Category: Meinung

  • Angriff auf die Natur

    Ein Kommentar von Philip Bethge, DER SPIEGEL 27/2016

    Die Bri­ten ha­ben ja recht: Manch­mal nervt die EU wirk­lich. Der­zeit zum Bei­spiel will Brüs­sel die Na­tur­schutz­richt­li­ni­en auf­wei­chen. Eu­ro­pa ist von ei­nem Netz aus 27 000 Schutz­ge­bie­ten über­zo­gen, das in Deutsch­land zum Bei­spiel Gelb­bau­chun­ke, Luchs, Schweins­wal, Bau­chi­ge Win­del­schne­cke und Sumpf-Glanz­kraut be­son­ders schüt­zen soll. Die­ses „Na­tu­ra 2000“-Sys­tem ist welt­weit an­ge­se­hen. Selbst vie­le Un­ter­neh­men schät­zen die gel­ten­den Vor­schrif­ten als gu­ten Kom­pro­miss.

    Aus­ge­rech­net die EU-Kom­mis­si­on stellt nun al­les in­fra­ge. Kom­mis­si­ons­prä­si­dent Jean-Clau­de Juncker will die Na­tur­schutz­richt­li­ni­en ei­nem „Fit­ness-Check“ un­ter­zie­hen, an­geb­lich um sie zu „ent­bü­ro­kra­ti­sie­ren“. Wirt­schafts­li­be­ra­le Krei­se und Land­nut­zer wie die Wald­be­sit­zer, Jä­ger und Bau­ern des deut­schen „Ak­ti­ons­bünd­nis­ses Fo­rum Na­tur“ wit­tern ihre Chan­ce. Ist das Ge­setz erst auf­ge­bohrt, lässt es sich leich­ter ab­schwä­chen, so hof­fen sie wohl.

    Das EU-Par­la­ment al­ler­dings hat sich be­reits mehr­heit­lich für das „Na­tu­ra 2000“-Sys­tem aus­ge­spro­chen. Vor al­lem aber hat Juncker sei­ne ei­ge­nen Fach­leu­te ge­gen sich, die den be­ste­hen­den Richt­li­ni­en in ei­ner Stu­die gro­ße Ef­fi­zi­enz be­schei­ni­gen. Ihr Fa­zit: Die EU-Na­tur­schutz­ge­setz­ge­bung könn­te fit­ter kaum sein.

    Die Öffent­lich­keit weiß von dem in­ter­nen Hick­hack nur, weil die Eva­lu­ie­rungs­stu­die ge­le­akt wur­de. Juncker selbst wei­gert sich, das Pa­pier her­aus­zu­ge­ben. Na­tur­schutz­ver­bän­de fürch­ten, dass Lob­by­is­ten in Junckers Um­feld da­bei sind, das An­se­hen der EU bei Mil­lio­nen na­tur­be­wuss­ten Bür­gern zu ver­spie­len.

    In der Tat soll­te Juncker den „Fit­ness-Check“ schnell stop­pen. Ge­ra­de in Brex­it-Zei­ten könn­te er da­durch ein Zei­chen set­zen, was die Ge­mein­schaft leis­ten kann. Ja, die EU nervt manch­mal. Doch für den Na­tur­schutz war sie bis­lang ein Se­gen – üb­ri­gens auch für Eng­lands Land­schaf­ten. Die Iro­nie da­bei: Ei­ner der Au­to­ren der EU-Na­tur­schutz­richt­li­ni­en war Stan­ley John­son – der Va­ter des heu­ti­gen Brex­it-An­füh­rers Bo­ris.

  • Selber töten

    Warum das vollautonome Auto gar nicht erst entwickelt werden sollte

    Ein Kommentar von Philip Bethge, DER SPIEGEL 26/2016

    Es könn­te bald Au­tos ge­ben, die un­ter be­stimm­ten Be­din­gun­gen voll­au­to­ma­tisch ent­schei­den, Fuß­gän­ger zu über­fah­ren. Möch­ten Sie in ei­nem sol­chen Auto sit­zen? Ich nicht.

