By Philip Bethge
How do you kill an elephant without a gun, if all you’ve got is a spear, and your 20 centimeters (8 inches) of sharpened metal is going up against five tons of thick-skinned beast?
Von Philip Bethge und Johann Grolle
Als Kind las Goodall gern die Geschichten über den Arzt Doktor Dolittle; sie entfachten ihre Liebe zur wilden Kreatur. Mit 23 brach sie nach Afrika auf, lernte dort den Paläoanthropologen Louis Leakey kennen und studierte in dessen Auftrag die Schimpansen des Gombe-Stream-Schutzgebiets in Tansania. Goodall beobachtete erstmals Werkzeuggebrauch und Kriegsführung bei den engsten Menschenverwandten und wurde dadurch zur berühmtesten Primatenforscherin der Welt. 1986 veröffentlichte sie ihr Hauptwerk, “The Chimpanzees of Gombe. Patterns of Behavior”. Kurz darauf ließ sie die Forschung hinter sich, um ihr Leben ganz dem Schutz der Schimpansen und der Erhaltung der Natur zu widmen. Als Öko-Kämpferin zieht Goodall heute an 300 Tagen im Jahr um den Globus. Das Jugendprogramm “Roots & Shoots” des Jane Goodall Institute findet in mehr als 130 Ländern statt. Die 81-jährige Britin ist Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen und trägt den Orden “Dame Commander of the Order of the British Empire”. Seit mehr als 20 Jahren, sagt sie, habe sie nicht länger als drei Wochen im selben Bett geschlafen.
SPIEGEL: Dr. Goodall, in der ersten Hälfte Ihres beruflichen Lebens befassten Sie sich mit Schimpansen, in der zweiten mit Menschen. Hat Ihnen Ihr Wissen über die einen beim Umgang mit den anderen geholfen?
Goodall: Ich glaube schon. Bei den Schimpansen habe ich viel über nonverbale Kommunikation gelernt. Was uns von ihnen unterscheidet, ist nämlich vor allem, dass sie keine Wörter kennen. Alles andere ist fast gleich: Küssen, Umarmen, Prahlen, Fäusteschütteln. All das habe ich bei den Schimpansen studiert – was mich befähigt, auch Menschen gut zu verstehen. Wenn Sie zum Beispiel jemanden ertappen, wie er einen Fehler macht, zuckt er zusammen und windet sich. Er wird Ihnen dann nicht mehr zuhören, sondern nur überlegen, wie er zum Gegenangriff übergehen kann. Um jemanden wirklich zu überzeugen, müssen Sie sein Herz erreichen.
SPIEGEL: Wie das?
Goodall: Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Treffen mit dem chinesischen Umweltminister. Ich wollte ihn dazu bringen, unser Jugendprogramm Roots & Shoots in chinesischen Schulen zuzulassen. Aber er sprach kein Englisch, und so saßen wir da, zwischen uns ein Übersetzer, und ich hatte nur zehn Minuten Zeit. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: “Wäre ich ein weiblicher Schimpanse, dann wäre ich sehr töricht, wenn ich ein hochrangiges Männchen nicht untertänig begrüßen würde”, und ich machte unterwürfig: “Ö-hö-hö-hö-hö-hö.” Das Männchen, so sagte ich weiter, müsse nun das Weibchen großmütig streicheln, und dabei nahm ich seine Hand. Ich merkte, wie sie sich verkrampfte, aber ich gab nicht auf und führte seine Hand auf meinen Kopf. Erst war es totenstill, aber dann begann er zu lachen. Am Ende redeten wir anderthalb Stunden lang, und seither gibt es Roots & Shoots an chinesischen Schulen.
SPIEGEL: Sie sind hier in New York, um auf dem Nachhaltigkeitsgipfel der Uno aufzutreten. Was geschieht, wenn so viele hochrangige Männchen zusammenkommen?
Goodall: Vor allem: zu viel Gerede. Ich will nicht behaupten, solche Gipfel seien pure Zeitverschwendung, aber ihre Ergebnisse sind meist enttäuschend.
SPIEGEL: Vielleicht ist der Mensch, von Natur aus eigennützig und auf kurzfristigen Nutzen bedacht, nicht geschaffen, um die Probleme des Planeten zu lösen?
Goodall: Das müssen wir aber. Wir haben uns von der Natur abgewandt. Stattdessen geht es nur um Geld und Macht. Wir müssen wieder zurück zur Natur finden, um diesen Planeten zu retten.
SPIEGEL: Wenn die Idee der Nachhaltigkeit aber unserer Natur zuwiderläuft?
Goodall: Das tut sie ja gar nicht. Selbst Schimpansen verstehen diese Idee. In einem Baum voller Früchte pflücken sie nur diejenigen, die reif sind. Die anderen lassen sie hängen. Das ist nichts anderes als Nachhaltigkeit.
SPIEGEL: Ein anderes politisches Thema, das uns derzeit in Europa umtreibt, ist die Flüchtlingskrise. Was sagen Sie als Primatologin: Liegt es in unserer Natur, Fremde willkommen zu heißen?
Goodall: Nein. Primaten sind sehr territorial. Es entspricht ihrer Natur, ihre Nahrungsressourcen, Weibchen und Jungtiere zu schützen. Das erklärt …..
Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 14/2015 – VIDEO
Khetho Ncube hat schon viele Könige aus dem Dickicht springen sehen. “Häufig sitzen die Löwen dort im Schilf und warten auf Tiere, die zum Wasser wollen”, sagt der Tansanier und zeigt hinüber zum Ufer des nahen Flüsschens. Seine Winchester, geladen mit Patronen vom Großwild-Kaliber .458, hält der bullige Wildführer dabei fest in der Linken.
Beruhigend. Denn wer in der Serengeti spazieren geht, fühlt sich schnell wie Löwenfutter.
“Immer in meiner Nähe bleiben”, hatte Ncube am Morgen gemahnt, als die Sonne langsam den Himmel über der blassgelben Savanne eroberte. Für den Ernstfall vereinbarte er Handzeichen: stopp, langsam zurück, hinhocken.
Jetzt eilt der Wildführer voraus, hinter sich eine in Ehrfurcht verstummte Touristenschar. Ein junger Massai im königsblauen Gewand, den traditionellen Mkuki-Speer in der Hand, geht am Ende der Wandergruppe, wohl als Attraktion für die Gäste, vielleicht aber auch tatsächlich, um rechtzeitig vor Simba, Tembo und Chui zu warnen. So heißen Löwe, Elefant und Leopard in der Landessprache Kisuaheli.
Ncube liest den Savannenboden wie eine Karte, findet den Kot von Hyänen, weiß vom Kalzium der Knochen ihrer Opfer, und Elefantendung voll spitzer Akaziendornen (“Niemals drüberfahren, sonst ist der Reifen platt”). Dann hebt er die Hand. Die Besucherkarawane kommt zum Stillstand. Vier Kaffernbüffel galoppieren unweit vorbei, muskulöse Fleischberge mit furchterregenden Hörnern.
“Die gefährlichsten der großen Wildtiere”, flüstert Khetho Ncube, der für einen Reiseveranstalter arbeitet. “Die sollte man nicht überraschen.” Gereizte Elefanten würden erst mal eine Scheinattacke führen, Ohren nach vorn, wütend peitschender Rüssel, berichtet der Wildführer, “aber wenn ein Büffel angreift, ist man in Todesgefahr”.
“Walking Safari” heißt das Abenteuer, an dem an diesem Tag zum Beispiel Pat Kurtiniatis und Mike Cramer teilnehmen, ein Rentnerpaar aus dem Orange County in Kalifornien. Die Reise stand bei ihnen auf jener Liste wichtiger Dinge, die sie noch tun wollten in ihrem Leben.
Der Serengeti-Nationalpark in Tansania, etwa so groß wie Schleswig-Holstein, ist eines der letzten großen Wildnisgebiete der Erde, ein Sehnsuchtsort der Menschheit auf der Suche nach dem Natürlichen, Unberührten, Ursprünglichen. Kaum einer wusste das besser als Bernhard Grzimek , der langjährige Direktor des Frankfurter Zoos, der vor mehr als 55 Jahren mit seinem Sohn Michael in diese endlose Savanne kam und den Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben” drehte.
Am kommenden Freitag zeigt die ARD einen neuen Spielfilm über Grzimek , den Deutschen, der nicht weniger vorhatte, als die Fauna Afrikas zu retten. In der Hauptrolle: Ulrich Tukur, der den Mann als visionären Tierschützer gibt, als sendungsbewussten Ökopionier – und großen Frauenhelden.
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In modischem Einreiher, das Silberhaar sorgsam gescheitelt, plauderte Grzimek in seiner Fernsehsendung “Ein Platz für Tiere” weitgehend konzeptfrei über See-Elefanten und Trompeterschwäne, über doppelköpfige Nattern oder Paradiesvögel, während ihn ein passender tierischer Partner aus dem Frankfurter Zoo umspielte.
Weltweite Berühmtheit verschaffte sich der Tierheger allerdings erst, als er nach Afrika aufbrach und mit “kreuzzüglerischem Pathos vor der Vernichtung der letzten frei lebenden Großwildherden Afrikas warnte”, wie der schrieb.
Die britische Verwaltung des damaligen Tanganjika beabsichtigte, die Grenzen des Serengeti-Nationalparks neu zu ziehen, um dem Wunsch der Massai nach mehr Weideflächen zu genügen. Doch welche Grenzen sollten das sein? Grzimek und sein Sohn lernten fliegen, reisten mit einem zebragestreiften Kleinflugzeug nach Ostafrika und zählten mit der Sorgfalt preußischer Verwaltungsbeamter die in der Serengeti lebenden Gnus (99 481), Zebras (57 199) und Grant- sowie Thomson-Gazellen (194 654) , um deren Wanderwege zu bestimmen.
Die Erlebnisse in der Savanne verarbeitete Grzimek zu dem Film “Serengeti darf nicht sterben”. Das Werk (Grzimek: “Nebenbei gedreht”) trug ihn auf den Gipfel seines Ruhms und wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Sohn Michael erlebte den Triumph nicht mehr: Er war im Januar 1959 noch während der Dreharbeiten mit der Dornier Do 27 des Duos abgestürzt.
Der Vater verschrieb sich umso entschlossener der Aufgabe, die Serengeti zu bewahren. Als er 1987 starb und neben seinem Sohn am Rand des Ngorongoro-Kraters beerdigt wurde, war die Wildnis der Serengeti weltberühmt.
