Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 14/2015 – VIDEO
Khetho Ncube hat schon viele Könige aus dem Dickicht springen sehen. “Häufig sitzen die Löwen dort im Schilf und warten auf Tiere, die zum Wasser wollen”, sagt der Tansanier und zeigt hinüber zum Ufer des nahen Flüsschens. Seine Winchester, geladen mit Patronen vom Großwild-Kaliber .458, hält der bullige Wildführer dabei fest in der Linken.
Beruhigend. Denn wer in der Serengeti spazieren geht, fühlt sich schnell wie Löwenfutter.
“Immer in meiner Nähe bleiben”, hatte Ncube am Morgen gemahnt, als die Sonne langsam den Himmel über der blassgelben Savanne eroberte. Für den Ernstfall vereinbarte er Handzeichen: stopp, langsam zurück, hinhocken.
Jetzt eilt der Wildführer voraus, hinter sich eine in Ehrfurcht verstummte Touristenschar. Ein junger Massai im königsblauen Gewand, den traditionellen Mkuki-Speer in der Hand, geht am Ende der Wandergruppe, wohl als Attraktion für die Gäste, vielleicht aber auch tatsächlich, um rechtzeitig vor Simba, Tembo und Chui zu warnen. So heißen Löwe, Elefant und Leopard in der Landessprache Kisuaheli.
Ncube liest den Savannenboden wie eine Karte, findet den Kot von Hyänen, weiß vom Kalzium der Knochen ihrer Opfer, und Elefantendung voll spitzer Akaziendornen (“Niemals drüberfahren, sonst ist der Reifen platt”). Dann hebt er die Hand. Die Besucherkarawane kommt zum Stillstand. Vier Kaffernbüffel galoppieren unweit vorbei, muskulöse Fleischberge mit furchterregenden Hörnern.
“Die gefährlichsten der großen Wildtiere”, flüstert Khetho Ncube, der für einen Reiseveranstalter arbeitet. “Die sollte man nicht überraschen.” Gereizte Elefanten würden erst mal eine Scheinattacke führen, Ohren nach vorn, wütend peitschender Rüssel, berichtet der Wildführer, “aber wenn ein Büffel angreift, ist man in Todesgefahr”.
“Walking Safari” heißt das Abenteuer, an dem an diesem Tag zum Beispiel Pat Kurtiniatis und Mike Cramer teilnehmen, ein Rentnerpaar aus dem Orange County in Kalifornien. Die Reise stand bei ihnen auf jener Liste wichtiger Dinge, die sie noch tun wollten in ihrem Leben.
Der Serengeti-Nationalpark in Tansania, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, ist eines der letzten großen Wildnisgebiete der Erde, ein Sehnsuchtsort der Menschheit auf der Suche nach dem Natürlichen, Unberührten, Ursprünglichen. Kaum einer wusste das besser als Bernhard Grzimek , der langjährige Direktor des Frankfurter Zoos, der vor mehr als 55 Jahren mit seinem Sohn Michael in diese endlose Savanne kam und den Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben” drehte.
Am kommenden Freitag zeigt die ARD einen neuen Spielfilm über Grzimek , den Deutschen, der nicht weniger vorhatte, als die Fauna Afrikas zu retten. In der Hauptrolle: Ulrich Tukur, der den Mann als visionären Tierschützer gibt, als sendungsbewussten Ökopionier – und großen Frauenhelden.
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In modischem Einreiher, das Silberhaar sorgsam gescheitelt, plauderte Grzimek in seiner Fernsehsendung “Ein Platz für Tiere” weitgehend konzeptfrei über See-Elefanten und Trompeterschwäne, über doppelköpfige Nattern oder Paradiesvögel, während ihn ein passender tierischer Partner aus dem Frankfurter Zoo umspielte.
