Warum Italiener in Kuba Kaffee kaufen – Das Kaffeegeschäft muss nachhaltiger werden. Der italienische Konzern Lavazza versucht, in Kuba neue Bioplantagen zu erschließen. Ist das mehr als nur PR? – Text und Fotos von Philip Bethge.



















Warum Italiener in Kuba Kaffee kaufen – Das Kaffeegeschäft muss nachhaltiger werden. Der italienische Konzern Lavazza versucht, in Kuba neue Bioplantagen zu erschließen. Ist das mehr als nur PR? – Text und Fotos von Philip Bethge.
Schiffsabgase gefährden die Gesundheit. Warum dürfen sie immer noch die Luft verpesten?
Ein Kommentar von Philip Bethge
Das Wasser glitzert. Die Möwen schreien. Das Dickschiff tutet. Schön ist’s am Hafen. Aber dann: Schwarze Wolken puffen in die Luft. Dieselruß rieselt auf die Kais. Und was nach großer, weiter Welt riecht, kann tödlich enden. Eine Studie der Universität Rostock und des Helmholtz-Zentrums München bestätigt jetzt, dass Schiffsabgase Lungenzellen schädigen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Ruß als ebenso krebserregend ein wie Asbest. Trotzdem fährt fast die gesamte Handels-, Fähr- und Kreuzfahrtflotte der Erde immer noch mit dreckigem Schweröl. Effektive Abgasanlagen sind auf Schiffen so rar wie Kapitäninnen. Warum ist das so? Weil Schweröl billig ist. Weil in der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation große Flaggenländer wie Liberia oder die Marshallinseln das Sagen haben, denen Umwelt und Gesundheit am Heck vorbeigehen. Weil nur in wenigen Meeresgebieten überhaupt Abgasgrenzwerte gelten, in der Nord- und Ostsee etwa. Und: weil dort viel zu selten kontrolliert wird. Zwar setzen einzelne Branchen wie zum Beispiel die Kreuzfahrtreeder sogenannte Schwefeloxid-Scrubber und Stickoxidfilter ein. Auch nutzen neuere Traumschiffe in manchen Gewässern inzwischen Schiffsdiesel, der sauberer als Schweröl ist. Doch konsequent wäre es, Schweröl komplett zu verbannen und die Schiffsantriebe ganz auf Diesel oder gleich auf Flüssiggas umzurüsten. Nur wenn der Treibstoff bereits schwefelarm aus der Raffinerie kommt, können die Abgase durch effektive Katalysatoren und Rußpartikelfilter geschickt werden. Bei Lastwagen ist das seit Jahren Standard. Warum nicht auf See?
Der Naturschutzbund Deutschland hat am Hafen von Kiel gerade Feinststaubwerte gemessen, die rund 20-fach “über dem ortsüblichen Niveau” liegen. Auch über Hamburgs edler HafenCity wabert der Ruß aus den Schiffsschloten. Dort hat so mancher Reeder sein Büro. Vielleicht hilft ja: tief durchatmen?
Von Philip Bethge – DER SPIEGEL 24/2015
Das Unheil kam langsam über den Hof von Helge Voss. Zuerst gaben die Kühe weniger Milch, ihr Kot war mal dick, mal dünn, obwohl sie stets das gleiche Futter fraßen. Dann kamen die ersten Tiere nicht mehr hoch – als wären die Hinterläufe gelähmt. Einige Kühe blieben nach der Niederkunft einfach liegen und starben im Stroh.
“Ich hatte Tiere, die haben auf keine Behandlung mehr angesprochen”, sagt Voss, Milchbauer in Kaaks, einem Dorf in Schleswig-Holstein. So etwas hatte es noch nicht gegeben auf dem Hof seiner Familie, nicht beim Vater und nicht beim Großvater, die beide auch schon vom Vieh lebten.
“So eine Kuh muss glänzend aussehen, Fleisch auf den Rippen haben, und wenn ich die auf die Weide lasse, muss sie auch mal rennen wollen”, sagt Voss, 42. Doch nun, plötzlich, nur noch Hungerhaken im Stall, “zu dünn, zu langsam, zu stumpf das Fell”. Erst mal suche man die Schuld bei sich, dann sei er aber doch zum Tierarzt gegangen, “und der hat gleich auf Glyphosat getippt”.
In deutschen Kuhställen geht eine mysteriöse Krankheit um. Manche Veterinärämter halten das Leiden für ein Hirngespinst paranoider Bauern. Einige Tierärzte dagegen sprechen von “chronischem Botulismus” und warnen vor einer Epidemie.
Wenn sie über die Gründe für die schleichende Vergiftung sprechen, taucht immer wieder ein Wort auf: Glyphosat.
–> Originaltext auf Spiegel.de
Glyphosat ist das weltweit meistversprühte Herbizid; seit 40 Jahren ist es in Gebrauch und daher fast überall zu finden: im Urin von Mensch und Tier, in der Milch, im Tierfutter, in Organen von Schweinen und Kühen, in Hasen und Fasanen, im Wasser.
Seit 2001 ist der Einsatz von Glyphosat in den EU-Ländern möglich. Ende des Jahres nun läuft die Zulassung aus. Die European Food Safety Authority (EFSA) wird Anfang August eine Empfehlung aussprechen, ob der Stoff für weitere zehn Jahre zugelassen werden kann. Gut möglich, dass zu diesem Anlass ein seit Jahren schwelender Streit eskaliert: darüber, wie gefährlich Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt ist.
Auf der einen Seite steht die Agrarindustrie mit einer mächtigen Lobby, die seit Jahrzehnten die Unbedenklichkeit des Stoffes für Mensch und Tier beschwört. Auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR), das in der EU für die wissenschaftliche Einschätzung der Chemikalie zuständig ist, hält Glyphosat für weitgehend ungefährlich . Gerade hat das Amt einen 2000 Seiten starken Bericht an die EFSA verschickt. Darin setzen die BfR-Autoren die “akzeptable Tagesaufnahme” für den Menschen sogar um zwei Drittel herauf.
