Category: Meinung

  • Rotmilan auf Kollisionskurs

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 47/2014

    Der Ausbau der Windenergie ist für die Vogelwelt kein Grund zum Tirilieren. Die Tiere werden von den gewaltigen Flügeln der Windräder massenhaft zerschreddert. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten hat deshalb schon 2012 eine Neufassung ihres “Helgoländer Papiers” von 2007 vorgelegt, in dem die Experten empfehlen, wie weit Windräder mindestens von den Brutplätzen verschiedener Vogelarten entfernt sein sollten. Halten sich die Windkraftbauer daran, so die Hoffnung, werden weniger Vögel durch die Rotoren getötet. Das Problem: Die Studie liegt bis heute unveröffentlicht bei der zuständigen “Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung” (Lana). Und der Vorwurf wird laut, dass die Lana die Veröffentlichung absichtlich verzögert, weil manche Umweltministerien ihre Windenergie-Ausbaupläne gefährdet sehen. Noch dazu ist den Vogelwarten inzwischen aufgetragen worden, die Ergebnisse zunächst mit dem Bundesverband Windenergie zu diskutieren. Eine staatliche Fachbehörde wird also dazu verdonnert, ihre wissenschaftlichen Empfehlungen vor Veröffentlichung mit einem Lobbyverband zu besprechen. Das ist etwa so, als würde eine Studie zu den Risiken des Rauchens zum Korrekturlesen an die Tabakindustrie geschickt.

    Die Windenergiebranche hat großes Interesse daran, die Vogelwärter zu beeinflussen. So empfehlen die Experten in dem neuen Papier, den Mindestabstand, den Windräder von Rotmilan-Horsten haben sollten, von 1000 auf 1500 Meter zu erhöhen. Für die Anlagenbauer wird es damit mancherorts noch schwieriger, Standorte für Windkraftwerke zu finden. Bei anderen Vogelarten haben die Fachleute die Mindestabstände allerdings gesenkt. Umso unverständlicher ist es, dass die Lana das “Helgoländer Papier” verschleppt.

    Natürlich muss die Windkraft weiter gefördert werden. Doch auch der Artenschutz muss zu seinem Recht kommen. Für den gefährdeten Rotmilan etwa ist Deutschland das wichtigste Brutgebiet. Auch um Planungssicherheit für die Windenergiebranche zu schaffen, sollte deshalb vor einem weiteren Ausbau der Windkraft bundeseinheitlich verbindlich geregelt werden, welchen Platz die Technik der Natur einzuräumen hat. Niemand besitzt dafür eine bessere Expertise als die Vogelschutzwarten.

  • Der Brokkoli gehört uns allen

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 44/2014

    Dürfen Pflanzen und Tiere patentiert werden? In Europa ist das stark eingeschränkt. Patente würden nicht erteilt für “Pflanzensorten oder Tierrassen” sowie “im Wesentlichen biologische” Züchtungsverfahren, heißt es im Europäischen Patentübereinkommen. Doch das Europäische Patentamt (EPA) scheint die Regeln nicht ernst zu nehmen. Etwa 2400 Patente auf Pflanzen und 1400 Patente auf Tiere seien schon erteilt worden, kritisiert die Initiative No Patents on Seeds im Vorfeld einer Anhörung vor der Großen Beschwerdekammer des EPA. Aktuell will sich die Firma Plant Bioscience konventionell gezüchteten Brokkoli als Erfindung schützen lassen, das israelische Landwirtschaftsministerium Tomaten. Und es ist zu befürchten, dass die Patente am Ende bestätigt werden.

    Möglich ist dies, weil die Industrie Übung darin hat, auf geschickte Weise rechtliche Schlupflöcher auszunutzen. Eine bestimmte Apfelsorte mit erhöhtem Vitamingehalt beispielsweise lässt sich in Europa nicht patentieren. Wenn indes in der Patentschrift allgemein von vitaminangereicherten Pflanzen die Rede ist (also nicht von einer einzelnen Sorte), lassen die EPA-Beamten oftmals mit sich reden. Die Patentierung hänge “in vielen Fällen” davon ab, “wie geschickt die Ansprüche formuliert werden”, gibt die Technische Beschwerdekammer im EPA offen zu. Ein Armutszeugnis.