Weltweite Berühmtheit verschaffte sich der Tierheger allerdings erst, als er nach Afrika aufbrach und mit “kreuzzüglerischem Pathos vor der Vernichtung der letzten frei lebenden Großwildherden Afrikas warnte”, wie der schrieb.
Die britische Verwaltung des damaligen Tanganjika beabsichtigte, die Grenzen des Serengeti-Nationalparks neu zu ziehen, um dem Wunsch der Massai nach mehr Weideflächen zu genügen. Doch welche Grenzen sollten das sein? Grzimek und sein Sohn lernten fliegen, reisten mit einem zebragestreiften Kleinflugzeug nach Ostafrika und zählten mit der Sorgfalt preußischer Verwaltungsbeamter die in der Serengeti lebenden Gnus (99 481), Zebras (57 199) und Grant- sowie Thomson-Gazellen (194 654) , um deren Wanderwege zu bestimmen.
Die Erlebnisse in der Savanne verarbeitete Grzimek zu dem Film “Serengeti darf nicht sterben”. Das Werk (Grzimek: “Nebenbei gedreht”) trug ihn auf den Gipfel seines Ruhms und wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Sohn Michael erlebte den Triumph nicht mehr: Er war im Januar 1959 noch während der Dreharbeiten mit der Dornier Do 27 des Duos abgestürzt.
Der Vater verschrieb sich umso entschlossener der Aufgabe, die Serengeti zu bewahren. Als er 1987 starb und neben seinem Sohn am Rand des Ngorongoro-Kraters beerdigt wurde, war die Wildnis der Serengeti weltberühmt.
Doch was ist aus Grzimeks Vermächtnis geworden? Wie steht es um die Serengeti, fast 30 Jahre nach dem Tod des zoologischen Dampfplauderers? Und, viel grundsätzlicher: Kann es auch in dieser immer dichter bevölkerten Welt gelingen, der Großfauna, also Elefanten, Nashörnern, Büffeln oder Löwen, ein dauerhaftes Überleben in freier Wildbahn zu garantieren?
Antworten gibt es vor Ort, am besten direkt im Herzen des Nationalparks, in Seronera. Der Ort, kaum mehr als ein paar versprengte Häuser, ist Sitz der Parkverwaltung. Grzimek ist hier immer noch präsent. Als Pappkamerad steht er im Besucherzentrum neben dem ersten Staatspräsidenten Tansanias, Julius Nyerere.
Grzimeks Statthalter vor Ort heißt Robert Muir, Afrikachef der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) mit ihrem Gorilla-Logo. Der drahtige Brite empfängt auf der Veranda seines kleinen Wohnhauses, von der aus der Blick über die weite, mit Akazien und Buschwerk gesprenkelte Ebene geht. Unweit weiden Antilopen und Giraffen. Später wandern zwei Elefanten nur wenige Meter am Haus vorbei.
“Grzimeks Arbeit war visionär”, sagt Muir, “er hat Nyerere überzeugt, die Parkgrenzen so zu legen, dass die Tiere ihren Wanderwegen folgen können.”
Rund zwei Millionen Weißbartgnus, Zebras und Thomson-Gazellen ziehen im Jahresrhythmus durch die Serengeti und die angrenzenden Gebiete , fünfmal mehr als noch zu Grzimeks Zeiten. Über 26 000 Quadratkilometer erstreckt sich ihre Wanderung, von Tansania nach Kenia in das Massai-Mara-Schutzgebiet und zurück, durch die Flüsse Mara, Grumeti und Mbalageti, in denen die Krokodile lauern.
Das Naturwunder der Serengeti, es existiere noch, sagt Muir. Doch der Druck wächst. Rund 170 000 Touristen aus aller Welt besuchen jährlich den Wildnispark. Geht es nach der tansanischen Nationalparkbehörde (Tanapa) , sollen es künftig jedoch noch mehr werden. Gleichzeitig kommen Wilderer in das Gebiet – auf blutiger Jagd nach Elfenbein und Nashorn.
