By Philip Bethge
How do you kill an elephant without a gun, if all you’ve got is a spear, and your 20 centimeters (8 inches) of sharpened metal is going up against five tons of thick-skinned beast?
Die Ozeane stehen unter enormem Druck. Rund 4,6 Millionen Fischerboote machen weltweit Jagd auf Meeresbewohner aller Art. Über 80 Millionen Tonnen Meeresgetier ziehen Fischer jährlich aus dem Wasser. Dieser Gesamtfang hat sich seit den Neunzigerjahren trotz immer besserer Fangmethoden nicht mehr steigern lassen. Selbst Europa importiert mittlerweile mehr als die Hälfte seines Fischbedarfs, weil es nicht gelingt, ausreichend Meeresfrüchte in den eigenen Gewässern zu fangen.
Die Folge: Die Weltmeere verändern sich rapide. 90 Prozent der großen Fische sind verschwunden. Die Hälfte der Korallenriffe ist verloren oder stark beschädigt. Nur 3,4 Prozent der Meere sind als Schutzgebiete ausgewiesen. Gleichzeitig ist Fisch für über drei Milliarden Menschen die wichtigste Quelle tierischen Proteins. Gelingt es nicht, die Meere nachhaltig zu bewirtschaften, könnte sich die Ozeankrise schnell zu einer Ernährungskrise ausweiten.
Wie lassen sich die Ozeane nutzen ohne sie zu zerstören? Was ist die Menschheit bereit, für den Erhalt der Meere und seiner Bewohner zu opfern? Und: Sind die Meere überhaupt in einer historischen Krise, wie Umweltschützer warnen – oder nutzt der Mensch den Ozean heute schon nachhaltiger als seinen eigenen Lebensraum, das Land?
Darüber diskutiert SPIEGEL-Wissenschaftsredakteur Philip Bethge mit Thilo Maack, Greenpeace-Experte für Meere und Biologe, und Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock.
Zeit: am Montag, 14. November 2016, 18 Uhr
Ort: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Christian-Albrechts-Platz 2, 24118 Kiel; Audimax (Frederik-Paulsen-Hörsaal)
Der Eintritt ist frei.
Informationen zu dieser und weiteren SPIEGEL-Veranstaltungen an Hochschulen finden Sie auf unserer Website DER SPIEGEL live.
Seit dem Sommersemester 2007 diskutieren SPIEGEL-Redakteure regelmäßig an zahlreichen Hochschulen mit prominenten Gästen. Die SPIEGEL-Gespräche live an Universitäten begannen mit Harald Schmidt und einer Debatte über TV-Satire und dem Bestsellerautor Daniel Kehlmann über “Filme, Bücher, schöne Frauen”.
Etliche weitere Gespräche folgten, darunter Diskussionen mit Joschka Fischer, Götz Aly, Hans-Christian Ströbele, Hartmut Mehdorn, Joe Kaeser, Claudia Roth, Cem Özdemir, Charlotte Roche, Gesine Schwan, Sascha Lobo und Nasa-Manager Jesco Freiherr von Puttkamer.
Ein Kommentar von Philip Bethge, DER SPIEGEL 27/2016
Die Briten haben ja recht: Manchmal nervt die EU wirklich. Derzeit zum Beispiel will Brüssel die Naturschutzrichtlinien aufweichen. Europa ist von einem Netz aus 27 000 Schutzgebieten überzogen, das in Deutschland zum Beispiel Gelbbauchunke, Luchs, Schweinswal, Bauchige Windelschnecke und Sumpf-Glanzkraut besonders schützen soll. Dieses „Natura 2000“-System ist weltweit angesehen. Selbst viele Unternehmen schätzen die geltenden Vorschriften als guten Kompromiss.
Ausgerechnet die EU-Kommission stellt nun alles infrage. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will die Naturschutzrichtlinien einem „Fitness-Check“ unterziehen, angeblich um sie zu „entbürokratisieren“. Wirtschaftsliberale Kreise und Landnutzer wie die Waldbesitzer, Jäger und Bauern des deutschen „Aktionsbündnisses Forum Natur“ wittern ihre Chance. Ist das Gesetz erst aufgebohrt, lässt es sich leichter abschwächen, so hoffen sie wohl.
Das EU-Parlament allerdings hat sich bereits mehrheitlich für das „Natura 2000“-System ausgesprochen. Vor allem aber hat Juncker seine eigenen Fachleute gegen sich, die den bestehenden Richtlinien in einer Studie große Effizienz bescheinigen. Ihr Fazit: Die EU-Naturschutzgesetzgebung könnte fitter kaum sein.
Die Öffentlichkeit weiß von dem internen Hickhack nur, weil die Evaluierungsstudie geleakt wurde. Juncker selbst weigert sich, das Papier herauszugeben. Naturschutzverbände fürchten, dass Lobbyisten in Junckers Umfeld dabei sind, das Ansehen der EU bei Millionen naturbewussten Bürgern zu verspielen.
In der Tat sollte Juncker den „Fitness-Check“ schnell stoppen. Gerade in Brexit-Zeiten könnte er dadurch ein Zeichen setzen, was die Gemeinschaft leisten kann. Ja, die EU nervt manchmal. Doch für den Naturschutz war sie bislang ein Segen – übrigens auch für Englands Landschaften. Die Ironie dabei: Einer der Autoren der EU-Naturschutzrichtlinien war Stanley Johnson – der Vater des heutigen Brexit-Anführers Boris.
Von Philip Bethge
Wie geht das, einen Wal zu töten, tonnenschwer und sechs Meter lang, der im seichten Wasser liegt? Eine Handbreit hinter dem Blasloch muss die Lanze angesetzt werden. Ein kräftiger Druck, und wie durch Butter gleitet die blattförmige Schneide durch den Walspeck, dringt in die Wirbelsäule ein und durchtrennt das Rückenmark.
Nur Sekunden dauert es, dann ist der Grindwal tot. So soll es eigentlich sein beim “Grindadráp”, der traditionellen Waljagd auf den Färöern. Doch dem Hamburger Studenten Nico Flathmann, 21, bot sich ein anderer Anblick.