Doch was ist aus Grzimeks Vermächtnis geworden? Wie steht es um die Serengeti, fast 30 Jahre nach dem Tod des zoologischen Dampfplauderers? Und, viel grundsätzlicher: Kann es auch in dieser immer dichter bevölkerten Welt gelingen, der Großfauna, also Elefanten, Nashörnern, Büffeln oder Löwen, ein dauerhaftes Überleben in freier Wildbahn zu garantieren?
Antworten gibt es vor Ort, am besten direkt im Herzen des Nationalparks, in Seronera. Der Ort, kaum mehr als ein paar versprengte Häuser, ist Sitz der Parkverwaltung. Grzimek ist hier immer noch präsent. Als Pappkamerad steht er im Besucherzentrum neben dem ersten Staatspräsidenten Tansanias, Julius Nyerere.
Grzimeks Statthalter vor Ort heißt Robert Muir, Afrikachef der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) mit ihrem Gorilla-Logo. Der drahtige Brite empfängt auf der Veranda seines kleinen Wohnhauses, von der aus der Blick über die weite, mit Akazien und Buschwerk gesprenkelte Ebene geht. Unweit weiden Antilopen und Giraffen. Später wandern zwei Elefanten nur wenige Meter am Haus vorbei.
“Grzimeks Arbeit war visionär”, sagt Muir, “er hat Nyerere überzeugt, die Parkgrenzen so zu legen, dass die Tiere ihren Wanderwegen folgen können.”
Rund zwei Millionen Weißbartgnus, Zebras und Thomson-Gazellen ziehen im Jahresrhythmus durch die Serengeti und die angrenzenden Gebiete , fünfmal mehr als noch zu Grzimeks Zeiten. Über 26 000 Quadratkilometer erstreckt sich ihre Wanderung, von Tansania nach Kenia in das Massai-Mara-Schutzgebiet und zurück, durch die Flüsse Mara, Grumeti und Mbalageti, in denen die Krokodile lauern.
Das Naturwunder der Serengeti, es existiere noch, sagt Muir. Doch der Druck wächst. Rund 170 000 Touristen aus aller Welt besuchen jährlich den Wildnispark. Geht es nach der tansanischen Nationalparkbehörde (Tanapa) , sollen es künftig jedoch noch mehr werden. Gleichzeitig kommen Wilderer in das Gebiet – auf blutiger Jagd nach Elfenbein und Nashorn.
Und immer mehr Menschen leben um den Park herum. Rodung, Landwirtschaft, Viehherden und Wasserknappheit bedrohen das Ökosystem. Hinzu kommt der Klimawandel, der den uralten Kreislauf durcheinanderzubringen scheint – wie in diesem Jahr, in dem die ersehnten Regenfälle bislang fast vollständig ausgeblieben sind.
“Für Tansania steht sehr viel auf dem Spiel”, sagt Muir. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wolle das Land künftig mit Tourismus erwirtschaften, berichtet er. Gleichzeitig gebe es internationale Verpflichtungen, den Naturreichtum zu erhalten, immerhin gehöre die Serengeti “zu den Top Drei der Nationalparks der Erde”, neben Galápagos und Yellowstone.
Was auf dem Spiel steht, lässt sich am folgenden Morgen erahnen, als es im Land Rover Richtung Süden geht. Hunderte Gnus und Zebras galoppieren entlang der Straße in langen Reihen über die Savanne, eine endlose Kolonne schnaufender und blökender Tierleiber, die zusammen- und wieder auseinanderzufließen scheinen wie die Strudel eines Flusses, der sich über das Land ergießt.
Elefanten mit ihren Jungen trotten gemächlich durch den aufgewirbelten Staub, während Warzenschweinfamilien mit hoch erhobenen Schwänzchen über die Ebene sprinten. Unter einem Busch, kaum fünf Meter von der Straße entfernt, labt sich ein Rudel Löwen an den Eingeweiden eines frisch erlegten Gnus. Die Schnauzen rot von Blut, reißen sie schwer atmend Fleischbrocken aus dem Tierkörper heraus, direkt daneben parken die Geländewagen der Touristen.
Aus den geöffneten Wagendächern ragen die Köpfe bleicher Amerikaner und Europäer heraus, deren ununterbrochen klickende Kameras mit ihren Teleobjektiven wirken wie seltsame Körperanhängsel. Die Löwen stört es nicht im Geringsten.
Die ruhig fressenden Großkatzen neben den schier endlosen Herden – der Tod, so alltäglich, wirkt fast profan angesichts des üppigen Lebens ringsumher.
Doch der Bilderreigen des anscheinend Wilden, Ursprünglichen trügt. Der natürliche Kreislauf ist auch in der Serengeti längst gestört. Nach einer Stunde Fahrt ist die Ranger-Station von Moru im Süden des Nationalparks erreicht. Hier hat Philbert Ngoti von der Anti-Wilderei-Einheit der Tanapa das Sagen. Zusammen mit 51 Wildhütern kontrolliert Ngoti ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet, um die letzten rund 30 Spitzmaulnashörner der südlichen Serengeti zu schützen.