Und immer mehr Menschen leben um den Park herum. Rodung, Landwirtschaft, Viehherden und Wasserknappheit bedrohen das Ökosystem. Hinzu kommt der Klimawandel, der den uralten Kreislauf durcheinanderzubringen scheint – wie in diesem Jahr, in dem die ersehnten Regenfälle bislang fast vollständig ausgeblieben sind.
“Für Tansania steht sehr viel auf dem Spiel”, sagt Muir. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wolle das Land künftig mit Tourismus erwirtschaften, berichtet er. Gleichzeitig gebe es internationale Verpflichtungen, den Naturreichtum zu erhalten, immerhin gehöre die Serengeti “zu den Top Drei der Nationalparks der Erde”, neben Galápagos und Yellowstone.
Was auf dem Spiel steht, lässt sich am folgenden Morgen erahnen, als es im Land Rover Richtung Süden geht. Hunderte Gnus und Zebras galoppieren entlang der Straße in langen Reihen über die Savanne, eine endlose Kolonne schnaufender und blökender Tierleiber, die zusammen- und wieder auseinanderzufließen scheinen wie die Strudel eines Flusses, der sich über das Land ergießt.
Elefanten mit ihren Jungen trotten gemächlich durch den aufgewirbelten Staub, während Warzenschweinfamilien mit hoch erhobenen Schwänzchen über die Ebene sprinten. Unter einem Busch, kaum fünf Meter von der Straße entfernt, labt sich ein Rudel Löwen an den Eingeweiden eines frisch erlegten Gnus. Die Schnauzen rot von Blut, reißen sie schwer atmend Fleischbrocken aus dem Tierkörper heraus, direkt daneben parken die Geländewagen der Touristen.
Aus den geöffneten Wagendächern ragen die Köpfe bleicher Amerikaner und Europäer heraus, deren ununterbrochen klickende Kameras mit ihren Teleobjektiven wirken wie seltsame Körperanhängsel. Die Löwen stört es nicht im Geringsten.
Die ruhig fressenden Großkatzen neben den schier endlosen Herden – der Tod, so alltäglich, wirkt fast profan angesichts des üppigen Lebens ringsumher.
Doch der Bilderreigen des anscheinend Wilden, Ursprünglichen trügt. Der natürliche Kreislauf ist auch in der Serengeti längst gestört. Nach einer Stunde Fahrt ist die Ranger-Station von Moru im Süden des Nationalparks erreicht. Hier hat Philbert Ngoti von der Anti-Wilderei-Einheit der Tanapa das Sagen. Zusammen mit 51 Wildhütern kontrolliert Ngoti ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet, um die letzten rund 30 Spitzmaulnashörner der südlichen Serengeti zu schützen.
Im Rest des Parks tummeln sich weitere 20 dieser Tiere; jedes von ihnen hüten die Ranger wie eine kostbare Preziose. Denn für Wilderer ist derzeit nichts so wertvoll wie das Horn der massigen Huftiere. “Wenn ein Wilderer zwischen einer Gruppe von Elefanten und einem Nashorn wählen kann, wird er das Nashorn töten”, erzählt Ngoti. Der Schwarzmarktpreis für das Horn, dessen Material dem von Fingernägeln gleicht, liege in Vietnam oder China bei mehreren 10 000 US-Dollar pro Kilogramm, berichtet der Ranger. Ein “lukratives Geschäft”, das er mit seinen Kollegen zu verhindern sucht.
“Die Wilderer sind gut bewaffnet”, sagt Ngoti, “aber wir sind es auch.” Immer wieder komme es zu Feuergefechten. “Wer nicht vorsichtig und gut trainiert ist, kann hier leicht sein Leben verlieren”, sagt er.
