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  • Jane Goodall Interview: ‘Even Chimps Understand Sustainability’

    Interview Conducted by Philip Bethge and Johann Grolle

    Jane Goodall spent years observing chimpazees in the wild. She discovered that the animals can commit murder and wage war. As an environmentalist, the British activist now spends more time observing humans — and says she still has hope for humanity.

    As a child, one of Jane Goodall’s favorite books was “Doctor Dolittle,” which helped to unleash her love for wild creatures. At the age of 23, she traveled to Africa, where she met archeologist and paleontologist Louis Leakey, who would hire her as an assistant and later ask her to study chimpanzees in the Gombe Stream National Park in Tanzania. Goodall was the first to observe the use of tools and also the kind of warfare conducted by the species closest related to humans. Through her research, Goodall rose to become the world’s most famous primate researcher. She published her main body of work, “The Chimpanzees of Gombe: Patterns of Behavior,” in 1986. A short time later, she left scientific research behind in order to dedicate her life to the protection of chimpanzees and nature conservation. Goodall travels around the world 300 days a year as part of her efforts as a champion of the environment. The Jane Goodall Institute’s Roots & Shoots youth program is active in more than 130 countries. The 81-year-old Briton is also a United Nations Messenger of Peace and carries the title of Dame Commander of the Order of the British Empire. She’s been so busy over the past 20 years, she says, that she hasn’t even managed to sleep in the same bed for more than three weeks at a time.

    In an interview with SPIEGEL, the doyenne of chimpanzee research discusses the often minor differences between humans and apes.

    SPIEGEL: Dr. Goodall, the first half of your professional life, you dealt with chimps. During the second half, you have been dealing with humans. Is there anything you learned from chimps that helps you in dealing with people?

    Goodall: I believe so. The chimpanzees taught me a lot about nonverbal communication. The big difference between them and us is that they don’t have spoken language. Everything else is almost the same: Kissing, embracing, swaggering, shaking the fist. I studied those things a lot in chimps, and I suppose that’s why I’m quite good at reading people. For example, if you catch somebody doing something wrong, he will just cringe away and curl up. He will not listen anymore. Instead, he will think of how he can counterattack. So the only possible way to get somebody to change is to reach into their hearts.

    SPIEGEL: How?

    Goodall: I remember once meeting the Chinese environment minister. I wanted to convince him to allow our Roots and Shoots program into Chinese schools. However, he spoke no English, and so now here we were, just sitting, a translator between us, and I had only 10 minutes time. So I gathered my courage and started off saying, …….

    –> Continue reading at DER SPIEGEL International

  • Totgespritzt

    Es steckt im Tierfutter, im Brot, in der Milch: Das Pestizid Glyphosat belastet seit Jahrzehnten die Umwelt, weltweit. Forscher warnen vor Missbildungen und Krebs. Wie gefährlich ist der Stoff wirklich?

    Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 24/2015

    Das Unheil kam langsam über den Hof von Helge Voss. Zuerst gaben die Kühe weniger Milch, ihr Kot war mal dick, mal dünn, obwohl sie stets das gleiche Futter fraßen. Dann kamen die ersten Tiere nicht mehr hoch – als wären die Hinterläufe gelähmt. Einige Kühe blieben nach der Niederkunft einfach liegen und starben im Stroh.

    “Ich hatte Tiere, die haben auf keine Behandlung mehr angesprochen”, sagt Voss, Milchbauer in Kaaks, einem Dorf in Schleswig-Holstein. So etwas hatte es noch nicht gegeben auf dem Hof seiner Familie, nicht beim Vater und nicht beim Großvater, die beide auch schon vom Vieh lebten.

    “So eine Kuh muss glänzend aussehen, Fleisch auf den Rippen haben, und wenn ich die auf die Weide lasse, muss sie auch mal rennen wollen”, sagt Voss, 42. Doch nun, plötzlich, nur noch Hungerhaken im Stall, “zu dünn, zu langsam, zu stumpf das Fell”. Erst mal suche man die Schuld bei sich, dann sei er aber doch zum Tierarzt gegangen, “und der hat gleich auf Glyphosat getippt”.

    In deutschen Kuhställen geht eine mysteriöse Krankheit um. Manche Veterinärämter halten das Leiden für ein Hirngespinst paranoider Bauern. Einige Tierärzte dagegen sprechen von “chronischem Botulismus” und warnen vor einer Epidemie.

    Wenn sie über die Gründe für die schleichende Vergiftung sprechen, taucht immer wieder ein Wort auf: Glyphosat.

    –> Originaltext auf Spiegel.de

    Glyphosat ist das weltweit meistversprühte Herbizid; seit 40 Jahren ist es in Gebrauch und daher fast überall zu finden: im Urin von Mensch und Tier, in der Milch, im Tierfutter, in Organen von Schweinen und Kühen, in Hasen und Fasanen, im Wasser.

    Seit 2001 ist der Einsatz von Glyphosat in den EU-Ländern möglich. Ende des Jahres nun läuft die Zulassung aus. Die European Food Safety Authority (EFSA) wird Anfang August eine Empfehlung aussprechen, ob der Stoff für weitere zehn Jahre zugelassen werden kann. Gut möglich, dass zu diesem Anlass ein seit Jahren schwelender Streit eskaliert: darüber, wie gefährlich Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt ist.

    Auf der einen Seite steht die Agrarindustrie mit einer mächtigen Lobby, die seit Jahrzehnten die Unbedenklichkeit des Stoffes für Mensch und Tier beschwört. Auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR), das in der EU für die wissenschaftliche Einschätzung der Chemikalie zuständig ist, hält Glyphosat für weitgehend ungefährlich . Gerade hat das Amt einen 2000 Seiten starken Bericht an die EFSA verschickt. Darin setzen die BfR-Autoren die “akzeptable Tagesaufnahme” für den Menschen sogar um zwei Drittel herauf.

     

     

    Auf der anderen Seite kämpfen Umweltverbände und Ökoaktivisten, aber auch immer mehr unabhängige Wissenschaftler. Sie glauben, dass Glyphosat Missbildungen bei Säugetieren hervorrufen kann, Niere und Leber schädigt und Unfruchtbarkeit oder Krebs begünstigt. Ein Warnruf von höchster Warte schürt die Sorgen: Die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Vereinigung unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation, hat Glyphosat Anfang März als “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen” eingestuft.

    Ist Glyphosat also harmlos genug zum Trinken, wie es manche Industrielobbyisten predigen? Oder ist es das DDT des 21. Jahrhunderts, hochgiftig und im Begriff, die gesamte Nahrungskette zu verseuchen?

    Wer sich um Klärung bemüht, bekommt es mit verschwiegenen Firmen zu tun, die Forschungsergebnisse als Betriebsgeheimnisse deklarieren. Kritische Studien werden schlechtgemacht, Wissenschaftler unter Druck gesetzt.

    “Die Industrie tut alles, um missliebige Forscher zu diskreditieren”, sagt der französische Toxikologe Gilles-Éric Séralini, einer der schärfsten Glyphosat-Kritiker. Séralini glaubt, dass die Zulassungsbehörden der Industrie seit Jahren in die Hände spielen, auch deshalb, weil sie Glyphosat nur isoliert auf Giftigkeit prüfen; nur den Wirkstoff an sich also – nicht aber die tatsächlich versprühten Mixturen. Séralinis Forderung: “Glyphosathaltige Pestizide sollten sofort verboten werden.”

    Glyphosat wurde erstmals 1950 in der Schweiz synthetisiert. Seit 1996 kommt es massiv zum Einsatz, vor allem zusammen mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen, denen die Chemikalie nichts anhaben kann. Die Kombination galt lange als ökologisch unbedenklich und äußerst wirkungsvoll: Glyphosat hemmt das Enzym eines für Pflanzen essenziellen Stoffwechselwegs. Gentech-Getreide wie etwa die Roundup-Ready-Sorten des Agrarriesen Monsanto widerstehen dem Killer. Wer also Glyphosat gegen Unkraut spritzt und gleichzeitig die Gentech-Saat verwendet, darf auf reiche Ernten hoffen.

    Jahrelang ging das gut. Doch die Bauern müssen immer größere Mengen des Pestizids auf die Felder sprühen, weil viele Unkräuter resistent geworden sind. Über 700 000 Tonnen des Stoffs produzieren Firmen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer Crop Science inzwischen im Jahr. In Deutschland sind derzeit 94 glyphosathaltige Unkrautvernichter unter Namen wie Roundup, Glyfos oder Permaclean zugelassen.

    Gartenfreunde sprühen die Mittel in die Fugen zwischen den Terrassenplatten. Die Bahn hält damit ihre Gleisanlagen kahl. Deutsche Bauern wiederum machen mit den Pestiziden Tabula rasa, um Felder für die neue Aussaat vorzubereiten. Oder sie nutzen die Mittel für die sogenannte Sikkation : Raps, Kartoffeln oder Weizen werden kurz vor der Reife gleichsam totgespritzt, weil sie dann leichter zu ernten sind. Diese Technik erhöht die Pestizidrückstände in den Feldfrüchten. Für die EU kein Problem: Sie hat den Glyphosat-Grenzwert für Brot- und Futtergetreide einfach erhöht.

    Die größten Glyphosat-Mengen indes stecken in importierten Futterpflanzen. Als Tierfutter sind Gentech-Mais und -Soja etwa aus Argentinien oder den USA seit 1996 in der EU zugelassen. Das eiweißreiche Getreide ist billiger als Kraftfutter aus Europa und landet direkt in den Trögen jener Kühe und Schweine, deren Milch oder Fleisch in hiesigen Supermärkten angeboten werden.

    Doch was macht die Glyphosat-Flut mit der Umwelt? Schon lange steht das Mittel im Ruf, die Böden auszulaugen. Genpflanzen überleben die Behandlung zwar, werden aber anfälliger für Krankheiten, bleichen aus oder fallen Pilzen zum Opfer. Nun mehren sich die Anzeichen, dass Glyphosat auch Tier und Mensch schaden könnte.

    Ib Borup Pedersen, Schweinezüchter aus dem dänischen Spentrup, fütterte seine Schweine jahrelang mit Gentech-Soja. Irgendwann wurde er misstrauisch. “Jede Sojalieferung führte zu neuen Gesundheitsproblemen”, erzählt der Landwirt. Durchfall, Magengeschwüre und Blähungen plagten Pedersens 450 Sauen. Testweise ließ er das Gentech-Soja weg. “Die Tierarztkosten fielen um zwei Drittel”, erinnert sich Pedersen, “die Sauen wurden ruhiger und produzierten mehr Milch.”

    Nun wollte es der Schweinezüchter aus Jütland genau wissen. Fortan führte er Buch über die Herkunft des Schweinefutters und die Erkrankungen seiner Tiere. “Zwei Jahre und 32 000 Schweine später” hatte Pedersen “deprimierende Gewissheit”. Glyphosat im Futter, so zeigten seine Notizen, verschlechterte nicht nur den Allgemeinzustand der Sauen. Es häuften sich auch Fälle von Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und Missbildungen an Schädel, Wirbelsäule und Beinen.

    Pedersen hat die Horrorshow sorgfältig dokumentiert: Seine Fotos zeigen Ferkel mit nur einem Auge oder ohne Anus, Tiere mit deformierten Ohren, Schnauzen und Zungen, mit klaffenden Löchern im Schädel oder verkrümmten Beinen. Einige der Tiere ließ Pedersen ärztlich untersuchen. Überall im Körper fanden sich Glyphosat-Rückstände, vor allem in Lunge und Herz.

    “Ohne Zweifel ist Roundup der Grund für meine Probleme”, folgert der Züchter. Und er ist sich sicher, dass seine Erfahrungen keine Ausnahme sind.

    Auch in Pedersens Urin fand sich Glyphosat. “Das macht mir besonders Sorgen, weil ich mein Essen ganz normal hier bei uns im Supermarkt einkaufe”, sagt er.

    Pedersens Studie hat wissenschaftlich keinerlei Aussagekraft, weil sie anekdotisch ist, nicht systematisch. Und doch bestätigen seine Notizen, was Publikationen in Fachjournalen zeigen. Im Tierexperiment entwickelten Krallenfrosch- und Hühnerembryonen Missbildungen durch Glyphosat. Rattenembryonen, die mit verdünntem Roundup geduscht wurden, erlitten Skelettschäden.

    Das Pestizid galt lange als unbedenklich, weil es auf ein Enzym zielt, das allein in Pflanzen wirkt. Aufruhr im Säugetierkörper richtet der Stoff aber wohl dennoch an. Er ist nah mit der Aminosäure Glycin verwandt und kann deren Platz im Stoffwechsel einnehmen.

    Forscher berichten, dass Glyphosat nerventoxisch wirken und das Hormonsystem durcheinanderbringen könne. Bei Embryonen stört der Stoff möglicherweise den Retinsäure-Stoffwechsel, der eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung spielt.

    Auch einen immens wichtigen Enzymkomplex könnte er beeinflussen: den biochemischen Werkzeugkasten zur Entgiftung des Körpers. Ständig bombardieren toxische Substanzen aus der Nahrung Mensch und Tier. Enzyme bauen diese Stoffe in Leber und Niere ab. Normalerweise. Glyphosat könnte diesen Mechanismus hemmen. Ohne gut laufende Entgiftung jedoch wird der Körper zur Sondermüllhalde.

    Einer, der es genau wissen will, ist der Franzose Séralini. Seine Arbeitsgruppe im normannischen Caen erforscht seit Jahren die Wirkung von Glyphosat. Séralini badete menschliche Embryonal- und Plazentazellen in Roundup-Lösungen und protokollierte die vernichtende Wirkung der Chemikalie. Zum Erzfeind der Industrie wurde der Forscher aber erst, nachdem er Versuchsratten über zwei Jahre Roundup ins Trinkwasser geträufelt oder sie mit Gentech-Mais gefüttert hatte.

    Séralini untersuchte insgesamt 200 Ratten, analysierte Blut, Kot, Urin und Organe. Was er fand, beschreibt der Toxikologe als “alarmierend”. Nieren- und Leberschäden waren zu verzeichnen, die Weibchen entwickelten überdurchschnittlich häufig Brustkrebs. Die Hirnanhangdrüse war bei vielen Tieren vergrößert, der Stoffwechsel verändert.

    Im September 2012 veröffentlichte das Fachblatt “Food and Chemical Toxicology” die Studie. Danach brach in Séralinis Leben die Hölle los. “Innerhalb der ersten 24 Stunden protestierten über hundert Forscher gegen unser Paper”, erzählt er, “dann schlossen sich die Behörden, die Glyphosat zugelassen hatten, dem Widerstand an.”

    Séralini wurden “Falschaussagen” vorgeworfen, “Verwendung von Tieren für Propagandazwecke”, “Munitionierung für Extremisten”. Wenn sich der Forscher daran erinnert, in seinem kleinen, schmucklosen Büro in einem Seitentrakt der Université de Caen, klingt er verbittert. Der energische Toxikologe fühlt sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

    “Es gab enormen Druck vonseiten der Industrie”, sagt Séralini. Mit Erfolg: Im November 2013 zog “Food and Chemical Toxicology” Séralinis Veröffentlichung zurück . Zufall oder nicht – ein halbes Jahr zuvor hatte das Fachmagazin den US-Ernährungswissenschaftler Richard Goodman in seinen redaktionellen Beirat berufen, einen ehemaligen Monsanto-Mitarbeiter.