Auf der anderen Seite kämpfen Umweltverbände und Ökoaktivisten, aber auch immer mehr unabhängige Wissenschaftler. Sie glauben, dass Glyphosat Missbildungen bei Säugetieren hervorrufen kann, Niere und Leber schädigt und Unfruchtbarkeit oder Krebs begünstigt. Ein Warnruf von höchster Warte schürt die Sorgen: Die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Vereinigung unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation, hat Glyphosat Anfang März als “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen” eingestuft.
Ist Glyphosat also harmlos genug zum Trinken, wie es manche Industrielobbyisten predigen? Oder ist es das DDT des 21. Jahrhunderts, hochgiftig und im Begriff, die gesamte Nahrungskette zu verseuchen?
Wer sich um Klärung bemüht, bekommt es mit verschwiegenen Firmen zu tun, die Forschungsergebnisse als Betriebsgeheimnisse deklarieren. Kritische Studien werden schlechtgemacht, Wissenschaftler unter Druck gesetzt.
“Die Industrie tut alles, um missliebige Forscher zu diskreditieren”, sagt der französische Toxikologe Gilles-Éric Séralini, einer der schärfsten Glyphosat-Kritiker. Séralini glaubt, dass die Zulassungsbehörden der Industrie seit Jahren in die Hände spielen, auch deshalb, weil sie Glyphosat nur isoliert auf Giftigkeit prüfen; nur den Wirkstoff an sich also – nicht aber die tatsächlich versprühten Mixturen. Séralinis Forderung: “Glyphosathaltige Pestizide sollten sofort verboten werden.”
Glyphosat wurde erstmals 1950 in der Schweiz synthetisiert. Seit 1996 kommt es massiv zum Einsatz, vor allem zusammen mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen, denen die Chemikalie nichts anhaben kann. Die Kombination galt lange als ökologisch unbedenklich und äußerst wirkungsvoll: Glyphosat hemmt das Enzym eines für Pflanzen essenziellen Stoffwechselwegs. Gentech-Getreide wie etwa die Roundup-Ready-Sorten des Agrarriesen Monsanto widerstehen dem Killer. Wer also Glyphosat gegen Unkraut spritzt und gleichzeitig die Gentech-Saat verwendet, darf auf reiche Ernten hoffen.
Jahrelang ging das gut. Doch die Bauern müssen immer größere Mengen des Pestizids auf die Felder sprühen, weil viele Unkräuter resistent geworden sind. Über 700 000 Tonnen des Stoffs produzieren Firmen wie Monsanto, Syngenta oder Bayer Crop Science inzwischen im Jahr. In Deutschland sind derzeit 94 glyphosathaltige Unkrautvernichter unter Namen wie Roundup, Glyfos oder Permaclean zugelassen.
Gartenfreunde sprühen die Mittel in die Fugen zwischen den Terrassenplatten. Die Bahn hält damit ihre Gleisanlagen kahl. Deutsche Bauern wiederum machen mit den Pestiziden Tabula rasa, um Felder für die neue Aussaat vorzubereiten. Oder sie nutzen die Mittel für die sogenannte Sikkation : Raps, Kartoffeln oder Weizen werden kurz vor der Reife gleichsam totgespritzt, weil sie dann leichter zu ernten sind. Diese Technik erhöht die Pestizidrückstände in den Feldfrüchten. Für die EU kein Problem: Sie hat den Glyphosat-Grenzwert für Brot- und Futtergetreide einfach erhöht.
Die größten Glyphosat-Mengen indes stecken in importierten Futterpflanzen. Als Tierfutter sind Gentech-Mais und -Soja etwa aus Argentinien oder den USA seit 1996 in der EU zugelassen. Das eiweißreiche Getreide ist billiger als Kraftfutter aus Europa und landet direkt in den Trögen jener Kühe und Schweine, deren Milch oder Fleisch in hiesigen Supermärkten angeboten werden.
Doch was macht die Glyphosat-Flut mit der Umwelt? Schon lange steht das Mittel im Ruf, die Böden auszulaugen. Genpflanzen überleben die Behandlung zwar, werden aber anfälliger für Krankheiten, bleichen aus oder fallen Pilzen zum Opfer. Nun mehren sich die Anzeichen, dass Glyphosat auch Tier und Mensch schaden könnte.
Ib Borup Pedersen, Schweinezüchter aus dem dänischen Spentrup, fütterte seine Schweine jahrelang mit Gentech-Soja. Irgendwann wurde er misstrauisch. “Jede Sojalieferung führte zu neuen Gesundheitsproblemen”, erzählt der Landwirt. Durchfall, Magengeschwüre und Blähungen plagten Pedersens 450 Sauen. Testweise ließ er das Gentech-Soja weg. “Die Tierarztkosten fielen um zwei Drittel”, erinnert sich Pedersen, “die Sauen wurden ruhiger und produzierten mehr Milch.”
Nun wollte es der Schweinezüchter aus Jütland genau wissen. Fortan führte er Buch über die Herkunft des Schweinefutters und die Erkrankungen seiner Tiere. “Zwei Jahre und 32 000 Schweine später” hatte Pedersen “deprimierende Gewissheit”. Glyphosat im Futter, so zeigten seine Notizen, verschlechterte nicht nur den Allgemeinzustand der Sauen. Es häuften sich auch Fälle von Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und Missbildungen an Schädel, Wirbelsäule und Beinen.
Pedersen hat die Horrorshow sorgfältig dokumentiert: Seine Fotos zeigen Ferkel mit nur einem Auge oder ohne Anus, Tiere mit deformierten Ohren, Schnauzen und Zungen, mit klaffenden Löchern im Schädel oder verkrümmten Beinen. Einige der Tiere ließ Pedersen ärztlich untersuchen. Überall im Körper fanden sich Glyphosat-Rückstände, vor allem in Lunge und Herz.
“Ohne Zweifel ist Roundup der Grund für meine Probleme”, folgert der Züchter. Und er ist sich sicher, dass seine Erfahrungen keine Ausnahme sind.