Im Rest des Parks tummeln sich weitere 20 dieser Tiere; jedes von ihnen hüten die Ranger wie eine kostbare Preziose. Denn für Wilderer ist derzeit nichts so wertvoll wie das Horn der massigen Huftiere. “Wenn ein Wilderer zwischen einer Gruppe von Elefanten und einem Nashorn wählen kann, wird er das Nashorn töten”, erzählt Ngoti. Der Schwarzmarktpreis für das Horn, dessen Material dem von Fingernägeln gleicht, liege in Vietnam oder China bei mehreren 10 000 US-Dollar pro Kilogramm, berichtet der Ranger. Ein “lukratives Geschäft”, das er mit seinen Kollegen zu verhindern sucht.
“Die Wilderer sind gut bewaffnet”, sagt Ngoti, “aber wir sind es auch.” Immer wieder komme es zu Feuergefechten. “Wer nicht vorsichtig und gut trainiert ist, kann hier leicht sein Leben verlieren”, sagt er.
Die Ranger haben vielen der Nashörner einen Sender ins Horn implantiert. So können die Tiere leicht aufgespürt – und beschützt – werden. Mit dem Pritschenwagen geht es von Moru aus querfeldein über die Savanne. Einer der Männer streckt eine Antenne in den Himmel. Immer lauter wird das rhythmische Klicken des Empfängers. Dann taucht, zunächst kaum sichtbar gegen das gelbe Savannengras, ein massiges Nashorn in der Ferne auf. Rajabu haben es die Männer getauft, ein Bulle, über 40 Jahre alt. Gegen den Wind nähern sich die Ranger dem Tier. Es blickt herüber, zögert. Nashörner sind Einzelgänger, scheu und gleichzeitig gefährlich. Attacke oder Flucht: Ngoti hat schon beides erlebt. “Wenn wir zu schnell zu nah kommen, wird das Tier angreifen”, warnt er. Schließlich trollt sich das tonnenschwere Wesen.
Ngoti und seine Männer können durchaus stolz auf ihre Arbeit sein. Denn Anfang der Neunzigerjahre hatten Wilderer die Nashörner in der Serengeti auf nur noch zwei Weibchen dezimiert. Aus dem nahen Ngorongoro-Schutzgebiet wanderte 1993 dann Rajabu in das Gebiet ein. Ein Glücksfall: Während das Abschlachten der Tiere in Südafrika eskaliert (Spiegel 11/2015) , wächst die Population in der Serengeti.
“Im Moment werden fünf bis sechs Kälber jährlich geboren”, sagt Ngoti. Nur ein einziges Nashorn sei im vergangenen Jahr von Wilderern getötet worden.
Ähnlich verhält es sich mit den Elefanten. Ihre Zahl liegt im Serengeti-Ökosystem nach einer Zählung von vergangenem Jahr bei rund 6000 Tieren – fünf Jahre zuvor waren es 3068. “Wir sehen sehr viele Jungtiere”, schwärmt ZGF-Mann Muir. Dabei geht der Trend in Tansania eigentlich in die andere Richtung: 2009 lebten rund 109 000 Elefanten in Tansania. Bei der jüngsten Erhebung 2014 waren es nur noch rund 44 000.
Warum geht es den Tieren in der Serengeti besser? Das Erfolgsrezept der Tanapa sei es, sagt Muir, ständig Präsenz zu zeigen. Über 300 Ranger würden im Park patrouillieren. Auch die Touristen helfen. “Je mehr Leute hier herumfahren, desto schwieriger ist es für die Wilderer, versteckt zu operieren”, sagt der Biologe.
Doch der Erfolg gegen die Wilderer im Park ist ein Pyrrhussieg, solange die Hintermänner nicht gefasst werden. Wie Kriminalisten sind die Tanapa-Experten daher auch in den umliegenden Dörfern im Einsatz. Wo wird die Schmuggelware gelagert? Über welche Kanäle gelangt sie nach Übersee? Woher kommen die Waffen?
Der Kampf um die Serengeti muss vor allem außerhalb des Nationalparks gewonnen werden. Und dabei geht es nicht nur um die Wilderei allein. Drei bis vier Millionen Menschen leben heute in den Dörfern um das Schutzgebiet – weit mehr als noch zu Grzimeks Zeiten.
Wilddiebe legen Drahtschlingen aus, in denen sich jährlich Tausende Gnus, Zebras oder Impalas verfangen und elend zugrunde gehen. Immer näher rücken die Felder der Einheimischen an die Parkgrenzen heran. Der Wasserhaushalt des Gebiets wird verändert, die Wanderschaft der Tiere behindert. Im Gegenzug trampeln marodierende Elefanten durch die Mais- und Hirsefelder der Menschen.
Den Löwen wiederum gilt das Vieh als leichte Beute. Die Rache der Hirten kann ihnen gewiss sein. Gerade wieder sind zehn der Raubkatzen westlich des Parks vergiftet aufgefunden worden.
Besonders schwierig ist die Situation östlich des Parks, in den Schutzgebieten Loliondo und Ngorongoro. Dort siedeln vor allem Massai. Das Hirtenvolk lebt traditionell mit seinen Rinderherden, die als Statussymbol gelten. Immer mehr Massai und damit auch immer mehr Rinder sind in den vergangenen Jahren in die Gegend eingewandert. Inzwischen ist das Land stark überweidet. Die Massai würden ihr Vieh gern in die Serengeti treiben. Doch das dürfen sie nicht.