    Der Streit um Séralinis Arbeit ist typisch für die Glyphosat-Debatte. Kritische Studien werden zunächst fachlich angezweifelt. Dann wird’s persönlich. Im Fall der französischen Rattenstudie bemängeln Kritiker , dass der Forscher die falschen Labor-

    ratten und vor allem zu wenig Tiere verwendet habe, um signifikante Aussagen machen zu können. Séralini hält dagegen. Inzwischen hat ein anderes Fachblatt die Studie neu publiziert. Die Reputation des Franzosen ist dennoch beschädigt.

    Bei der aktuellen Krebsstudie der IARC wiederholt sich das Muster. Die Experten sortierten Glyphosat in die “Kategorie 2A” ein, “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen”. Sie berufen sich vor allem auf drei Studien aus den USA, Kanada und Schweden, die nahelegen, dass die Chemikalie das Risiko erhöht, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Außerdem gebe es “überzeugende Hinweise”, dass Glyphosat Krebs bei Labortieren und Erbgutschäden bei menschlichen Zellen hervorrufe, berichtet der IARC-Epidemiologe Kurt Straif.

    Straif und 16 weitere Experten von Weltruf haben an der IARC-Einschätzung mitgearbeitet. Ein Jahr lang diskutierten die Wissenschaftler, bevor sie im März ihr Urteil fällten. Die Ergebnisse publizierten sie im angesehenen Fachblatt “Lancet Oncology”. Die Pestizidhersteller beeindruckt das wenig; umgehend zogen sie gegen die Forscher zu Felde.

    “Wir sind empört”, wetterte Robb Fraley , oberster Techniker von Monsanto. Die IARC-Einschätzung widerspreche “Jahrzehnten umfangreicher Sicherheitsforschung der führenden Regulierungsbehörden der Welt” und sei “ein klares Beispiel einer tendenziösen Agenda”. Monsanto-Chef Hugh Grant diffamierte die Arbeit gar als “junk science”, zu Deutsch: Drecksforschung.

    Die Firma aus St. Louis in den USA beharrt darauf, dass Glyphosat weder Krebs, Missbildungen oder Erbgutschäden auslöse, noch die Fruchtbarkeit beeinträchtige oder das Hormonsystem störe. “Alle ausgewiesenen Glyphosat-Anwendungen sind sicher für die menschliche Gesundheit”, sagt Fraley. Was der Konzern angeblich mit mehr als 800 Studien belegen kann.

    An einer davon hat der Toxikologe Helmut Greim mitgearbeitet. Der weißhaarige Experte, gerade 80 geworden, war jahrelang einer der führenden Toxikologen in Deutschland. Längst im Ruhestand, arbeitet er immer noch als Gutachter, seine Basis ist ein kleines Büro an der Technischen Universität München in Weihenstephan.

    Jüngst hatte Greim 14 Tierversuchsstudien auf dem Tisch, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs ergründen. “Es gab keine Hinweise auf einen kanzerogenen Effekt”, sagt der Forscher. Kein Wunder, findet er: “Es fehlt ein plausibler Mechanismus, wie Glyphosat Krebs auslösen könnte.”

    Seine Ergebnisse fasste Greim Anfang des Jahres in einem Fachmagazin zusammen. Zu den Koautoren gehört David Saltmiras – einer der Cheftoxikologen von Monsanto und Mitglied der “Glyphosate Task Force”, eines Lobbyverbands.

    Und das ist die zweite Strategie der Industrie: Unliebsame Studien werden mit eigenen Arbeiten gekontert, die oftmals das komplette Gegenteil zum Ergebnis haben. Greim räumt das ein: Seine Metastudie sei durchaus als Antwort auf die Untersuchung des Franzosen Séralini gedacht.

    Andere Studien wiederum halten die Pestizidhersteller mit dem Verweis auf “Betriebsgeheimnisse” sorgsam unter Verschluss. Werden kritische Ergebnisse verheimlicht? Anfang der Achtzigerjahre zum Beispiel gab Monsanto Fütterungsversuche mit Ratten in Auftrag, eigentlich um die US-amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) von der Harmlosigkeit von Glyphosat zu überzeugen. EPA-Vermerke von damals legen jedoch nahe, dass die Industriestudie eine “große Zahl” pathologischer Veränderungen der Rattennieren feststellte, Veränderungen, die einen Krebsverdacht begründen können.

    Inzwischen stuft die EPA Glyphosat als praktisch ungiftig ein. Auch das BfR in Berlin sieht keinerlei Gesundheitsgefahren durch den Stoff. Sind die Behörden den Taktiken der Glyphosat-Lobby auf den Leim gegangen, wie Kritiker meinen?

    Das BfR weist den Vorwurf der Industrienähe vehement zurück. “Eigenständige Bewertungen” von “mehr als 1500 Publikationen” seien durchgeführt worden. Doch wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass ausgewiesene Experten zu so unterschiedlichen Einschätzungen über ein und denselben Stoff kommen?

    Das BfR bietet eine Erklärung an. Die Unterschiede, heißt es dort, hätten ihren Ursprung “in einem anderen methodischen Ansatz”. Regulierungsbehörden beurteilen Umweltchemikalien nämlich vor allem nach deren direkter Wirkung auf Versuchstiere im Labor.

    Das geht so: Forscher träufeln Ratten reines Glyphosat in verschiedenen Konzentrationen ins Futter. Dann bestimmen sie jene Glyphosat-Menge, die den Ratten gerade eben noch keine Schäden zufügt. Gleichzeitig messen sie, in welcher Konzentration der Stoff tatsächlich in der Umwelt vorkommt. Liegen die beiden Werte weit auseinander, geben die Kontrolleure Entwarnung. Bei Glyphosat ist das so.

    Anders die sogenannte gefahrenbezogene Bewertung, die zum Beispiel zum Votum der IARC führte: Unabhängig von der Dosis untersuchen die Forscher dabei, ob der Stoff ganz prinzipiell gefährlich für Mensch und Tier ist. Zudem werten sie Studien zu den in der Umwelt real beobachteten Folgen des Glyphosat-Regens aus. Solche epidemiologischen Studien haben den Nachteil, dass die Versuchsbedingungen nicht gut zu kontrollieren sind. Dafür bilden sie besser die Wirklichkeit ab.

    Zudem mehren sich die Hinweise darauf, dass Glyphosat nicht allein, sondern erst im Mix zum Killer werden könnte. “Pestizide wie Roundup enthalten etwa 50 verschiedene Moleküle”, sagt Séralini. Von einer “Mischung stark korrosiver Stoffe aus der Ölindustrie” spricht der Forscher. Die aggressive Chemie ist zum Beispiel notwendig, um die Pflanzenwände aufzubrechen. Erst dann kann das Glyphosat eindringen und sein Vernichtungswerk verrichten.

    Rezepturen wie Roundup seien “bis zu tausendmal giftiger als Glyphosat allein”, sagt Séralini. Auch das BfR hat erkannt, dass der Mix eine wichtige Rolle spielt. Besonders giftige Beistoffe, die sogenannten Tallowamine, sind inzwischen zumindest in Deutschland verboten. Doch das Problem bleibt, findet Séralini – zumal die Giftigkeit des jeweiligen Potpourris überhaupt nicht getestet wird.

    Séralinis Arbeit ist die einzige Langzeitstudie weltweit, bei der Roundup verfüttert wurde. In allen anderen Fällen testeten die Forscher Glyphosat pur. Das jedoch sei “das falsche Produkt”, kritisiert Séralini, nämlich eines, “das auf dem Markt gar nicht existiert”.

    Ist der massive Einsatz glyphosathaltiger Pestizide also ein fahrlässiger, weltumspannender Feldversuch an Tier und Mensch? “DDT hat man früher auch als völlig untoxisch angesehen”, sagt Monika Krüger, emeritierte Veterinärmedizinerin, “dann hat man langsam gemerkt, dass da im Himmel keine Vögel mehr waren.” Die ehemalige Leiterin des Instituts für Bakteriologie und Mykologie der Universität Leipzig weiß zwar, dass der Vergleich nicht ganz stimmt – Glyphosat wird viel schneller abgebaut als das Insektengift DDT. Doch die Wissenschaftlerin will aufrütteln. Denn auch ihr gefällt nicht, was sie sieht.

    Krüger untersuchte die missgebildeten Ferkel des dänischen Bauern Pedersen. Sie entdeckte Glyphosat-Rückstände im Urin von Hochleistungskühen. Vor allem aber musste sie mehrfach zusehen, wie Bauern in Sachsen und Schleswig-Holstein einen Großteil ihrer Herde an den “chronischen Botulismus” verloren.

    “Die Lähmungen ziehen von hinten herauf nach vorn, können die Lunge erreichen”, erläutert die Professorin. Dann sacken die Kühe einfach zusammen, “abgemagert, mit aufgezogenem Bauch”.

    Das Gift von Bakterien des Typs Clostridium botulinum sei schuld an dem Leiden, sagt die 67-jährige Forscherin. Normalerweise fristen die Einzeller ein Hungerdasein im Verdauungstrakt. Andere Mikroorganismen halten sie in Schach. Bei erkrankten Kühen jedoch haben sie sich rasant ausgebreitet. Schleichend werden die Tiere von innen vergiftet.

    Warum kommt es zur Giftattacke? Krüger ist sich sicher: Das Glyphosat im Tierfutter ist schuld. Die Forscherin hat im Labor untersucht, wie Glyphosat auf die Mikroorganismen des Kuhpansens wirkt. “Ausgerechnet viele der nützlichen Organismen werden durch Glyphosat abgetötet”, erläutert sie. Dies störe die Pansenflora, die Botulismus-Clostridien könnten sich “massiv vermehren”.

    Ratten, deren Nieren anschwellen, missgebildete Ferkel, vergiftete Kühe, Menschen mit Lymphdrüsenkrebs – hängt all dies mit Glyphosat und Pestiziden wie Roundup zusammen? Der wissenschaftliche Streit könnte sich noch Jahre hinziehen. Ist es fahrlässig, solange einfach weiterzumachen wie bisher?

    Bauer Voss aus Dithmarschen jedenfalls will nicht mehr warten, bis sich die Forscher geeinigt haben. Er hat seine Konsequenzen gezogen.

    Voss verfüttert jetzt selbst angebaute Ackerbohnen und Raps an seine 75 Kühe. Glyphosathaltiges Sojaschrot aus Übersee mutet er ihnen nicht mehr zu. Seither gäben die Tiere wieder mehr Milch, sie seien fruchtbarer und gesünder.

    Bald will Voss seinen Hof ganz auf ökologische Landwirtschaft umstellen und Biomilch produzieren. “Diesen Irrsinn”, sagt er, “mache ich nicht mehr mit.”

    –> Originaltext auf Spiegel.de

  • Sie lebt

    Ein Spielfilm feiert Bernhard Grzimek als Naturschützer der ersten Stunde. Die Serengeti in Afrika war der Sehnsuchtsort des Zoodirektors, ihre Rettung war sein Lebenswerk. Was ist aus dem Vermächtnis des großen Tierliebhabers geworden?

    Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 14/2015  VIDEO

    Khetho Ncube hat schon viele Könige aus dem Dickicht springen sehen. “Häufig sitzen die Löwen dort im Schilf und warten auf Tiere, die zum Wasser wollen”, sagt der Tansanier und zeigt hinüber zum Ufer des nahen Flüsschens. Seine Winchester, geladen mit Patronen vom Großwild-Kaliber .458, hält der bullige Wildführer dabei fest in der Linken.

    Beruhigend. Denn wer in der Serengeti spazieren geht, fühlt sich schnell wie Löwenfutter.

    “Immer in meiner Nähe bleiben”, hatte Ncube am Morgen gemahnt, als die Sonne langsam den Himmel über der blassgelben Savanne eroberte. Für den Ernstfall vereinbarte er Handzeichen: stopp, langsam zurück, hinhocken.

    Jetzt eilt der Wildführer voraus, hinter sich eine in Ehrfurcht verstummte Touristenschar. Ein junger Massai im königsblauen Gewand, den traditionellen Mkuki-Speer in der Hand, geht am Ende der Wandergruppe, wohl als Attraktion für die Gäste, vielleicht aber auch tatsächlich, um rechtzeitig vor Simba, Tembo und Chui zu warnen. So heißen Löwe, Elefant und Leopard in der Landessprache Kisuaheli.

    Ncube liest den Savannenboden wie eine Karte, findet den Kot von Hyänen, weiß vom Kalzium der Knochen ihrer Opfer, und Elefantendung voll spitzer Akaziendornen (“Niemals drüberfahren, sonst ist der Reifen platt”). Dann hebt er die Hand. Die Besucherkarawane kommt zum Stillstand. Vier Kaffernbüffel galoppieren unweit vorbei, muskulöse Fleischberge mit furchterregenden Hörnern.

    “Die gefährlichsten der großen Wildtiere”, flüstert Khetho Ncube, der für einen Reiseveranstalter arbeitet. “Die sollte man nicht überraschen.” Gereizte Elefanten würden erst mal eine Scheinattacke führen, Ohren nach vorn, wütend peitschender Rüssel, berichtet der Wildführer, “aber wenn ein Büffel angreift, ist man in Todesgefahr”.

    “Walking Safari” heißt das Abenteuer, an dem an diesem Tag zum Beispiel Pat Kurtiniatis und Mike Cramer teilnehmen, ein Rentnerpaar aus dem Orange County in Kalifornien. Die Reise stand bei ihnen auf jener Liste wichtiger Dinge, die sie noch tun wollten in ihrem Leben.

    Der Serengeti-Nationalpark in Tansania, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, ist eines der letzten großen Wildnisgebiete der Erde, ein Sehnsuchtsort der Menschheit auf der Suche nach dem Natürlichen, Unberührten, Ursprünglichen. Kaum einer wusste das besser als Bernhard Grzimek , der langjährige Direktor des Frankfurter Zoos, der vor mehr als 55 Jahren mit seinem Sohn Michael in diese endlose Savanne kam und den Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben” drehte.

    Am kommenden Freitag zeigt die ARD einen neuen Spielfilm über Grzimek , den Deutschen, der nicht weniger vorhatte, als die Fauna Afrikas zu retten. In der Hauptrolle: Ulrich Tukur, der den Mann als visionären Tierschützer gibt, als sendungsbewussten Ökopionier – und großen Frauenhelden.

    –>> Artikel im Original auf SPIEGEL Online lesen

    In modischem Einreiher, das Silberhaar sorgsam gescheitelt, plauderte Grzimek in seiner Fernsehsendung “Ein Platz für Tiere” weitgehend konzeptfrei über See-Elefanten und Trompeterschwäne, über doppelköpfige Nattern oder Paradiesvögel, während ihn ein passender tierischer Partner aus dem Frankfurter Zoo umspielte.

    Weltweite Berühmtheit verschaffte sich der Tierheger allerdings erst, als er nach Afrika aufbrach und mit “kreuzzüglerischem Pathos vor der Vernichtung der letzten frei lebenden Großwildherden Afrikas warnte”, wie der schrieb.

    Die britische Verwaltung des damaligen Tanganjika beabsichtigte, die Grenzen des Serengeti-Nationalparks neu zu ziehen, um dem Wunsch der Massai nach mehr Weideflächen zu genügen. Doch welche Grenzen sollten das sein? Grzimek und sein Sohn lernten fliegen, reisten mit einem zebragestreiften Kleinflugzeug nach Ostafrika und zählten mit der Sorgfalt preußischer Verwaltungsbeamter die in der Serengeti lebenden Gnus (99 481), Zebras (57 199) und Grant- sowie Thomson-Gazellen (194 654) , um deren Wanderwege zu bestimmen.