Auch in Pedersens Urin fand sich Glyphosat. “Das macht mir besonders Sorgen, weil ich mein Essen ganz normal hier bei uns im Supermarkt einkaufe”, sagt er.
Pedersens Studie hat wissenschaftlich keinerlei Aussagekraft, weil sie anekdotisch ist, nicht systematisch. Und doch bestätigen seine Notizen, was Publikationen in Fachjournalen zeigen. Im Tierexperiment entwickelten Krallenfrosch- und Hühnerembryonen Missbildungen durch Glyphosat. Rattenembryonen, die mit verdünntem Roundup geduscht wurden, erlitten Skelettschäden.
Das Pestizid galt lange als unbedenklich, weil es auf ein Enzym zielt, das allein in Pflanzen wirkt. Aufruhr im Säugetierkörper richtet der Stoff aber wohl dennoch an. Er ist nah mit der Aminosäure Glycin verwandt und kann deren Platz im Stoffwechsel einnehmen.
Forscher berichten, dass Glyphosat nerventoxisch wirken und das Hormonsystem durcheinanderbringen könne. Bei Embryonen stört der Stoff möglicherweise den Retinsäure-Stoffwechsel, der eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung spielt.
Auch einen immens wichtigen Enzymkomplex könnte er beeinflussen: den biochemischen Werkzeugkasten zur Entgiftung des Körpers. Ständig bombardieren toxische Substanzen aus der Nahrung Mensch und Tier. Enzyme bauen diese Stoffe in Leber und Niere ab. Normalerweise. Glyphosat könnte diesen Mechanismus hemmen. Ohne gut laufende Entgiftung jedoch wird der Körper zur Sondermüllhalde.
Einer, der es genau wissen will, ist der Franzose Séralini. Seine Arbeitsgruppe im normannischen Caen erforscht seit Jahren die Wirkung von Glyphosat. Séralini badete menschliche Embryonal- und Plazentazellen in Roundup-Lösungen und protokollierte die vernichtende Wirkung der Chemikalie. Zum Erzfeind der Industrie wurde der Forscher aber erst, nachdem er Versuchsratten über zwei Jahre Roundup ins Trinkwasser geträufelt oder sie mit Gentech-Mais gefüttert hatte.
Séralini untersuchte insgesamt 200 Ratten, analysierte Blut, Kot, Urin und Organe. Was er fand, beschreibt der Toxikologe als “alarmierend”. Nieren- und Leberschäden waren zu verzeichnen, die Weibchen entwickelten überdurchschnittlich häufig Brustkrebs. Die Hirnanhangdrüse war bei vielen Tieren vergrößert, der Stoffwechsel verändert.
Im September 2012 veröffentlichte das Fachblatt “Food and Chemical Toxicology” die Studie. Danach brach in Séralinis Leben die Hölle los. “Innerhalb der ersten 24 Stunden protestierten über hundert Forscher gegen unser Paper”, erzählt er, “dann schlossen sich die Behörden, die Glyphosat zugelassen hatten, dem Widerstand an.”
Séralini wurden “Falschaussagen” vorgeworfen, “Verwendung von Tieren für Propagandazwecke”, “Munitionierung für Extremisten”. Wenn sich der Forscher daran erinnert, in seinem kleinen, schmucklosen Büro in einem Seitentrakt der Université de Caen, klingt er verbittert. Der energische Toxikologe fühlt sich als Opfer einer Schmutzkampagne.
“Es gab enormen Druck vonseiten der Industrie”, sagt Séralini. Mit Erfolg: Im November 2013 zog “Food and Chemical Toxicology” Séralinis Veröffentlichung zurück . Zufall oder nicht – ein halbes Jahr zuvor hatte das Fachmagazin den US-Ernährungswissenschaftler Richard Goodman in seinen redaktionellen Beirat berufen, einen ehemaligen Monsanto-Mitarbeiter.
Der Streit um Séralinis Arbeit ist typisch für die Glyphosat-Debatte. Kritische Studien werden zunächst fachlich angezweifelt. Dann wird’s persönlich. Im Fall der französischen Rattenstudie bemängeln Kritiker , dass der Forscher die falschen Labor-
ratten und vor allem zu wenig Tiere verwendet habe, um signifikante Aussagen machen zu können. Séralini hält dagegen. Inzwischen hat ein anderes Fachblatt die Studie neu publiziert. Die Reputation des Franzosen ist dennoch beschädigt.
Bei der aktuellen Krebsstudie der IARC wiederholt sich das Muster. Die Experten sortierten Glyphosat in die “Kategorie 2A” ein, “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen”. Sie berufen sich vor allem auf drei Studien aus den USA, Kanada und Schweden, die nahelegen, dass die Chemikalie das Risiko erhöht, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Außerdem gebe es “überzeugende Hinweise”, dass Glyphosat Krebs bei Labortieren und Erbgutschäden bei menschlichen Zellen hervorrufe, berichtet der IARC-Epidemiologe Kurt Straif.
Straif und 16 weitere Experten von Weltruf haben an der IARC-Einschätzung mitgearbeitet. Ein Jahr lang diskutierten die Wissenschaftler, bevor sie im März ihr Urteil fällten. Die Ergebnisse publizierten sie im angesehenen Fachblatt “Lancet Oncology”. Die Pestizidhersteller beeindruckt das wenig; umgehend zogen sie gegen die Forscher zu Felde.
“Wir sind empört”, wetterte Robb Fraley , oberster Techniker von Monsanto. Die IARC-Einschätzung widerspreche “Jahrzehnten umfangreicher Sicherheitsforschung der führenden Regulierungsbehörden der Welt” und sei “ein klares Beispiel einer tendenziösen Agenda”. Monsanto-Chef Hugh Grant diffamierte die Arbeit gar als “junk science”, zu Deutsch: Drecksforschung.
Die Firma aus St. Louis in den USA beharrt darauf, dass Glyphosat weder Krebs, Missbildungen oder Erbgutschäden auslöse, noch die Fruchtbarkeit beeinträchtige oder das Hormonsystem störe. “Alle ausgewiesenen Glyphosat-Anwendungen sind sicher für die menschliche Gesundheit”, sagt Fraley. Was der Konzern angeblich mit mehr als 800 Studien belegen kann.