“Die Hirten sehen eine Menge Gras auf der anderen Seite”, erläutert ZGF-Mann Muir, “das führt zu Spannungen.” Ein Streit um die Grenzziehung des Parks ist entbrannt; manche der Landrechte außerhalb des Schutzgebiets sind bis heute ungeklärt. Und seit langer Zeit schon ist man sich nicht einig, wer genau über die Nutzung des Landes entscheiden darf. Im Oktober sind Parlamentswahlen in Tansania, darum ist alles hier im Moment politisch. Auch die Serengeti.
“Die Gemeinden in der Nähe profitieren noch nicht genug vom Nationalpark”, sagt Muir. Tanapa und ZGF versuchen daher seit Jahren, den Einheimischen alternative Einkommensquellen zu eröffnen, die im Einklang mit dem Naturschutz stehen.
In Nyichoka beispielsweise, einem Dorf etwa 30 Kilometer westlich des Nationalparks, haben sich an diesem Tag die Mitglieder der “Sinduka Cocoba Group” um einen runden Tisch versammelt, auf dem ein blauer, mit drei Schlössern gesicherter Metallkasten steht. Nach einem festgelegten Ritual wird die Box entriegelt. Zum Vorschein kommen vier mit Geldscheinen gefüllte Plastikdosen. Sie enthalten das Gesamtvermögen der örtlichen “Naturschutzbank”. Reihum zahlen die Männer und Frauen sogenannte Anteile von jeweils 4000 Tansania-Schilling ein (etwa zwei Euro). Dann werden Schulden getilgt und Auszahlungen getätigt.
An jedem Samstag kommen die Mitglieder der Bank zusammen. Der Sinn der Geldschieberei: Die Dorfbewohner vom Stamm der Ikoma legen zusammen, um ihren Mitbürgern später Mikrokredite gewähren oder selbst welche in Anspruch nehmen zu können. Das Geld investieren sie in Projekte, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Einzige Bedingung für die Finanzspritze: Die Natur darf durch die Unternehmungen nicht beeinträchtigt werden.
Agnes Marongoli beispielsweise hat mithilfe der Kredite gemeinsam mit ihrem Mann Maro ein kleines Kulturzentrum aufgebaut. Vor einer von ihnen errichteten traditionellen Hütte führt eine Tanzgruppe den “Singori” auf, einen Erntedanktanz. Touristen kommen hierher, um Kunsthandwerk zu kaufen und sich die uralten Tiermythen der Ikoma anzuhören. Zusätzlich verkaufen die Marongolis Honig an die Hotels der Gegend – auch die Bienenstöcke haben sie mit Mikrokrediten finanziert.
“Wir waren Jäger”, sagt Marongoli, “jetzt profitieren wir von den Touristen, die in unsere Läden kommen.” Das Geschäft lohnt sich für sie, die nie eine Ausbildung bekommen hat: Ihre acht Kinder kann sie nun auf die Schule schicken.
Die Gemeinden rund um Nyichoka haben ihr gesamtes Land zum Wildtier-Schutzgebiet umgewidmet. Bewusst verzichten sie auf Ackerbau, Jagd und Viehzucht. Das Gebiet grenzt direkt an den Nationalpark und ist eine Art Wildnis-Pufferzone. Die Tiere profitieren von der Erweiterung ihres Lebensraums. Gleichzeitig können die Gemeinden ihr Land direkt an Tourismusunternehmen verpachten. Acht Luxuszeltlager für Touristen sind in der Gegend entstanden.
Im vergangenen Jahr sei dadurch rund eine halbe Million US-Dollar in die Gemeindekassen gespült worden, berichtet Masegeri Rurai, der die “Ikona Wildlife Management Area” für die ZGF betreut.
Vom Tourismus im Nationalpark selbst profitiert die lokale Bevölkerung jedoch kaum. Mit den Gewinnen finanziert die Tanapa vor allem den Unterhalt der anderen 15 Nationalparks in Tansania, die kaum Einnahmen haben.
Naturschutz ist ein teures Geschäft. Und der Tourismus muss ihn finanzieren. Doch wie ist die Balance zu halten? Im Massai-Mara-Schutzgebiet in Kenia stehen die Geländewagen in der Hauptsaison in langen Schlangen vor jedem Löwenrudel. Im Vergleich dazu wirkt die Serengeti menschenleer. Und das ist so gewollt.
Zurück in Seronera wartet schon Tanapa-Mitarbeiter Godson Kimaro, Chef der Tourismusabteilung der Serengeti. “Wir wollen mehr Gäste hier haben”, sagt Kimaro, “aber gleichzeitig muss der Tourismus nachhaltig bleiben”. Rund 2700 Betten in etwa 120 Safari-Camps gibt es im gesamten Park. Kimaro plant etwa 550 zusätzliche Betten für die nächsten Jahre. Das muss dann aber auch reichen.
Gleichzeitig will er das Angebot für die Gäste attraktiver machen. Neben den traditionellen “Game Drives” gibt es heute schon Heißluftballonfahrten. Spezielle Kurse für Tierfotografie, mehrtägige Wandertouren oder Dinnerpartys in der Wildnis schweben Kimaro vor.
