Warum das vollautonome Auto gar nicht erst entwickelt werden sollte
Ein Kommentar von Philip Bethge, DER SPIEGEL 26/2016
Es könnte bald Autos geben, die unter bestimmten Bedingungen vollautomatisch entscheiden, Fußgänger zu überfahren. Möchten Sie in einem solchen Auto sitzen? Ich nicht.
Das Szenario ist keineswegs so absurd, wie es klingt. Forscher der Universitäten Toulouse und Oregon sowie des Massachusetts Institute of Technology haben jetzt durchgespielt, was geschähe, wenn vollautonome Autos durch die Straßen rollten. Die gute Nachricht: Die Zahl der Unfälle nähme um bis zu 90 Prozent ab. Die schlechte: Bei den verbleibenden 10 Prozent stünde das Auto häufig vor einem entsetzlichen Dilemma. Wie soll es reagieren, wenn fünf Passanten plötzlich auf die Straße stürmen und der Bremsweg nicht reicht? Die Fußgänger überrollen oder gegen die nächste Wand rauschen und die Insassen töten?
Die meisten Menschen, so das Ergebnis der Studie, entscheiden sich dafür, die Passanten zu schonen, und wünschen sich Autos, die im Zweifel die Passagiere opfern. Werden sie dann jedoch gefragt, ob sie ein solches Auto kaufen würden, verneinen sie. Am Ende würden wir, so die Forscher, unsere Moral eben doch über Bord werfen und uns für Gefährte entscheiden, die nicht uns selbst, sondern die Fußgänger töten.
Aber das kann ja nicht die Lösung sein. Auch wenn er den Fortschrittsapologeten und Technikträumern nicht in den Sinn kommen mag – ein gänzlich anderer Ausweg aus dem Dilemma bietet sich an: Wir sollten einfach auf die Vollautomatik verzichten. Sie ist eine Ingenieursfantasie, die die Welt nicht braucht. Wenn halbautonome Wagen uns dabei helfen, die Ödnis der Autobahn zu meistern, ist dagegen nichts zu sagen. Dem Fahrer jedoch noch das letzte Stück seines Weges durch die Stadt oder die Dörfer abnehmen zu wollen produziert Maschinen, die uns das Maß unseres Mitgefühls diktieren.
Die IT- und Autofirmen sollten vom Kontrollwahn ablassen und ihren Intellekt darauf verwenden, neue Verkehrskonzepte jenseits des Individualverkehrs zu entwerfen. Damit wäre der Welt tatsächlich geholfen.