An einer davon hat der Toxikologe Helmut Greim mitgearbeitet. Der weißhaarige Experte, gerade 80 geworden, war jahrelang einer der führenden Toxikologen in Deutschland. Längst im Ruhestand, arbeitet er immer noch als Gutachter, seine Basis ist ein kleines Büro an der Technischen Universität München in Weihenstephan.
Jüngst hatte Greim 14 Tierversuchsstudien auf dem Tisch, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs ergründen. “Es gab keine Hinweise auf einen kanzerogenen Effekt”, sagt der Forscher. Kein Wunder, findet er: “Es fehlt ein plausibler Mechanismus, wie Glyphosat Krebs auslösen könnte.”
Seine Ergebnisse fasste Greim Anfang des Jahres in einem Fachmagazin zusammen. Zu den Koautoren gehört David Saltmiras – einer der Cheftoxikologen von Monsanto und Mitglied der “Glyphosate Task Force”, eines Lobbyverbands.
Und das ist die zweite Strategie der Industrie: Unliebsame Studien werden mit eigenen Arbeiten gekontert, die oftmals das komplette Gegenteil zum Ergebnis haben. Greim räumt das ein: Seine Metastudie sei durchaus als Antwort auf die Untersuchung des Franzosen Séralini gedacht.
Andere Studien wiederum halten die Pestizidhersteller mit dem Verweis auf “Betriebsgeheimnisse” sorgsam unter Verschluss. Werden kritische Ergebnisse verheimlicht? Anfang der Achtzigerjahre zum Beispiel gab Monsanto Fütterungsversuche mit Ratten in Auftrag, eigentlich um die US-amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) von der Harmlosigkeit von Glyphosat zu überzeugen. EPA-Vermerke von damals legen jedoch nahe, dass die Industriestudie eine “große Zahl” pathologischer Veränderungen der Rattennieren feststellte, Veränderungen, die einen Krebsverdacht begründen können.
Inzwischen stuft die EPA Glyphosat als praktisch ungiftig ein. Auch das BfR in Berlin sieht keinerlei Gesundheitsgefahren durch den Stoff. Sind die Behörden den Taktiken der Glyphosat-Lobby auf den Leim gegangen, wie Kritiker meinen?
Das BfR weist den Vorwurf der Industrienähe vehement zurück. “Eigenständige Bewertungen” von “mehr als 1500 Publikationen” seien durchgeführt worden. Doch wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass ausgewiesene Experten zu so unterschiedlichen Einschätzungen über ein und denselben Stoff kommen?
Das BfR bietet eine Erklärung an. Die Unterschiede, heißt es dort, hätten ihren Ursprung “in einem anderen methodischen Ansatz”. Regulierungsbehörden beurteilen Umweltchemikalien nämlich vor allem nach deren direkter Wirkung auf Versuchstiere im Labor.
Das geht so: Forscher träufeln Ratten reines Glyphosat in verschiedenen Konzentrationen ins Futter. Dann bestimmen sie jene Glyphosat-Menge, die den Ratten gerade eben noch keine Schäden zufügt. Gleichzeitig messen sie, in welcher Konzentration der Stoff tatsächlich in der Umwelt vorkommt. Liegen die beiden Werte weit auseinander, geben die Kontrolleure Entwarnung. Bei Glyphosat ist das so.
Anders die sogenannte gefahrenbezogene Bewertung, die zum Beispiel zum Votum der IARC führte: Unabhängig von der Dosis untersuchen die Forscher dabei, ob der Stoff ganz prinzipiell gefährlich für Mensch und Tier ist. Zudem werten sie Studien zu den in der Umwelt real beobachteten Folgen des Glyphosat-Regens aus. Solche epidemiologischen Studien haben den Nachteil, dass die Versuchsbedingungen nicht gut zu kontrollieren sind. Dafür bilden sie besser die Wirklichkeit ab.
Zudem mehren sich die Hinweise darauf, dass Glyphosat nicht allein, sondern erst im Mix zum Killer werden könnte. “Pestizide wie Roundup enthalten etwa 50 verschiedene Moleküle”, sagt Séralini. Von einer “Mischung stark korrosiver Stoffe aus der Ölindustrie” spricht der Forscher. Die aggressive Chemie ist zum Beispiel notwendig, um die Pflanzenwände aufzubrechen. Erst dann kann das Glyphosat eindringen und sein Vernichtungswerk verrichten.
Rezepturen wie Roundup seien “bis zu tausendmal giftiger als Glyphosat allein”, sagt Séralini. Auch das BfR hat erkannt, dass der Mix eine wichtige Rolle spielt. Besonders giftige Beistoffe, die sogenannten Tallowamine, sind inzwischen zumindest in Deutschland verboten. Doch das Problem bleibt, findet Séralini – zumal die Giftigkeit des jeweiligen Potpourris überhaupt nicht getestet wird.
Séralinis Arbeit ist die einzige Langzeitstudie weltweit, bei der Roundup verfüttert wurde. In allen anderen Fällen testeten die Forscher Glyphosat pur. Das jedoch sei “das falsche Produkt”, kritisiert Séralini, nämlich eines, “das auf dem Markt gar nicht existiert”.
Ist der massive Einsatz glyphosathaltiger Pestizide also ein fahrlässiger, weltumspannender Feldversuch an Tier und Mensch? “DDT hat man früher auch als völlig untoxisch angesehen”, sagt Monika Krüger, emeritierte Veterinärmedizinerin, “dann hat man langsam gemerkt, dass da im Himmel keine Vögel mehr waren.” Die ehemalige Leiterin des Instituts für Bakteriologie und Mykologie der Universität Leipzig weiß zwar, dass der Vergleich nicht ganz stimmt – Glyphosat wird viel schneller abgebaut als das Insektengift DDT. Doch die Wissenschaftlerin will aufrütteln. Denn auch ihr gefällt nicht, was sie sieht.