    Die Erlebnisse in der Savanne verarbeitete Grzimek zu dem Film “Serengeti darf nicht sterben”. Das Werk (Grzimek: “Nebenbei gedreht”) trug ihn auf den Gipfel seines Ruhms und wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Sohn Michael erlebte den Triumph nicht mehr: Er war im Januar 1959 noch während der Dreharbeiten mit der Dornier Do 27 des Duos abgestürzt.

    Der Vater verschrieb sich umso entschlossener der Aufgabe, die Serengeti zu bewahren. Als er 1987 starb und neben seinem Sohn am Rand des Ngorongoro-Kraters beerdigt wurde, war die Wildnis der Serengeti weltberühmt.

    Doch was ist aus Grzimeks Vermächtnis geworden? Wie steht es um die Serengeti, fast 30 Jahre nach dem Tod des zoologischen Dampfplauderers? Und, viel grundsätzlicher: Kann es auch in dieser immer dichter bevölkerten Welt gelingen, der Großfauna, also Elefanten, Nashörnern, Büffeln oder Löwen, ein dauerhaftes Überleben in freier Wildbahn zu garantieren?

    Antworten gibt es vor Ort, am besten direkt im Herzen des Nationalparks, in Seronera. Der Ort, kaum mehr als ein paar versprengte Häuser, ist Sitz der Parkverwaltung. Grzimek ist hier immer noch präsent. Als Pappkamerad steht er im Besucherzentrum neben dem ersten Staatspräsidenten Tansanias, Julius Nyerere.

    Grzimeks Statthalter vor Ort heißt Robert Muir, Afrikachef der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) mit ihrem Gorilla-Logo. Der drahtige Brite empfängt auf der Veranda seines kleinen Wohnhauses, von der aus der Blick über die weite, mit Akazien und Buschwerk gesprenkelte Ebene geht. Unweit weiden Antilopen und Giraffen. Später wandern zwei Elefanten nur wenige Meter am Haus vorbei.

    “Grzimeks Arbeit war visionär”, sagt Muir, “er hat Nyerere überzeugt, die Parkgrenzen so zu legen, dass die Tiere ihren Wanderwegen folgen können.”

    Rund zwei Millionen Weißbartgnus, Zebras und Thomson-Gazellen ziehen im Jahresrhythmus durch die Serengeti und die angrenzenden Gebiete , fünfmal mehr als noch zu Grzimeks Zeiten. Über 26 000 Quadratkilometer erstreckt sich ihre Wanderung, von Tansania nach Kenia in das Massai-Mara-Schutzgebiet und zurück, durch die Flüsse Mara, Grumeti und Mbalageti, in denen die Krokodile lauern.

    Das Naturwunder der Serengeti, es existiere noch, sagt Muir. Doch der Druck wächst. Rund 170 000 Touristen aus aller Welt besuchen jährlich den Wildnispark. Geht es nach der tansanischen Nationalparkbehörde (Tanapa) , sollen es künftig jedoch noch mehr werden. Gleichzeitig kommen Wilderer in das Gebiet – auf blutiger Jagd nach Elfenbein und Nashorn.

    Und immer mehr Menschen leben um den Park herum. Rodung, Landwirtschaft, Viehherden und Wasserknappheit bedrohen das Ökosystem. Hinzu kommt der Klimawandel, der den uralten Kreislauf durcheinanderzubringen scheint – wie in diesem Jahr, in dem die ersehnten Regenfälle bislang fast vollständig ausgeblieben sind.

    “Für Tansania steht sehr viel auf dem Spiel”, sagt Muir. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wolle das Land künftig mit Tourismus erwirtschaften, berichtet er. Gleichzeitig gebe es internationale Verpflichtungen, den Naturreichtum zu erhalten, immerhin gehöre die Serengeti “zu den Top Drei der Nationalparks der Erde”, neben Galápagos und Yellowstone.

    Was auf dem Spiel steht, lässt sich am folgenden Morgen erahnen, als es im Land Rover Richtung Süden geht. Hunderte Gnus und Zebras galoppieren entlang der Straße in langen Reihen über die Savanne, eine endlose Kolonne schnaufender und blökender Tierleiber, die zusammen- und wieder auseinanderzufließen scheinen wie die Strudel eines Flusses, der sich über das Land ergießt.

    Elefanten mit ihren Jungen trotten gemächlich durch den aufgewirbelten Staub, während Warzenschweinfamilien mit hoch erhobenen Schwänzchen über die Ebene sprinten. Unter einem Busch, kaum fünf Meter von der Straße entfernt, labt sich ein Rudel Löwen an den Eingeweiden eines frisch erlegten Gnus. Die Schnauzen rot von Blut, reißen sie schwer atmend Fleischbrocken aus dem Tierkörper heraus, direkt daneben parken die Geländewagen der Touristen.

    Aus den geöffneten Wagendächern ragen die Köpfe bleicher Amerikaner und Europäer heraus, deren ununterbrochen klickende Kameras mit ihren Teleobjektiven wirken wie seltsame Körperanhängsel. Die Löwen stört es nicht im Geringsten.

    Die ruhig fressenden Großkatzen neben den schier endlosen Herden – der Tod, so alltäglich, wirkt fast profan angesichts des üppigen Lebens ringsumher.

    Doch der Bilderreigen des anscheinend Wilden, Ursprünglichen trügt. Der natürliche Kreislauf ist auch in der Serengeti längst gestört. Nach einer Stunde Fahrt ist die Ranger-Station von Moru im Süden des Nationalparks erreicht. Hier hat Philbert Ngoti von der Anti-Wilderei-Einheit der Tanapa das Sagen. Zusammen mit 51 Wildhütern kontrolliert Ngoti ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet, um die letzten rund 30 Spitzmaulnashörner der südlichen Serengeti zu schützen.

    Im Rest des Parks tummeln sich weitere 20 dieser Tiere; jedes von ihnen hüten die Ranger wie eine kostbare Preziose. Denn für Wilderer ist derzeit nichts so wertvoll wie das Horn der massigen Huftiere. “Wenn ein Wilderer zwischen einer Gruppe von Elefanten und einem Nashorn wählen kann, wird er das Nashorn töten”, erzählt Ngoti. Der Schwarzmarktpreis für das Horn, dessen Material dem von Fingernägeln gleicht, liege in Vietnam oder China bei mehreren 10 000 US-Dollar pro Kilogramm, berichtet der Ranger. Ein “lukratives Geschäft”, das er mit seinen Kollegen zu verhindern sucht.

    “Die Wilderer sind gut bewaffnet”, sagt Ngoti, “aber wir sind es auch.” Immer wieder komme es zu Feuergefechten. “Wer nicht vorsichtig und gut trainiert ist, kann hier leicht sein Leben verlieren”, sagt er.

    Die Ranger haben vielen der Nashörner einen Sender ins Horn implantiert. So können die Tiere leicht aufgespürt – und beschützt – werden. Mit dem Pritschenwagen geht es von Moru aus querfeldein über die Savanne. Einer der Männer streckt eine Antenne in den Himmel. Immer lauter wird das rhythmische Klicken des Empfängers. Dann taucht, zunächst kaum sichtbar gegen das gelbe Savannengras, ein massiges Nashorn in der Ferne auf. Rajabu haben es die Männer getauft, ein Bulle, über 40 Jahre alt. Gegen den Wind nähern sich die Ranger dem Tier. Es blickt herüber, zögert. Nashörner sind Einzelgänger, scheu und gleichzeitig gefährlich. Attacke oder Flucht: Ngoti hat schon beides erlebt. “Wenn wir zu schnell zu nah kommen, wird das Tier angreifen”, warnt er. Schließlich trollt sich das tonnenschwere Wesen.

    Ngoti und seine Männer können durchaus stolz auf ihre Arbeit sein. Denn Anfang der Neunzigerjahre hatten Wilderer die Nashörner in der Serengeti auf nur noch zwei Weibchen dezimiert. Aus dem nahen Ngorongoro-Schutzgebiet wanderte 1993 dann Rajabu in das Gebiet ein. Ein Glücksfall: Während das Abschlachten der Tiere in Südafrika eskaliert (Spiegel 11/2015) , wächst die Population in der Serengeti.

    “Im Moment werden fünf bis sechs Kälber jährlich geboren”, sagt Ngoti. Nur ein einziges Nashorn sei im vergangenen Jahr von Wilderern getötet worden.

    Ähnlich verhält es sich mit den Elefanten. Ihre Zahl liegt im Serengeti-Ökosystem nach einer Zählung von vergangenem Jahr bei rund 6000 Tieren – fünf Jahre zuvor waren es 3068. “Wir sehen sehr viele Jungtiere”, schwärmt ZGF-Mann Muir. Dabei geht der Trend in Tansania eigentlich in die andere Richtung: 2009 lebten rund 109 000 Elefanten in Tansania. Bei der jüngsten Erhebung 2014 waren es nur noch rund 44 000.

    Warum geht es den Tieren in der Serengeti besser? Das Erfolgsrezept der Tanapa sei es, sagt Muir, ständig Präsenz zu zeigen. Über 300 Ranger würden im Park patrouillieren. Auch die Touristen helfen. “Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren”, sagt der Biologe.

    Doch der Erfolg gegen die Wilderer im Park ist ein Pyrrhussieg, solange die Hintermänner nicht gefasst werden. Wie Kriminalisten sind die Tanapa-Experten daher auch in den umliegenden Dörfern im Einsatz. Wo wird die Schmuggelware gelagert? Über welche Kanäle gelangt sie nach Übersee? Woher kommen die Waffen?

    Der Kampf um die Serengeti muss vor allem außerhalb des Nationalparks gewonnen werden. Und dabei geht es nicht nur um die Wilderei allein. Drei bis vier Millionen Menschen leben heute in den Dörfern um das Schutzgebiet – weit mehr als noch zu Grzimeks Zeiten.

    Wilddiebe legen Drahtschlingen aus, in denen sich jährlich Tausende Gnus, Zebras oder Impalas verfangen und elend zugrunde gehen. Immer näher rücken die Felder der Einheimischen an die Parkgrenzen heran. Der Wasserhaushalt des Gebiets wird verändert, die Wanderschaft der Tiere behindert. Im Gegenzug trampeln marodierende Elefanten durch die Mais- und Hirsefelder der Menschen.

    Den Löwen wiederum gilt das Vieh als leichte Beute. Die Rache der Hirten kann ihnen gewiss sein. Gerade wieder sind zehn der Raubkatzen westlich des Parks vergiftet aufgefunden worden.

    Besonders schwierig ist die Situation östlich des Parks, in den Schutzgebieten Loliondo und Ngorongoro. Dort siedeln vor allem Massai. Das Hirtenvolk lebt traditionell mit seinen Rinderherden, die als Statussymbol gelten. Immer mehr Massai und damit auch immer mehr Rinder sind in den vergangenen Jahren in die Gegend eingewandert. Inzwischen ist das Land stark überweidet. Die Massai würden ihr Vieh gern in die Serengeti treiben. Doch das dürfen sie nicht.

    “Die Hirten sehen eine Menge Gras auf der anderen Seite”, erläutert ZGF-Mann Muir, “das führt zu Spannungen.” Ein Streit um die Grenzziehung des Parks ist entbrannt; manche der Landrechte außerhalb des Schutzgebiets sind bis heute ungeklärt. Und seit langer Zeit schon ist man sich nicht einig, wer genau über die Nutzung des Landes entscheiden darf. Im Oktober sind Parlamentswahlen in Tansania, darum ist alles hier im Moment politisch. Auch die Serengeti.

    “Die Gemeinden in der Nähe profitieren noch nicht genug vom Nationalpark”, sagt Muir. Tanapa und ZGF versuchen daher seit Jahren, den Einheimischen alternative Einkommensquellen zu eröffnen, die im Einklang mit dem Naturschutz stehen.

    In Nyichoka beispielsweise, einem Dorf etwa 30 Kilometer westlich des Nationalparks, haben sich an diesem Tag die Mitglieder der “Sinduka Cocoba Group” um einen runden Tisch versammelt, auf dem ein blauer, mit drei Schlössern gesicherter Metallkasten steht. Nach einem festgelegten Ritual wird die Box entriegelt. Zum Vorschein kommen vier mit Geldscheinen gefüllte Plastikdosen. Sie enthalten das Gesamtvermögen der örtlichen “Naturschutzbank”. Reihum zahlen die Männer und Frauen sogenannte Anteile von jeweils 4000 Tansania-Schilling ein (etwa zwei Euro). Dann werden Schulden getilgt und Auszahlungen getätigt.

    An jedem Samstag kommen die Mitglieder der Bank zusammen. Der Sinn der Geldschieberei: Die Dorfbewohner vom Stamm der Ikoma legen zusammen, um ihren Mitbürgern später Mikrokredite gewähren oder selbst welche in Anspruch nehmen zu können. Das Geld investieren sie in Projekte, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Einzige Bedingung für die Finanzspritze: Die Natur darf durch die Unternehmungen nicht beeinträchtigt werden.

    Agnes Marongoli beispielsweise hat mithilfe der Kredite gemeinsam mit ihrem Mann Maro ein kleines Kulturzentrum aufgebaut. Vor einer von ihnen errichteten traditionellen Hütte führt eine Tanzgruppe den “Singori” auf, einen Erntedanktanz. Touristen kommen hierher, um Kunsthandwerk zu kaufen und sich die uralten Tiermythen der Ikoma anzuhören. Zusätzlich verkaufen die Marongolis Honig an die Hotels der Gegend – auch die Bienenstöcke haben sie mit Mikrokrediten finanziert.

    “Wir waren Jäger”, sagt Marongoli, “jetzt profitieren wir von den Touristen, die in unsere Läden kommen.” Das Geschäft lohnt sich für sie, die nie eine Ausbildung bekommen hat: Ihre acht Kinder kann sie nun auf die Schule schicken.

    Die Gemeinden rund um Nyichoka haben ihr gesamtes Land zum Wildtier-Schutzgebiet umgewidmet. Bewusst verzichten sie auf Ackerbau, Jagd und Viehzucht. Das Gebiet grenzt direkt an den Nationalpark und ist eine Art Wildnis-Pufferzone. Die Tiere profitieren von der Erweiterung ihres Lebensraums. Gleichzeitig können die Gemeinden ihr Land direkt an Tourismusunternehmen verpachten. Acht Luxuszeltlager für Touristen sind in der Gegend entstanden.

    Im vergangenen Jahr sei dadurch rund eine halbe Million US-Dollar in die Gemeindekassen gespült worden, berichtet Masegeri Rurai, der die “Ikona Wildlife Management Area” für die ZGF betreut.

    Vom Tourismus im Nationalpark selbst profitiert die lokale Bevölkerung jedoch kaum. Mit den Gewinnen finanziert die Tanapa vor allem den Unterhalt der anderen 15 Nationalparks in Tansania, die kaum Einnahmen haben.

    Naturschutz ist ein teures Geschäft. Und der Tourismus muss ihn finanzieren. Doch wie ist die Balance zu halten? Im Massai-Mara-Schutzgebiet in Kenia stehen die Geländewagen in der Hauptsaison in langen Schlangen vor jedem Löwenrudel. Im Vergleich dazu wirkt die Serengeti menschenleer. Und das ist so gewollt.

    Zurück in Seronera wartet schon Tanapa-Mitarbeiter Godson Kimaro, Chef der Tourismusabteilung der Serengeti. “Wir wollen mehr Gäste hier haben”, sagt Kimaro, “aber gleichzeitig muss der Tourismus nachhaltig bleiben”. Rund 2700 Betten in etwa 120 Safari-Camps gibt es im gesamten Park. Kimaro plant etwa 550 zusätzliche Betten für die nächsten Jahre. Das muss dann aber auch reichen.