“Hier lagen die Wale und haben um ihr Leben gekämpft”, erzählt Flathmann und deutet auf den Steinstrand hinter sich, “das Wasser war blutrot.” Minutenlang hätten die Tiere gelitten, weil die Männer die Lanze falsch angesetzt oder “im Blutrausch” gleich zum Messer gegriffen hätten.
Flathmann hat ein Video von der Waljagd am Hvannasund gemacht, einer Bucht im Norden des Färöer-Archipels. Männer rennen in dem Film ins Wasser und schlagen große Stahlhaken in die Blaslöcher der zuvor von Booten zusammengetriebenen Grindwale. Aus zuckenden Leibern spritzt Blut in die Höhe. Vom Ufer aus verfolgen Schaulustige das Spektakel. “Sie lachten, und es waren sogar Kinder dabei”, sagt Flathmann, “es ist erschreckend, wie viel Spaß die Leute an dem Gemetzel haben.”
–> Originaltext auf Spiegel.de
Flathmann ist für die Organisation Sea Shepherd im Einsatz, um den Walfängern der Färöer das Handwerk zu legen. Am vorigen Montag wurden zwei der Aktivisten von der örtlichen Polizei festgenommen, weil sie eine Waljagd behindert haben sollen. Mit zwei Schiffen und einem Team an Land sind die Meeresschützer derzeit vor Ort. Es ist die aktuelle Kampagne einer einzigartigen Umweltguerilla.
Sea-Shepherd-Aktivisten kappen die Netze illegaler Fischer im Südpolarmeer und stellen sich Robbenschlächtern in Schottland und Finnland in den Weg. Vor Australien, Südafrika und Brasilien zerstören sie Köderleinen für Haie oder bewachen Meeresschildkröten. Mit ihren Booten fahren sie Walfängern vor den Bug, bis Stahl auf Stahl kracht . Im Hafen sprengten die Aktivisten sogar Löcher in die Rümpfe der verhassten Jagdschiffe.
Kritiker werfen den Tierschützern “Ökoterrorismus” vor. Für ihre Anhänger jedoch sind sie die letzten großen Helden einer Umweltbewegung, die in den Siebzigerjahren mit der Gründung von Greenpeace begann und heute fast untergegangen erscheint – gäbe es da nicht “Neptuns Navy”, wie sich die Ozeanhirten nennen .
“Wir sind eine globale Bewegung”, sagt Paul Watson, der Gründer der Organisation. Er will die Ozeane schützen, falls nötig mit Gewalt. Als Logo hat er einen Totenkopf gewählt. Dreizack und Hirtenstab kreuzen sich darunter, “Symbole für Aggressivität und Schutz”, wie Watson sagt. “Wir protestieren nicht, wir intervenieren; nur protestieren ist was für Feiglinge.”
Für solche Sprüche lieben ihn seine Fans. Und Watson ist erfolgreicher als je zuvor. Aus einer kleinen Ökokämpfertruppe hat er eine weltweit operierende Organisation geformt. In 40 Ländern ist Sea Shepherd inzwischen aktiv. Der US-Fernsehsender Discovery Channel produziert die Serie “Whale Wars”, die Sea Shepherds Kampf gegen die japanische Walfangflotte begleitet. Das Spendenaufkommen der Organisation hat sich seit 2008 auf jährlich etwa zwölf Millionen Dollar vervierfacht.
Acht Schiffe gehören zur Flotte der Ökopiraten. Im Januar erhielt die Organisation 8,3 Millionen Euro von einer niederländischen Wohltätigkeitslotterie. Erstmals will Watson nun ein Schiff nach eigenen Plänen bauen lassen. Seinen Crews aus Freiwilligen bietet er kaum Geld, dafür jedoch Ruhm und Abenteuer und das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.
Auch für Prominente hat Watson ein Händchen. “Uns unterstützen Captain Kirk, Batman, McGyver und zwei James Bonds”, schmunzelt er: Die Schauspieler William Shatner, Christian Bale, Richard Anderson, Sean Connery und Pierce Brosnan konnte er gewinnen. Letzter Neuzugang im Sea-Shepherd-Beirat ist die “Baywatch”-Blondine Pamela Anderson.
“Mich überrascht der Erfolg von Sea Shepherd nicht”, sagt Rex Weyler, ein ehemaliger Greenpeace-Vordenker und Wegbegleiter Watsons. “Viele Menschen sind verzweifelt, wenn sie sehen, was mit der Welt geschieht; sie bekommen Angst und wollen schnelle Lösungen und jemanden, der handelt.”
Das Treffen mit Watson findet in einem Hotel in der Rue Boulard im Pariser Stadtteil Montparnasse statt. Watsons Brustkorb ist trotz seiner 64 Jahre immer noch breit wie ein Fass, sein Gesicht zerknautscht wie ein ungemachtes Bett. Begleitet wird er von seiner vierten Frau, der 30 Jahre jüngeren, russischen Tierrechtsaktivistin Yana Rusinovich. In Watsons Redeschwall reiht sich bald eine Räuberpistole an die nächste. Mit weißem Bart und zerzaustem Haupthaar wirkt er wie ein Seebär, der sich in die Großstadt verirrt hat.
Watson wuchs in St. Andrews auf, einem Küstenort im Osten Kanadas. Schon in jungen Jahren arbeitete er für die kanadische Küstenwache und heuerte als Seemann auf Handelsschiffen an. Seine Aktivistenkarriere begann mit 19, als er gegen Atomwaffentests in Alaska demonstrierte. Aus der damaligen Protestbewegung ging Greenpeace hervor.
Doch in der jungen Regenbogenkriegertruppe konnte sich der streitbare Kanadier nicht lange halten. “Er war zu machtbesessen, zu unerbittlich darin, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und alle anderen beiseitezudrängen”, erinnerte sich Robert Hunter, einer der Greenpeace-Gründer. Vor allem mit dem späteren Chef von Greenpeace Kanada, Patrick Moore, geriet Watson aneinander. Laut Watson eskalierte der Streit im Eis von Labrador.