Die Ranger haben vielen der Nashörner einen Sender ins Horn implantiert. So können die Tiere leicht aufgespürt – und beschützt – werden. Mit dem Pritschenwagen geht es von Moru aus querfeldein über die Savanne. Einer der Männer streckt eine Antenne in den Himmel. Immer lauter wird das rhythmische Klicken des Empfängers. Dann taucht, zunächst kaum sichtbar gegen das gelbe Savannengras, ein massiges Nashorn in der Ferne auf. Rajabu haben es die Männer getauft, ein Bulle, über 40 Jahre alt. Gegen den Wind nähern sich die Ranger dem Tier. Es blickt herüber, zögert. Nashörner sind Einzelgänger, scheu und gleichzeitig gefährlich. Attacke oder Flucht: Ngoti hat schon beides erlebt. “Wenn wir zu schnell zu nah kommen, wird das Tier angreifen”, warnt er. Schließlich trollt sich das tonnenschwere Wesen.
Ngoti und seine Männer können durchaus stolz auf ihre Arbeit sein. Denn Anfang der Neunzigerjahre hatten Wilderer die Nashörner in der Serengeti auf nur noch zwei Weibchen dezimiert. Aus dem nahen Ngorongoro-Schutzgebiet wanderte 1993 dann Rajabu in das Gebiet ein. Ein Glücksfall: Während das Abschlachten der Tiere in Südafrika eskaliert (Spiegel 11/2015) , wächst die Population in der Serengeti.
“Im Moment werden fünf bis sechs Kälber jährlich geboren”, sagt Ngoti. Nur ein einziges Nashorn sei im vergangenen Jahr von Wilderern getötet worden.
Ähnlich verhält es sich mit den Elefanten. Ihre Zahl liegt im Serengeti-Ökosystem nach einer Zählung von vergangenem Jahr bei rund 6000 Tieren – fünf Jahre zuvor waren es 3068. “Wir sehen sehr viele Jungtiere”, schwärmt ZGF-Mann Muir. Dabei geht der Trend in Tansania eigentlich in die andere Richtung: 2009 lebten rund 109 000 Elefanten in Tansania. Bei der jüngsten Erhebung 2014 waren es nur noch rund 44 000.
Warum geht es den Tieren in der Serengeti besser? Das Erfolgsrezept der Tanapa sei es, sagt Muir, ständig Präsenz zu zeigen. Über 300 Ranger würden im Park patrouillieren. Auch die Touristen helfen. “Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren”, sagt der Biologe.
Doch der Erfolg gegen die Wilderer im Park ist ein Pyrrhussieg, solange die Hintermänner nicht gefasst werden. Wie Kriminalisten sind die Tanapa-Experten daher auch in den umliegenden Dörfern im Einsatz. Wo wird die Schmuggelware gelagert? Über welche Kanäle gelangt sie nach Übersee? Woher kommen die Waffen?
Der Kampf um die Serengeti muss vor allem außerhalb des Nationalparks gewonnen werden. Und dabei geht es nicht nur um die Wilderei allein. Drei bis vier Millionen Menschen leben heute in den Dörfern um das Schutzgebiet – weit mehr als noch zu Grzimeks Zeiten.
Wilddiebe legen Drahtschlingen aus, in denen sich jährlich Tausende Gnus, Zebras oder Impalas verfangen und elend zugrunde gehen. Immer näher rücken die Felder der Einheimischen an die Parkgrenzen heran. Der Wasserhaushalt des Gebiets wird verändert, die Wanderschaft der Tiere behindert. Im Gegenzug trampeln marodierende Elefanten durch die Mais- und Hirsefelder der Menschen.
Den Löwen wiederum gilt das Vieh als leichte Beute. Die Rache der Hirten kann ihnen gewiss sein. Gerade wieder sind zehn der Raubkatzen westlich des Parks vergiftet aufgefunden worden.