    Gleichzeitig will er das Angebot für die Gäste attraktiver machen. Neben den traditionellen “Game Drives” gibt es heute schon Heißluftballonfahrten. Spezielle Kurse für Tierfotografie, mehrtägige Wandertouren oder Dinnerpartys in der Wildnis schweben Kimaro vor.

    Für so viel Exklusivität muss man ordentlich zahlen: Schon der Eintritt in den Park kostet 60 US-Dollar, pro Tag. Dazu kommt die Übernachtung, die schon in den Safari-Zeltlagern 500 US-Dollar kosten kann. Wer ein echtes Dach über dem Kopf vorzieht, zahlt leicht das Doppelte.

    Fast ausschließlich aus Übersee sind daher die Gäste der Four Seasons Safari Lodge Serengeti, einer Hotelanlage nördlich von Seronera. Von der breiten Terrasse mit ihren edlen Sitzecken aus geht der Blick auf einen azurblau schimmernden Swimmingpool. Unterhalb des Beckens und kaum zehn Meter dahinter befindet sich ein künstlich angelegtes Wasserloch, das sich aus dem geklärten Brauchwasser des Hotels speist.

    An diesem Abend ist eine komplette Elefantenherde an der Tränke erschienen, dazu Impalas und eine Gruppe von Kaffernbüffeln. In der Ferne ziehen Giraffen. Langsam senkt sich die Sonne. Kellner reichen eisgekühlte Getränke. Ein warmer Wind umfächelt die Touristen. Es ist das perfekte Out-of-Africa-Abziehbild inklusive der Schirmakazien, die sich gegen den Himmel abzeichnen.

    Vielleicht ist genau dies das Schicksal der Wildnis: dass sie sich nur als kitschige Postkarte erhalten lässt, als ein Ort temporärer Zivilisationsflucht.

    “Die Natur aber bleibt ewig wichtig für uns”, schrieb Grzimek in seinem Serengeti-Buch. Politische Sorgen hingegen führten dann nur noch “ein Buchstabenleben” in Geschichtsbüchern. “Aber ob dann noch Gnus über die Steppen stampfen und nachts Leoparden brüllen, das wird den Menschen immer noch etwas bedeuten.”

    –>> Artikel im Original auf SPIEGEL Online lesen

    [box]Wenn Bernhard Grzimek (1909 bis 1987), der damalige Direktordes Frankfurter Zoos, “Ein Platz für Tiere” moderierte, schauten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Millionen zu. Grzimek war scharfzüngiger Tierschützer, Enzyklopädist (“Grzimeks Tierleben”) und Regisseur. Sein Film “Serengeti darf nicht sterben” verschaffte ihm Weltruhm.[/box]

  • Nachtjägers Liebeslied

    Eine deutsche Biologin erforscht in Panama die Gesänge der Fledermäuse. Die Ultraschallsongs sind mitunter so komplex wie die Balladen von Vögeln. Linguisten wollen darin sogar Hinweise finden, wie die menschliche Sprache entstand.

    Von Philip Bethge

    Das Männchen der Großen Sackflügelfledermaus wirbt mit Gesang und Spucke um die Gunst des Weibchens. Im Schwirrflug steht der Troubadour vor der Angebeteten in der Luft und singt dabei sein Liebeslied.

    Alle paar Sekunden lässt der Fledermäuserich dabei Hautsäcke an seinen Armen aufschnappen. Darin fermentieren Urin, Speichel und andere Körpersekrete – aus Fledermausweibchensicht ein betörender Duft.

    “Die Männchen legen sich wahnsinnig ins Zeug”, schwärmt Mirjam Knörnschild. “Sie können sich eine Stunde lang mit einem Weibchen beschäftigen.” Die Biologin von der Universität Ulm blickt hinauf zu den Tieren, die weit oben in einem hohlen Baum vor sich hin flirten. Immer wieder schwirrt der nur etwa sieben Gramm schwere Fledermann vor der Angebeteten, ähnlich wie ein Kolibri vor der Blüte. Die Umworbene hängt derweil kopfüber im Baum und feuert den Minnesänger mit kurzen Schreien an.

    “Komm schon, komm schon, wie lange kannst du noch so fliegen?”, übersetzt Knörnschild die Rufe des Weibchens und horcht dann wieder mit dem Ultraschallmikrofon hinein ins Fledermaus-Duett. Die Forscherin ist Expertin für die Fledertier-Minne. Auf Barro Colorado Island, einer Insel mitten im Panamakanal gelegen, lauscht sie dem Singsang der Tiere.

    Ein neues Reich der Melodien tut sich auf – Forscher ergründen den Gesang der Fledermäuse. Bislang waren die Nachtjäger vor allem für ihre kurzen Ultraschalllaute bekannt, mit denen sie noch in pechschwarzer Nacht unfallfrei durchs Dickicht navigieren. Inzwischen jedoch zeigt sich: Auch liebliches Liedgut gehört zum Repertoire. Viele Fledermäuse singen wie Vögel.

    Ein Trillern, Tschirpen und Tirilieren hallt durch hohle Bäume, düstere Höhlen und alte Gemäuer. Ausgefeilt wie Nachtigallenjubel erweisen sich manche der Gesänge. Und viele der Melodien sind sogar erlernt: Einige Fledermäuschen gehen bei ihren Eltern in die Gesangsschule – das macht ansonsten nur der Nachwuchs von Menschen, Elefanten, Walen, von Delfinen, manchen Robben und vielen Vögeln.

    –>> Geschichte auf Spiegel.de lesen

    “Vokales Lernen ist sehr selten im Tierreich”, erläutert Tecumseh Fitch, Kognitionsbiologe an der Universität Wien, der sich auf Tierkommunikation spezialisiert hat. Dass nun ausgerechnet die Flattertiere Melodien pauken, erscheint Fitch als pures Forscherglück. “Fledermäuse sind Säugetiere”, sagt er, “ihr Gehirn funktioniert ähnlich wie unseres.”

    Anders als etwa Delfine oder Elefanten ließen sich die Tiere zudem relativ problemlos im Labor untersuchen. “Ich glaube, dass Fledermäuse uns dabei helfen werden, die Evolution der menschlichen Sprache besser zu verstehen”, schwärmt Fitch.

    Das Konzert der Fledermäuse blieb lange Zeit unentdeckt, weil die Tiere es großteils außerhalb der Hörwelt des Menschen vorführen. Doch dank tragbarer Ultraschallmikrofone und Digitaltechnik für die Audiobearbeitung lässt sich die kleine Nachtmusik der Tiere immer besser erforschen. Dabei zeigt sich: Singende Fledermäuse finden sich allerorten.

    In Ostafrika brummelt die Herznasenfledermaus ihre Territorialgesänge durch die Nacht. Sie singt so tief, dass die Lieder auch für den Menschen gut zu hören sind. Von Brasilien bis Mexiko wiederum trällern die Männchen der Mexikanischen Bulldoggfledermaus. Die Biologin Kirsten Bohn von der Florida International University hat herausgefunden, dass die Tiere dabei sogar eine Art Syntax verwenden. Ihr Tschirpen und Summen kombinieren sie zu Satzteilen, diese Teile wiederum zu komplexen Songs. Die Abfolge passen sie dabei der jeweiligen sozialen Situation an.

    Auch in Deutschland singen die Fledertiere. Gerade jetzt ist für den Großen Abendsegler Paarungszeit. Die Männchen setzen sich in den Abendstunden und nachts an sogenannte Balzwarten, zum Beispiel vor Baumhöhlen. Dort singen sie – um ihr Revier zu verteidigen und um Weibchen anzulocken. Im Herbst balzt auch die Zweifarbfledermaus. Eigentlich ist sie an Felswänden heimisch. Jetzt fliegt sie häufig in der Nähe von hohen Häusern und Kirchen.

    Am besten lassen sich die Freiluftkonzerte der Flugsäuger allerdings in den Tropen erforschen. Dort gibt es nicht nur sehr viele Fledermausarten. Den Wissenschaftlern hilft auch, dass viele der Tiere weder wegziehen noch in den Winterschlaf fallen.

    Panamas Barro Colorado Island gehört zu den fledermausreichsten Weltgegenden überhaupt. Die vor mehr als hundert Jahren beim Bau des Panamakanals entstandene Insel ist eine Art riesiges Freilandlabor. Wer hier mit dem Boot ankommt, fühlt sich wie im Kinohit “Jurassic Park”. Dichter Regenwald reicht bis hinunter ans Ufer. Dort warnen Schilder vor den zahlreichen Krokodilen.

    An einer kleinen Bucht liegt die Forschungsstation des Smithsonian Tropical Research Institute. Wissenschaftler aus aller Welt mieten sich für Wochen oder Monate ein, um die einzigartige Lebenswelt des fast unberührten Dschungels zu studieren.

    Mirjam Knörnschild kommt seit über zehn Jahren regelmäßig hierher. Sie nennt die Anlage den “Club Med” unter den Forschungsstationen. Dreimal am Tag gibt es Kantinenessen. Duschen und Ventilatoren helfen gegen die schwüle Hitze, die schwer wie eine Dunstglocke über den gelb getünchten Gebäuden liegt.

    Die Biologin wartet am Anleger in Badelatschen, Multifunktionshose und Trägerhemdchen. Das blonde Haar hat die 35-Jährige zum Pferdeschwanz gebündelt. Ihr Büro liegt im zweiten Stock eines der Hauptgebäude. Schon auf dem Weg gibt es erste Fledermäuse zu sehen. Wie riesige dunkle Käfer krallen sie sich unter dem Vordach des Hauses kopfunter an die Wand. Deutlich sichtbar sind die Tiere mit bunten Ringen, die ihnen Knörnschild angelegt hat, an den Flügeln markiert. “Ich kenne hier jede Fledermaus persönlich”, scherzt die Forscherin.

    Große Sackflügelfledermäuse leben in Kolonien. Typischerweise schare ein Männchen einen Harem von zwei bis acht Weibchen um sich, die allerdings ausgesprochen wählerisch seien, erzählt Knörnschild. Obschon die Paarungszeit nur wenige Wochen dauert, muss der Fledermann die Damen das ganze Jahr über mit Gesang bezirzen – sonst macht sich die Flederfrau auf und davon zum Nachbar-Barden. Gleichzeitig muss der Fledermäuserich sein Revier verteidigen. Auch das erledigt er vor allem musikalisch.

    Wer die Tiere dabei belauschen will, macht sich am besten gegen Abend auf den Weg. Fast windstill ist es an diesem Tag unter hellgrauem Himmel. Das kleine Motorboot der Biologen schneidet seine ruhige Spur durch das graugrüne Wasser des Panamakanals, der sich hier zum Gatúnsee weitet. Nach kurzer Fahrt um die Insel ist ein kleiner Anleger erreicht, dort ein paar Gebäude, eine Lichtung, dahinter dichter Wald. Tukane rufen rau. Tauben gurren. Kapuzineraffen hangeln mit Getöse durch die Bäume. Über allem liegt der monotone Gesang der Zikaden.

    Die Großen Sackflügelfledermäuse leben unter dem überhängenden Dach eines kleinen Steinhauses. Noch dösen die Tiere. Knörnschild und ihr Kollege, der Biologe Thomas Hiller, spannen Fangnetze aus feinen Plastikfäden auf, die kaum sichtbar und auch per Echoortung schwierig zu entdecken sind. Dann startet Knörnschild ihren Lauschangriff. Ihr Richtmikrofon erfasst Frequenzen von bis zu 460 Kilohertz. Für das menschliche Ohr ist schon bei rund 20 Kilohertz Schluss.

    Bald beginnt der Balzgesang der Männchen, ein feines Gezwitscher, “am ehesten mit Nachtigallengesang vergleichbar”, sagt Knörnschild. Auf dem angeschlossenen Laptop kann die Biologin den Frequenzgang der Laute direkt grafisch verfolgen.

    Kurze Zeit später fangen die Barden der Nacht mit ihren Territorialgesängen an, rasend schnellen Abfolgen harter, rauer Silben, von denen ein Teil auch ohne Technik zu hören ist. Zwischendurch blitzen immer wieder die kurzen, hochfrequenten Echoortungslaute auf dem Bildschirm auf.

    Und auch das Singen einiger Jungtiere ist bald zu erahnen. “Babbeln” nennt Knörnschild die piepsigen Laute. “Die Jungen durchlaufen eine Phase, die mit der Plapperphase von Kleinkindern vergleichbar ist”, sagt sie, “dabei mixen sie ganz wild Sachen aus dem Lautrepertoire ihrer Eltern zusammen, offenbar um zu üben.”

    Knörnschild nimmt die Gesänge seit Jahren auf. Manchmal stellt sie auch Lautsprecherboxen in den Dschungel und spielt den Tieren Aufnahmen von Artgenossen vor. Die Forschungsergebnisse zeigen, wie vielseitig der Singsang ist. Große Sackflügelfledermäuse können sich beispielsweise individuell an ihren Gesängen erkennen. Bestimmte Triller nennt Knörnschild sogar “Passwörter”: Sie signalisieren die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

    Die Balzgesänge wiederum sind wahre Werbebotschaften. “Die Weibchen scheinen auf Vielfalt Wert zu legen”, erläutert Knörnschild, “wir haben Hinweise, dass sich Männchen, die variabler und tieffrequenter singen, erfolgreicher fortpflanzen.” Der mit der schönsten Ballade und der tiefsten Stimme wird also auch bei Fledermäusen schnell zum Frauenschwarm.

    Und wahrscheinlich gibt es – ähnlich wie bei Walen – sogar Dialekte. So singen die Großen Sackflügelfledermäuse Panamas beispielsweise anders als jene in Costa Rica. Dort wiederum hören sich die Fledermaussongs an der Atlantikküste etwas anders an als am Pazifik. Die beiden Populationen sind durch eine Vulkankette in der Mitte des Landes getrennt.

    “Für die Fledermäuse ist der Gesang eine sehr effektive Art zu kommunizieren”, fasst Knörnschild zusammen. Die Biologin klappt jetzt ihren Laptop zu. Das Konzert ist für diesen Abend vorbei. Die Dunkelheit kommt schnell in den Tropen, und die ersten Tiere verlassen nun die Kolonie, um den nächtlichen Raubzug zu starten. Bald zappeln einige von ihnen im aufgespannten Fangnetz der Forscher.

    Vorsichtig löst Knörnschild die zarten Tiere heraus und beginnt, sie zu vermessen. Unterarmlänge, Gewicht und Gesundheitszustand notiert die Biologin. Aus der Flügelhaut entnimmt sie mit einer Art Locher eine Gewebeprobe für die Erbgutanalyse (das Loch wächst nach einigen Tagen wieder zu). Dann werden die Tiere mit routinierten Griffen beringt. Nachdem die Prozedur überstanden ist, entlässt Knörnschild die Fledermäuse, eine nach der anderen, zurück in die feuchte Tropennacht.

    Warum singen die Fledermäuse so vielseitig und ausdauernd? Die meisten Säugetiere sind reichlich einsilbig. Hunde bellen. Pferde wiehern. Katzen miauen. Selbst Schimpansen verfügen über ein Repertoire von nur etwa 15 Lauten.

    Anders manche Fledermäuse: Sie jubilieren, variieren, kopieren. Einige der Tiere könnten gar in der Lage sein, nicht nur als Jungtiere, sondern ihr ganzes Leben lang neue Gesänge zu erlernen, vermuten die Forscher. Warum nur? Eine Theorie: Ihr komplexes Sozialleben könnte die Quasselei hervorgebracht haben.