“Ich leitete die Kampagne gegen das Abschlachten der Robben, und wir hatten Brigitte Bardot als Unterstützerin gewonnen”, so erzählt es Watson. Ein Hubschrauber habe bereitgestanden, um die Bardot zu den Eisfeldern zu fliegen. “Patrick verlangte mitzufliegen, ich lehnte ab: ,Patrick, du bist kein Fotograf, kein Kameramann, ich brauche dich dort nicht.’” Seine angebliche Antwort: “Lass es mich so sagen: Ich fliege in diesem Hubschrauber; und wenn ich Präsident werde, setze ich dich vor die Tür.”
Kurz darauf wurde Moore tatsächlich Chef – und Watson musste gehen. Aber nicht nur, weil er den Hahnenkampf zweier Alphamänner verloren hatte. “Paul definierte Gewaltlosigkeit neu”, sagt Weyler. “Gandhi war ihm nicht genug; er fand es in Ordnung, Eigentum zu zerstören, auch wenn er damit gegen Gesetze verstieß.” Das aber widersprach dem gewaltfreien Greenpeace-Ethos – eine Zerreißprobe für die junge Organisation.
Für Watson war der Rauswurf am Ende ein Glücksfall. Erst auf sich allein gestellt, konnte er seinen Aufstieg zum Fidel Castro des Meeresschutzes starten.
Seinen ersten Walfänger rammte Watson 1978. Kurz darauf gründete er Sea Shepherd und machte fortan mit Aktionen gegen sowjetische Walfänger und kanadische Robbenschlächter von sich reden. Die Selbstjustiz auf See begründete Watson bald nicht mehr nur moralisch, sondern auch juristisch. Er beruft sich auf die World Charter for Nature der Vereinten Nationen. Dort heißt es, dass nicht nur Staaten, sondern auch “internationale Organisationen, Individuen” und “Gruppen” Umweltrecht “implementieren” und die Natur “jenseits nationaler Jurisdiktion”, also beispielsweise auf hoher See, schützen sollen .
“Wir müssten nicht tun, was wir tun, wenn die Regierungen der Welt die Gesetze durchsetzen würden, die sie unterzeichnet haben”, sagt er. “Aggressive Gewaltlosigkeit” nennt er seine Strategie. “Wir zerstören Eigentum, das zum Töten benutzt wird; aber wir haben nie Menschen verletzt und würden dies auch nie tun.”
Sea-Shepherd-Aktivisten werfen mit Beuteln voller stinkender Buttersäure nach den verhassten Walfängern. Sie versuchen, die Schiffsschrauben ihrer Gegner mit Stahlkabeln zu blockieren. Sie kappen Schleppnetze und zerstören Harpunen.
Dass dabei noch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, grenzt an ein Wunder. Greenpeace zumindest hält Watsons Weg nach wie vor für falsch, moralisch wie taktisch. Wenn es einen Weg gebe, die Japaner im Walfang zu bestärken, dann sei es, “Gewalt gegen ihre Flotte” anzuwenden, so Greenpeace: “Es ist falsch, weil es Menschenleben in Gefahr bringt und die Walfänger nur stärker macht .”
Watson ficht das nicht an. Und der Erfolg scheint ihm recht zu geben. “Unsere Mandanten sind Wale, Haie, Robben und Fische”, sagt er. Ob er das Richtige tut, misst sich für ihn einzig an der Zahl geretteter Meerestiere. 6000 Wale will Watson allein im Südpolarmeer seit 2002 vor der Harpune bewahrt haben, weil seine Schiffe die Japaner Jahr für Jahr daran hinderten, ihre für angebliche wissenschaftliche Zwecke notwendige Fangquote auszuschöpfen. Inzwischen hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag den Wissenschaftswalfang der Japaner verboten.
Spektakulär endete eine Sea-Shepherd-Operation im Mai, als vor Westafrika der Fischtrawler “Thunder” gurgelnd im Atlantik versank. 110 Tage lang hatten Sea-Shepherd-Boote den Trawler verfolgt. Die Aktivisten sagen, der Kapitän habe die “Thunder” am Ende absichtlich versenkt, um Beweise zu beseitigen. Der Trawler soll auf illegalem Fischzug nach wertvollem Antarktisdorsch gewesen sein.
Die Jagd auf den Raubfischer begann bereits im Dezember vor der Küste der Antarktis. 72 Kilometer illegal ausgelegte Netze bargen die Aktivisten in den Folgewochen. Ein Fang im Wert von rund drei Millionen Dollar soll der “Thunder” entgangen sein. Schließlich soll der Kapitän entnervt aufgegeben und die Seeventile geöffnet haben. Die Sea-Shepherd-Aktivisten nahmen die Schiffbrüchigen an Bord und übergaben sie den Behörden .
Einen ähnlichen Erfolg erhoffen sich die Sea-Shepherd-Leute nun auch auf den Färöern. Dort allerdings haben sie ein ganzes Volk gegen sich. Gut gegen Böse – Sea Shepherd bietet einfache Lösungen in einer komplizierten Welt. Schwierig wird es, wenn die Rollen nicht so klar verteilt sind.
Der “Grindadráp” ist eine uralte Tradition . Schon die Wikinger sollen auf den Färöern Wale gefangen haben. Offizielle Aufzeichnungen der Jagd gibt es seit 1584. Rund tausend Grindwale töten die Einheimischen jedes Jahr – bei einer geschätzten Gesamtpopulation von über 700 000 Tieren. Einsehen mag auf den Inseln daher kaum jemand, warum die Jagd plötzlich aufhören sollte.
“Der Grind ist Teil unserer Lebensart, wie das Fischen und die Schafzucht”, sagt Hendrik Akurstein, 31. Der angehende Umweltingenieur war dabei, als Anfang Mai die Grindwale in den Hvannasund getrieben wurden. Sein Holzhaus steht kaum 200 Meter von jenem Strand entfernt, an dem die Tiere verendeten. Mit seinem kleinen Motorboot half er dabei, die Meeressäuger in die Falle zu treiben. Damit war ihm ein Anteil an der Beute sicher.
Akurstein geht hinüber in seine Garage und öffnet die Tiefkühltruhe. Neben Hühnchen und Steaks lagern dort Plastiktüten mit tiefrotem Walfleisch. “Daraus schneide ich Steaks für meine Familie”, sagt er. Auch getrocknet sei das Fleisch eine Delikatesse. Oder der Walspeck: In einer grünen Tonne sind die mehrere Zentimeter dicken, weiß glänzenden Fettstücke in Salz eingelegt.