Für so viel Exklusivität muss man ordentlich zahlen: Schon der Eintritt in den Park kostet 60 US-Dollar, pro Tag. Dazu kommt die Übernachtung, die schon in den Safari-Zeltlagern 500 US-Dollar kosten kann. Wer ein echtes Dach über dem Kopf vorzieht, zahlt leicht das Doppelte.
Fast ausschließlich aus Übersee sind daher die Gäste der Four Seasons Safari Lodge Serengeti, einer Hotelanlage nördlich von Seronera. Von der breiten Terrasse mit ihren edlen Sitzecken aus geht der Blick auf einen azurblau schimmernden Swimmingpool. Unterhalb des Beckens und kaum zehn Meter dahinter befindet sich ein künstlich angelegtes Wasserloch, das sich aus dem geklärten Brauchwasser des Hotels speist.
An diesem Abend ist eine komplette Elefantenherde an der Tränke erschienen, dazu Impalas und eine Gruppe von Kaffernbüffeln. In der Ferne ziehen Giraffen. Langsam senkt sich die Sonne. Kellner reichen eisgekühlte Getränke. Ein warmer Wind umfächelt die Touristen. Es ist das perfekte Out-of-Africa-Abziehbild inklusive der Schirmakazien, die sich gegen den Himmel abzeichnen.
Vielleicht ist genau dies das Schicksal der Wildnis: dass sie sich nur als kitschige Postkarte erhalten lässt, als ein Ort temporärer Zivilisationsflucht.
“Die Natur aber bleibt ewig wichtig für uns”, schrieb Grzimek in seinem Serengeti-Buch. Politische Sorgen hingegen führten dann nur noch “ein Buchstabenleben” in Geschichtsbüchern. “Aber ob dann noch Gnus über die Steppen stampfen und nachts Leoparden brüllen, das wird den Menschen immer noch etwas bedeuten.”
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[box]Wenn Bernhard Grzimek (1909 bis 1987), der damalige Direktordes Frankfurter Zoos, “Ein Platz für Tiere” moderierte, schauten in den Sechziger- und Siebzigerjahren Millionen zu. Grzimek war scharfzüngiger Tierschützer, Enzyklopädist (“Grzimeks Tierleben”) und Regisseur. Sein Film “Serengeti darf nicht sterben” verschaffte ihm Weltruhm.[/box]
Tierschützer berichten von einem Massaker an Elefanten in Tansania: In dem ostafrikanischen Land ist die Zahl der Dickhäuter seit 2009 um rund 65.000 Tiere gesunken – das entspricht 60 Prozent der Gesamtpopulation. Diese Daten gehen aus Erhebungen des Tanzania Wildlife Research Institute hervor, die dem SPIEGEL vorliegen und seit Monaten von der tansanischen Regierung unter Verschluss gehalten werden. (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)
Im Ruaha-Rungwa-Gebiet sind die Bestände besonders drastisch eingebrochen. Dort nahm die Population allein seit 2013 von 20.000 auf 8500 Exemplare ab. Als Hauptursache wird der Handel mit Elfenbein gesehen. “Wir erleben eine neue Eskalationsstufe der Wilderei”, sagt Daniela Freyer von der Artenschutzorganisation Pro Wildlife. “Die tansanische Regierung hält die Daten zurück, um es sich nicht mit der internationalen Gebergemeinde zu verscherzen, und suggeriert gleichzeitig, alles für die Elefanten zu tun”, sagt sie.
Das afrikanische Land hat sich verpflichtet, seine einheimischen Elefanten zu schützen, und erhält dafür Entwicklungshilfe in Millionenhöhe – auch aus Deutschland und der EU. Erst Anfang April hatte die zuständige Überwachungsgruppe der EU Entwarnung für Tansanias Elefanten gegeben.
Weil sich die Bestände erholt hätten, so die Scientific Review Group, dürften auch in diesem Jahr wieder bis zu 200 Stoßzähne als Jagdtrophäen in die EU importiert werden. Freyer: “Die EU hat grünes Licht gegeben, ohne die neuen Zahlen aus Tansania anzufordern.” Philip Bethge
Kommentar: Die illegale Ausbeutung der Meere muss endlich beendet werden.
Von Philip Bethge, SPIEGEL 16/2015
Highnoon auf dem Ozean: Vor Westafrika versank vorigen Montag ein Fischtrawler, der monatelang von Booten der Organisation Sea Shepherd verfolgt worden war. Die Ökoaktivisten sagen, der Kapitän habe den Trawler namens “Thunder” absich tlich versenkt, um “Beweise zu beseitigen”. Denn die “Thunder” soll auf illegalem Fischzug gewesen sein.
Der Vorfall verweist auf ein weltweites Problem: Rund 25 Millionen Tonnen Fisch – bis zu einem Drittel des weltweiten Fangs – werden unrechtmäßig angelandet. Es ist empörend, dass dieses Problem überhaupt noch existiert. Illegaler Fischfang ist nur möglich, weil es den Trawlern immer noch viel zu leicht gemacht wird, die Regeln zu brechen – indem sie unter Billigflagge fahren oder zum Anlanden ihrer Beute Häfen in Entwicklungsländern anlaufen, in denen die Kontrollen lax und die Beamten korrupt sind.