    Auch für den Menschen wird die Hypothese der sogenannten Machiavellischen Intelligenz diskutiert: Soziale Expertise treibt demnach die Evolution von Intelligenz voran, auch die von Sprache. Wer sich in der Gruppe zurechtfinden muss – sei es für die Jagd, die Balz oder die Aufzucht der Jungen -, dem nützt es, viel zu quatschen. Bei den Fledermäusen konnte Knörnschild die Theorie schon testen. Fünf Arten hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Martina Nagy verglichen. Tatsächlich zeigt sich: Je komplexer das Sozialgefüge, desto komplexer die Gesänge.

    Eine andere Theorie: Tiere, die viel schwatzen, tun es schlicht deshalb, weil es ihnen möglich ist. Schimpansen etwa ist es anatomisch verwehrt, komplexere Laute

    zu produzieren. Der Mensch hingegen ist dafür mit seinem tief liegenden Kehlkopf bestens ausgerüstet.

    Ähnlich die Fledermäuse: Für die Echoortung haben sie einen Stimmapparat entwickelt, der sich auch für die Kommunikation eignet. Gleiches gilt zum Beispiel für Delfine, die sich ebenfalls per Ultraschall orientieren.

    “Bei diesen Tieren war die Anatomie der Stimme ja schon vorhanden”, erläutert Fitch. “Um auch kommunizieren zu können, mussten sie diese Fähigkeit nur weiterentwickeln.”

    Die schönste Theorie indes führt die Sprachevolution auf die Liebe zurück. Schon Darwin vermutete: Sprache entstand schlicht deshalb, weil Weibchen Männchen gern singen hörten. Auch der Mensch – genauer der Mann – war demnach erst Sänger, dann Plaudertasche.

    “Das Männchen singt ,Scoobie-du-bi-dab-dab-doubi-du’”, erläutert Fitch, “das Weibchen denkt ,Wow, ich mag dieses Lied’.” Auch ein Duett mag der Ursprung des Gesprächs gewesen sein, sagt der Kognitionsforscher. Einige Primaten singen bis heute zu zweit. Die Gibbons Südostasiens etwa: Bei ihnen sei das Duett “Teil des musikalischen Werbens, aber auch ein Signal an alle anderen, dass dort zwei zusammengehören und die Partnerschaft gut funktioniert”, sagt Fitch.

    Die Fledermaus-Gesangsforschung, so hoffen die Forscher nun, soll derlei Hypothesen weiter erhärten. Rund 960 Fledermausarten leben auf der Erde. Bislang haben Biologen nur etwa 20 von ihnen beim Singen ertappt. “Da gibt es noch sehr viel zu entdecken”, sagt Knörnschild.

    Gerade hat sie die letzte Fledermaus von ihrer Hand aus zurück in die Nacht starten lassen. Stockdunkel ist es inzwischen im Dschungel Panamas geworden. Im Schein ihrer Kopflampen packen die Biologen ihre Fangnetze zusammen und bringen alles zurück zum Boot, während die Mücken das unerwartet reichhaltige Abendmahl aus Forscherblut feiern.

    Beim Ablegen blickt Knörnschild zurück auf den dunklen Wald. Am Rand des Dickichts jagen nun die Großen Sackflügelfledermäuse nach den Insekten der Nacht. Morgen früh werden die Männchen in ihre Kolonien zurückkehren und jeder ihrer Liebsten bei Ankunft jeweils eine neue Ballade widmen.

    Die Nacht ist hier voller Lieder – und für die Liebe singen sich wohl auch Fledermäuseriche fast um den Verstand.

     

  • Papua New Guinea’s Royal Trophy: Are Collectors Key to Saving Giant Butterfly?

    Papua New Guinea is home to the world’s largest butterfly, but oil palm plantations are threatening the rare species’ habitat. Conservationists and local residents alike would like to save the species by lifting a ban on trade in the butterfly and selling it for thousands of dollars to collectors.

    By Philip Bethge

    The butterfly’s silhouette is sharply outlined against the morning sky. It flies high up into the air, beating its wings slowly, more like a bird than a butterfly. Its long, narrow wings are reminiscent of a swallow’s wings, as they shimmer in the sunlight like iridescent sequins.

    The insect makes a wide circle around Grace Juo’s small stilt house and lands on a bright red hibiscus blossom. In Jimun, the language of the indigenous people, the Queen Alexandra’s Birdwing butterfly is called a dadakul. It’s the world’s largest butterfly, with females attaining wingspans in excess of 25 centimeters (10 inches). “We are proud of our butterfly, and we take good care of it,” says Juo, glancing at the insect, which has now inserted its long proboscis into the flower.

    Juo, a Melanesian, lives in Kawowoki, a small village of huts on the Managalas Plateau in eastern Papua New Guinea. The volcanic soil here is dark and heavy, and the rainforest is an exuberant shade of green. The plateau is the last remaining habitat of any significant size of the Queen Alexandra’s Birdwing butterfly, one of the world’s rarest insects. Some butterfly collectors would pay thousands of dollars for a single specimen. Local residents like Juo hope that they will soon benefit from the appetites of trophy-hungry collectors.

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    But multinational corporations believe that oil and natural gas deposits lie beneath the tropical paradise and the rainforest is threatened. Prospectors have also found copper and gold, and oil palm plantations are proliferating in the region.

    The temptations of the modern age are reaching Papua New Guinea, a country divided into hundreds of ethnic groups. It has a disastrous infrastructure, is wracked by tribal feuds and is at a high risk for disease epidemics. The history of the Queen Alexandra’s Birdwing butterfly isn’t just the tale of a rare species. It also revolves around the question of how to go about protecting species in a developing country that is undergoing rapid change.

    The search for answers begins behind a barbed-wire fence in Port Moresby, the capital city. Armed guards provide security against the city’s criminal gangs, known as “rascals.” A rattling air-conditioner helps to stave off the heat and humidity in the office of the organization Partners with Melanesians.

    A Conservation Plan

    Kenn Mondiai and Rufus Mahuru are sitting at a dark table, explaining their rescue plan. “For the last seven years, we’ve been discussing ways to save the Managalas Plateau together with the local people,” says Mondiai, a heavy man with a round face and a moustache. The activist wants to transform the habitat of the giant butterflies into one of the largest conservation areas in Oceania. “The butterfly helps us convince the people to support this cause,” he says. “It symbolizes the diversity and value of our nature.”

    British naturalist Albert Meek was the first European to spot the giant butterfly in the rainforests of Papua New Guinea. Hired by the zoologist Lord Walter Rothschild, Meek explored the region in 1906 to find fresh trophies for Rothschild’s private zoological museum in the English town of Tring.

    One day, Meek discovered a butterfly flying at a high altitude, and promptly brought it down with a shotgun. The adventurer dissected the butterfly and sent it to England. Rothschild named the animal “Ornithoptera alexandrae,” in honor of Queen Alexandra, the wife of King Edward VII.

    Meek’s first specimen was a female. A year later, he captured a male near Popondetta in Papua New Guinea’s Oro Province. Today the town can be reached by taking a half-hour flight from the capital. This is followed by an exhausting trip by Land Cruiser on muddy trails.

    Several bridges were washed away in a recent flood, and the SUV struggles through hip-high water, even getting stuck in the sandy riverbed for a while. After a grueling, three-hour drive, we reach the Managalas Plateau, 36,000 hectares (about 140 square miles) of privately owned rainforest, populated by about 20,000 people from 10 different cultures, each with its own dialect.

    Tall trees, covered with vines and orchids, stand next to wild banana trees, coconut palms and breadfruit trees. The indigenous people grow plantains, yams, ginger, tomato and sweet potatoes on small plots of land.

    This is the realm of the giant butterfly. The male looks as if it were wearing a magnificent cloak of turquoise and green, covered with a layer of gold dust. In contrast, the wings of the larger female are a velvety black, interspersed with a few yellow and cream-colored patterns here and there.

    –> read original article at SPIEGEL Online International

    Unusual Reproductive Biology

    The threatened butterfly is vulnerable because of its unusual reproductive biology. The female lays its eggs exclusively on a poisonous vine called Aristolochia. Once the caterpillars have hatched, they ingest the plant’s toxic leaves, making them unpalatable for potential predators.

    The Aristolochia winds its way up into the crowns of jungle trees, which can grow to heights of up to 40 meters (131 feet). The butterfly would be lost without the vine, so propagating the Aristolochia is one of the main goals of conservationists.

    Conwel Nukara, 31, is the local head of the butterfly project and an expert in Aristolochia cultivation. His teeth are stained red from chewing betel nut, a stimulant commonly used by the indigenous peoples of the region. The Melanesian, walking barefoot, leads us into the garden behind his house, where he has set up a greenhouse made of green gauze.

    Aristolochia cuttings are planted in neat rows inside the greenhouse, and a number of the butterfly’s pitch-black caterpillars are already nibbling away at some of the leaves. Bright red appendages protrude from the animal’s body like poisonous barbs, while a yellow band runs around the middle of its body. “We want the animals to reproduce quickly,” says Nukara. “The larvae can develop and pupate in peace here. I release the butterflies once they’ve emerged.”

    A Threatened Habitat

    Nukara is trying to convince his entire community to raise butterflies and, as part of his campaign, he makes regular visits to schools in the area.

    A villager brings him a transparent plastic jar. Nukara carefully opens the lid, revealing a dead female butterfly.

    “We show these butterflies to our children,” he explains, spreading the insect’s wings, which have become frayed after being touched by many small hands. “We want them to discover at an early age what a treasure we have in this area.”

    He means it literally. One of the reasons local residents pay such conscientious attention to the giant butterfly is that they hope to make money with the creatures in the future. But that could prove to be difficult.

    The Queen Alexandra’s Birdwing is on the red list of threatened species of the International Union for Conservation of Nature (IUCN), and its international trade is banned. From the perspective of species conservationists, the butterfly satisfies all of the criteria to make it a critically endangered species: It lives in only one area, Oro Province, its numbers are unknown, and its habitat is increasingly disappearing.

    Farming Threatens Butterflies

    The problem is already obvious in the flatlands around the provincial capital Popondetta, which is surrounded by plantations of tightly packed oil palms. Local farmers also grow coffee and cocoa. Hardly any of the rainforest, together with the vines that the butterfly urgently needs, is still left.

    Eddie Malaisa is a wildlife officer with the Oro provincial government. He has been concerned with the giant butterfly for the last 25 years. “The butterfly population continues to drop,” he warns. “We only find two or three per month on the lowland plains.”

    On this particular day, Malaisa has an appointment with Paul Maliou, a manager with New Britain Palm Oil Limited (NBPOL). Large trucks are parked on the grounds in front of Maliou’s office, fully loaded with the red fruits of the oil palm. Across the street are long rows of the trees. When sunlight strikes the long palm fronds, they create shimmering patterns on the ground.

    NBPOL signs contracts directly with the farmers and sells their crops for them. Maliou’s job is to ensure that this is done in a sustainable way. “We assure that our operations don’t go into areas that affect the butterfly,” he asserts. But wildlife officer Malaisa begs to differ. There were once 27 butterfly reserves planned for the region, he says, and now “twenty of the areas went to palm oil.” Malaisa is left to manage only seven small reserves.

    The government employee seems helpless. His budget doesn’t even include money for a car, which he needs to patrol the reserves. Ironically, the Queen Alexandra’s Birdwing is depicted on the flag of Oro Province.

    “The butterfly is an important part of our culture,” says Malaisa. But he too recognizes that farmers will only protect the insect if they can make some money with it.

    To address the problem, Malaisa has proposed compensating all landowners who preserve the insect’s habitat by leaving some areas unfarmed. He also favors lifting the ban on trade with the butterfly. “If the landowners don’t get anything out of protecting the butterfly, they will change the butterfly habitat to oil palm, cocoa or coffee and the butterfly will become extinct,” the wildlife officer warns.

    Could Lifting Ban on Trade Help Save Butterflies?

    A softening of the trade ban could indeed be the butterfly’s last chance. Buyers on the black market would pay up to $10,000 a specimen. If the trade were legalized, Malaisa argues, the farmers could charge several thousand dollars per insect. “What is worse?” he asks, “To legally trade a few butterflies or to watch the animal go extinct?”

    Do conservationists have to revise their thinking and accept that species like the Queen Alexandra’s Birdwing can only be saved if they have a market value? Activist Kenn Mondiai of Partners with Melanesians also favors adopting a new strategy. “If we want to preserve the forest on the Managalas Plateau, and if no oil palms are to be grown there, then we have to propose alternative sources of income to local residents,” he says.

    It’s afternoon in Kawowoki by now, and half the village has gathered in front of Grace Juo’s house to look for a butterfly. The animal that was fluttering around her hut in the morning was a male. Now everyone hopes to be able to show the visitor from faraway Germany a female specimen of the royal butterfly.

    While the women roast bananas and sweet potatoes in the embers of a fire, the men dispense advice on how to stalk a butterfly. The insects are usually seen high above the treetops, but only when the sun shines. Otherwise the moisture from the forest would make their wings too heavy.

    But the weather is favorable today. Suddenly they all jump up and stare at the tops of nearby large trees. A female Queen Alexandra’s Birdwing is gliding through the warm air at a surprisingly fast pace. Grace Juo excitedly lifts her arms up to the sky.

    “The world has to know about our butterfly,” she says, and with shining eyes she follows the flight of the dadakul, “and then people will come here with bundles of dollars in their hands!”

    Translated from the German by Christopher Sultan

    –> read original article at SPIEGEL Online International

  • Die Musik-Formel

    Lieder können zu Tränen rühren und Massen in Ekstase treiben. Wie ist das möglich? Forscher entschlüsseln, wie sich physikalische Schwingungen in Gefühle verwandeln – und wie die rätselhafteste aller Künste einst entstanden ist. Machte erst die Musik den Menschen zum sozialen Wesen?

    Von Philip Bethge, SPIEGEL 31/2003

    Johann Sebastian Bach wird überdauern. Selbst wenn ewiges Eis die Erde unter sich begraben sollte oder die Sonne ihren Planeten verbrennt – dem C-Dur-Präludium aus dem zweiten Teil des “Wohltemperierten Klaviers” des Meisters wird all das nichts anhaben.

    Das Musikstück wird auch nach dem Ende des Planeten Erde noch an Bord der “Voyager”-Raumsonden auf der Reise zu fernen Welten sein. Gepresst auf eine vergoldete Kupfer-Schallplatte, entfernt es sich derzeit minütlich um gut tausend Kilometer von der Erde.

    Außer der Bach-Komposition finden sich 26 weitere Musikstücke sowie Grußworte in 55 Sprachen auf dem Tonträger, der im All Jahrmilliarden überdauern soll. Sogar einen Alu-Plattenspieler samt Gebrauchsanweisung hat die Raumsonde im Gepäck – vorgesehene Laufgeschwindigkeit: 16 2/3 Umdrehungen pro Minute.

    Die musikalische Botschaft soll fernen Zivilisationen vom menschlichen Genius künden. Musik, so scheint die Übereinkunft, gehört zur Essenz intelligenten Lebens, zu jenen Dingen, die das Menschsein erst ausmachen.

    Was aber sollte ein außerirdischer Empfänger eigentlich mit der akustischen Botschaft anfangen? Die Abbildungen vom Planeten Erde und dem Menschen – auch sie an Bord der Voyager-Sonden – erlauben ihm, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie die Absender der geheimnisvollen Botschaft aussehen und woher sie stammen.