Einmal im Monat gibt es bei Akurstein, seiner Frau Hallgerð und ihrem drei Monate alten Baby Walfleisch zu essen. Mehr bitte nicht, empfehlen Gesundheitsexperten. Das Fleisch ist mit PCB, Dioxinen und Schwermetallen belastet .
Ist der seltene, vergiftete Genuss wirklich das Gemetzel wert? Die Färinger sind davon überzeugt. So wichtig ist ihnen der “Grind”, dass das Parlament in der Hauptstadt Torshavn im Mai sogar ein neues Gesetz zum Schutz der Waljagd verabschiedete . Den am vorigen Montag festgenommenen Sea-Shepherd-Aktivisten drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis.
“Dieses Gesetz wurde extra für uns geschrieben”, schimpft Lockhart MacLean, 35, Kapitän des Sea-Shepherd-Schiffs “Sam Simon”. Strafbar ist nun bereits, wer in Verdacht gerät, gegen die Waljagd vorgehen zu wollen. “Damit sind wir gemeint”, sagt MacLean und lächelt gequält.
Anfang Juli ist der Kapitän mit der 56 Meter langen “Sam Simon” auf den Färöern angekommen. Ein weiteres Sea-Shepherd-Schiff, die “Brigitte Bardot”, kreuzt ebenfalls in den Gewässern. MacLean hat etwa 30 Crewmitglieder an Bord. Ein bunter Haufen Freiwilliger aus aller Welt: Ashkr Audet, 20, aus Melbourne, gerade erst mit der Schule fertig, hilft auf der Brücke aus. Sven Höreth, 32, ein deutscher Kfz-Mechaniker, arbeitet an der 1800-PS-Maschine des Schiffs; Giacomo Giorgi, 34, ehemaliger Sänger einer Heavy-Metal-Band, ist Bootsmann und steuert eines der zwei schnellen Schlauchboote, die auf dem Achterdeck bereitstehen.
Auf einem Sea-Shepherd-Schiff geht es zu wie in einer Jugendherberge für Weltverbesserer. Das Essen ist vegan, die Stimmung gut. Hier auf den Färöern allerdings suchen die Aktivisten noch nach der richtigen Strategie. “Im Moment ist es uns erst mal wichtig, Präsenz zu zeigen, um die Färinger nervös zu machen”, sagt MacLean. Auf einer Seekarte hat er die “Killing Beaches” der Einheimischen mit rosa Klebepunkten markiert, 18 an der Zahl. Dort ist die Grindwaljagd offiziell erlaubt.
Mit dem Finger fährt der Frankokanadier auf der Karte den für diesen Tag geplanten Kurs ab. Dann blickt er hinaus auf das bleierne Meer und die Inseln, die jetzt im Sommer wie mit grünem Samt überzogen wirken. Die See ist heute ruhig, die dunklen Wolken liegen tief, “ein gefährlicher Tag für Wale”, sagt MacLean. Genau an solchen Tagen lassen sich die Tiere gut sichten und an die Strände treiben.
Wenig später lassen die Aktivisten ihre Schlauchboote zu Wasser, um in den Buchten zu patrouillieren. Kündigt sich eine Waljagd an, tauchen allerdings sofort Polizeiboote auf. Die Färinger haben eine Bannmeile eingerichtet. Sogar zwei Fregatten der dänischen Marine folgen den Sea-Shepherd-Schiffen rund um die Uhr.
“Mit dänischer Hilfe wird hier ein Gesetz durchgesetzt, dass das Abschlachten von Walen schützt”, sagt MacLean. Die Grindwaljagd verstoße nicht nur gegen EU-Recht, sondern auch gegen das Übereinkommen zur Erhaltung wandernder Tierarten. Optimistisch ist MacLean trotzdem: “Früher oder später wird es auch hier keinen Walfang mehr geben, die Färinger haben es nur schwer, das zu schlucken.”
“Man gewinnt diese Dinge nicht über Nacht”, sagt Paul Watson bei dem Treffen in Paris. Der Sea-Shepherd-Gründer hat gelernt, mit Rückschlägen fertig zu werden. Auf den Färöern etwa kann er nicht selbst dabei sein, weil er aktuell auf einer Fahndungsliste von Interpol steht. Costa Rica und Japan fordern seine Auslieferung.
In Costa Rica soll er im April 2002 sechs Haifischflossenjäger in Lebensgefahr gebracht haben, als er deren Boot attackierte. Die Japaner machen ihn für das Entern eines ihrer Walfangschiffe vor fünf Jahren in der Antarktis verantwortlich. Deutsche Bundespolizisten nahmen die Interpol-Notiz im Mai 2012 ernst und verhafteten Watson am Frankfurter Flughafen. Doch der Tierschützer kam auf Kaution frei – und floh. Monatelang verschwand er von der
Bildfläche, “im Südpazifik, auf verlassenen Inseln”. Inzwischen versucht er, die Sache juristisch zu klären. In Frankreich genießt er eine Art Asyl. Das Land hat ihm zugesichert, die Interpol-Fahndung vorläufig zu ignorieren. Auch in die USA darf Watson reisen.
“Die Vorwürfe sind politisch motiviert”, wettert der Tierschützer. Um Sea Shepherd nicht zu schaden, hat er kürzlich trotzdem alle Ämter niedergelegt. Darin sieht er sogar einen Vorteil. Die zuvor zentral gelenkte Organisation sei nun in viele einzelne Ländergruppen aufgegangen. “Das macht uns flexibler.”
Außerdem hat Watson Sea Shepherd Legal ins Leben gerufen. Künftig will er seine Gefechte nicht nur auf See, sondern auch im Gerichtssaal führen.
“Sie haben geglaubt, dass sie uns ausschalten könnten”, sagt Watson, “stattdessen sind wir stärker als je zuvor.”
Und welche Rolle ihm künftig zufalle bei Sea Shepherd? Watson zögert keine Sekunde: “Ich bin der Admiral.”
