeltes System musikalischer Erwartungen ohne weiteres abwerfen könne.

    Und tatsächlich scheint die Biologie gegen die Zwölftonmusik zu sprechen – zumindest dagegen, dass sie tatsächlich gefallen könnte. Zwar lauscht das Konzertpublikum ergeben der Musik Schönbergs und seiner Nachfolger. Genießen kann es die Töne jedoch kaum. “Obwohl allerhand interessante Dinge in dieser Musik zu finden sind, klingt sie für die meisten Menschen einfach nicht harmonisch, sie tut direkt weh”, sagt der Musikforscher Jourdain.

    Musik kann buchstäblich Schmerzen verursachen. Auf der anderen Seite treibt sie zur Ekstase – und zwar tatsächlich abhängig davon, welche harmonischen oder musikalischen Tricks, welches Handwerkszeug der Komponist benutzt. Heute ist es vor allem die Filmmusik, die sich dieser Mechanismen meisterhaft bedient – und dies, obwohl gerade im Kino die Musik kaum bewusst wahrgenommen wird.

    “Ein Film ohne Musik kann meistens keine Gefühle transportieren”, ist der deutsche Hollywood-Starkomponist Hans Zimmer überzeugt (siehe Gespräch Seite 142). Schon das unbewusste Hören macht die Kampfszenen in “Gladiator” so richtig dramatisch und “Hannibal” Lecters Treiben zum echten Schocker.

    So wie ein Lichtstrahl die Augen und ein Geräusch die Ohren anspricht, so scheint ein Akkord den Gefühlssinn des Menschen zu reizen – und ebendiese Tatsache ist es, die Forscher immer mehr von der archaischen Kraft der Musik überzeugt. Unterstützt werden sie von Hirnforschern, die untersuchen, wie jene unmittelbaren reflexhaften Gefühlsreaktionen verschaltet sind.

    Rätselhaftes und Faszinierendes hat die Wissenschaft inzwischen darüber zusammengetragen, auf welche Weise Musik in

    der grauen Masse wirkt. Wie etwa ist die Begabung des blinden Autisten Tony DeBlois zu erklären, der, obwohl geistig behindert, achttausend Klavierstücke beherrscht und als Jazzmusiker reüssiert? Was ist vom Schicksal des russischen Komponisten Vissarion Shebalin zu halten, der, obwohl durch einen Schlaganfall der Sprachfertigkeit beraubt, noch seine fünfte Symphonie komponierte?

    Gerade neurologische Schäden sind für Hirnforscher wie Musikologen ein Quell der Inspiration. So untersuchte etwa Isabelle Peretz von der University of Montreal in Kanada Menschen, die durch Hirnblutungen plötzlich vollständig ihre Fähigkeit verloren, Musik zu begreifen. Zwar konnten die Patienten noch normal sprechen und auch Geräusche wie Hundegebell wahrnehmen. Einst vertraute Lieder jedoch waren aus ihrem Gedächtnis getilgt. “Für diese Patienten gleicht Musik einer Fremdsprache”, sagt Peretz. Als Ursache vermutet die Forscherin eine Störung in der primären Hörrinde, gleichsam der Schaltzentrale des Hörens.

    Mit Erstaunen beobachten die Forscher auch, wie sich ganze Strukturen im Gehirn verändern, wenn es dauerhaft und intensiv mit Musik konfrontiert wird. So ist bei Profimusikern beispielsweise das Corpus callosum um bis zu 15 Prozent dicker – jenes Faserbündel, das die beiden Hirnhälften miteinander verbindet. Auch enthält ihre Hörrinde 130 Prozent mehr graue Masse als die von Nichtmusikern. Bei Menschen mit absolutem Gehör – sie können ohne Vergleichston eine bestimmte Tonhöhe identifizieren – ist eine bestimmte Gehirnwindung im linken Schläfenlappen vergrößert.

    Inzwischen wissen die Forscher, dass die linke Hirnhälfte – in ihr wird auch Sprache verarbeitet – eher für Rhythmen, die rechte dagegen für Klangfarben und Tonhöhen verantwortlich ist. Weiter vorn liegende Hirnregionen schließlich sind für kulturell bedingte musikalische Vorlieben od er Assoziationen zuständig (siehe Grafik Seite 135).