Besonders schwierig ist die Situation östlich des Parks, in den Schutzgebieten Loliondo und Ngorongoro. Dort siedeln vor allem Massai. Das Hirtenvolk lebt traditionell mit seinen Rinderherden, die als Statussymbol gelten. Immer mehr Massai und damit auch immer mehr Rinder sind in den vergangenen Jahren in die Gegend eingewandert. Inzwischen ist das Land stark überweidet. Die Massai würden ihr Vieh gern in die Serengeti treiben. Doch das dürfen sie nicht.
“Die Hirten sehen eine Menge Gras auf der anderen Seite”, erläutert ZGF-Mann Muir, “das führt zu Spannungen.” Ein Streit um die Grenzziehung des Parks ist entbrannt; manche der Landrechte außerhalb des Schutzgebiets sind bis heute ungeklärt. Und seit langer Zeit schon ist man sich nicht einig, wer genau über die Nutzung des Landes entscheiden darf. Im Oktober sind Parlamentswahlen in Tansania, darum ist alles hier im Moment politisch. Auch die Serengeti.
“Die Gemeinden in der Nähe profitieren noch nicht genug vom Nationalpark”, sagt Muir. Tanapa und ZGF versuchen daher seit Jahren, den Einheimischen alternative Einkommensquellen zu eröffnen, die im Einklang mit dem Naturschutz stehen.
In Nyichoka beispielsweise, einem Dorf etwa 30 Kilometer westlich des Nationalparks, haben sich an diesem Tag die Mitglieder der “Sinduka Cocoba Group” um einen runden Tisch versammelt, auf dem ein blauer, mit drei Schlössern gesicherter Metallkasten steht. Nach einem festgelegten Ritual wird die Box entriegelt. Zum Vorschein kommen vier mit Geldscheinen gefüllte Plastikdosen. Sie enthalten das Gesamtvermögen der örtlichen “Naturschutzbank”. Reihum zahlen die Männer und Frauen sogenannte Anteile von jeweils 4000 Tansania-Schilling ein (etwa zwei Euro). Dann werden Schulden getilgt und Auszahlungen getätigt.
An jedem Samstag kommen die Mitglieder der Bank zusammen. Der Sinn der Geldschieberei: Die Dorfbewohner vom Stamm der Ikoma legen zusammen, um ihren Mitbürgern später Mikrokredite gewähren oder selbst welche in Anspruch nehmen zu können. Das Geld investieren sie in Projekte, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Einzige Bedingung für die Finanzspritze: Die Natur darf durch die Unternehmungen nicht beeinträchtigt werden.
Agnes Marongoli beispielsweise hat mithilfe der Kredite gemeinsam mit ihrem Mann Maro ein kleines Kulturzentrum aufgebaut. Vor einer von ihnen errichteten traditionellen Hütte führt eine Tanzgruppe den “Singori” auf, einen Erntedanktanz. Touristen kommen hierher, um Kunsthandwerk zu kaufen und sich die uralten Tiermythen der Ikoma anzuhören. Zusätzlich verkaufen die Marongolis Honig an die Hotels der Gegend – auch die Bienenstöcke haben sie mit Mikrokrediten finanziert.
“Wir waren Jäger”, sagt Marongoli, “jetzt profitieren wir von den Touristen, die in unsere Läden kommen.” Das Geschäft lohnt sich für sie, die nie eine Ausbildung bekommen hat: Ihre acht Kinder kann sie nun auf die Schule schicken.
Die Gemeinden rund um Nyichoka haben ihr gesamtes Land zum Wildtier-Schutzgebiet umgewidmet. Bewusst verzichten sie auf Ackerbau, Jagd und Viehzucht. Das Gebiet grenzt direkt an den Nationalpark und ist eine Art Wildnis-Pufferzone. Die Tiere profitieren von der Erweiterung ihres Lebensraums. Gleichzeitig können die Gemeinden ihr Land direkt an Tourismusunternehmen verpachten. Acht Luxuszeltlager für Touristen sind in der Gegend entstanden.