Krüger untersuchte die missgebildeten Ferkel des dänischen Bauern Pedersen. Sie entdeckte Glyphosat-Rückstände im Urin von Hochleistungskühen. Vor allem aber musste sie mehrfach zusehen, wie Bauern in Sachsen und Schleswig-Holstein einen Großteil ihrer Herde an den “chronischen Botulismus” verloren.
“Die Lähmungen ziehen von hinten herauf nach vorn, können die Lunge erreichen”, erläutert die Professorin. Dann sacken die Kühe einfach zusammen, “abgemagert, mit aufgezogenem Bauch”.
Das Gift von Bakterien des Typs Clostridium botulinum sei schuld an dem Leiden, sagt die 67-jährige Forscherin. Normalerweise fristen die Einzeller ein Hungerdasein im Verdauungstrakt. Andere Mikroorganismen halten sie in Schach. Bei erkrankten Kühen jedoch haben sie sich rasant ausgebreitet. Schleichend werden die Tiere von innen vergiftet.
Warum kommt es zur Giftattacke? Krüger ist sich sicher: Das Glyphosat im Tierfutter ist schuld. Die Forscherin hat im Labor untersucht, wie Glyphosat auf die Mikroorganismen des Kuhpansens wirkt. “Ausgerechnet viele der nützlichen Organismen werden durch Glyphosat abgetötet”, erläutert sie. Dies störe die Pansenflora, die Botulismus-Clostridien könnten sich “massiv vermehren”.
Ratten, deren Nieren anschwellen, missgebildete Ferkel, vergiftete Kühe, Menschen mit Lymphdrüsenkrebs – hängt all dies mit Glyphosat und Pestiziden wie Roundup zusammen? Der wissenschaftliche Streit könnte sich noch Jahre hinziehen. Ist es fahrlässig, solange einfach weiterzumachen wie bisher?
Bauer Voss aus Dithmarschen jedenfalls will nicht mehr warten, bis sich die Forscher geeinigt haben. Er hat seine Konsequenzen gezogen.
Voss verfüttert jetzt selbst angebaute Ackerbohnen und Raps an seine 75 Kühe. Glyphosathaltiges Sojaschrot aus Übersee mutet er ihnen nicht mehr zu. Seither gäben die Tiere wieder mehr Milch, sie seien fruchtbarer und gesünder.
Bald will Voss seinen Hof ganz auf ökologische Landwirtschaft umstellen und Biomilch produzieren. “Diesen Irrsinn”, sagt er, “mache ich nicht mehr mit.”
Kommentar: Warum wir eine neue Mode brauchen
Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 15/2015
Aldi hat sich diese Woche auf Druck von Greenpeace verpflichtet, bis zum Jahr 2020 nur noch Textilien ohne umwelt- oder gesundheitsschädliche Chemikalien anzubieten. Auch Lidl, Rewe, Tchibo und andere Händler haben auf die “Detox”-Kampagne der Umweltschützer reagiert. Ein schöner Erfolg, aber alles darf das noch nicht gewesen sein. Denn was wir wirklich brauchen, ist eine neue Modebewegung, die weg von der Fast Fashion und hin zur nachhaltigen Klamotte mit langer Lebensdauer führt. Vorreiter dieser Bewegung müssten vor allem die jungen YouTube-Wilden sowie die Schönen und Reichen sein, die uns bereits heute alles Mögliche verkaufen. Ich möchte Rapper sehen, die Firmen wie Nurmi groß machen, deren Jeans aus Stoffresten bestehen. Ich möchte Popstars in Upcycling-Schuhen aus alten Reifen und Lederresten tanzen sehen und Schauspieler, die auf der Berlinale in Kreationen von Labels wie Armedangels oder Brainshirt über den roten Teppich schreiten. Nur wenn Ökoklamotten das Image des Jutesacks loswerden und Ideen wie der “unendliche Kleiderschrank” des Klamotten-Leihshops Kleiderei als cool gelten, wird sich die “Slow Fashion”-Bewegung durchsetzen können. Der Wandel ist dringlich: Etwa 10 000 Liter Wasser verschlingt die Produktion eines Kilos Baumwolle. Vor allem deshalb trocknet beispielsweise der Aralsee aus. In China sind etwa zwei Drittel der Gewässer vergiftet, größtenteils mit Chemikalien aus der Textilindustrie. Rund 4,3 Millionen Tonnen Kleidung landen in Europa jährlich im Müll. Ein neues Party-Top bringe es im Schnitt auf nur 1,7 Einsätze, sagt Kirsten Brodde von Greenpeace. Hätte es dafür wirklich produziert werden müssen?
Ich baue auf euch, ihr Fairtrade-Kaffee trinkenden, Biogemüse knabbernden Fahrradfahrer: Nehmt endlich auch die Kleider in euer Weltverbesserungsprogramm auf!
Von Philip Bethge, DER SPIEGEL 51/2014 – VIDEO dazu
Wenn Peter Boone an Schokolade denkt, fallen ihm Wörter wie “cremig”, “süß”, “fruchtig” oder “milchig” ein, aber auch “rauchig”, “erdig”, “Zimt” und “Lakritz”.
Oder Boone schwärmt gleich von “Ganache”, verführerischen Kombinationen aus Sahne und Schokolade, von Pralinen mit “Knusperelementen” in der Füllung und “Schokoladentropfen” mit den Aromen des “Hibiskus” oder der “Himbeere”.
“Bei Geschmacksvielfalt fällt vielen Leute automatisch Kaffee oder Wein ein”, sagt Boone, “doch dasselbe Potenzial ruht im Kakao – und unsere Aufgabe ist es, dieses Potenzial zu entfesseln.”
Boone ist Chief Innovation & Quality Officer von Barry Callebaut, dem führenden Schokoladenproduzenten. Im belgischen Wieze, gut 40 Autominuten nordwestlich von Brüssel, betreibt die Firma die größte Schokoladenfabrik der Erde. 1,7 Millionen Tonnen des dunklen Süß produzierte Barry Callebaut im vergangenen Geschäftsjahr. Unternehmen wie Mondelez, Unilever oder Hershey verarbeiten es zu Weihnachtsmännern, Pralinen oder Eiscreme.