    Auch Worten und mathematischen Formeln lässt sich ein Sinn entlocken, wenn erst einmal der dazu notwendige Code geknackt ist. Aber einem Präludium? Muss es nicht jedem Nicht-Menschen nur als Krach erscheinen?

    Musik ist die wohl merkwürdigste Kunstgattung, die der Mensch je hervorgebracht hat. Anders als Malerei, Poesie oder Bildhauerei stellt sie die Welt nicht dar. Ein Akkord bedeutet nichts, eine Melodie hat keinen Sinn.

    In ihrem Kern ist Musik reine Mathematik – berechenbare Luftschwingungen, deren Frequenzen sich nach physikalischen Regeln überlagern. Und doch geschieht eine Art Wunder: Mathematik verwandelt sich in Gefühl.

    Musik kann zutiefst berühren. Kaum ein Mensch ist immun gegen ihre Magie. So sinnentleert die Aneinanderreihung von Tönen scheint, keine Kultur mag darauf verzichten. Ob die Gamelan-Musik Indonesiens, die doppeltönigen Kehlgesänge der Nomaden im sibirischen Tuva oder der wundermächtige Sopran einer Maria Callas: Musik bewegt, provoziert, entzückt.

    Doch wie ist das möglich? Warum fährt ein forscher Rhythmus dem Mensch in alle Glieder? Wieso weckt der eine Akkord Wehmut und Sehnsucht, der andere hingegen Triumphgefühle? Wozu dient das ganze Flöten, Trommeln und Tirilieren?

    Und schließlich: Was genau ist Musik eigentlich? Weshalb besteht der überraschende Zusammenhang zwischen Zahlen und Klängen? Und wann und warum hat der Mensch damit begonnen zu musizieren?

    Mit den Methoden der modernen Wissenschaften gehen Psychologen, Hirnforscher, Mathematiker und Musikwissenschaftler dem Phänomen nun auf den Grund. Musik, so zeigt sich dabei, ist weit mehr als zweckfreier Müßiggang. Immer deutlicher offenbaren die Befunde, wie eng sie mit dem Wesen des Menschen und seiner Lebenswelt verbunden ist:

    * Musik ist Kultur gewordene Natur. Der Klang eines hohlen Baumstammes, das Pfeifen des Windes, selbst das Geräusch, das ein fallender Stein verursacht, legen die Grundlagen dafür, wie der Mensch Musik wahrnimmt und interpretiert.

    * Melodien und Rhythmen wirken auf genau jene Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Trauer, Freude und Sehnsucht zuständig sind; Musik, so zeigt sich damit, öffnet das Tor in die Welt der Gefühle.

    * Schon sehr früh ist das menschliche Gehirn auf Musikalität programmiert; selbst wenige Monate alte Babys können bereits harmonische von dissonanter Musik unterscheiden.

    * Die Wurzeln der Musik reichen bis ins Tierreich zurück; noch ehe der Mensch das erste Wort sprach, war vermutlich Musik die archetypische Ausdrucksform menschlicher Kultur.

    –> Geschichte auf Spiegel.de lesen

    Seit je rätseln die Denker über die herausragende und intensive Wirkung der Tonkunst. Der Philosoph Immanuel Kant sah sie als Natursprache der Empfindungen. Friedrich Schiller stellte den Musiker als “Seelenmaler” dem Dichter zur Seite. Die ersten Versuche, das Phänomen wissenschaftlich zu erfassen, unternahmen bereits die Griechen.

    Seiner Zeit weit voraus, beschrieb der Philosoph Pythagoras um 500 vor Christus als Erster den verblüffenden Zusammenhang zwischen Mathematik und Musik. Mit Hilfe eines so genannten Monochords – einer Art Gitarre mit nur einer einzigen Saite – untersuchte der Denker die Geheimnisse der Tonkunst. Er erkannte, dass sich die grundlegenden Musikintervalle durch einfache Zahlenverhältnisse beschreiben lassen.

    Mit einem verschiebbaren Steg teilte Pythagoras die Saite des Monochords beispielsweise im Verhältnis eins zu zwei. Die beiden Saitenabschnitte erklangen fortan im Abstand von genau einer Oktave, dem Grundintervall jeder Musik. Der sein Leben lang nach mathematischer Perfektion forschende Grieche war über die Entdeckungen wohl entzückt: Zu gut passte sie in sein mechanistisches Weltbild, dem zufolge das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei.

    Noch weitere grundlegende musikalische Intervalle konnte Pythagoras mit Hilfe des Monochords erzeugen. So entwickelte er schließlich die erste Tonleiter der Weltgeschichte, die bis heute mit leichten Veränderungen in der westlichen Welt Bestand hat.

    Erst im 17. Jahrhundert jedoch – längst waren Notensystem, Mehrstimmigkeit und Harmonik erfunden – gelang es dem französischen Mönch und Mathematiker Marin Mersenne, den Zahlenspielen des Griechen eine physikalische Erklärung zu geben. Mersenne brachte bis zu 40 Meter lange Saiten zum Klingen und zählte ihre Schwingungen. Das Ergebnis: Tatsächlich schwingt eine Oktave stets exakt doppelt so schnell wie der jeweilige Grundton.

    Denn nichts anderes als Schwingungen sind die Töne – ein ewiges Hin- und Hertanzen kleinster Luftmoleküle, deren Bewegung erst die Qualität dessen bestimmt, was an die Ohren der Welt dringt.

    Wasser rauscht, Steine klackern, Blätter rascheln und Sand knirscht – doch all diese Geräusche sind noch keine Musik. Wie wütend gemachte Bienen sausen die Luftteilchen bei derlei Getöse chaotisch durcheinander. Erst wenn die Luftmoleküle gleichsam in Reih und Glied schwingen, erklingt schließlich ein einzelner Ton (siehe Grafik Seite 138). Natürliche und durch Instrumente erzeugte Töne bestehen dabei meist aus Schwingungen mehrerer Frequenzen, die sich überlagern.

    “Tatsächlich addiert jedes Luftmolekül in einem Konzertsaal die Schwingungen aller Instrumente zu einem einzigen wilden Tanz”, beschreibt der amerikanische Musikwissenschaftler Robert Jourdain den unwirklich komplexen Vorgang*. Diesen Tanz zu erfassen und daraus jede einzelne der ursprünglichen Schwingungen herauszufiltern ist die ungeheure Leistung des menschlichen Gehörsinns. Am Anfang steht ein vergleichsweise ärmlich ausgestattetes Organ: das Ohr. Mit nur etwa 5000 so genannten Haarsinneszellen (zum Vergleich: im Auge sorgen 120 Millionen Fotorezeptorzellen für den richtigen Durchblick) verwandelt es

    die Schallwellen in elektrische Impulse. Über das Trommelfell werden die winzigen Luftdruckschwankungen registriert, über die Gehörknöchelchen verstärkt und auf eine Membran am Anfang des flüssigkeitsgefüllten Innenohrs übertragen.

    Das schneckenförmige Sinnesorgan vollbringt dann die erstaunliche Leistung, den eintreffenden Schall in seine einzelnen Frequenzen aufzuspalten. Tiefe Töne wandern tief in die Hörschnecke hinein und werden dort in Nervenimpulse umgewandelt; hohe Töne dagegen schon am Eingang des Innenohrs. Mit diesem Filter-Mechanismus gelingt es dem Ohr, selbst Töne voneinander zu unterscheiden, die nur ein Zehntel eines Halbtonschrittes auseinander liegen.

    Von nun an besteht das Gehörte nur noch aus Nervenimpulsen, die durchs Hirn rasen – und ist gleichzeitig natürlich viel mehr als das: “Das Ohr überschreitet”, schrieb schon Joachim-Ernst Berendt in seinem Buch “Das dritte Ohr – vom Hören der Welt”: “Dort geht Materielles in Fühlbares, in Hörbares, in Messbares, in Nurnoch-gerade-Erahnbares, in Jenseitiges und Spirituelles und Unendliches über.”

    Genau diese “Transzendierung” (Berendt) reiner Physik in schier unfassbar komplexe Wahrnehmung ist es, die für viele das Faszinosum der Musik ausmacht. “Für mich ist Musik in ihren besten Momenten der Versuch, die Trennung zwischen Menschendasein und Jenseits aufzulösen durch eine Verbindung mit Gott”, formuliert etwa der Komponist Karlheinz Stockhausen. Der Geiger Yehudi Menuhin wiederum hält Gesang gar für “die eigentliche Muttersprache des Menschen”. Doch wie ist das zu erklären?

    Erst in jüngster Zeit haben sich Forscher aufgemacht, über die reine Physik der Musik hinaus die Wurzeln der menschlichen Musikalität zu ergründen. Zu allgegenwärtig erscheinen ihnen Rhythmen und Melodien, zu groß deren emotionale Kraft, als dass sie bloßes Beiwerk des Menschseins sein könnten. “Wenn man etwas hat, das in jeder bekannten Kultur und zu jeder Zeit vorkam, muss man sich fragen, warum das so ist”, sagt etwa Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover.

    Und auch Thomas Geissmann vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich ist überzeugt: “Da Musik auf fast alle Menschen einen überwältigenden, zuweilen hypnotischen Effekt ausübt, müssen wir annehmen, dass es sich hierbei um ein ursprüngliches Merkmal mit starker erblicher Komponente handelt.”

    An zwei Enden nehmen die Experten die Indizienkette auf. Zum einen gehen sie dem Phänomen dort auf den Grund, wo es entsteht: im Gehirn. Vor allem richten sie ihr Interesse auf die noch kaum erforschte Verbindung zwischen Musik und Emotion. Zum anderen blicken sie weiter zurück in der Evolution der Musik als je zuvor. Denn einem fernen Nachhall dessen, was die Ur- und Vormenschen der afrikanischen Steppe einst im Familienrund zu Gehör brachten, lässt sich noch heute lauschen – bei den singenden Affen in den feuchten Wäldern Sumatras, Borneos und Vietnams.

    Gleich viermal unabhängig voneinander – bei den Indris in Madagaskar, den Sulawesi-Koboldmakis in Indonesien, den Springaffen in Mittel- und Südamerikas und den Gibbons in Südostasien – ist bei den Affen Gesang entstanden. Besonders Gibbons verblüffen durch erstaunliche musikalische Darbietungen (zu hören unter www.gibbons. de). “Traurig sind die Gesänge der Gibbons in den drei Schluchten von Patung – nach drei Rufen in der Nacht netzen Tränen das Kleid des Reisenden”, heißt es schon in einem chinesischen Lied aus dem 4. Jahrhundert.

    Zwischen 10 und 30 Minuten können die in Strophen unterteilten Gesänge der Affen andauern, berichtet der Zürcher Zoologe Geissmann, der die Tiere vor Ort mit Mikrofon und Aufnahmegerät belauscht hat. Bei einigen Gibbon-Arten, etwa den indonesischen Siamang, singen Männchen und Weibchen sogar im Duett. “Vom Menschen abgesehen gibt es kein anderes Landwirbeltier, das auf ähnlich komplizierte Weise singt”, sagt Geissmann. Zudem lebten alle Affenarten, die bislang beim Singen erwischt wurden, monogam, also wie der Mensch in Einehe.

    Der Forscher ist sich sicher: Paarbindung, aber auch Revierverteidigung und Gruppenzusammenhalt sind die Gründe für das Affenkonzert.

    Als Vorläufer äffischer Tonlust hat Geissmann so genannte loud calls ausgemacht: laute Rufe, wie sie etwa Schimpansen ausstoßen. Gleich mehrmals habe sich bei Primaten aus den loud calls Gesang entwickelt: “Es sollte mich doch sehr wundern, wenn sich die Musik des Menschen nicht auch aus solchen Rufen herleitet.”

    Tatsächlich fällt es Wissenschaftlern nicht schwer, auch beim Menschen Indizien für implizite Musikalität aufzuspüren. Besonders Kleinkinder sind dabei begehrte Versuchsobjekte, weil ihre Reaktion auf Klänge nur wenig von kulturellen Einflüssen überformt ist.

    Im Labor der kanadischen Psychologin Sandra Trehub beispielsweise ist alles auf die kleinen Probanden eingestellt. Teletubbies und Spielzeugautos liegen herum. An der Decke hängen Mobiles. An den Wänden kleben bunte Poster.

    Trehub sucht im Gehirn von Kindern nach den neuronalen Wurzeln der Musik. Das Prinzip der Versuche ist denkbar einfach: Über einen Lautsprecher spielt die Forscherin Babys Melodien vor, die auf einer bestimmten Tonart basieren. In unregelmäßigen Abständen jedoch sind einzelne schiefe Töne in die Melodie eingeflochten. Das Verblüffende: Die Kleinen merken die Dissonanz. Jedes Mal, wenn ein unpassender Ton kommt, halten sie inne und drehen ihren Kopf zum Lautsprecher.

    Schon sechsmonatige Kinder reagieren auf diese Weise auf Musik, hat Trehub herausgefunden. Andere Forscher verlegen den Beginn der Musikalität sogar noch weiter nach vorn. Ab dem zweiten Lebensmonat nehmen Babys demnach bereits Rhythmuswechsel wahr. Ja, selbst Ungeborene sind schon empfänglich für musikalische Reize.

    Bis ins Erwachsenenalter reagiert der Mensch höchst empfindlich auf Musik – auch dann, wenn er dies selbst gar nicht merkt. Das wies der Leipziger Psychologe Stefan Kölsch nach, als er Versuchspersonen, die sich selbst als unmusikalisch bezeichneten, Akkordfolgen vorspielte. Wie bei Trehubs Experimenten hatte Kölsch unpassende Akkorde in seine Klangfolgen gemogelt. Profi-Musiker sind darauf geschult, solche Misstöne zu erkennen. Die Laien in Kölschs Experiment jedoch bestritten vor Beginn des Versuchs, derlei Nuancen wahrnehmen zu können.

    Ganz anders war Kölschs Befund: Er belauschte die Gehirnströme seiner Probanden mit Hilfe einer Art verkabelter Badekappe. Das entstehende Elektroenzephalogramm (EEG) gibt Aufschluss darüber, welche Hirnregionen jeweils aktiv sind. Binnen wenigen Millisekunden, so konnte Kölsch auf diese Weise nachweisen, reagierte das Hirn seiner Versuchspersonen auf die schrägen Töne. Das Fazit des Forschers: “Auch so genannte Nichtmusiker sind hoch sensibel für kleinste musikalische Variationen.”

    Kölschs und Trehubs Experimente zeigen, dass Menschen Musik offenbar schon sehr früh und sehr universell verstehen. Die Frage indes, ob dieses Verständnis genetisch bedingt oder kulturell geprägt ist, beantworten sie nicht. Genau das aber ist der zentrale Punkt, wenn es um die evolutionäre Bedeutung der Musik geht: Ist sie letztlich nur ein Kulturprodukt? Oder hat die Natur dem Homo sapiens die Harmonielehre gleichsam ins Erbgut diktiert?

    Experimentell ist die Frage kaum zu beantworten, denn dazu wären Probanden nötig, die bisher fern aller Musik gelebt haben. Und die gibt es praktisch nicht. Denn nie war so viel Musik wie heute. Im Auto, in der Küche, am Arbeitsplatz: Überall dudelt das Radio. Kein Supermarkt, keine Bahnhofshalle und kein Wartesaal kommt ohne Beschallung aus. Derart dauerberieselt könnten selbst Ungeborene unbewusst die Gesetze der Harmonie erlernen, argumentieren manche Forscher.