    Vor allem aber gelang es in jüngster Zeit, die Schaltzentrale der durch Musik ausgelösten Gefühle dingfest zu machen. Der Musikforscher Altenmüller beispielsweise bat Musikstudenten, kurze Rock-, Pop-, Jazz- und Klassiksequenzen sowie Umweltgeräusche emotional zu bewerten. Bei als schön empfundenen Klängen regte sich die linke Schläfen- und Stirnregion des Großhirns. Bei unangenehmer Musik feuerten die Neuronen rechts. Das Interessante: Ebendiese Hirnareale werden auch bei Gefühlen aktiv, die durch gänzlich andere Reize ausgelöst sind.

    Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Untersuchung der kanadischen Neurologen Anne Blood und Robert Zatorre. Ihre Probanden wählten solche Musik aus, die ihnen “Schauer den Rücken hinunterschickte”. Mittels Positronenemissionstomografie (PET), die lokale Hirndurchblutungsänderungen erkennt, bildeten die Forscher dann die beim Hören dieser Musik aktiven Hirnareale ab.

    Das Ergebnis: Musik hat tiefgreifende Wirkung auch auf das so genannte limbische System, das auch “Tor zur Emotion” genannt wird. “Schöne Musik aktiviert Zentren im Gehirn, die glücklich machen”, sagt Blood. Es handele sich dabei um dieselben Hirnregionen, die auch beim Essen, beim Sex oder bei Drogenkonsum aktiv würden, so die Forscherin. Gleichzeitig vermindere sich die Aktivität beispielsweise in den so genannten Mandelkernen, die bei Angst aktiviert würden.

    “Musik stimuliert das körpereigene Selbstbelohnungssystem”, bilanziert Altenmüller. Neuronale Strukturen tief in jenen entwicklungsgeschichtlich alten Regionen des Gehirns würden aktiviert, die direkt für Emotionen verantwortlich seien. Selbst bei verschlossenen, apathischen, autistischen oder geistig behinderten Menschen riefen Klänge häufig emotionale Reaktionen hervor. Altenmüller: “Musik hat sehr wahrscheinlich eine uralte und wichtige Funktion für den Menschen.”

    Was also hat den Menschen zum Homo musicus gemacht? Ist das Wiegenlied Ursprung aller Musik, wie sich aus Sandra Trehubs Experimenten folgern ließe? Hat Musik etwas mit Revierverteidigung oder Paarbindung zu tun, wie es die Gesänge der Gibbons im indonesischen Regenwald nahe legen? Oder sollte auch bei der Musik der unter Evolutionsbiologen so oft bemühte Sex die treibende Kraft sein?

    Schon Darwin zog die Parallele zum Gesang der Vögel. Vormenschliche Männer und Frauen, noch nicht mit der Poesie der Sprache gesegnet, hätten sich möglicherweise “mit Noten und Rhythmen umworben”, vermutete er 1871 in “The Descent of Man”. Auch der Psychiater Manfred Spitzer hält Musik für eine Folge der so genannten sexuellen Selektion – und erklärt die Entstehung des menschlichen Genius gleich mit. Der Mensch habe auch deshalb ein immer größeres Gehirn entwickelt, weil er mit dessen Leistungsfähigkeit – ausgedrückt durch Musik – das weibliche Geschlecht beeindrucken konnte. Musik sei also eine Art Fitness-Indikator des Mannes, vergleichbar etwa mit dem Rad des Pfaus.

    Diese Theorie jedoch hat eine offensichtliche Schwäche: “Die rein männliche Besetzung der Wiener Philharmonie einmal ausgenommen, gibt es keine Anzeichen, dass Männer musikalischer sind als Frauen”, spottet der US-Musikforscher David Huron von der Ohio State University.

    Für viel wahrscheinlicher hält Huron, dass Musik einst entstand, weil sie den Zusammenhalt von Gruppen förderte. “Menschen sind extrem auf soziale Beziehungen angewiesen”, sagt der Forscher. Nur weil sie gemeinsam handelten, konnten die frühen Jäger-Sammler-Trupps bestehen.