Der dunkle, erdige Geruch von Kakao liegt über der gesamten Anlage. In den Lagern stapeln sich grobe Säcke mit Kakaobohnen. Nebenan, in Speziallabors, tüfteln Experten an neuen Rezepturen und analysieren die rund 10 000 Inhaltsstoffe der Kakaobohne, immer auf der Suche nach den Schokoladeninnovationen von morgen.
“Wir versuchen, die Kakaobohne vollständig zu enträtseln”, erläutert Boone, “Schokolade ist Genuss pur; wir wollen sicherstellen, dass das auch so bleibt.”
Wieze ist ein eigener Kosmos des Süßkrams. Ähnlich wie in Roald Dahls Kinderbuchklassiker “Charlie und die Schokoladenfabrik” kreist dort alles um die braune Köstlichkeit. Doch die verführerische Willy-Wonka-Welt trügt. Die Schokoladenindustrie ist in Bedrängnis. Während die Nachfrage weltweit vor allem wegen wachsender Schokolust in Schwellenländern wie China oder Indien steigt, könnte die Produktion bald stagnieren.
Der Grund: Industrie, Produktionsländer und Bauern haben es jahrzehntelang versäumt, den Anbau des Kakaobaums zu modernisieren. Auf die Kakaopreise wirkt sich die Agrarkrise zwar noch nicht direkt aus. Doch die Branche ist alarmiert.
“Unsere Industrie ist an einem kritischen Punkt”, sagt Bill Guyton, Präsident der World Cocoa Foundation mit Sitz in Washington, D. C. Der oberste Schokoladenwächter führt eine Koalition von Branchengrößen an, die sich nun zum Handeln gezwungen sieht.
Im Mai haben zwölf Schokofirmen wie etwa Barry Callebaut, Mars und Ferrero gemeinsam mit den Regierungen der beiden größten Produktionsländer, Ghana und Elfenbeinküste (siehe Grafik ), das Programm “Cocoa Action” aufgelegt, um die Zukunft des Kakaoanbaus in Afrika abzusichern. Auch in Asien und Südamerika investieren Schokoladenfirmen Millionenbeträge in Plantagen, Pflanzenforschung und Schädlingsbekämpfung.
Sie reagieren damit auf eine Situation, die dringlicher kaum sein könnte. Überalterte Kakaofarmen erzielen magere Ernten. Die Böden sind ausgelaugt. Pflanzenkrankheiten vernichten etwa ein Fünftel der globalen Kakaoernte.
Verschärft wird die Situation durch den Klimawandel. Die Modelle der Klimaforscher sagen für die Tropen höhere Temperaturen und unregelmäßigere Regenfälle voraus. 2007 hatte der Weltklimarat bereits gewarnt, dass sich die Ernten in Äquatorialafrika bis 2020 halbieren könnten.
Den Kakaobauern mangelt es an fast allem: an Schulen, medizinischer Versorgung, Zukunftsperspektiven. An der Elfenbeinküste etwa leben 60 Prozent der Kakaobauern unterhalb der Armutsgrenze. Und Schätzungen zufolge schuften etwa 1,8 Millionen Kinder auf den Kakaofarmen Westafrikas, rund eine halbe Million davon unter Bedingungen, die gegen die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO verstoßen. Kinderarbeit auf der Kakaoplantage – eine hässliche Vorstellung angesichts der Fülle von Schokoleckereien, die sich im reichen Westen derzeit wieder in den Regalen türmen.
Und was passiert, wenn Ebola zuschlägt? Noch hat die Seuche Ghana und die Elfenbeinküste verschont. Aber sie wütet bei den direkten Nachbarn.
“Wir befürchten, dass der Kakaoanbau ohne schnelles Eingreifen in eine Abwärtsspirale geraten könnte”, sagt Howard-Yana Shapiro, Chef der Agrarforschung beim US-Lebensmittelkonzern Mars und Pflanzenforscher der University of California Davis. Der 68-Jährige treibt für Mars das Kakaorettungsprogramm “Vision for Change” voran. An der Dringlichkeit der Mission lässt er keinen Zweifel. “Ich bin kein Alarmist, sondern Realist”, sagt Shapiro, “wir müssen handeln, jetzt.”
Shapiro ist ein ungewöhnlicher Industriebotschafter. Mit langem weißen Bart und ebensolchem Haupthaar wirkt er wie Santa Claus persönlich, ein reich gewordener Althippie, der vegan lebt und seine Büroräume im kalifornischen Davis als Parkplatz für eine Sammlung von fast hundert Motorrädern nutzt.
Zu Mars kam er, nachdem die Firma ein von ihm mitaufgebautes Unternehmen für Biosaatgut kaufte. Seither muss er sich oft den Vorwurf gefallen lassen, eine Art Öko-Feigenblatt für die Industrie zu sein. Doch die Kritik ficht ihn nicht an – Shapiro gilt als einer der profiliertesten Agrarexperten der Erde. Seit über 35 Jahren erforscht der Genetiker Nutzpflanzen. 2010 sorgte er für Aufsehen, als er für Mars das Genom der Kakaopflanze entschlüsselte – und es anschließend kostenfrei ins Internet stellte.
Inzwischen vertraut Mars Shapiro etwa 30 Millionen Dollar jährlich an, um den Kakao in die Zukunft zu retten: Bis 2020 will Mars angeblich nur noch nachhaltig produzierten Kakao verarbeiten, Kakao also, der von den Zertifizierern Fairtrade, Rainforest Alliance oder UTZ Certified ausgezeichnet ist. Diese Mission führt Shapiro regelmäßig rund um den Erdball.
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An diesem heißen Dezembertag geht es im Geländewagen nach Petit Bondoukou, einer Gemeinde im zentralen Kakaoanbaugebiet der Elfenbeinküste. Finanziert von Mars, versuchen Experten des World Agroforestry Center (Icraf) hier bereits seit 2010, den Bauern der örtlichen Kooperative zu helfen. Im Moment ist Haupterntezeit. Am Rand der Straße stehen dicht gedrängt die Kakaobäume mit ihren dicken, ovalen Früchten, deren Schalen von rot und orange über gelb bis grün und lila changieren. Allein, das üppig wirkende Pflanzenmeer trügt. Die Probleme sind fundamental.