Mail: philip_bethge@spiegel.de , Twitter: @philipbethge
Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 14/2015 – VIDEO
Khetho Ncube hat schon viele Könige aus dem Dickicht springen sehen. “Häufig sitzen die Löwen dort im Schilf und warten auf Tiere, die zum Wasser wollen”, sagt der Tansanier und zeigt hinüber zum Ufer des nahen Flüsschens. Seine Winchester, geladen mit Patronen vom Großwild-Kaliber .458, hält der bullige Wildführer dabei fest in der Linken.
Beruhigend. Denn wer in der Serengeti spazieren geht, fühlt sich schnell wie Löwenfutter.
“Immer in meiner Nähe bleiben”, hatte Ncube am Morgen gemahnt, als die Sonne langsam den Himmel über der blassgelben Savanne eroberte. Für den Ernstfall vereinbarte er Handzeichen: stopp, langsam zurück, hinhocken.
Jetzt eilt der Wildführer voraus, hinter sich eine in Ehrfurcht verstummte Touristenschar. Ein junger Massai im königsblauen Gewand, den traditionellen Mkuki-Speer in der Hand, geht am Ende der Wandergruppe, wohl als Attraktion für die Gäste, vielleicht aber auch tatsächlich, um rechtzeitig vor Simba, Tembo und Chui zu warnen. So heißen Löwe, Elefant und Leopard in der Landessprache Kisuaheli.
Ncube liest den Savannenboden wie eine Karte, findet den Kot von Hyänen, weiß vom Kalzium der Knochen ihrer Opfer, und Elefantendung voll spitzer Akaziendornen (“Niemals drüberfahren, sonst ist der Reifen platt”). Dann hebt er die Hand. Die Besucherkarawane kommt zum Stillstand. Vier Kaffernbüffel galoppieren unweit vorbei, muskulöse Fleischberge mit furchterregenden Hörnern.
“Die gefährlichsten der großen Wildtiere”, flüstert Khetho Ncube, der für einen Reiseveranstalter arbeitet. “Die sollte man nicht überraschen.” Gereizte Elefanten würden erst mal eine Scheinattacke führen, Ohren nach vorn, wütend peitschender Rüssel, berichtet der Wildführer, “aber wenn ein Büffel angreift, ist man in Todesgefahr”.
“Walking Safari” heißt das Abenteuer, an dem an diesem Tag zum Beispiel Pat Kurtiniatis und Mike Cramer teilnehmen, ein Rentnerpaar aus dem Orange County in Kalifornien. Die Reise stand bei ihnen auf jener Liste wichtiger Dinge, die sie noch tun wollten in ihrem Leben.
Der Serengeti-Nationalpark in Tansania, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, ist eines der letzten großen Wildnisgebiete der Erde, ein Sehnsuchtsort der Menschheit auf der Suche nach dem Natürlichen, Unberührten, Ursprünglichen. Kaum einer wusste das besser als Bernhard Grzimek , der langjährige Direktor des Frankfurter Zoos, der vor mehr als 55 Jahren mit seinem Sohn Michael in diese endlose Savanne kam und den Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben” drehte.
Am kommenden Freitag zeigt die ARD einen neuen Spielfilm über Grzimek , den Deutschen, der nicht weniger vorhatte, als die Fauna Afrikas zu retten. In der Hauptrolle: Ulrich Tukur, der den Mann als visionären Tierschützer gibt, als sendungsbewussten Ökopionier – und großen Frauenhelden.
–>> Artikel im Original auf SPIEGEL Online lesen
In modischem Einreiher, das Silberhaar sorgsam gescheitelt, plauderte Grzimek in seiner Fernsehsendung “Ein Platz für Tiere” weitgehend konzeptfrei über See-Elefanten und Trompeterschwäne, über doppelköpfige Nattern oder Paradiesvögel, während ihn ein passender tierischer Partner aus dem Frankfurter Zoo umspielte.
Weltweite Berühmtheit verschaffte sich der Tierheger allerdings erst, als er nach Afrika aufbrach und mit “kreuzzüglerischem Pathos vor der Vernichtung der letzten frei lebenden Großwildherden Afrikas warnte”, wie der schrieb.
Die britische Verwaltung des damaligen Tanganjika beabsichtigte, die Grenzen des Serengeti-Nationalparks neu zu ziehen, um dem Wunsch der Massai nach mehr Weideflächen zu genügen. Doch welche Grenzen sollten das sein? Grzimek und sein Sohn lernten fliegen, reisten mit einem zebragestreiften Kleinflugzeug nach Ostafrika und zählten mit der Sorgfalt preußischer Verwaltungsbeamter die in der Serengeti lebenden Gnus (99 481), Zebras (57 199) und Grant- sowie Thomson-Gazellen (194 654) , um deren Wanderwege zu bestimmen.
Die Erlebnisse in der Savanne verarbeitete Grzimek zu dem Film “Serengeti darf nicht sterben”. Das Werk (Grzimek: “Nebenbei gedreht”) trug ihn auf den Gipfel seines Ruhms und wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Sohn Michael erlebte den Triumph nicht mehr: Er war im Januar 1959 noch während der Dreharbeiten mit der Dornier Do 27 des Duos abgestürzt.
Der Vater verschrieb sich umso entschlossener der Aufgabe, die Serengeti zu bewahren. Als er 1987 starb und neben seinem Sohn am Rand des Ngorongoro-Kraters beerdigt wurde, war die Wildnis der Serengeti weltberühmt.
Doch was ist aus Grzimeks Vermächtnis geworden? Wie steht es um die Serengeti, fast 30 Jahre nach dem Tod des zoologischen Dampfplauderers? Und, viel grundsätzlicher: Kann es auch in dieser immer dichter bevölkerten Welt gelingen, der Großfauna, also Elefanten, Nashörnern, Büffeln oder Löwen, ein dauerhaftes Überleben in freier Wildbahn zu garantieren?
Antworten gibt es vor Ort, am besten direkt im Herzen des Nationalparks, in Seronera. Der Ort, kaum mehr als ein paar versprengte Häuser, ist Sitz der Parkverwaltung. Grzimek ist hier immer noch präsent. Als Pappkamerad steht er im Besucherzentrum neben dem ersten Staatspräsidenten Tansanias, Julius Nyerere.