    Sicher allerdings ist, dass zunehmend die Grenzen der Musikkulturen verschwimmen. Längst ist der Pop zum transkulturellen Experimentierfeld geworden. Der Stand der Globalisierung ist nirgends besser zu erkennen als am Grad der Vermengung von Stilen. Da dröhnt Robbie Williams noch im entlegensten Dorf Papua-Neuguineas aus dem Radio. Gleichzeitig werden in London Dancefloor-Rhythmen mit Sitars unterlegt. Heißt das, dass Musik von allen Menschen ähnlich verstanden wird?

    “Oberflächlich betrachtet könnte man diesen Eindruck gewinnen”, sagt die Berliner Musikwissenschaftlerin Susanne Binas vom Forschungszentrum Populäre Musik. Wer jedoch genauer nachforsche, stelle rasch fest, dass derselbe Hit keinesfalls überall gleich wahrgenommen werde: “Musik funktioniert wie Seifenopern – je nach lokalem Hintergrund wird sie umgedeutet und kann deshalb sehr verschieden gehört werden.”

    Tatsächlich ist Musik so vielfältig und alt, dass es schwierig erscheint, aus der Vielzahl der Stile und Traditionen eine Art Quintessenz zu ziehen.

    Schon die Ägypter bliesen mit dicken Backen Trompete und Doppelrohrblattpfeife; die Sumerer zupften vor mehr als 5000 Jahren Harfe und Leier. Selbst in der Steinzeit scharten sich die Menschen schon zur Musik ums Lagerfeuer. So fanden Tübinger Forscher 1973 im Geißenklösterle, einer Höhle nahe Blaubeuren, eine Flöte aus Schwanenknochen. Das Instrument weist drei Grifflöcher auf, sein Alter wird auf 35 000 Jahre geschätzt (siehe Grafik Seite 132).

    Rhythmische Strukturen werden in verschiedenen Erdteilen unterschiedlich interpretiert. Auch Tonleitern sind im Laufe der Menschheitsgeschichte gleich mehrfach entwickelt worden. So kennt etwa die indonesische Musik nur zwischen fünf und sieben Stufen in der Oktave. Die indische Musiktheorie teilt sie in 22 gleiche Intervalle ein, während das hiesige System mit 12 Halbtönen auskommt.

    Und nicht einmal die Wirkung von Dur und Moll ist universell. Die Griechen etwa unterschieden in ihrer ausgefeilten Musiktheorie noch sieben verschiedene Tonleitern, denen sie bestimmte Wirkungen auf den Menschen zuordneten. Erst ab dem 16. Jahrhundert verarmte die Vielfalt zum heute in der westlichen Welt gängigen Dur-Moll-System.

    Verdankt die Musik ihre Wirkung also doch nur einer kulturellen Konvention? Keineswegs: Zwar sind all ihre Spielarten Ergebnis lokaler Tradition, aber ihr innerster Gehalt ist doch verfasst in einer universellen Sprache. Den Rahmen stecken dabei die Physiologie und die Physik des Schalls. So unterschiedlich die Tonsysteme der Welt auch sein mögen – jedes von ihnen kennt zum Beispiel Grundtöne, die dem Hörer Orientierung verschaffen, und jede Melodie kehrt immer wieder zu dem gewählten Grundton zurück.

    Stets gründen Tonsysteme zudem darauf, dass Töne im Abstand einer Oktave (also exakt doppelter Frequenz) als wesensverwandt empfunden werden. “Die Oktavgleichheit ist das einzige universell gültige harmonische Prinzip”, sagt der Musikforscher Jourdain: “Sänger glauben sogar manchmal, den gleichen Ton zu singen, obwohl sie in Wirklichkeit eine Oktave auseinander sind.”

    Gerade wenn Männer und Frauen eine Melodie zusammen singen – die Männer eine Oktave tiefer als die Frauen -, ist dieses Phänomen offensichtlich und wird doch gleichzeitig als vollkommen natürlich wahrgenommen.

    Und das ist kein Zufall. Denn tatsächlich kommt die Oktave schon in der Natur vor. Sie und mit ihr viele andere Elemente von Melodie und Harmonie haben ihre Wurzeln in den von schwingenden Gegenständen hervorgerufenen Klängen. Ob Baumstamm, Stein oder Trommel – immer besteht der Klang keinesfalls nur aus einem Ton, sondern aus vielen verschiedenen, die erst zusammen die Klangfarbe ausmachen.

    Über dem vor allem wahrgenommenen Ton erklingen im Hintergrund so genannte Obertöne. Sie sind sehr leise, werden im Gehirn jedoch mit verarbeitet und bestimmen den Gesamteindruck von Musik wesentlich mit. Das Frappierende: Zu diesen in der Natur allgegenwärtigen Obertönen zählen eben genau die Oktaven – aber beispielsweise auch der Dur-Dreiklang, der gerade im westlichen Tonsystem eine herausragende Bedeutung hat.

    Die natürlichen Obertöne sind es auch, die Musik schön, aber auch scheußlich klingen lassen. Ob sich bei einem Konzert vor Grauen die Nackenhaare sträuben oder ob wohlige Schauer den Rücken hinunterlaufen, hängt maßgeblich davon ab, welche Obertöne der Klang enthält.

    Liegen viele von ihnen zu nah beieinander – so der Fall etwa beim Zusammenklang von zwei Tönen, die nur einen Halbton voneinander abweichen – schlägt das Ohr Alarm, die Harmonie geht flöten.

    Sinnesforscher haben inzwischen die Erklärung dafür gefunden: Weil im Innenohr nah beieinander liegende Frequenzen auch nah nebeneinander liegende Nervenzellen aktivieren, geht gleichsam die Trennschärfe zwischen den Tönen verloren. Die Nervenimpulse überlagern sich gegenseitig. Das Gehirn interpretiert dieses Durcheinander als ein unerträgliches Wimmern.

    “In der Musik ist unglaublich viel durch schwingende Körper und die Physiologie des Gehörs bereits festgelegt”, fasst der Ulmer Psychiater Manfred Spitzer die Erkenntnisse zusammen**. Das Ohr habe sich den “Klängen, die es aus der Natur kennt, angepasst”. Auch die – letztlich willkürliche – Einteilung der Oktave in zwölf jeweils gleich weit voneinander entfernte Halbtöne in der abendländischen Musik sei schlüssig, weil sie den natürlichen Klangerfahrungen so gut wie irgend möglich gerecht werde.

    So wird deutlich, dass sich Musik trotz ihrer Vielfältigkeit in ihren Grundzügen kulturübergreifend stark ähnelt und immer denselben Naturgesetzen folgt. Die universelle Gültigkeit musikalischer Regeln ist damit jedoch noch lange nicht am Ende. Denn was die Forscher vor allem von der Ursprünglichkeit der Musik überzeugt, ist ihre emotionale Kraft.

    Wo immer Musik auch gespielt wurde und wird: Immer schon war sie das, was Leo Tolstoi als “Kurzschrift des Gefühls” bezeichnete. “Nachdem ich Chopin gespielt habe, fühle ich mich, als hätte ich über Sünden geweint, die ich nie begangen habe, und über Tragödien getrauert, die nicht die meinen sind”, bekannte Oscar Wilde. Thomas Mann wiederum verzückte eine einzige Note am Ende von Beethovens Klaviersonate Nummer 32 in c-Moll Opus 111.

    Eine kleine Variation des Motivs nur, “vor dem d ein cis”, bringt in seinem Roman “Doktor Faustus” den Organisten Wendell Kretzschmar ins Schwärmen: Die “rührendste, tröstlichste, wehmütig versöhnlichste Handlung von der Welt” sei dieses cis, “wie ein schmerzlich liebevolles Streichen über das Haar”. Mit “überwältigender Vermenschlichung” lege dieser eine Ton das Stück dem Hörer zum “ewigen Abschied so sanft ans Herz, dass ihm die Augen übergehen”.

    Es scheint vermessen, sich solchen zutiefst persönlichen Erfahrungen mit den Mitteln nüchterner Wissenschaft zu nähern. Und doch hat der britische Psychologe John Sloboda genau das versucht. Er hat seine Probanden nach ihren Gefühlen beim Hören von Musik befragt. 80 Prozent gaben an, dass bestimmte Stücke bei ihnen körperliche Reaktionen auslösen. Lachen und Weinen wurden ebenso genannt wie Gänsehaut, Herzklopfen oder Kloßgefühl in der Kehle.

    Die Erfahrungen der verschiedenen Hörer stimmten dabei verblüffend gut überein. Bachs h-Moll-Messe, so fand Sloboda beispielsweise heraus, rührt stets beim “Dona nobis pacem” in Takt 40 bis 42 zu Tränen. Der Anfang von Elfmans “Batman Theme” jagt Schauer über den Rücken. Bei Beethovens Klavierkonzert Nummer 4 in G-Dur drückt in Takt 191 des dritten Satzes der Magen.

    Zu den Auslösern der unvermittelten Gefühls-

    wallungen gehören plötzliche Lautstärkewechsel, unerwartete Harmonien oder Melodien, die gleichsam von Ferne durch den Teppich der Begleitung dringen. Auch eine einsetzende Singstimme, eine Verzögerung der Schlusskadenz oder synkopische Rhythmen können im Organismus Gefühle wecken. “Gänsehaut-Faktoren” nennt Eckart Altenmüller derlei musikalische Elemente, die Komponisten zu allen Zeiten zu nutzen wussten.

    Rachmaninows zweites Klavierkonzert dient als Trostpflaster bei Liebeskummer. Mozarts g-Moll-Sinfonie löst freudig-banges Herzzittern aus. Bei Bach wiederum ist es die für die meisten Hörer gleichsam immanente Erhabenheit der Musik, die fasziniert – ein Umstand, der oftmals als Resultat einer Art genialer mathematischer Ordnung im Werk des Meisters interpretiert wird. Doch eine solche versteckte Zahlensymbolik zu finden, haben sich ganze Generationen von Musiktheoretikern weitgehend erfolglos bemüht. Zwar setzt etwa im Choralvorspiel “Dies sind die heiligen zehn Gebot” das Fugenthema zehnmal ein, im “Herr, bin ich”s” der Matthäus-Passion erklingt das Wort “Herr” elfmal – entsprechend der Anzahl der Jünger.

    Doch darüber hinaus ist Bachs angebliche Zahlensymbolik keinesfalls bewiesen und verkommt oftmals zum reinen Abzählspiel. Ob beispielsweise die Menge der Basso-continuo-Töne eines Arioso in der Matthäus-Passion auf einen alttestamentlichen Psalm verweisen soll, dessen Worte die entsprechende Evangelistenpassage kommentieren, erscheint vielen Musikwissenschaftlern heute als fragwürdig.

    Dennoch spielt die Mathematik in der Musik schon deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie sich zwangsläufig im Rhythmus wiederfindet, der jedes Lied vorwärts treibt. Im Marsch wird das starre Korsett des Viervierteltakts besonders deutlich. Mit der Präzision eines Uhrwerks drehen sich die Derwische im Tanz. Der Walzer ist deshalb so schwungvoll, weil ihn sein Dreiertakt mit Macht vorwärts treibt.

    Besonders ergreifend wird Musik jedoch gerade dann, wenn sie mathematisch unscharf wird und sich gleichsam gegen einen allzu starren Rhythmus auflehnt. Ein faszinierendes Beispiel hierfür liefert der Swing: Swing ist das Herz des Jazz. Er erst erweckt Jazzmusik zum Leben und macht den Unterschied zwischen solcher Musik, die einen kalt lässt, und solcher, bei der jeder Fuß mitschwingen muss.

    Doch wann swingt Musik? Die Grundstruktur des Swing-Rhythmus besteht darin, die Achtelnoten der Musik abwechselnd lang und kurz zu spielen. In Schlagzeugschulen taucht deshalb vielfach die Anweisung auf, die erste von jeweils zwei Noten doppelt so lang zu spielen wie die zweite. Doch diese exakte Regel funktioniert in Wahrheit nicht. “Wenn man das wörtlich nimmt, lernt man nie zu swingen”, sagt der schwedische Physiker Anders Friberg.

    Friberg hat das Spiel berühmter Jazz-Schlagzeuger wie Tony Williams, der mit Miles Davis zusammenspielte, oder Jack DeJohnette, Mitglied des Keith-Jarrett-Trios, analysiert. Das Ergebnis: Je nach Tempo spielen die Profis den Swing vollkommen unterschiedlich. Ist er langsam, verlängert sich beispielsweise auch die erste der jeweils zwei Achtelnoten unverhältnismäßig stark.

    Neben den Schlagzeugern verletzen auch die Jazz-Solisten systematisch den Grundrhythmus. Gute Musiker verkürzten die eine Note, verzögerten die andere und akzentuierten die dritte, berichtet Friberg. Beim Jazz ist dieses Phänomen extrem – und erst dadurch entfaltet diese Musikrichtung ihre emotionale Wirkung.

    Friberg hat seine Erkenntnisse inzwischen in komplizierte mathematische Algorithmen übersetzt. Sogar nervig-piepsigen Handy-Klingeltönen kann der Physiker damit erstaunliches Leben einhauchen – sie wirken viel lebendiger, nicht mehr so automatenhaft.

    Viele Komponisten verstanden und verstehen es zudem meisterhaft, mit der Spannung zwischen Wohlklang und Dissonanz zu spielen und damit die Gefühle der Zuhörer zu beeinflussen. Dem Franzosen Claude Debussy etwa kam dabei der Zufall zu Hilfe. Auf der Weltausstellung in Paris von 1889 lernte der Musiker den Klang javanischer Musikinstrumente kennen. Die gewöhnungsbedürftige Harmonik eines auf der Ausstellung gezeigten Gamelan – bestehend aus metallenen Gongs und Xylofonen – faszinierte den Künstler so sehr, dass er fortan mit der sechsstufigen Ganztonleiter experimentierte. Damit schuf Debussy Harmonien, die sich radikal von denen Bachs, Beethovens oder Brahms” unterschieden.

    Auf die Spitze trieb den Verzicht auf jegliche Harmonik schließlich in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts der österreichische Komponist Arnold Schönberg mit seinem Zwölftonsystem. Sein Ziel war unter anderem der völlige Verzicht auf den Grundton. Kein Ton der Tonleiter sollte in der Zwölftonmusik öfter vorkommen als ein anderer. Oktaven waren bei ihm verpönt. Klänge mit besonderem Charakter vermied er wo immer möglich.

    Schönberg wollte die traditionelle Harmonik ersetzen, um die Musik weiterzuentwickeln – und löste doch nur unverständiges Stirnrunzeln aus. “Sie bedienen sich der gleichen Tricks wie die schauerlich-schöne Achterbahn auf Jahrmärkten und Vergnügungsparks, in denen die vergnügungssüchtigen Besucher so durchgeschüttelt werden, dass sich sogar bei einem unbeteiligten Zuschauer das Innerste brezelartig verdreht”, spottete etwa der deutsche Komponist Paul Hindemith über die Zwölftöner. Hindemith glaubte nicht daran, dass das Publikum sein kulturell tief verwurzeltes System musikalischer Erwartungen ohne weiteres abwerfen könne.

    Und tatsächlich scheint die Biologie gegen die Zwölftonmusik zu sprechen – zumindest dagegen, dass sie tatsächlich gefallen könnte. Zwar lauscht das Konzertpublikum ergeben der Musik Schönbergs und seiner Nachfolger. Genießen kann es die Töne jedoch kaum. “Obwohl allerhand interessante Dinge in dieser Musik zu finden sind, klingt sie für die meisten Menschen einfach nicht harmonisch, sie tut direkt weh”, sagt der Musikforscher Jourdain.