Im vergangenen Jahr sei dadurch rund eine halbe Million US-Dollar in die Gemeindekassen gespült worden, berichtet Masegeri Rurai, der die “Ikona Wildlife Management Area” für die ZGF betreut.
Vom Tourismus im Nationalpark selbst profitiert die lokale Bevölkerung jedoch kaum. Mit den Gewinnen finanziert die Tanapa vor allem den Unterhalt der anderen 15 Nationalparks in Tansania, die kaum Einnahmen haben.
Naturschutz ist ein teures Geschäft. Und der Tourismus muss ihn finanzieren. Doch wie ist die Balance zu halten? Im Massai-Mara-Schutzgebiet in Kenia stehen die Geländewagen in der Hauptsaison in langen Schlangen vor jedem Löwenrudel. Im Vergleich dazu wirkt die Serengeti menschenleer. Und das ist so gewollt.
Zurück in Seronera wartet schon Tanapa-Mitarbeiter Godson Kimaro, Chef der Tourismusabteilung der Serengeti. “Wir wollen mehr Gäste hier haben”, sagt Kimaro, “aber gleichzeitig muss der Tourismus nachhaltig bleiben”. Rund 2700 Betten in etwa 120 Safari-Camps gibt es im gesamten Park. Kimaro plant etwa 550 zusätzliche Betten für die nächsten Jahre. Das muss dann aber auch reichen.
Gleichzeitig will er das Angebot für die Gäste attraktiver machen. Neben den traditionellen “Game Drives” gibt es heute schon Heißluftballonfahrten. Spezielle Kurse für Tierfotografie, mehrtägige Wandertouren oder Dinnerpartys in der Wildnis schweben Kimaro vor.
Für so viel Exklusivität muss man ordentlich zahlen: Schon der Eintritt in den Park kostet 60 US-Dollar, pro Tag. Dazu kommt die Übernachtung, die schon in den Safari-Zeltlagern 500 US-Dollar kosten kann. Wer ein echtes Dach über dem Kopf vorzieht, zahlt leicht das Doppelte.
Fast ausschließlich aus Übersee sind daher die Gäste der Four Seasons Safari Lodge Serengeti, einer Hotelanlage nördlich von Seronera. Von der breiten Terrasse mit ihren edlen Sitzecken aus geht der Blick auf einen azurblau schimmernden Swimmingpool. Unterhalb des Beckens und kaum zehn Meter dahinter befindet sich ein künstlich angelegtes Wasserloch, das sich aus dem geklärten Brauchwasser des Hotels speist.
An diesem Abend ist eine komplette Elefantenherde an der Tränke erschienen, dazu Impalas und eine Gruppe von Kaffernbüffeln. In der Ferne ziehen Giraffen. Langsam senkt sich die Sonne. Kellner reichen eisgekühlte Getränke. Ein warmer Wind umfächelt die Touristen. Es ist das perfekte Out-of-Africa-Abziehbild inklusive der Schirmakazien, die sich gegen den Himmel abzeichnen.
Vielleicht ist genau dies das Schicksal der Wildnis: dass sie sich nur als kitschige Postkarte erhalten lässt, als ein Ort temporärer Zivilisationsflucht.
“Die Natur aber bleibt ewig wichtig für uns”, schrieb Grzimek in seinem Serengeti-Buch. Politische Sorgen hingegen führten dann nur noch “ein Buchstabenleben” in Geschichtsbüchern. “Aber ob dann noch Gnus über die Steppen stampfen und nachts Leoparden brüllen, das wird den Menschen immer noch etwas bedeuten.”
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[box]Wenn Bernhard Grzimek (1909 bis 1987), der damalige Direktordes Frankfurter Zoos, “Ein Platz für Tiere” moderierte, schauten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Millionen zu. Grzimek war scharfzüngiger Tierschützer, Enzyklopädist (“Grzimeks Tierleben”) und Regisseur. Sein Film “Serengeti darf nicht sterben” verschaffte ihm Weltruhm.[/box]