Grzimeks Statthalter vor Ort heißt Robert Muir, Afrikachef der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) mit ihrem Gorilla-Logo. Der drahtige Brite empfängt auf der Veranda seines kleinen Wohnhauses, von der aus der Blick über die weite, mit Akazien und Buschwerk gesprenkelte Ebene geht. Unweit weiden Antilopen und Giraffen. Später wandern zwei Elefanten nur wenige Meter am Haus vorbei.
“Grzimeks Arbeit war visionär”, sagt Muir, “er hat Nyerere überzeugt, die Parkgrenzen so zu legen, dass die Tiere ihren Wanderwegen folgen können.”
Rund zwei Millionen Weißbartgnus, Zebras und Thomson-Gazellen ziehen im Jahresrhythmus durch die Serengeti und die angrenzenden Gebiete , fünfmal mehr als noch zu Grzimeks Zeiten. Über 26 000 Quadratkilometer erstreckt sich ihre Wanderung, von Tansania nach Kenia in das Massai-Mara-Schutzgebiet und zurück, durch die Flüsse Mara, Grumeti und Mbalageti, in denen die Krokodile lauern.
Das Naturwunder der Serengeti, es existiere noch, sagt Muir. Doch der Druck wächst. Rund 170 000 Touristen aus aller Welt besuchen jährlich den Wildnispark. Geht es nach der tansanischen Nationalparkbehörde (Tanapa) , sollen es künftig jedoch noch mehr werden. Gleichzeitig kommen Wilderer in das Gebiet – auf blutiger Jagd nach Elfenbein und Nashorn.
Und immer mehr Menschen leben um den Park herum. Rodung, Landwirtschaft, Viehherden und Wasserknappheit bedrohen das Ökosystem. Hinzu kommt der Klimawandel, der den uralten Kreislauf durcheinanderzubringen scheint – wie in diesem Jahr, in dem die ersehnten Regenfälle bislang fast vollständig ausgeblieben sind.
“Für Tansania steht sehr viel auf dem Spiel”, sagt Muir. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wolle das Land künftig mit Tourismus erwirtschaften, berichtet er. Gleichzeitig gebe es internationale Verpflichtungen, den Naturreichtum zu erhalten, immerhin gehöre die Serengeti “zu den Top Drei der Nationalparks der Erde”, neben Galápagos und Yellowstone.
Was auf dem Spiel steht, lässt sich am folgenden Morgen erahnen, als es im Land Rover Richtung Süden geht. Hunderte Gnus und Zebras galoppieren entlang der Straße in langen Reihen über die Savanne, eine endlose Kolonne schnaufender und blökender Tierleiber, die zusammen- und wieder auseinanderzufließen scheinen wie die Strudel eines Flusses, der sich über das Land ergießt.
Elefanten mit ihren Jungen trotten gemächlich durch den aufgewirbelten Staub, während Warzenschweinfamilien mit hoch erhobenen Schwänzchen über die Ebene sprinten. Unter einem Busch, kaum fünf Meter von der Straße entfernt, labt sich ein Rudel Löwen an den Eingeweiden eines frisch erlegten Gnus. Die Schnauzen rot von Blut, reißen sie schwer atmend Fleischbrocken aus dem Tierkörper heraus, direkt daneben parken die Geländewagen der Touristen.
Aus den geöffneten Wagendächern ragen die Köpfe bleicher Amerikaner und Europäer heraus, deren ununterbrochen klickende Kameras mit ihren Teleobjektiven wirken wie seltsame Körperanhängsel. Die Löwen stört es nicht im Geringsten.
Die ruhig fressenden Großkatzen neben den schier endlosen Herden – der Tod, so alltäglich, wirkt fast profan angesichts des üppigen Lebens ringsumher.
Doch der Bilderreigen des anscheinend Wilden, Ursprünglichen trügt. Der natürliche Kreislauf ist auch in der Serengeti längst gestört. Nach einer Stunde Fahrt ist die Ranger-Station von Moru im Süden des Nationalparks erreicht. Hier hat Philbert Ngoti von der Anti-Wilderei-Einheit der Tanapa das Sagen. Zusammen mit 51 Wildhütern kontrolliert Ngoti ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet, um die letzten rund 30 Spitzmaulnashörner der südlichen Serengeti zu schützen.
Im Rest des Parks tummeln sich weitere 20 dieser Tiere; jedes von ihnen hüten die Ranger wie eine kostbare Preziose. Denn für Wilderer ist derzeit nichts so wertvoll wie das Horn der massigen Huftiere. “Wenn ein Wilderer zwischen einer Gruppe von Elefanten und einem Nashorn wählen kann, wird er das Nashorn töten”, erzählt Ngoti. Der Schwarzmarktpreis für das Horn, dessen Material dem von Fingernägeln gleicht, liege in Vietnam oder China bei mehreren 10 000 US-Dollar pro Kilogramm, berichtet der Ranger. Ein “lukratives Geschäft”, das er mit seinen Kollegen zu verhindern sucht.
“Die Wilderer sind gut bewaffnet”, sagt Ngoti, “aber wir sind es auch.” Immer wieder komme es zu Feuergefechten. “Wer nicht vorsichtig und gut trainiert ist, kann hier leicht sein Leben verlieren”, sagt er.
Die Ranger haben vielen der Nashörner einen Sender ins Horn implantiert. So können die Tiere leicht aufgespürt – und beschützt – werden. Mit dem Pritschenwagen geht es von Moru aus querfeldein über die Savanne. Einer der Männer streckt eine Antenne in den Himmel. Immer lauter wird das rhythmische Klicken des Empfängers. Dann taucht, zunächst kaum sichtbar gegen das gelbe Savannengras, ein massiges Nashorn in der Ferne auf. Rajabu haben es die Männer getauft, ein Bulle, über 40 Jahre alt. Gegen den Wind nähern sich die Ranger dem Tier. Es blickt herüber, zögert. Nashörner sind Einzelgänger, scheu und gleichzeitig gefährlich. Attacke oder Flucht: Ngoti hat schon beides erlebt. “Wenn wir zu schnell zu nah kommen, wird das Tier angreifen”, warnt er. Schließlich trollt sich das tonnenschwere Wesen.