    Das Sze­na­rio ist kei­nes­wegs so ab­surd, wie es klingt. For­scher der Uni­ver­si­tä­ten Tou­lou­se und Ore­gon so­wie des Mas­sa­chu­setts In­sti­tu­te of Tech­no­lo­gy ha­ben jetzt durch­ge­spielt, was ge­schä­he, wenn voll­au­to­no­me Au­tos durch die Stra­ßen roll­ten. Die gute Nach­richt: Die Zahl der Un­fäl­le näh­me um bis zu 90 Pro­zent ab. Die schlech­te: Bei den ver­blei­ben­den 10 Pro­zent stün­de das Auto häu­fig vor ei­nem ent­setz­li­chen Di­lem­ma. Wie soll es re­agie­ren, wenn fünf Pas­san­ten plötz­lich auf die Stra­ße stür­men und der Brems­weg nicht reicht? Die Fuß­gän­ger über­rol­len oder ge­gen die nächs­te Wand rau­schen und die In­sas­sen tö­ten?

    Die meis­ten Men­schen, so das Er­geb­nis der Stu­die, ent­schei­den sich da­für, die Pas­san­ten zu scho­nen, und wün­schen sich Au­tos, die im Zwei­fel die Pas­sa­gie­re op­fern. Wer­den sie dann je­doch ge­fragt, ob sie ein sol­ches Auto kau­fen wür­den, ver­nei­nen sie. Am Ende wür­den wir, so die For­scher, un­se­re Mo­ral eben doch über Bord wer­fen und uns für Ge­fähr­te ent­schei­den, die nicht uns selbst, son­dern die Fuß­gän­ger tö­ten.

    Aber das kann ja nicht die Lö­sung sein. Auch wenn er den Fort­schritts­a­po­lo­ge­ten und Tech­nik­t­räu­mern nicht in den Sinn kom­men mag – ein gänz­lich an­de­rer Aus­weg aus dem Di­lem­ma bie­tet sich an: Wir soll­ten ein­fach auf die Voll­au­to­ma­tik ver­zich­ten. Sie ist eine In­ge­nieurs­fan­ta­sie, die die Welt nicht braucht. Wenn halb­au­to­no­me Wa­gen uns da­bei hel­fen, die Ödnis der Au­to­bahn zu meis­tern, ist da­ge­gen nichts zu sa­gen. Dem Fah­rer je­doch noch das letz­te Stück sei­nes We­ges durch die Stadt oder die Dör­fer ab­neh­men zu wol­len pro­du­ziert Ma­schi­nen, die uns das Maß un­se­res Mit­ge­fühls dik­tie­ren.

    Die IT- und Au­to­fir­men soll­ten vom Kon­troll­wahn ab­las­sen und ih­ren In­tel­lekt dar­auf ver­wen­den, neue Ver­kehrs­kon­zep­te jen­seits des In­di­vi­du­al­ver­kehrs zu ent­wer­fen. Da­mit wäre der Welt tat­säch­lich ge­hol­fen.

     

  • Scheinheilig

    Wer weniger Glyphosat schlucken will, muss mehr für Lebensmittel bezahlen.

    Ein Kommentar von Philip Bethge, DER SPIEGEL 21/2016

    Die quä­len­de De­bat­te um das Un­kraut­ver­nich­tungs­mit­tel Gly­pho­sat ist frus­trie­rend für den Ver­brau­cher. Da­bei könn­te der die Sa­che selbst in die Hand neh­men.

    Der Ein­satz von Gly­pho­sat auf den Fel­dern ist näm­lich die di­rek­te Fol­ge der Schnäpp­chen­men­ta­li­tät des deut­schen Su­per­markt­kun­den. Geiz ist geil, heißt es hier­zu­lan­de vor al­lem bei Le­bens­mit­teln. Doch wer Bil­lig­fleisch, Bil­lig­milch und Bil­lig­kä­se kauft, un­ter­stützt eine Art von Land­wirt­schaft, die ohne Gly­pho­sat nicht mehr aus­kommt.

    Das Mons­an­to-Spritz­mit­tel ist ver­gleichs­wei­se preis­wert und wir­kungs­voll, eine Win-win-Si­tua­ti­on für die kon­ven­tio­nell wirt­schaf­ten­den Bau­ern. Des­halb lan­det es auch bei uns auf den Zu­cker­rü­ben- und Win­ter­wei­zen­fel­dern. Vor al­lem aber fin­den sich Gly­pho­sat-Rück­stän­de in je­nem gen­tech­nisch ver­än­der­ten So­ja­schrot aus Süd­ame­ri­ka und den USA, das auch deut­schen Milch­kü­hen, Fleisch­rin­dern, Mast­schwei­nen und Hähn­chen tag­täg­lich in die Fut­ter­trö­ge ge­schüt­tet wird.