Illegaler Fischfang ist nur deshalb lukrativ, weil jene Länder, in denen der Fisch verkauft wird, nicht ausreichend die Herkunft der Fänge hinterfragen.
Die EU muss mit gutem Beispiel vorangehen und den Fischhandel zu einem genaueren Herkunftsnachweis der Ware zwingen. Auch der Betrieb von Trawlern unter Billigflagge darf für Unternehmen, die Fisch bei uns handeln wollen, nicht mehr akzeptiert werden. Sonst geht der Raubbau weiter, der unter anderem dazu führt, dass Fischereiexperten die Fangquoten falsch festlegen, weil sie die illegalen Fänge nicht berücksichtigen.
Für ihre Verfolgungsjagd auf hoher See ist den Ökoaktivisten kein Vorwurf zu machen – im Gegenteil. Dankenswerterweise haben sie eine Fischindustrie bloßgestellt, die sich nicht an die Regeln hält. Und sie haben den Raubfischern in Seenot geholfen – und das, obwohl sie diese wohl am liebsten in die ewigen Fischgründe geschickt hätten. Stattdessen nahmen sie die Schiffbrüchigen an Bord und übergaben sie den Behörden.
Von Philip Bethge
Im Stockdunkeln schwärmen die Häscher aus. Gerüstet mit Kevlar-Handschuhen und Stirnlampen verschwinden die beiden Männer in der Nacht. Stundenlang ist nur noch das Zirpen der Zikaden, das Singen der Baumfrösche und das leise Wispern der Blätter zu hören.
Dann, kurz nach Mitternacht, tauchen die zwei Fährtenleser aus dem Dorf Mencia im äußersten Südwesten der Dominikanischen Republik urplötzlich wieder auf. Am langen Schwanz baumeln in ihren Händen zwei Schlitzrüssler, struppig und rotbraun, mit einer Nase wie eine Karotte. Und der Biologe Jose Nuñez-Miño, für den die Einheimischen auf die Suche gehen, kann sein Glück kaum fassen.
Im Jahr 1906 war der Naturforscher Alpheus Hyatt Verrill auf die karibische Insel Hispaniola gereist, um “Solenodon paradoxus” zu finden, den Dominikanischen Schlitzrüssler. “Hoffnungslos” sei es, des Tiers habhaft zu werden, warnten Kollegen, “genauso wahrscheinlich, wie Geister zu fangen”. Doch Verrill gelang der Coup. Ein Weibchen ging ihm in die Falle.
Einhundert Jahre später sind Forscher dem Säuger wieder auf der Spur. Sie sorgen sich um das Überleben des nachtaktiven Tiers mit den winzigen Augen und dem merkwürdigen Rüssel. Rund 300.000 Euro hat die britische Darwin Initiative für das “Hispaniolan Endemic Land Mammals Project” bereitgestellt. Im Oktober erst startete die einzigartige Rettungsmission.
“Wenn wir sie verlieren, gibt es nichts Vergleichbares mehr auf der Erde”
“Schlitzrüssler sind lebende Fossilien und gehören zu den frühesten höheren Säugetieren der Erde”, erklärt Nuñez-Miño, der für den federführenden Durrell Wildlife Conservation Trust arbeitet. “Wenn wir sie verlieren, gibt es nichts Vergleichbares mehr auf der Erde.” Schon vor rund 76 Millionen Jahren – die Dinosaurier stampften noch über die Erde – huschten die Vorfahren der ulkigen Geschöpfe durchs Unterholz. Und noch etwas ist an ihnen besonders: “Sie sind die einzigen lebenden Säuger, die mit ihren Zähnen Gift injizieren können, ähnlich, wie es Schlangen tun”, sagt Samuel Turvey von der Zoological Society of London.
Der Biologe arbeitet am Projekt “Edge” (“Evolutionary Distinct and Globally Endangered”), das die 100 seltensten und evolutionär einzigartigsten Säugetiere der Erde retten will. Der Chinesische Flussdelphin gehört dazu, der eierlegende Langschnabeligel oder die Hummel-Fledermaus, der wohl kleinste Säuger der Welt.
Der Schlitzrüssler ist die Nummer vier auf der Liste. Und er steht exemplarisch für eine Vielzahl einmaliger Kreaturen, deren größtes Problem es ist, in ein Inselparadies ohne natürliche Feinde geboren zu sein. Schon die ersten Bewohner Hispaniolas begannen, den Wald abzuholzen. Erste Teile des Schlitzrüssler-Lebensraums gingen verloren. Die europäischen Invasoren setzten den Kahlschlag fort. Noch fataler indes war, dass die Europäer Hunde und Katzen einschleppten. Für die Raubtiere war der Schlitzrüssler leichte Beute.
Längst steht der knuffige Säuger auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Fast an ein Wunder grenzt es, dass es ihn überhaupt noch gibt. In Haiti hält er sich nur noch an den Hängen des Massif de La Hotte im äußersten Südwesten. Das letzte lebende Exemplar einer kubanischen Schlitzrüssler-Art wurde 2003 gesichtet. Die Dominikanische Republik jedoch, so hoffen Experten, könnte noch eine kleine überlebensfähige Population beherbergen.