    Musik kann buchstäblich Schmerzen verursachen. Auf der anderen Seite treibt sie zur Ekstase – und zwar tatsächlich abhängig davon, welche harmonischen oder musikalischen Tricks, welches Handwerkszeug der Komponist benutzt. Heute ist es vor allem die Filmmusik, die sich dieser Mechanismen meisterhaft bedient – und dies, obwohl gerade im Kino die Musik kaum bewusst wahrgenommen wird.

    “Ein Film ohne Musik kann meistens keine Gefühle transportieren”, ist der deutsche Hollywood-Starkomponist Hans Zimmer überzeugt (siehe Gespräch Seite 142). Schon das unbewusste Hören macht die Kampfszenen in “Gladiator” so richtig dramatisch und “Hannibal” Lecters Treiben zum echten Schocker.

    So wie ein Lichtstrahl die Augen und ein Geräusch die Ohren anspricht, so scheint ein Akkord den Gefühlssinn des Menschen zu reizen – und ebendiese Tatsache ist es, die Forscher immer mehr von der archaischen Kraft der Musik überzeugt. Unterstützt werden sie von Hirnforschern, die untersuchen, wie jene unmittelbaren reflexhaften Gefühlsreaktionen verschaltet sind.

    Rätselhaftes und Faszinierendes hat die Wissenschaft inzwischen darüber zusammengetragen, auf welche Weise Musik in

    der grauen Masse wirkt. Wie etwa ist die Begabung des blinden Autisten Tony DeBlois zu erklären, der, obwohl geistig behindert, achttausend Klavierstücke beherrscht und als Jazzmusiker reüssiert? Was ist vom Schicksal des russischen Komponisten Vissarion Shebalin zu halten, der, obwohl durch einen Schlaganfall der Sprachfertigkeit beraubt, noch seine fünfte Symphonie komponierte?

    Gerade neurologische Schäden sind für Hirnforscher wie Musikologen ein Quell der Inspiration. So untersuchte etwa Isabelle Peretz von der University of Montreal in Kanada Menschen, die durch Hirnblutungen plötzlich vollständig ihre Fähigkeit verloren, Musik zu begreifen. Zwar konnten die Patienten noch normal sprechen und auch Geräusche wie Hundegebell wahrnehmen. Einst vertraute Lieder jedoch waren aus ihrem Gedächtnis getilgt. “Für diese Patienten gleicht Musik einer Fremdsprache”, sagt Peretz. Als Ursache vermutet die Forscherin eine Störung in der primären Hörrinde, gleichsam der Schaltzentrale des Hörens.

    Mit Erstaunen beobachten die Forscher auch, wie sich ganze Strukturen im Gehirn verändern, wenn es dauerhaft und intensiv mit Musik konfrontiert wird. So ist bei Profimusikern beispielsweise das Corpus callosum um bis zu 15 Prozent dicker – jenes Faserbündel, das die beiden Hirnhälften miteinander verbindet. Auch enthält ihre Hörrinde 130 Prozent mehr graue Masse als die von Nichtmusikern. Bei Menschen mit absolutem Gehör – sie können ohne Vergleichston eine bestimmte Tonhöhe identifizieren – ist eine bestimmte Gehirnwindung im linken Schläfenlappen vergrößert.

    Inzwischen wissen die Forscher, dass die linke Hirnhälfte – in ihr wird auch Sprache verarbeitet – eher für Rhythmen, die rechte dagegen für Klangfarben und Tonhöhen verantwortlich ist. Weiter vorn liegende Hirnregionen schließlich sind für kulturell bedingte musikalische Vorlieben od er Assoziationen zuständig (siehe Grafik Seite 135).

    Vor allem aber gelang es in jüngster Zeit, die Schaltzentrale der durch Musik ausgelösten Gefühle dingfest zu machen. Der Musikforscher Altenmüller beispielsweise bat Musikstudenten, kurze Rock-, Pop-, Jazz- und Klassiksequenzen sowie Umweltgeräusche emotional zu bewerten. Bei als schön empfundenen Klängen regte sich die linke Schläfen- und Stirnregion des Großhirns. Bei unangenehmer Musik feuerten die Neuronen rechts. Das Interessante: Ebendiese Hirnareale werden auch bei Gefühlen aktiv, die durch gänzlich andere Reize ausgelöst sind.

    Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Untersuchung der kanadischen Neurologen Anne Blood und Robert Zatorre. Ihre Probanden wählten solche Musik aus, die ihnen “Schauer den Rücken hinunterschickte”. Mittels Positronenemissionstomografie (PET), die lokale Hirndurchblutungsänderungen erkennt, bildeten die Forscher dann die beim Hören dieser Musik aktiven Hirnareale ab.

    Das Ergebnis: Musik hat tiefgreifende Wirkung auch auf das so genannte limbische System, das auch “Tor zur Emotion” genannt wird. “Schöne Musik aktiviert Zentren im Gehirn, die glücklich machen”, sagt Blood. Es handele sich dabei um dieselben Hirnregionen, die auch beim Essen, beim Sex oder bei Drogenkonsum aktiv würden, so die Forscherin. Gleichzeitig vermindere sich die Aktivität beispielsweise in den so genannten Mandelkernen, die bei Angst aktiviert würden.

    “Musik stimuliert das körpereigene Selbstbelohnungssystem”, bilanziert Altenmüller. Neuronale Strukturen tief in jenen entwicklungsgeschichtlich alten Regionen des Gehirns würden aktiviert, die direkt für Emotionen verantwortlich seien. Selbst bei verschlossenen, apathischen, autistischen oder geistig behinderten Menschen riefen Klänge häufig emotionale Reaktionen hervor. Altenmüller: “Musik hat sehr wahrscheinlich eine uralte und wichtige Funktion für den Menschen.”

    Was also hat den Menschen zum Homo musicus gemacht? Ist das Wiegenlied Ursprung aller Musik, wie sich aus Sandra Trehubs Experimenten folgern ließe? Hat Musik etwas mit Revierverteidigung oder Paarbindung zu tun, wie es die Gesänge der Gibbons im indonesischen Regenwald nahe legen? Oder sollte auch bei der Musik der unter Evolutionsbiologen so oft bemühte Sex die treibende Kraft sein?

    Schon Darwin zog die Parallele zum Gesang der Vögel. Vormenschliche Männer und Frauen, noch nicht mit der Poesie der Sprache gesegnet, hätten sich möglicherweise “mit Noten und Rhythmen umworben”, vermutete er 1871 in “The Descent of Man”. Auch der Psychiater Manfred Spitzer hält Musik für eine Folge der so genannten sexuellen Selektion – und erklärt die Entstehung des menschlichen Genius gleich mit. Der Mensch habe auch deshalb ein immer größeres Gehirn entwickelt, weil er mit dessen Leistungsfähigkeit – ausgedrückt durch Musik – das weibliche Geschlecht beeindrucken konnte. Musik sei also eine Art Fitness-Indikator des Mannes, vergleichbar etwa mit dem Rad des Pfaus.

    Diese Theorie jedoch hat eine offensichtliche Schwäche: “Die rein männliche Besetzung der Wiener Philharmonie einmal ausgenommen, gibt es keine Anzeichen, dass Männer musikalischer sind als Frauen”, spottet der US-Musikforscher David Huron von der Ohio State University.

    Für viel wahrscheinlicher hält Huron, dass Musik einst entstand, weil sie den Zusammenhalt von Gruppen förderte. “Menschen sind extrem auf soziale Beziehungen angewiesen”, sagt der Forscher. Nur weil sie gemeinsam handelten, konnten die frühen Jäger-Sammler-Trupps bestehen.

    Als Beispiel führt Huron die brasilianischen Mekranoti-Indianer an, die bis heute am Amazonas als Jäger und Sammler leben. Musik, berichtet Huron, spielte eine zentrale Rolle im Alltag dieses Stammes. Für mehrere Monate im Jahr machen es sich die Mekranoti-Frauen jeden Morgen und Abend auf Bananenblättern bequem und singen für ein bis zwei Stunden. Die Männer kriechen sogar schon um halb fünf Uhr morgens aus ihren Hütten und stimmen mit tiefem Bass ihre Gesänge an.

    “Die Männer singen, um sich als Gruppe zu definieren und den Nachbarn mitzuteilen, dass sie wach und aufmerksam sind”, sagt Huron. Der frühe Morgen sei die beste Zeit zum Angriff. Mit dem Gesang signalisierten die Mekranoti ihre Verteidigungsbereitschaft und Geschlossenheit.

    Auch der japanische Evolutionsforscher Hajime Fukui glaubt an die Theorie von der Musik als sozialem Kitt. Denn je mehr die Urmensch-Gruppen anwuchsen, desto wichtiger wurde es, soziale und sexuelle Spannungen zu schlichten. “Möglicherweise”, meint Fukui, “war da Musik die Lösung.”

    Gemeinsames Musizieren senkt bei Männern die Konzentration des Aggressionshormons Testosteron und bei beiden Geschlechtern die Ausschüttung des Stresshormons Cortison. Die Produktion des Hormons Oxytocin dagegen, das soziale Bindungen fördert und beispielsweise auch die Mutter-Kind-Bindung verstärkt, wird durch Musik erhöht. “Nationalhymnen, Arbeitslieder, Partymusik und Kriegsgesänge haben alle denselben Effekt”, sagt Fukui, “sie reduzieren Angst und Spannung und erhöhen die Solidarität.”

    In allen Zeiten wirkte Musik auf diese Weise. Zusammen zu singen und zu tanzen, selbst nur gemeinsam Musik zu hören schweißt Menschen zu Stämmen, zu Dörfern und zu Nationen zusammen. Zur Musik ziehen Menschen in den Krieg und begraben ihre Toten. Menschen singen, wenn sie sich Mut machen wollen und wenn sie trauern. Musik erklingt bei Triumphzügen, Hochzeiten und in Fußballstadien.

    Bis zum heutigen Tag definieren sich viele Gruppen durch ihre Musik. Der Pop-Olymp ist voller Identifikationsfiguren für ganze Jugendkulturen. Da gibt es die unsterblichen Woodstock-Propheten Jimi Hendrix und Janis Joplin, die die Flower-Power-Generation mit ihren Liedern vereinte. Die rechtsradikale Szene trifft sich heute auf “Glatzenkonzerten” bei Bands mit so geschmacklosen Namen wie “Oithanasie” oder “Zillertaler Türkenjäger”. Die Techno-Nomaden verausgaben sich zu wummernden Beats auf der alljährlich wiederkehrenden Love Parade. Für Teenies dagegen sind Pop-Sternchen wie Britney Spears oder der Böse-Mädchen-Verschnitt Avril Lavigne sinnstiftend.

    Von jeher haben Priester wie Politiker die enorme Wirkung von Musik erkannt. “Musik ist eine Hure”, bemerkte schon Ernst Bloch. Elias Canetti philosophierte über das Phänomen des Rhythmus, der einer formierten Masse den Eindruck von Größe, Ganzheit und Stabilität suggeriert.

    Das abstoßendste Beispiel dafür lieferten die Nationalsozialisten. Als Hitler 1933 an die Macht kam, kontrollierte binnen kurzer Zeit Joseph Goebbels mit seinem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda das gesamte kulturelle Leben. Auch die Musik wurde zensiert und von der Politik instrumentalisiert. Jazz und Blues wurden als “entartet” verboten. Um Richard Wagner dagegen entstand ein mythischer Kult. In Beethoven feierte man das “Nordische”.

    Auch andere Mächtige nutzten und nutzen die Macht der Musik. Zum Fall der Berliner Mauer etwa brummelte sich die ganze deutsche Polit-Prominenz durch die Nationalhymne. Auch das Trauma des 11. September versuchten die Regierenden spontan musikalisch zu lindern: Am Abend des Terrorakts sangen die versammelten Kongress-Abgeordneten auf der Treppe vor dem Ostflügel des Kapitols “God bless America”. Mit einem einzigen Lied gaben sie einer ganzen Nation Trost.

    Oder die Kirche: Der Hauptgottesdienst der Katholiken ist ohne den liturgischen Gesang gar nicht denkbar. Erst die “Musica sacra” verleiht der Liturgie ihre heiligende Legitimation. Der Text wird durch die Musik dem normalen Sprechen enthoben und vereint dadurch die Gemeinde im Geiste – eine sinnstiftende Kraft, die sich in der Reformation wiederum gegen Rom richtete: Martin Luthers Kampflied “Ein” feste Burg ist unser Gott” schweißte die Protestanten zusammen und gab ihnen Mut, den Katholiken zu trotzen.

    Diese vereinende Macht der Musik ist es vor allem, die Forscher in ihrer Gruppentheorie der Musikevolution bestätigt. Über den genauen Weg des Menschen zur Musik kann indes nur spekuliert werden.

    Vermutlich spielte dabei das eine wesentliche Rolle, was die Forscher “Gruppensynchronisation” nennen: Alle fangen auf einmal an zu schreien. Doch langsam kommt Ordnung in das Chaos – etwa so, wie Beifall sich irgendwann automatisch zu rhythmischem Klatschen organisiert. Ein einheitlicher Sound aus zahlreichen Kehlen verschreckt den Feind höchst effektiv und gibt dem Einzelnen das Gefühl, Teil einer starken Gruppe zu sein.

    “Wohl organisiertes Rufen ist möglicherweise viel beeindruckender als eine Kakophonie aus vielen Einzelstimmen”, meint etwa Gibbon-Forscher Geissmann. Selbst für die Frage, warum sich das Geschrei schließlich in Klänge wandelte, hat Geissmann eine Theorie parat: Im Vergleich zu Rufen seien Gesänge weit eindrucksvoller, weil sie über längere Zeit und über größere Distanz zu hören seien.

    Aus dieser Art von Mut schürender und Schrecken verbreitender Protomusik, so die Vorstellung der Forscher, entstanden schließlich Musik und Sprache gleichermaßen.

    “Möglicherweise kommunizierten Frühmenschen schon vor der Entstehung der Sprache mittels einfacher Musik”, vermutet Eckart Altenmüller. Der Leipziger Psychologe Kölsch geht noch einen Schritt weiter: “Ohne ein ausgesprochenes Musikverständnis könnten wir gar keine Sprache lernen”, sagt Kölsch.

    Der Forscher verweist auf die so genannte Prosodie, jene Betonung und Rhythmik, die jeder Sprache innewohnt und die emotionale Botschaft des Gesprochenen transportiert. Zudem hat Kölsch in neuen Experimenten entdeckt, dass Musik auch just jenes Zentrum des Gehirns aktiviert, das als eines der wichtigsten Sprachzentren gilt: das so genannte Broca-Areal. Das Verblüffende: Die automatische Verarbeitung von Musikstrukturen läuft dort sogar schneller ab und beginnt in einem jüngeren Lebensalter als bei der Sprache – unabhängig davon, ob die Kinder Musikunterricht hatten oder nicht.

    “Musikalität ist eine uralte menschliche Fähigkeit”, fasst Ian Cross aus Cambridge die Theorien zusammen. Als eine Art “Spielplatz” des Bewusstseins betrachtet der Forscher die Musik. Gerade weil Musik im Kern frei interpretierbar sei, erlaube sie den kreativen Lauf der Gedanken und die Entwicklung von Phantasie, was für die Gehirnentwicklung unerlässlich sei.

    Erst das spielerische Jonglieren mit Tönen habe jenen “Quantensprung” in geistiger Beweglichkeit erlaubt, der dem Vormenschen den Weg aus dem Dschungel bahnte, glaubt der Forscher. “Ohne Musik”, sagt Cross, “wären wir vielleicht niemals zum Menschen geworden.”

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