    Als Beispiel führt Huron die brasilianischen Mekranoti-Indianer an, die bis heute am Amazonas als Jäger und Sammler leben. Musik, berichtet Huron, spielte eine zentrale Rolle im Alltag dieses Stammes. Für mehrere Monate im Jahr machen es sich die Mekranoti-Frauen jeden Morgen und Abend auf Bananenblättern bequem und singen für ein bis zwei Stunden. Die Männer kriechen sogar schon um halb fünf Uhr morgens aus ihren Hütten und stimmen mit tiefem Bass ihre Gesänge an.

    “Die Männer singen, um sich als Gruppe zu definieren und den Nachbarn mitzuteilen, dass sie wach und aufmerksam sind”, sagt Huron. Der frühe Morgen sei die beste Zeit zum Angriff. Mit dem Gesang signalisierten die Mekranoti ihre Verteidigungsbereitschaft und Geschlossenheit.

    Auch der japanische Evolutionsforscher Hajime Fukui glaubt an die Theorie von der Musik als sozialem Kitt. Denn je mehr die Urmensch-Gruppen anwuchsen, desto wichtiger wurde es, soziale und sexuelle Spannungen zu schlichten. “Möglicherweise”, meint Fukui, “war da Musik die Lösung.”

    Gemeinsames Musizieren senkt bei Männern die Konzentration des Aggressionshormons Testosteron und bei beiden Geschlechtern die Ausschüttung des Stresshormons Cortison. Die Produktion des Hormons Oxytocin dagegen, das soziale Bindungen fördert und beispielsweise auch die Mutter-Kind-Bindung verstärkt, wird durch Musik erhöht. “Nationalhymnen, Arbeitslieder, Partymusik und Kriegsgesänge haben alle denselben Effekt”, sagt Fukui, “sie reduzieren Angst und Spannung und erhöhen die Solidarität.”

    In allen Zeiten wirkte Musik auf diese Weise. Zusammen zu singen und zu tanzen, selbst nur gemeinsam Musik zu hören schweißt Menschen zu Stämmen, zu Dörfern und zu Nationen zusammen. Zur Musik ziehen Menschen in den Krieg und begraben ihre Toten. Menschen singen, wenn sie sich Mut machen wollen und wenn sie trauern. Musik erklingt bei Triumphzügen, Hochzeiten und in Fußballstadien.

    Bis zum heutigen Tag definieren sich viele Gruppen durch ihre Musik. Der Pop-Olymp ist voller Identifikationsfiguren für ganze Jugendkulturen. Da gibt es die unsterblichen Woodstock-Propheten Jimi Hendrix und Janis Joplin, die die Flower-Power-Generation mit ihren Liedern vereinte. Die rechtsradikale Szene trifft sich heute auf “Glatzenkonzerten” bei Bands mit so geschmacklosen Namen wie “Oithanasie” oder “Zillertaler Türkenjäger”. Die Techno-Nomaden verausgaben sich zu wummernden Beats auf der alljährlich wiederkehrenden Love Parade. Für Teenies dagegen sind Pop-Sternchen wie Britney Spears oder der Böse-Mädchen-Verschnitt Avril Lavigne sinnstiftend.

    Von jeher haben Priester wie Politiker die enorme Wirkung von Musik erkannt. “Musik ist eine Hure”, bemerkte schon Ernst Bloch. Elias Canetti philosophierte über das Phänomen des Rhythmus, der einer formierten Masse den Eindruck von Größe, Ganzheit und Stabilität suggeriert.

    Das abstoßendste Beispiel dafür lieferten die Nationalsozialisten. Als Hitler 1933 an die Macht kam, kontrollierte binnen kurzer Zeit Joseph Goebbels mit seinem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda das gesamte kulturelle Leben. Auch die Musik wurde zensiert und von der Politik instrumentalisiert. Jazz und Blues wurden als “entartet” verboten. Um Richard Wagner dagegen entstand ein mythischer Kult. In Beethoven feierte man das “Nordische”.