Über eine holprige Piste geht es am anderen Tag hinauf nach Mencia, das direkt an der Grenze zu Haiti liegt. Am Steuer des Geländewagens sitzt Jorge Brocca von der Naturschutzorganisation Sociedad Ornitología de la Hispaniola. Zusammen mit Nuñez-Miño betreut er das Projekt vor Ort. Die Biologen sind hoffnungsfroh. Eben haben sie eine ihrer Videofallen geborgen, die sie im Wald installiert hatten.
Ist ein Schlitzrüssler nächtens durch den Laserstrahl getappt, der die Kamera auslöst? Nuñez-Miño startet den Computer. Die Forscher verstummen andächtig, als sie die kurze Videosequenz sehen: Da tapst das Tier, schwankend wie ein Seemann, tatsächlich durch die Tropennacht. “Nie zuvor wurde ein Schlitzrüssler in freier Wildbahn gefilmt”, schwärmt Brocca.
Kurz zuvor hatten die Biologen im Wald “Nasenstupser” entdeckt: kegelförmige Löcher im Waldboden, die der Säuger auf der Suche nach Insekten hinterlässt. Ohnehin ist der Schlitzrüssler ein skurriles Wesen: Die Zitzen der Weibchen sitzen in der Leistenregion. Die Muttertiere schleifen ihre daran hängenden Jungen hinter sich her, berichtet Nuñez-Miño. Merkwürdig auch das laute Zwitschern und Zirpen der Tiere, sobald sie gestört werden – oder der Gang, langsam und breitbeinig wie Sumo-Ringer.
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Verwechslung mit dem einheimischen Mungo
Bei schwarzem Kaffee mit Zucker und Zimt erörtern die Biologen die Lage. Bis heute brennen die Bauern vor allem im bitterarmen Haiti Wälder nieder, um Holzkohle für ihre Kochstellen zu gewinnen. Zudem verwechseln die Einheimischen den Schlitzrüssler häufig mit dem Mungo. Das eingeschleppte Raubtier meuchelt Hühner und Hähne der Dorfbewohner. Für dominikanische Männer jedoch ist Hahnenkampf eine todernste Angelegenheit. Können die Forscher den Menschen erklären, dass der Schlitzrüssler schuldlos ist am Geflügeltod?
Auch die Jagd ist problematisch: Die Einheimischen stellen in den Wäldern verwilderten Schweinen und Ziegen nach. Ihre Jagdhunde lassen sie dabei auch nachts frei herumlaufen. Zusammen mit verwilderten Hunden sind sie die größte Gefahr für den Schlitzrüssler. “Wir wissen, dass Hunde immer wieder Exemplare der Säuger töten”, sagt Nuñez-Miño.
Doch es geht auch andersherum. Der Biss eines Schlitzrüsslers, gut gesetzt, kann einen Hund zur Strecke bringen. Giftiger Speichel fließt dann durch Rinnen in den unteren Schneidezähnen des Tiers. Ähnlich funktioniert das bei Schlangen.
Tötet der Schlitzrüssler auch seine Beute mit dem Gift? Die Forscher wissen es nicht. Ohnehin beginnen sie fast bei null. Die Gesamtzahl der Tiere? Unbekannt. Das Verbreitungsgebiet? Unklar. Auch die Lebensweise liegt noch weitgehend im Dunkeln. Bald wollen sie einige der Tiere mit Sendern ausstatten, um ihnen zu folgen. Doch wie fängt man einen Schlitzrüssler? Erfahrene Fährtenleser sind rar.
Mit Sardinen, Erdnussbutter und Salami versuchten die Biologen zuletzt, die Tiere in Fallen zu locken. Ohne Erfolg. Im Zoo der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo werden nun erstmals die kulinarischen Vorlieben der Säuger ergründet. Drei Tiere hausen dort auf Betonböden in kleinen Räumen. Ihr Fell ist grau geworden. Bislang wurden die Insektenfresser mit Pferdefleisch gepäppelt. Doch was fressen sie in der Wildnis? Testweise kredenzen die Forscher nun Tausendfüßer, Mäuseembryos und Katzenfutter.
Zäh und andpassungsfähig
Zoodirektorin Patricia Toribio plant zudem ein Zuchtprogramm, oftmals die letzte Chance für akut gefährdete Tierarten. Noch kann das aber nicht klappen: “Unsere drei Tiere sind allesamt Männchen”, räumt sie ein.
Wird das alles reichen, um den Schlitzrüssler zu retten? Die Geschichte Hispaniolas spricht dagegen. Rund 25 einzigartige Säugerarten lebten einst auf der Insel, unter ihnen Faultiere, Spitzmäuse und sogar eine Affenart. Bis auf zwei Arten, das rattenähnliche Zaguti und eben den Schlitzrüssler, sind sie alle längst ausgestorben.
Die Biologen sind dennoch zuversichtlich. Als die Hitze des Tages weicht, bringen die Fährtenleser die markierten und vermessenen Tiere zurück in den Wald. Neben einer Kuhweide unweit des Dorfes haben sich die Säuger angesiedelt. Vielleicht können sich Schlitzrüssler und Mensch doch arrangieren?
“Der Schlitzrüssler ist ein zäher, anpassungsfähiger Charakter”, sagt Nuñez-Miño. “Sonst wäre er auch längst von der Insel verschwunden.”