    Dabei ist es brisant, wenn Lebewesen geistiges Eigentum von Firmen werden. Der Zugang zur genetischen Vielfalt muss öffentlich bleiben. Sonst können unabhängige Forscher und Züchter nicht mehr uneingeschränkt nach neuen Sorten fahnden, um die Nahrungsmittelversorgung für eine wachsende Weltbevölkerung sicherzustellen. Sonst geraten Bauern in Abhängigkeiten, die sie sich gerade in Entwicklungsländern nicht leisten können. Natürlich müssen Saatgutfirmen Geld verdienen können mit ihren Innovationen. Doch Patente sind dafür der falsche Weg – vor allem, wenn sie mithilfe juristischer Wortklauberei zustande kommen.

    Die Patentierung von Leben ist eine ethische Grundsatzfrage, die nicht in Hinterzimmern des EPA entschieden werden darf. Nur in einer offenen gesellschaftlichen Diskussion kann geklärt werden, wem die genetische Vielfalt gehört.

  • Lieber naiv

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 42/2014

    Mit großer Gleichgültigkeit nimmt die Welt die Hiobsbotschaften der 12. Biodiversitätskonferenz im südkoreanischen Pyeongchang zur Kenntnis: Die Vernichtung der Vielfalt geht fast ungebremst weiter. Keinesfalls wird es gelingen, wie geplant bis 2020 den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen. Innerhalb von nur 40 Jahren sind die Wirbeltierpopulationen der Erde um die Hälfte geschrumpft, warnt der WWF. Die Versauerung der Ozeane bedroht das gesamte Meeresökosystem. Doch dringlich findet das offenbar niemand. Ein fataler Fehler. Denn der Verlust der Biodiversität ist die einzige wirklich irreversible globale Umweltveränderung. Und ohne Vielfalt stirbt auf lange Sicht auch der Mensch.

    Beispiel Ernährung: China hat jetzt schon 90 Prozent weniger Weizensorten als noch vor 60 Jahren, Indien 90 Prozent weniger Reissorten. Mangelt es jedoch an genetischen Varianten, können Pflanzen Naturkatastrophen oder Krankheiten nicht überstehen. Ganze Landwirtschaftszweige sind zudem bedroht, wenn Käfer, Bienen oder Schmetterlinge fehlen, die mehr als drei Viertel der wichtigsten Nutzpflanzen bestäuben, von Kürbissen über Äpfel bis zum Klee für die Nutztiere. Ob es neue Wirkstoffe für die Medizin sind, Enzyme und Mikroorganismen für die Biotechnologie oder neue Materialien wie etwa Spinnenseide – oft ist Vielfalt der Schlüssel zum Fortschritt. Und intakte Ökosysteme wirken auch als Ganzes. So wie in New York, wo die Catskill Mountains sauberes Trinkwasser bereitstellen. Oder auf den Philippinen, wo nur intakte Mangrovenwälder die Küste vor Tsunamis schützen können. Dabei kommt es auf jede Art an. Denn Ökosysteme sind wie Netze. Sie reißen, wenn zu viele Maschen fehlen.

    Der Zyniker zuckt mit den Schultern. Dann soll sich der Mensch eben ausrotten. Die Natur wird überdauern – in welcher Form auch immer. Ja, auch das ist richtig. Ich will aber kein Zyniker sein. Lieber schlage ich mich auf die Seite der vermeintlich Naiven. Ich will daran glauben, dass wir weitsichtiger, schlauer sind, dass wir noch längst nicht unser Bestes geben. Und ich will noch nicht einmal von der Hoffnung lassen, dass wir die Vielfalt aus einem ganz einfachen Grund erhalten werden: um ihrer selbst willen.