Yoba Traoré, ein schlanker Ivorer mit Vollbart und braunen, weiten Kleidern, baut auf fünf Hektar Kakao an. Der 54-Jährige lebt mit seinen beiden Frauen und sieben Kindern in einem wellblechgedeckten Lehmhaus. Sein Land liegt zwei Kilometer weiter die Straße hinab. Die Kakaobäume stehen eng. Ihre Äste winden sich in alle Richtungen. Nur wenig Licht dringt durch das dichte Blätterdach.
Auf einer Lichtung hat Traoré, mit Plastik abgedeckt, frische Kakaobohnen zur Fermentation ausgelegt. Als er die Plane zurückschlägt, steigt ein intensiver Geruch nach Essigsäure und Kakao von den Bohnen auf, die noch in den Fruchtständen sitzen. Daneben ruhen fertig fermentierte Bohnen zum Trocknen auf dem Boden.
Was idyllisch aussieht, kommentiert Shapiro mit einem Wort: “Entsetzlich.” Mit dem geschärften Blick des Agrarforschers erkennt er schnell, dass Traoré fast alles falsch macht, was im Kakaoanbau falschlaufen kann. Die Bäume, die eigentlich ähnlich wie Apfelbäume gepflegt werden müssten, seien vermutlich noch nie beschnitten worden, sagt er. Das dichte Blätterdach halte Feuchtigkeit am Boden und begünstige das Wachstum von Pilzen.
Die etwa sechstägige Fermentation der Bohnen, bei der die typischen Kakaoaromen entstehen, sähe der Experte viel lieber traditionell unter Bananenblättern als unter Plastik. Das Trocknen am Boden sei unhygienisch und ineffektiv.
Tatsächlich produziert Traoré nur etwa 300 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar. Mit guter Agrartechnik ließe sich die Ernte des Bauern leicht verfünffachen, meint Shapiro. Unter experimentellen Bedingungen hat der Forscher schon bis zu sechs Tonnen Kakao pro Hektar geerntet.
Zudem ist ein Teil von Traorés Bäumen vom sogenannten Cacao Swollen Shoot-Virus (CSSV) befallen. Bei der Krankheit schwellen Abschnitte des Stamms an, vermutlich, weil Pflanzengefäße gleichsam abgewürgt werden. Langsam rafft es den Baum dahin. Kahl recken Traorés abgestorbene Exemplare die Äste gen Himmel.
Das Problem: CSSV wird leicht übertragen. “Diese Krankheit könnte die gesamte ivorische Kakaowirtschaft zugrunde richten”, warnt Shapiro. Er hat so etwas schon erlebt. In Brasilien, einst ein führender Kakaoanbauer der Welt, zerstörte die Pilzkrankheit “Hexenbesen” in den Neunzigerjahren fast die gesamte Branche.
So weit soll es in Westafrika nicht kommen. Und deshalb ist Pflanzenforschung der erste Pfeiler des Kakaorettungsprojekts. Weltweit fahnden Forscher nach krankheitsresistenten Bäumen. Erste Erfolge gibt es. Shapiro selbst war zum Beispiel an der Entdeckung einer Resistenz gegen den Hexenbesen beteiligt. In Costa Rica wachsen bereits erste, gegen den tödlichen Pilz gefeite Bäume.
Auch für die Javanische Kakaomotte, den schlimmsten Kakaoplagegeist in Asien, und für CSSV suchen die Experten noch händeringend nach Gegenwehr. Shapiro würde gern mehr Biotechnologie einsetzen. CSSV etwa, so glaubt er, ließe sich mit Gentechnik besiegen. “Ich weiß zwar, dass diese Techniken sicher sind”, sagt er, “aber niemand wird riskieren, dass die gentech-kritischen Europäer ihren Markt für Kakaobohnen aus Westafrika schließen.”
Die Kakaorettungspakete der Schokofirmen setzen daher auf konventionelle Agrartechnik. Die Firmen wollen die Erträge erhöhen und die Lebensbedingungen der Bauern verbessern – der zweite Pfeiler der Kakaoaktion. Andernfalls, so die Befürchtung, könnte so mancher Kleinbauer den Anbau bald ganz aufgeben.
“Viele Bauern überlegen, statt in Kakao in Kautschuk oder Palmöl zu investieren”, sagt Nicko Debenham, Nachhaltigkeitsexperte von Barry Callebaut. Junge Kakaobauern, berichtet er, ließen ihre Farmen sogar häufig ganz im Stich und zögen in die Städte. Um die Bauern zu halten, sei es unumgänglich, die Einkommen zu erhöhen. Dann, so Debenhams Hoffnung, könnten sich viele Probleme erledigen, so zum Beispiel auch das der Kinderarbeit.
Denn dass auf den Farmen Westafrikas so viele Kinder arbeiten, ist meist aus der Not geboren. “Kakaoanbau ist sehr arbeitsintensiv”, sagt Debenham. Erwachsene Helfer aber könnten die meisten Bauern nicht bezahlen. Die Ernte bleibe daher oftmals “Familienangelegenheit”.
Debenham setzt darauf, die Bauern besser auszubilden und die Gemeinden zu stärken. Genau das ist auch das Ziel von Shapiros Mars-Mission. Die Icraf-Experten bilden in den Dörfern sogenannte Kakao-doktoren aus.
Joel Yao Kouadio ist einer von ihnen. Der junge Ivorer hat gelernt, wie man Kakaobäume pflanzt, pflegt und beschneidet und wie sich Krankheiten abwehren lassen. Jetzt öffnet er in Petit Bondoukou jeden Tag die Türen eines hellblau lackierten Containers, den er zum Mini-Gartencenter ausgebaut hat.