Ngoti und seine Männer können durchaus stolz auf ihre Arbeit sein. Denn Anfang der Neunzigerjahre hatten Wilderer die Nashörner in der Serengeti auf nur noch zwei Weibchen dezimiert. Aus dem nahen Ngorongoro-Schutzgebiet wanderte 1993 dann Rajabu in das Gebiet ein. Ein Glücksfall: Während das Abschlachten der Tiere in Südafrika eskaliert (Spiegel 11/2015) , wächst die Population in der Serengeti.
“Im Moment werden fünf bis sechs Kälber jährlich geboren”, sagt Ngoti. Nur ein einziges Nashorn sei im vergangenen Jahr von Wilderern getötet worden.
Ähnlich verhält es sich mit den Elefanten. Ihre Zahl liegt im Serengeti-Ökosystem nach einer Zählung von vergangenem Jahr bei rund 6000 Tieren – fünf Jahre zuvor waren es 3068. “Wir sehen sehr viele Jungtiere”, schwärmt ZGF-Mann Muir. Dabei geht der Trend in Tansania eigentlich in die andere Richtung: 2009 lebten rund 109 000 Elefanten in Tansania. Bei der jüngsten Erhebung 2014 waren es nur noch rund 44 000.
Warum geht es den Tieren in der Serengeti besser? Das Erfolgsrezept der Tanapa sei es, sagt Muir, ständig Präsenz zu zeigen. Über 300 Ranger würden im Park patrouillieren. Auch die Touristen helfen. “Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren”, sagt der Biologe.
Doch der Erfolg gegen die Wilderer im Park ist ein Pyrrhussieg, solange die Hintermänner nicht gefasst werden. Wie Kriminalisten sind die Tanapa-Experten daher auch in den umliegenden Dörfern im Einsatz. Wo wird die Schmuggelware gelagert? Über welche Kanäle gelangt sie nach Übersee? Woher kommen die Waffen?
Der Kampf um die Serengeti muss vor allem außerhalb des Nationalparks gewonnen werden. Und dabei geht es nicht nur um die Wilderei allein. Drei bis vier Millionen Menschen leben heute in den Dörfern um das Schutzgebiet – weit mehr als noch zu Grzimeks Zeiten.
Wilddiebe legen Drahtschlingen aus, in denen sich jährlich Tausende Gnus, Zebras oder Impalas verfangen und elend zugrunde gehen. Immer näher rücken die Felder der Einheimischen an die Parkgrenzen heran. Der Wasserhaushalt des Gebiets wird verändert, die Wanderschaft der Tiere behindert. Im Gegenzug trampeln marodierende Elefanten durch die Mais- und Hirsefelder der Menschen.
Den Löwen wiederum gilt das Vieh als leichte Beute. Die Rache der Hirten kann ihnen gewiss sein. Gerade wieder sind zehn der Raubkatzen westlich des Parks vergiftet aufgefunden worden.
Besonders schwierig ist die Situation östlich des Parks, in den Schutzgebieten Loliondo und Ngorongoro. Dort siedeln vor allem Massai. Das Hirtenvolk lebt traditionell mit seinen Rinderherden, die als Statussymbol gelten. Immer mehr Massai und damit auch immer mehr Rinder sind in den vergangenen Jahren in die Gegend eingewandert. Inzwischen ist das Land stark überweidet. Die Massai würden ihr Vieh gern in die Serengeti treiben. Doch das dürfen sie nicht.
“Die Hirten sehen eine Menge Gras auf der anderen Seite”, erläutert ZGF-Mann Muir, “das führt zu Spannungen.” Ein Streit um die Grenzziehung des Parks ist entbrannt; manche der Landrechte außerhalb des Schutzgebiets sind bis heute ungeklärt. Und seit langer Zeit schon ist man sich nicht einig, wer genau über die Nutzung des Landes entscheiden darf. Im Oktober sind Parlamentswahlen in Tansania, darum ist alles hier im Moment politisch. Auch die Serengeti.
“Die Gemeinden in der Nähe profitieren noch nicht genug vom Nationalpark”, sagt Muir. Tanapa und ZGF versuchen daher seit Jahren, den Einheimischen alternative Einkommensquellen zu eröffnen, die im Einklang mit dem Naturschutz stehen.
In Nyichoka beispielsweise, einem Dorf etwa 30 Kilometer westlich des Nationalparks, haben sich an diesem Tag die Mitglieder der “Sinduka Cocoba Group” um einen runden Tisch versammelt, auf dem ein blauer, mit drei Schlössern gesicherter Metallkasten steht. Nach einem festgelegten Ritual wird die Box entriegelt. Zum Vorschein kommen vier mit Geldscheinen gefüllte Plastikdosen. Sie enthalten das Gesamtvermögen der örtlichen “Naturschutzbank”. Reihum zahlen die Männer und Frauen sogenannte Anteile von jeweils 4000 Tansania-Schilling ein (etwa zwei Euro). Dann werden Schulden getilgt und Auszahlungen getätigt.
An jedem Samstag kommen die Mitglieder der Bank zusammen. Der Sinn der Geldschieberei: Die Dorfbewohner vom Stamm der Ikoma legen zusammen, um ihren Mitbürgern später Mikrokredite gewähren oder selbst welche in Anspruch nehmen zu können. Das Geld investieren sie in Projekte, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Einzige Bedingung für die Finanzspritze: Die Natur darf durch die Unternehmungen nicht beeinträchtigt werden.
Agnes Marongoli beispielsweise hat mithilfe der Kredite gemeinsam mit ihrem Mann Maro ein kleines Kulturzentrum aufgebaut. Vor einer von ihnen errichteten traditionellen Hütte führt eine Tanzgruppe den “Singori” auf, einen Erntedanktanz. Touristen kommen hierher, um Kunsthandwerk zu kaufen und sich die uralten Tiermythen der Ikoma anzuhören. Zusätzlich verkaufen die Marongolis Honig an die Hotels der Gegend – auch die Bienenstöcke haben sie mit Mikrokrediten finanziert.
“Wir waren Jäger”, sagt Marongoli, “jetzt profitieren wir von den Touristen, die in unsere Läden kommen.” Das Geschäft lohnt sich für sie, die nie eine Ausbildung bekommen hat: Ihre acht Kinder kann sie nun auf die Schule schicken.