  • Die Qual der Wale

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 38/2014

    Vor einigen Wochen bereiste ich die Ostküste der USA. Auf der Insel Nantucket, einst Hochburg des Walfangs, erfuhr ich im örtlichen Museum, dass die Indianer die Tiere dort vor 400 Jahren mit kleinen Booten noch direkt vom Strand aus jagen konnten – so viele Wale gab es damals im Atlantik. Dann fuhren wir zum Whale-Watching hinaus aufs Meer, und ich erlebte, wie drei Buckelwale nebeneinander unter unserem Schiff hindurchtauchten – ein unvergesslicher, magischer Moment.

    Die Meeressäuger lassen uns nicht kalt. Diese Wesen sind intelligent, leidensfähig und hochgradig sozial. Das oftmals frustrierende Ringen um den Schutz dieser Tiere darf deshalb nicht aufhören – das Engagement der Artenschützer auf der Tagung der “International Whaling Commission” diese Woche in Slowenien ist sogar wichtiger denn je. Island jagt immer mehr bedrohte Finnwale und exportiert das Fleisch nach Japan. Norwegen vermeldet steigende Zahlen getöteter Zwergwale. Die Grönländer jagen weiter und locken “abenteuerlustige Gourmets” auf ihrer Tourismus-Website mit “Mattak”, Walspeck, ins Land. Und Japan will weiter unter dem Deckmantel der Forschung Walfang betreiben. All das untergräbt das kommerzielle Walfangmoratorium und macht wütend.

    Wer etwas dagegen tun will, kauft keinen Fisch mehr von Firmen wie der isländischen HB Grandi, die eng mit dem Walfang verbunden ist. Auch den Besuch von Delfinarien sollten wir uns sparen. Die Delfinschlächter in der Bucht von Taiji in Japan richten in diesem Jahr auch deshalb wieder ein Massaker an, weil sie einige wenige der Tiere für viel Geld an Zoos verkaufen können. Jedes Delfinarium, auch das in Duisburg oder Nürnberg, befördert eine Kultur, die Meeressäuger zu Clowns macht. Das Fangen und Töten von Walen und Delfinen passt nicht mehr in die Zeit. Sie endlich in Ruhe zu lassen würde uns Menschen ehren.

  • Windige Windkraft

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 18/2014

    Dürfen ein paar Wale und Wasservögel die Energiewende behindern? Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) klagt jetzt gegen den Offshore-Windpark Butendiek vor Sylt, weil Bau und Betrieb der Anlage Schweinswale und die extrem scheuen Seetaucher stören könnten. Ein Milliardenprojekt steht auf dem Spiel. Es geht um Haben oder Nichthaben von 288 Megawatt Ökostrom. Und die Naturschützer plagt ein schlechtes Gewissen, weil sie doch eigentlich für den Ausbau der Erneuerbaren sind.

    Dennoch ist die Klage des Nabu vor dem Verwaltungsgericht Köln richtig. Butendiek liegt inmitten von gleich zwei EU-Naturschutzgebieten. Nur weil der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin das Projekt protegierte, wurden dort schon 2002 80 Windräder genehmigt – gegen den Rat des Bundesamts für Naturschutz. Trittins Entscheidung war falsch. Auch die Windparks Dan Tysk, Amrumbank West und Borkum Riffgrund 2, deren Genehmigungen ähnlich windig sind, müssen auf den Prüfstand. Es gibt genügend alternative Offshore-Standorte, an denen kein Schweinswal kalbt und kein Prachttaucher fischt.

    Bereits heute sind in der Nordsee 28 Windparks mit etwa neun Gigawatt Leistung genehmigt. Über 50 weitere Parks sind in Planung. Gleichzeitig deckelt die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes den Windstrom auf 6,5 Gigawatt bis 2020 und auf 15 Gigawatt bis 2030 – Zeit und Spielraum genug, um ökologisch verträgliche Offshore-Standorte auszuwählen. Das Bundesamt für Naturschutz muss die bereits begonnenen Rammarbeiten für Butendiek sofort stoppen. Sonst ist der Umweltschaden angerichtet, bevor über die Nabu-Klage vor Gericht entschieden wird. Und am Ende muss womöglich der Steuerzahler für den Rückbau eines halbfertigen Windparks geradestehen. Deutschland braucht Butendiek nicht – aber seltene Tiere brauchen ihre Rückzugsräume.