Auf den Regalen von Kouadios Laden stapeln sich Pflanzenschutzmittel und Werkzeuge. Dünger liegt in großen Säcken in der Ecke. Außerdem hilft er direkt auf den Kakaofarmen. Für den 25-jährigen Jungbauern Dramane Sogodogo hat Kouadio zum Beispiel einige alte Bäume auf einem Feld in der Nähe mit einer klassischen Technik verjüngt: dem Pfropfen.
An einem Baum demonstriert Kouadio das Verfahren. Mit einem Messer öffnet er zunächst die Rinde. Dann steckt er einen sogenannten Pfropfreiser in die Baumwunde. Den etwa 20 Zentimeter langen Trieb hat er zuvor von einem jungen, besonders produktiven Kakaobaum geschnitten.
Kouadio umwickelt den Pfropf mit Plastikfolie, um ihn vor dem Austrocknen zu bewahren. Am Schluss rollt er ein Kakaoblatt zu einem Hütchen und setzt es als Schattenspender auf den frischen Ast. “In zwei bis drei Wochen ist der Pfropf angewachsen”, erläutert Shapiro, dann werde der alte Stamm entfernt, und nach drei Jahren trage der Baum “fünfmal so viele Früchte” wie zuvor.
“Wenn sich diese Technik als sicher erweist, könnte ein Großteil aller Kakaobäume in der Elfenbeinküste innerhalb der nächsten zehn Jahren verjüngt werden”, schwärmt Shapiro. Deswegen produziert die Icraf in großer Zahl Pfropfreiser in sogenannten Klongärten. Sorgsam ausgewählte Kakaobäume wachsen dort heran. Bis zu 100 Jungbrunnen-Triebe jährlich lassen sich von einer einzigen dieser Pflanzen gewinnen.
Noch muss Shapiro allerdings die Regierung überzeugen. Massandjé Touré-Litsé, die ebenso mächtige wie resolute Chefin des ivorischen Conseil du Café-Cacao, befürchtet, dass sich im Gepäck der Pfropfreiser CSSV verbreiten könnte. Auch der ersehnte Erntezuwachs hat für Touré-Litsé eine Kehrseite. Gibt es mehr Kakao, könnten die Weltmarktpreise fallen.
Doch Widerstand spornt Shapiro eher an. Am Abend sitzt er in der Provinzstadt Soubré mit den Chefs einer weiteren Kakaokooperative zusammen. Die Entreprise cooperative agricole de Soubré passt ideal in Shapiros Nachhaltigkeitskonzept. 1300 Bauern haben sich hier zusammengeschlossen. 3000 Tonnen zertifizierten Kakaos produzieren sie jährlich. Pro Kilo erhalten sie dafür umgerechnet etwa 1,30 Euro. Ein paar Cent extra bringt ihnen die UTZ-Zertifizierung. Mit den Überschüssen hat die Kooperative zwei Schulen und ein Warenlager gebaut. Kleinkredite für die Bauern gehören zum Service.
Doch Shapiro reicht das nicht. Wie hoch die Ernte sei, fragt er in den Raum. Im Schnitt 500 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar, lautet die Antwort. Shapiro springt auf: “Wollt ihr 1500 bis 2000 Kilo pro Hektar?”, ruft er und erntet ungläubige Blicke.
Der Mann von Mars will der Kooperative einen Klongarten schenken, damit die Bauern ihre Bäume verjüngen können. Per Handschlag wird der Deal besiegelt.
Kann Shapiros Konzept aufgehen? Die Situation der Kakaobauern hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Die Regierungen der Elfenbeinküste und Ghanas bestimmen seit Kurzem jedes Jahr einen Festpreis für Kakao, der die Bauern weniger abhängig von den Schwankungen des Weltmarktpreises macht.
Und tatsächlich wächst auch der Anteil nachhaltig produzierten Kakaos. “Wir werden in diesem Jahr fünfmal mehr Kakao verkaufen als noch im vergangenen Jahr”, berichtet etwa Dieter Overath vom Verein Transfair, der in Deutschland das Fairtrade-Siegel vergibt. Am Ziel befinde man sich aber noch nicht. “Die Schokoladenindustrie hat die Probleme zu lange ignoriert”, sagt Overath. Immer noch seien fast 80 Prozent des Kakaos überhaupt nicht zertifiziert. Gerade Markenartikler wie Milka, Lindt oder Ritter Sport würden sich bislang nur halbherzig oder gar nicht engagieren.
Dabei kommen die Firmen um Nachhaltigkeit eigentlich nicht mehr herum. “Wer langfristig in diesem Geschäft bleiben will, muss in die Bauern investieren”, sagt Peter Boone von Barry Callebaut. Um sich im Markt zu behaupten, werde es zudem immer wichtiger, “die Geschichte hinter der Schokolade” zu erzählen, sagt er.
Im belgischen Wieze lässt sich das beste Beispiel für die Qualitätsoffensive direkt neben der Schokoladenfabrik besichtigen. In Callebauts “Chocolate Academy” lernen etwa tausend Chocolatiers und Pâtissiers jährlich alles über Schokolade, “ein wundervolles, komplexes Produkt”, wie es Akademiechef Alexandre Bourdeaux sagt. Für den Belgier ist die Herstellung von Pralinen oder Schokoladenskulpturen Kunstform und Wissenschaft zugleich.
Bourdeaux kennt sich bestens aus mit dem “Winnower”, einer Maschine, die die Schalen der gerösteten Kakaobohnen von den Kernen trennt, oder mit der “Conche”, in der die Schokoladenmasse bis zu zwölf Stunden lang geschmeidig gequirlt wird. Mit seinen Schülern diskutiert er den Säuregehalt von Schokolade oder die “Kristallisationskurve”, die beschreibt, wie die Süßigkeit aushärtet, ohne dabei ihren Glanz zu verlieren.
Kein Wunder, dass Bourdeaux auch ein spezielles Verhältnis zu den Bohnen hat. “Ohne Qualitätsbohnen keine Qualitätsschokolade”, sagt der Chef-Chocolatier: “Für uns ist es essenziell, was wir aus den Produktionsländern bekommen.”