Die Gemeinden rund um Nyichoka haben ihr gesamtes Land zum Wildtier-Schutzgebiet umgewidmet. Bewusst verzichten sie auf Ackerbau, Jagd und Viehzucht. Das Gebiet grenzt direkt an den Nationalpark und ist eine Art Wildnis-Pufferzone. Die Tiere profitieren von der Erweiterung ihres Lebensraums. Gleichzeitig können die Gemeinden ihr Land direkt an Tourismusunternehmen verpachten. Acht Luxuszeltlager für Touristen sind in der Gegend entstanden.
Im vergangenen Jahr sei dadurch rund eine halbe Million US-Dollar in die Gemeindekassen gespült worden, berichtet Masegeri Rurai, der die “Ikona Wildlife Management Area” für die ZGF betreut.
Vom Tourismus im Nationalpark selbst profitiert die lokale Bevölkerung jedoch kaum. Mit den Gewinnen finanziert die Tanapa vor allem den Unterhalt der anderen 15 Nationalparks in Tansania, die kaum Einnahmen haben.
Naturschutz ist ein teures Geschäft. Und der Tourismus muss ihn finanzieren. Doch wie ist die Balance zu halten? Im Massai-Mara-Schutzgebiet in Kenia stehen die Geländewagen in der Hauptsaison in langen Schlangen vor jedem Löwenrudel. Im Vergleich dazu wirkt die Serengeti menschenleer. Und das ist so gewollt.
Zurück in Seronera wartet schon Tanapa-Mitarbeiter Godson Kimaro, Chef der Tourismusabteilung der Serengeti. “Wir wollen mehr Gäste hier haben”, sagt Kimaro, “aber gleichzeitig muss der Tourismus nachhaltig bleiben”. Rund 2700 Betten in etwa 120 Safari-Camps gibt es im gesamten Park. Kimaro plant etwa 550 zusätzliche Betten für die nächsten Jahre. Das muss dann aber auch reichen.
Gleichzeitig will er das Angebot für die Gäste attraktiver machen. Neben den traditionellen “Game Drives” gibt es heute schon Heißluftballonfahrten. Spezielle Kurse für Tierfotografie, mehrtägige Wandertouren oder Dinnerpartys in der Wildnis schweben Kimaro vor.
Für so viel Exklusivität muss man ordentlich zahlen: Schon der Eintritt in den Park kostet 60 US-Dollar, pro Tag. Dazu kommt die Übernachtung, die schon in den Safari-Zeltlagern 500 US-Dollar kosten kann. Wer ein echtes Dach über dem Kopf vorzieht, zahlt leicht das Doppelte.
Fast ausschließlich aus Übersee sind daher die Gäste der Four Seasons Safari Lodge Serengeti, einer Hotelanlage nördlich von Seronera. Von der breiten Terrasse mit ihren edlen Sitzecken aus geht der Blick auf einen azurblau schimmernden Swimmingpool. Unterhalb des Beckens und kaum zehn Meter dahinter befindet sich ein künstlich angelegtes Wasserloch, das sich aus dem geklärten Brauchwasser des Hotels speist.
An diesem Abend ist eine komplette Elefantenherde an der Tränke erschienen, dazu Impalas und eine Gruppe von Kaffernbüffeln. In der Ferne ziehen Giraffen. Langsam senkt sich die Sonne. Kellner reichen eisgekühlte Getränke. Ein warmer Wind umfächelt die Touristen. Es ist das perfekte Out-of-Africa-Abziehbild inklusive der Schirmakazien, die sich gegen den Himmel abzeichnen.
Vielleicht ist genau dies das Schicksal der Wildnis: dass sie sich nur als kitschige Postkarte erhalten lässt, als ein Ort temporärer Zivilisationsflucht.
“Die Natur aber bleibt ewig wichtig für uns”, schrieb Grzimek in seinem Serengeti-Buch. Politische Sorgen hingegen führten dann nur noch “ein Buchstabenleben” in Geschichtsbüchern. “Aber ob dann noch Gnus über die Steppen stampfen und nachts Leoparden brüllen, das wird den Menschen immer noch etwas bedeuten.”
–>> Artikel im Original auf SPIEGEL Online lesen
[box]Wenn Bernhard Grzimek (1909 bis 1987), der damalige Direktordes Frankfurter Zoos, “Ein Platz für Tiere” moderierte, schauten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Millionen zu. Grzimek war scharfzüngiger Tierschützer, Enzyklopädist (“Grzimeks Tierleben”) und Regisseur. Sein Film “Serengeti darf nicht sterben” verschaffte ihm Weltruhm.[/box]
Tierschützer berichten von einem Massaker an Elefanten in Tansania: In dem ostafrikanischen Land ist die Zahl der Dickhäuter seit 2009 um rund 65.000 Tiere gesunken – das entspricht 60 Prozent der Gesamtpopulation. Diese Daten gehen aus Erhebungen des Tanzania Wildlife Research Institute hervor, die dem SPIEGEL vorliegen und seit Monaten von der tansanischen Regierung unter Verschluss gehalten werden. (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)
Im Ruaha-Rungwa-Gebiet sind die Bestände besonders drastisch eingebrochen. Dort nahm die Population allein seit 2013 von 20.000 auf 8500 Exemplare ab. Als Hauptursache wird der Handel mit Elfenbein gesehen. “Wir erleben eine neue Eskalationsstufe der Wilderei”, sagt Daniela Freyer von der Artenschutzorganisation Pro Wildlife. “Die tansanische Regierung hält die Daten zurück, um es sich nicht mit der internationalen Gebergemeinde zu verscherzen, und suggeriert gleichzeitig, alles für die Elefanten zu tun”, sagt sie.
Das afrikanische Land hat sich verpflichtet, seine einheimischen Elefanten zu schützen, und erhält dafür Entwicklungshilfe in Millionenhöhe – auch aus Deutschland und der EU. Erst Anfang April hatte die zuständige Überwachungsgruppe der EU Entwarnung für Tansanias Elefanten gegeben.
Weil sich die Bestände erholt hätten, so die Scientific Review Group, dürften auch in diesem Jahr wieder bis zu 200 Stoßzähne als Jagdtrophäen in die EU importiert werden. Freyer: “Die EU hat grünes Licht gegeben, ohne die neuen Zahlen aus Tansania anzufordern.” Philip Bethge