    Der Ver­brau­cher fühlt sich ohn­mäch­tig. Ohn­macht ist aber auch be­quem. Sie ent­bin­det da­von, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Ein schnel­ler Klick bei Kam­pa­gnen­por­ta­len ge­gen Gly­pho­sat mag ein gu­tes Ge­fühl ge­ben. Doch das ist zu we­nig. Kon­se­quent wäre es, dann im Su­per­markt nur noch zu Bio­fleisch, Bio­milch- und Bio­ge­trei­de­pro­duk­ten zu grei­fen, die Gly­pho­sat-frei er­zeugt wer­den. Wer ge­sund le­ben will, muss Le­bens­mit­tel vor al­lem mehr wert­schät­zen.

    Der Streit um das Pes­ti­zid ist auch ein Stell­ver­tre­ter­krieg um die Zu­kunft der Land­wirt­schaft. Der Wi­der­stand der Um­welt­ver­bän­de, der Grü­nen und neu­er­dings auch der SPD ge­gen das um­strit­te­ne Mit­tel wird nicht zu­letzt des­we­gen so ve­he­ment ge­führt, weil des­sen Geg­ner nach der En­er­gie­wen­de eine Agrar­wen­de wol­len. Wer das rich­tig fin­det, muss dann aber auch auf Bio um­stei­gen und mehr fürs Es­sen be­zah­len. Al­les an­de­re ist schein­hei­lig.

     

  • Unruhe im Urniversum

    Muss die Asche Verstorbener wie Sondermüll behandelt werden?

    Eine Glosse von Philip Bethge, DER SPIEGEL 3/2016

    Ist der Mensch Gift für die Erde, vielleicht sogar über den Tod hinaus? Diesem Problem widmeten sich jetzt Forscher auf Einladung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Es ging um die Überreste von 470 000 Leichen, die hierzulande jährlich verbrannt werden. Übrig bleibt Asche, genauer gesagt: Urnenasche. Ist sie gefährlich für Boden und Grundwasser? Vergiftet also Omas gesammeltes Cadmium, Chrom und Blei über das Trinkwasser irgendwann ihre Enkel?

    Die Experten bemühten Bundes-Bodenschutzgesetz und Altlastenverordnung. Von Ofentechnik, Nachverbrennungstemperaturen und Filterstäuben, die bei der Leichenverbrennung entstehen, war die Rede. Doch eigentlich steckt dahinter ein Streit des traditionellen Friedhofsgewerbes mit den Anbietern alternativer Bestattungsformen. Immer beliebter werden Seebestattungen oder sogenannte Friedwälder, in denen die Verwandtschaft unter Bäumen verbuddelt werden darf. Damit solcher Wildwuchs nicht weiter um sich greift, wollen Steinmetze oder Gärtner die Urnenasche möglichst giftig erscheinen lassen. Denn wäre sie Sondermüll, gäbe es einen guten Grund, sie nur auf Friedhöfen zu vergraben.

    Doch die Lobbyisten haben die Rechnung ohne die Wissenschaft gemacht. Die Urnenaschenforschung nimmt die Sache zwar, nun ja, todernst, gibt aber Entwarnung: Akute Vergiftungsgefahr besteht wohl nicht. Nur direkt neben der Urne, gleichsam im Urniversum, ist der Boden geringfügig belastet.

    Somit stellt sich nun die Frage, warum nicht jeder Opas Asche einfach dort verstreuen darf, wo er will. Der Verdünnungseffekt würde das Giftproblem noch weiter entschärfen. Nur einen Gesundheitstipp geben die Experten: Bitte nicht die Staubfahne einatmen!

  • Menschenversuche auf dem Acker

    Löst das Pestizid Glyphosat Krebs aus? Die Tests in Europa taugen nichts.

    Ein Kommentar von Philip Bethge

    Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist in aller Munde: Es steckt in Tierfutter, in Brot, in der Milch. Wie gefährlich ist das Unkrautvernichtungsmittel? Als “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen” hat die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Mittel eingestuft. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hingegen fällte vorige Woche das gegenteilige Urteil: “wahrscheinlich nicht krebserregend”. Kritiker werfen der EU-Behörde vor, sich zu sehr auf Industriestudien zu verlassen. Dabei offenbart der Glyphosat-Streit vor allem ein eklatantes Problem bei der europäischen Wirkstoffprüfung.