    Auch andere Mächtige nutzten und nutzen die Macht der Musik. Zum Fall der Berliner Mauer etwa brummelte sich die ganze deutsche Polit-Prominenz durch die Nationalhymne. Auch das Trauma des 11. September versuchten die Regierenden spontan musikalisch zu lindern: Am Abend des Terrorakts sangen die versammelten Kongress-Abgeordneten auf der Treppe vor dem Ostflügel des Kapitols “God bless America”. Mit einem einzigen Lied gaben sie einer ganzen Nation Trost.

    Oder die Kirche: Der Hauptgottesdienst der Katholiken ist ohne den liturgischen Gesang gar nicht denkbar. Erst die “Musica sacra” verleiht der Liturgie ihre heiligende Legitimation. Der Text wird durch die Musik dem normalen Sprechen enthoben und vereint dadurch die Gemeinde im Geiste – eine sinnstiftende Kraft, die sich in der Reformation wiederum gegen Rom richtete: Martin Luthers Kampflied “Ein” feste Burg ist unser Gott” schweißte die Protestanten zusammen und gab ihnen Mut, den Katholiken zu trotzen.

    Diese vereinende Macht der Musik ist es vor allem, die Forscher in ihrer Gruppentheorie der Musikevolution bestätigt. Über den genauen Weg des Menschen zur Musik kann indes nur spekuliert werden.

    Vermutlich spielte dabei das eine wesentliche Rolle, was die Forscher “Gruppensynchronisation” nennen: Alle fangen auf einmal an zu schreien. Doch langsam kommt Ordnung in das Chaos – etwa so, wie Beifall sich irgendwann automatisch zu rhythmischem Klatschen organisiert. Ein einheitlicher Sound aus zahlreichen Kehlen verschreckt den Feind höchst effektiv und gibt dem Einzelnen das Gefühl, Teil einer starken Gruppe zu sein.

    “Wohl organisiertes Rufen ist möglicherweise viel beeindruckender als eine Kakophonie aus vielen Einzelstimmen”, meint etwa Gibbon-Forscher Geissmann. Selbst für die Frage, warum sich das Geschrei schließlich in Klänge wandelte, hat Geissmann eine Theorie parat: Im Vergleich zu Rufen seien Gesänge weit eindrucksvoller, weil sie über längere Zeit und über größere Distanz zu hören seien.

    Aus dieser Art von Mut schürender und Schrecken verbreitender Protomusik, so die Vorstellung der Forscher, entstanden schließlich Musik und Sprache gleichermaßen.

    “Möglicherweise kommunizierten Frühmenschen schon vor der Entstehung der Sprache mittels einfacher Musik”, vermutet Eckart Altenmüller. Der Leipziger Psychologe Kölsch geht noch einen Schritt weiter: “Ohne ein ausgesprochenes Musikverständnis könnten wir gar keine Sprache lernen”, sagt Kölsch.

    Der Forscher verweist auf die so genannte Prosodie, jene Betonung und Rhythmik, die jeder Sprache innewohnt und die emotionale Botschaft des Gesprochenen transportiert. Zudem hat Kölsch in neuen Experimenten entdeckt, dass Musik auch just jenes Zentrum des Gehirns aktiviert, das als eines der wichtigsten Sprachzentren gilt: das so genannte Broca-Areal. Das Verblüffende: Die automatische Verarbeitung von Musikstrukturen läuft dort sogar schneller ab und beginnt in einem jüngeren Lebensalter als bei der Sprache – unabhängig davon, ob die Kinder Musikunterricht hatten oder nicht.

    “Musikalität ist eine uralte menschliche Fähigkeit”, fasst Ian Cross aus Cambridge die Theorien zusammen. Als eine Art “Spielplatz” des Bewusstseins betrachtet der Forscher die Musik. Gerade weil Musik im Kern frei interpretierbar sei, erlaube sie den kreativen Lauf der Gedanken und die Entwicklung von Phantasie, was für die Gehirnentwicklung unerlässlich sei.

    Erst das spielerische Jonglieren mit Tönen habe jenen “Quantensprung” in geistiger Beweglichkeit erlaubt, der dem Vormenschen den Weg aus dem Dschungel bahnte, glaubt der Forscher. “Ohne Musik”, sagt Cross, “wären wir vielleicht niemals zum Menschen geworden.”

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