    Die EU-Lebensmittelwächter bewerteten – ganz gesetzeskonform – nur den reinen Wirkstoff Glyphosat, die WHO-Experten hingegen zusätzlich die tatsächlich eingesetzte Pestizidmischung, also handelsübliche Produkte wie Monsantos “Roundup”. Solche Mixturen jedoch können giftiger sein als Glyphosat allein. Gründliche Gefahrenprüfungen für Stoffmischungen sind in der EU jedoch nicht vorgeschrieben – eine Regelung, die es den Herstellern erlaubt, zugelassene Wirkstoffe nach Herzenslust zusammenzumischen, ohne deren kombinierte Wirkung ausgiebig testen zu müssen.

    Auf den Äckern landet aber nicht reines Glyphosat, sondern immer das fertig gemischte Pestizid. Auch im Gentech-Soja aus Südamerika, den hiesige Kühe fressen, finden sich alle Roundup-Inhaltsstoffe. Das Nachsehen haben die Verbraucher, die ungewollt und ungefragt an einem Menschenversuch teilnehmen.

    Die europäische Wirkstoffprüfung ist folglich wirklichkeitsfern und industriefreundlich. Langzeitstudien zur Krebsgefahr von Roundup und anderen Glyphosat-Pestiziden hat die Industrie noch nie vorgelegt. Dazu müssen die Konzerne per Gesetz verpflichtet werden.

    Mehr zum Thema Glyphosat in der Geschichte “Totgespritzt“.

  • Leise rieselt der Ruß

    Schiffsabgase gefährden die Gesundheit. Warum dürfen sie immer noch die Luft verpesten?

    Ein Kommentar von Philip Bethge

    Das Wasser glitzert. Die Möwen schreien. Das Dickschiff tutet. Schön ist’s am Hafen. Aber dann: Schwarze Wolken puffen in die Luft. Dieselruß rieselt auf die Kais. Und was nach großer, weiter Welt riecht, kann tödlich enden. Eine Studie der Universität Rostock und des Helmholtz-Zentrums München bestätigt jetzt, dass Schiffsabgase Lungenzellen schädigen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Ruß als ebenso krebserregend ein wie Asbest. Trotzdem fährt fast die gesamte Handels-, Fähr- und Kreuzfahrtflotte der Erde immer noch mit dreckigem Schweröl. Effektive Abgasanlagen sind auf Schiffen so rar wie Kapitäninnen. Warum ist das so? Weil Schweröl billig ist. Weil in der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation große Flaggenländer wie Liberia oder die Marshallinseln das Sagen haben, denen Umwelt und Gesundheit am Heck vorbeigehen. Weil nur in wenigen Meeresgebieten überhaupt Abgasgrenzwerte gelten, in der Nord- und Ostsee etwa. Und: weil dort viel zu selten kontrolliert wird. Zwar setzen einzelne Branchen wie zum Beispiel die Kreuzfahrtreeder sogenannte Schwefeloxid-Scrubber und Stickoxidfilter ein. Auch nutzen neuere Traumschiffe in manchen Gewässern inzwischen Schiffsdiesel, der sauberer als Schweröl ist. Doch konsequent wäre es, Schweröl komplett zu verbannen und die Schiffsantriebe ganz auf Diesel oder gleich auf Flüssiggas umzurüsten. Nur wenn der Treibstoff bereits schwefelarm aus der Raffinerie kommt, können die Abgase durch effektive Katalysatoren und Rußpartikelfilter geschickt werden. Bei Lastwagen ist das seit Jahren Standard. Warum nicht auf See?

    Der Naturschutzbund Deutschland hat am Hafen von Kiel gerade Feinststaubwerte gemessen, die rund 20-fach “über dem ortsüblichen Niveau” liegen. Auch über Hamburgs edler HafenCity wabert der Ruß aus den Schiffsschloten. Dort hat so mancher Reeder sein Büro. Vielleicht hilft ja: tief durchatmen?

  • Schiff versenkt

    Kommentar: Die illegale Ausbeutung der Meere muss endlich beendet werden.

    Von Philip Bethge, SPIEGEL 16/2015

    Highnoon auf dem Ozean: Vor Westafrika versank vorigen Montag ein Fischtrawler, der monatelang von Booten der Organisation Sea Shepherd verfolgt worden war. Die Ökoaktivisten sagen, der Kapitän habe den Trawler namens “Thunder” absich tlich versenkt, um “Beweise zu beseitigen”. Denn die “Thunder” soll auf illegalem Fischzug gewesen sein.

    Der Vorfall verweist auf ein weltweites Problem: Rund 25 Millionen Tonnen Fisch – bis zu einem Drittel des weltweiten Fangs – werden unrechtmäßig angelandet. Es ist empörend, dass dieses Problem überhaupt noch existiert. Illegaler Fischfang ist nur möglich, weil es den Trawlern immer noch viel zu leicht gemacht wird, die Regeln zu brechen – indem sie unter Billigflagge fahren oder zum Anlanden ihrer Beute Häfen in Entwicklungsländern anlaufen, in denen die Kontrollen lax und die Beamten korrupt sind.

    Illegaler Fischfang ist nur deshalb lukrativ, weil jene Länder, in denen der Fisch verkauft wird, nicht ausreichend die Herkunft der Fänge hinterfragen.

    Die EU muss mit gutem Beispiel vorangehen und den Fischhandel zu einem genaueren Herkunftsnachweis der Ware zwingen. Auch der Betrieb von Trawlern unter Billigflagge darf für Unternehmen, die Fisch bei uns handeln wollen, nicht mehr akzeptiert werden. Sonst geht der Raubbau weiter, der unter anderem dazu führt, dass Fischereiexperten die Fangquoten falsch festlegen, weil sie die illegalen Fänge nicht berücksichtigen.

    Für ihre Verfolgungsjagd auf hoher See ist den Ökoaktivisten kein Vorwurf zu machen – im Gegenteil. Dankenswerterweise haben sie eine Fischindustrie bloßgestellt, die sich nicht an die Regeln hält. Und sie haben den Raubfischern in Seenot geholfen – und das, obwohl sie diese wohl am liebsten in die ewigen Fischgründe geschickt hätten. Stattdessen nahmen sie die Schiffbrüchigen an Bord und übergaben sie den Behörden.

  • Langsam anziehen

    Kommentar: Warum wir eine neue Mode brauchen

    Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 15/2015

    Aldi hat sich diese Woche auf Druck von Greenpeace verpflichtet, bis zum Jahr 2020 nur noch Textilien ohne umwelt- oder gesundheitsschädliche Chemikalien anzubieten. Auch Lidl, Rewe, Tchibo und andere Händler haben auf die “Detox”-Kampagne der Umweltschützer reagiert. Ein schöner Erfolg, aber alles darf das noch nicht gewesen sein. Denn was wir wirklich brauchen, ist eine neue Modebewegung, die weg von der Fast Fashion und hin zur nachhaltigen Klamotte mit langer Lebensdauer führt. Vorreiter dieser Bewegung müssten vor allem die jungen YouTube-Wilden sowie die Schönen und Reichen sein, die uns bereits heute alles Mögliche verkaufen. Ich möchte Rapper sehen, die Firmen wie Nurmi groß machen, deren Jeans aus Stoffresten bestehen. Ich möchte Popstars in Upcycling-Schuhen aus alten Reifen und Lederresten tanzen sehen und Schauspieler, die auf der Berlinale in Kreationen von Labels wie Armedangels oder Brainshirt über den roten Teppich schreiten. Nur wenn Ökoklamotten das Image des Jutesacks loswerden und Ideen wie der “unendliche Kleiderschrank” des Klamotten-Leihshops Kleiderei als cool gelten, wird sich die “Slow Fashion”-Bewegung durchsetzen können. Der Wandel ist dringlich: Etwa 10 000 Liter Wasser verschlingt die Produktion eines Kilos Baumwolle. Vor allem deshalb trocknet beispielsweise der Aralsee aus. In China sind etwa zwei Drittel der Gewässer vergiftet, größtenteils mit Chemikalien aus der Textilindustrie. Rund 4,3 Millionen Tonnen Kleidung landen in Europa jährlich im Müll. Ein neues Party-Top bringe es im Schnitt auf nur 1,7 Einsätze, sagt Kirsten Brodde von Greenpeace. Hätte es dafür wirklich produziert werden müssen?

    Ich baue auf euch, ihr Fairtrade-Kaffee trinkenden, Biogemüse knabbernden Fahrradfahrer: Nehmt endlich auch die Kleider in euer Weltverbesserungsprogramm auf!